'Deutsches Haus' - Seiten 309 - Ende

  • Ich bin so positiv überrascht von diesem Buch!


    So viel Schuld der verschiedensten Art, so viele Konflikte, und nie wird plakativ der Zeigefinger erhoben und gewertet. Die Wertung überlässt die Autorin ganz uns, den Lesern. So wirkt das Buch mit Sicherheit länger nach.


    Ich habe mich geirrt ganz zu Anfang, als ich dachte, dass Eva und David igendwann ein Paar würden.

    Ich entschuldige mich bei der Autorin, dass ich ihr so etwas zugetraut habe:grin

    David verschwindet bei der Abreise von Auschwitz. Ich glaube, obwohl man es nicht bestimmt erfährt, dass er sich umgebracht hat. Eines seiner ganz großen Probleme war wohl sein Schuldgefühl, dass er und seine Familie davongekommen sind. Ich dachte erst, ich hätte etwas falsch gelesen, sprach er doch immer von seiner Beteiligung und dem Tod des Bruders im KZ.

    Eva und Jürgen nähern sich wieder an, was ich nicht erwartet hätte. Menschen können sich ändern und vielleicht ist es genau das, was die Welt am meisten braucht: Vergebung.


    Ihren Eltern kann Eva diese Vergebung nicht anbieten, nicht wirklich. Ich glaube, dass die Frage, warum sie das zulassen, dulden, mitlaufen konnten, sehr lange in ihr bleiben wird.

    Nicht jeder kann ein Held sein, manche auch nicht mal im Kleinen.

  • Noch vergessen:

    Evas Reise auf der Suche nach dem Friseur in Polen, der ihr mit der Brennschere die Narbe auf ihrem kindlichen Kopf hinterlassen hat, fand ich etwas viel, aber für sie vielleicht der einzige Weg, der ihr einfiel um Buße zu tun. Und sie biete ihr Haar an, will es geschoren bekommen wie die Häftlinge damals. Der Friseur verweigert das, denn so funktioniert Vergebung nicht. Sie kann nur gewährt werden, nicht erlangt.

    Darüber muss ich noch etwas nachdenken...

  • Das Anbieten der Haare hatte für mich auch was von sich selbst zum ebensolchen Opfer stilisieren.


    Daher fand ich es auch gut geschrieben, dass der Friseur das verweigert.

    Zukigomori , willkommen in der Leserunde!

    Liest du dieses Buch aktuell mit uns oder hast du es bereits gelesen und schreibst als Zaungast mit?


    Ich glaube nicht, dass Eva sich zum Opfer stilisieren will. Im Laufe der vielen Verhandlungstage und der unsäglichen Grausamkeiten, von denen sie hören musste, ist ihr klar geworden, dass sie nichts, aber auch gar nichts tun kann, um diese Schuld, die Schuld der Eltern und die Scham abzutragen.

    Es ist eine Opfergabe, eine Buße, die sie anbietet.

  • Ich habe ihr Motiv etwas anders verstanden - nämlich sich ebenfalls, wie die Frauen im KZ, den Kopf rasieren zu lassen.


    Übrigens habe ich vor Kurzem ein Buch gelesen, das den KZ Themenkreis nochmal anders behandelt.

    Majgull Axelsson: Ich heiße nicht Miriam. Auch da geht es um Schweigen, sich nicht mitteilen.

    Mehr möchte ich dazu gar nicht sagen, um nichts zu verraten.

    Ich kann es aber nur empfehlen.


    Auch das Ende finde ich wirklich gut. Kein Happy-End. Kein Friede, Freude, Eierkuchen.

  • Ich habe ihr Motiv etwas anders verstanden - nämlich sich ebenfalls, wie die Frauen im KZ, den Kopf rasieren zu lassen.

    Ja, so habe ich sie auch verstanden. Siehe:

    will es geschoren bekommen wie die Häftlinge damals.

    Allerdings denke ich, dass sie es als Buße tun wollte, als Geste ihrer Trauer, Betroffenheit und Scham. Sie bietet dem Friseur, der ihr als Mädchen die Locken legte und seine Tochter verloren hat, ihr Haar an. Sie will nicht sein wie die Frauen in den Lagern, kann kein Leben zurückbringen, nichts wieder gut machen, kann nur etwas opfern und dem Vater, dem Friseur, die Möglichkeit geben, ihr als Vertreterin der Deutschen, etwas zu nehmen.

    Er weist das von sich.

    Konnte ich mich verständlich ausdrücken? Ist schwer in Worte zu fassen.

    Auch das Ende finde ich wirklich gut. Kein Happy-End. Kein Friede, Freude, Eierkuchen.

    Ich finde das Ende auch gut, so wie es ist!

  • Ich habe das Buch heute Nacht, aufgrund von akuter Schlaflosigkeit, zu Ende gelesen.

    Ich schreibe später noch mehr dazu. Ich wollte nur schon mal kurz anmerken, dass mir das Buch im Großen und Ganzen gut gefallen hat. Womit ich mich nicht anfreunden kann, ist Annettes Werdegang/Entwicklung bzw. Erzählstrang, den das Buch meiner Meinung nach nicht gebraucht hätte.

    Den randalierenden Punk als Sohn, also den Konflikt des Schweigens über die Erlebnisse so weiter in die nächste Generation getragen, fand ich aber im Ansatz gut. Das ist auch ein wichtiges, aktuelles Thema, mit dem sich in psychischer Hinsicht viele in den Nachfolgegenerationen immer noch herumschlagen müssen.

  • Allerdings denke ich, dass sie es als Buße tun wollte, als Geste ihrer Trauer, Betroffenheit und Scham. Sie bietet dem Friseur, der ihr als Mädchen die Locken legte und seine Tochter verloren hat, ihr Haar an. Sie will nicht sein wie die Frauen in den Lagern, kann kein Leben zurückbringen, nichts wieder gut machen, kann nur etwas opfern und dem Vater, dem Friseur, die Möglichkeit geben, ihr als Vertreterin der Deutschen, etwas zu nehmen.

    Er weist das von sich.

    Konnte ich mich verständlich ausdrücken? Ist schwer in Worte zu fassen.

    Ich denke, dass Eva hier beispielhaft steht für viele junge Menschen, die damals damit konfrontiert wurden, was ihre Eltern oder andere Familienmitglieder während des Nazi-Regimes getan haben oder unterlassen haben. Sie ist bis in ihr tiefstes Inneres erschüttert, der Seelenfrieden zerstört. Sie empfindet Scham und Schuld, die versucht sie stellvertretend irgendwie zu begleichen. Dass sie das nicht kann, muss sie durch die Begegnung mit dem Friseur lernen. Sie kann keine Vergebung erlangen, für sich nicht und erst recht nicht für ihre Eltern. Ich fand diese Szene im Friseursalon und ihre Erkenntnis daraus, das Gespräch mit Jürgen, sehr stark erzählt und aus Sicht der beiden jungen Leute auch sehr erwachsen.
    Daraus kann nur die eine Verantwortung enstehen, mit dafür zu sorgen, dass so etwas nie wieder geschieht. Deshalb ist die Erinnerung daran so wichtig und auch solche Bücher, wenn sie so geschrieben sind.

  • Womit ich mich nicht anfreunden kann, ist Annettes Werdegang/Entwicklung bzw. Erzählstrang, den das Buch meiner Meinung nach nicht gebraucht hätte.

    Du meinst Annegret, oder?;)

    Ich finde ihre Geschichte an sich sehr interessant, aber leider weder zu Ende gedacht noch zu Ende erzählt, was ich ja schon mehrfach geschrieben habe. Man erfährt nichts von ihren Kindheitserinnerungen, den Ursachen, warum sie sich eben so entwickelt hat. Dadurch wird die Anwesenheit dieses Stranges unvollständig und auch unnötig. Schade drum!


  • Daraus kann nur die eine Verantwortung enstehen, mit dafür zu sorgen, dass so etwas nie wieder geschieht. Deshalb ist die Erinnerung daran so wichtig und auch solche Bücher, wenn sie so geschrieben sind.

    So sehe ich das auch.

    Leider lesen solche Bücher wahrscheinlich die, die schon wieder gerne marschieren und den Arm ausstrecken nicht.

  • Du meinst Annegret, oder?;)

    Ich finde ihre Geschichte an sich sehr interessant, aber leider weder zu Ende gedacht noch zu Ende erzählt, was ich ja schon mehrfach geschrieben habe. Man erfährt nichts von ihren Kindheitserinnerungen, den Ursachen, warum sie sich eben so entwickelt hat. Dadurch wird die Anwesenheit dieses Stranges unvollständig und auch unnötig. Schade drum!

    Natürlich meine ich Annegret und nicht die Autorin. :lache
    Ich sehe es auch so. Für mich ist das ein großer Kritikpunkt, aber tatsächlich der einzige.

  • Ich habe das Buch auch zuende gelesen. Die Geschichte mit Annegret (ja, diesmal habe ich mir den Namen gemerkt) hat mich wirklich ziemlich genervt. Und die Tatsache, dass der Kinderarzt sie nicht anzeigt, sondern heiratet, fand ich auch unfassbar. Gerade ihm als Arzt sollte doch bewusst sein, dass es bei einer solchen Störung nicht mit etwas Liebe getan ist.


    Die Geschichte mit dem Frisör fand ich auch ein wenig seltsam - dass sie ihn aufsucht, verstehe ich, aber den Gedankengang, sich als Sühne ebenfalls die Haare abrasieren zu lassen, finde ich abstrus.


    Ich werde das Buch noch ein wenig sacken lassen, vielleicht schreibe ich später noch mal etwas darüber.

  • Ich habe das Buch auch zuende gelesen.

    Schön, dass du dich doch weitergekämpft hast.:kiss


    Die Geschichte mit Annegret (ja, diesmal habe ich mir den Namen gemerkt) hat mich wirklich ziemlich genervt. Und die Tatsache, dass der Kinderarzt sie nicht anzeigt, sondern heiratet, fand ich auch unfassbar. Gerade ihm als Arzt sollte doch bewusst sein, dass es bei einer solchen Störung nicht mit etwas Liebe getan ist.

    Ich weiß gar nicht, ob er sich klar darüber ist, bei wie vielen Baby Annegret das durchgezogen hat. Ihm gegenüber spricht sie ja nur von diesem einen Mal, als er sie erwischt hat. Sie beteuert auch, dass sie mit dem Kleinen der stirbt nichts zu tun hatte.

    Er liebt sie wirklich, denke ich. Er hat seine Frau und Kinder verlassen, alle Brücken abgebrochen für sie. Vielleicht ist er ihre Rettung...man weiß es nicht.

    aber den Gedankengang, sich als Sühne ebenfalls die Haare abrasieren zu lassen, finde ich abstrus.

    Ich glaube, sie wollte etwas opfern und ein sichtbares Zeichen setzen, irgendetwas geben, was ihr schwer fallen sollte und sie für einen recht langen Zeitraum brandmarken wird.

  • Was für ein furchtbar trauriges Ende. Eva hat Jürgen zwar wieder, aber die Familie und eine Illusion verloren. Auf der einen Seite verstehe ich, dass der Friseur ihr keinen Trost geben wollte, andererseits war Eva noch ein Kind damals. Sie hat ja nicht begriffen, was da passierte.


    Mir hat richtig gut gefallen, wie Eva sich im Laufe es Buches entwickelt hat. Was dieser Prozess mit ihr gemacht hat, dass sie erwachsen wurde und ihre eigenen Entscheidungen getroffen hat und dazu auch gestanden hat. Nicht so gut hat mir bis zum Schluss der Erzählstil gefallen. Trotzdem war es spannend.

  • Eva hat Jürgen zwar wieder, aber die Familie und eine Illusion verloren.

    Für Eva waren die Veränderungen wohl am tiefgreifendsten (Gibt's das Wort überhaupt?). Die Geschichte begann für sie mit seliger, bequemer Unwissenheit und endete im schmerzhaften Bewusstsein. das Verhältnis zu ihren Eltern wird nie wieder das sein, was es einmal war.

    Auf der einen Seite verstehe ich, dass der Friseur ihr keinen Trost geben wollte, andererseits war Eva noch ein Kind damals. Sie hat ja nicht begriffen, was da passierte.

    Sie wusste es wirklich nicht, und sie hätte als Kind auch nichts tun können, aber die Erkenntnis, dass auch sie Dinge gesehen, gehört, gerochen und tief im Unterbewusstsein begraben hat, trifft sie wie eine Keule. Ich denke dadurch, dass der Friseur sie abweist und ihr damit sinnbildlich die Absolution verweigert, lernt sie, dass man die Schuld eines Anderen nicht abtragen kann, auch nicht, wenn man sie wie Eva sogar als eigene Schuld empfindet. Man kann nur nie vergessen!

  • Ich kann die Reaktion des Herrn Jaschinsky zwar ganz gut nachvollziehen. Auf der anderen Seite waren die Mädchen tatsächlich Kinder, die an den Geschehnissen im KZ keinen Anteil hatten.

    Da gibt es auch keine Schuld, die man "erben" könnte. Für mich ist das ein tiefes Schamgefühl, ein Bewusstsein dafür, was Menschen anrichten können und daraus folgt für mich die Verpflichtung, das mir mögliche zu tun, damit es nicht noch einmal so weit kommt.


    Mir geht es immer so, wenn ich in Frankreich vor den "monuments aux morts" stehe und die endlosen Namenslisten der jungen Männer lese, die insbesondere im ersten Weltkrieg umgekommen sind.


    Ich war mit ca 13 Jahren als Austauschschülerin in England und bei einer Besichtigung von einem älteren Engländer wüst beschimpft wurde. Ich war wie vom Donner gerührt - noch eine Generation später und meine Eltern waren im Krieg Kinder.

  • Das mit dem Schamgefühl sehe ich ebenso. Aber ich finde es immer schwieriger in der heutigen Zeit dagegen anzugehen, weil sich manche Menschen irrsinnige Dinge aus den Fingern saugen. Da fehlen mir dann auch manchmal die richtigen Worte.


    Ich habe glücklicherweise im Ausland noch nie Ablehnung oder Hass erfahren. Das rechne ich den Leuten hoch an. Eine ehmalige Freundin erzählte mir, dass ihr französicher Austauschschüler sie ernsthaft gefragt hat, ob sie Hitler-Fan wäre. Das hat uns damals sehr bestürzt. Allerdings ist es sicher verständlich, man weiß ja nicht, was dort gesprochen wird über die Deutschen.

  • "Mensch sein ist schwer" und "Sie wollen, dass wir sie trösten" das sind zwei zentrale Sätze des letzen Teils. Aber wie sollen Angehörige und Überlebende von Konzentrationslagern die Kinder der Täter oder die Täter selbst trösten?? Eine ungeheuerliche Vorstellung und Forderung. Aber für mich macht das Sinn. Das was Eva antreibt und umtreibt.

    Gut, morgen mehr.

  • Aber wie sollen Angehörige und Überlebende von Konzentrationslagern die Kinder der Täter oder die Täter selbst trösten??

    Gar nicht.

    Können sie nicht, müssen sie nicht, sollen sie nicht.

    Das ist es , was ich mit Absolution erhalten meinte. Der Friseur hat sie ihr verweigert, indem er Evas Opfer zurückweist.