'Die geteilten Jahre' - Seiten 001 - 095

  • Und noch etwas:

    In Kapitel 3 lesen wir eine Einkaufsepisode der Honeckers. Hm:gruebel

    Ich kann nicht glauben, dass Margot H. nichts von der miserablen Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern wusste, die große Lenkerin.

    Das war auch mein erster Gedanke. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sie nichts davon wusste.


    Die wussten nichts darüber, wie es in der DDR wirklich aussah.


    Nur ein Beispiel: In den Straßen, die von Wandlitz nach Berlin führten, waren die Häuser nur bis zu der Höhe instandgesetzt, in die man aus den Autos heraus blicken konnte. Die Poltbüromitglieder - weiter unten in der Hierarchie sah es etwas anders aus - lebten in einer völlig abgeschotteten Blase und bekamen nur geschönte Berichte zu sehen. Ich denke einmal, die haben als einzige tatsächlich geglaubt, was im "Neuen Deutschland" stand.

    Unglaublich.

    Die Kurzkapitel sind mir deshalb wichtig, um genau das zu verdeutlichen.

    Ich denke, das ist dir gut gelungen. Auch wenn sich diese Kapitel für mich mal nicht so eben weglesen lassen.


    Ich glaube, dass der Roman von in der DDR groß gewordenen Menschen schon anders gelesen wird als von Lesern aus den älteren Bundesländern, und verstehen sollen die Zusammenhänge ja alle.

    Das glaube ich auch. Wie gesagt, ich hatte keinerlei Berührungspunkte. Ich finde die Schilderungen teilweise sehr bedrückend. Die Szene mit den Antennen, oder beim Zoll. Der Frust und die Hilflosigkeit sind regelrecht spürbar. So isoliert, das kann und möchte man sich gar nicht vorstellen.

  • Für mich ist es eine neue Welt. Ich lebe ganz im Westen Deutschlands, war in Berlin erst nach dem Mauerfall und war mit der Schule einmal in Prag. So habe ich nie Ostfernsehen geschaut, auch wenn mein Vater in der Nähe von Wismar aufgewachsen ist.

    Es ist kaum zu glauben, dass die obersten Chefs keine Ahnung vom wahren Zustand hatten, aber natürlich hatten die untergeordneten Stellen ein Interesse an diesem Eindruck.

    Für die Familie Leipold war es tragisch, einen Tag zu spät fliehen zu wollen. Aber die Beschreibung der Zustände an jenem 13. August zeigt auch, dass niemand mit dem Mauerbau gerechnet hatte. Es ist schon eine Leistung, so etwas wirklich geheim gehalten zu haben.

    Die Bevorzugung bestimmter Sportvereine ist mir schon vorher zu Ohren gekommen. Es muss gerade auch für die Betreuer ein Riesenproblem gewesen sein, mit ungeeignetem oder sogar gefährlichen Geräten zu hantieren. Das Schicksal des Jungen ist schon schlimm. Aber fast noch mehr hat mich die Szene beim Zoll getroffen.

    Generell empfand ich die DDR nicht als Unrechtsstaat, zumindest nicht mehr als die übrigen Ostblockstaaten. Mag sein, dass für mich auch einige westliche Staaten Unrechtsstaaten waren, die ihre Interessen ungehemmt mit Waffengewalt durchzusetzen versuchten. Andererseits war die DDR ein anerkannter Staat wie z. B. auch Ungarn und Bulgarien. Von daher hatte ich in jungen Jahren nie das Bedürfnis nach einer Wiedervereinigung, die ich mir nicht einmal im Traum vorstellen konnte.

    Interessant fand ich die beidseitige Ablehnung von Staat und Kirche, die mir sehr einleuchtete.

    :lesend James Lee Burke - Die Tote im Eisblock

    hörend: Hanna von Feilitzsch - Bittersüße Mandeln

  • Von daher hatte ich in jungen Jahren nie das Bedürfnis nach einer Wiedervereinigung, die ich mir nicht einmal im Traum vorstellen konnte.

    Interessant fand ich die beidseitige Ablehnung von Staat und Kirche, die mir sehr einleuchtete.

    Das war bei mir auch eine Sache im Elternhaus, dass meine Mutter z.B. Lehrer aus den Ostgebieten hatte, die mit ihnen ausführlichst die verlorenen schönen Gebiete und Landschaften durchgenommen haben. Diese wollte meine Mutter z.B. auch gern mal bereisen und mir wurde als Kind schon immer vermittelt, dass diese Teilung in zwei Länder ungerecht ist, allerdings an eine Wiedervereinigung nicht zu denken ist. Auch meine Großeltern wollten mal wieder Dresden, Berlin, Leipzig etc. wiedersehen. Meine Großcousine litt darunter das Grab ihrer Mutter (+1945) in Parchim/ Meck.-Pomm. nicht mehr besuchen zu dürfen und war glücklich als dies 1989 wieder möglich war. Es ging in dem Wunsch nach einem Deutschland viel um die menschlichen Schicksale, dass Verwandtschaft in der DDR bleiben musste.

    Ich habe im Sommer 1989 in England auf Befragen meiner Gastfamilie und ihrer Freunde auch gesagt, dass wir uns ein Deutschland wünschen würden, doch dies momentan nicht vorstellbar ist. Zuvor musste ich Fragen zu Mr. Hitler beantworten, wie wir nun nach dem verlorenen Krieg leben und dem german shepherd dog.;)

    Manche Bücher müssen gekostet werden, manche verschlingt man, und nur einige wenige kaut man und verdaut sie ganz.
    (Tintenherz - Cornelia Funke)

  • Generell empfand ich die DDR nicht als Unrechtsstaat, zumindest nicht mehr als die übrigen Ostblockstaaten. Mag sein, dass für mich auch einige westliche Staaten Unrechtsstaaten waren, die ihre Interessen ungehemmt mit Waffengewalt durchzusetzen versuchten. Andererseits war die DDR ein anerkannter Staat wie z. B. auch Ungarn und Bulgarien. Von daher hatte ich in jungen Jahren nie das Bedürfnis nach einer Wiedervereinigung, die ich mir nicht einmal im Traum vorstellen konnte.

    Interessant fand ich die beidseitige Ablehnung von Staat und Kirche, die mir sehr einleuchtete.

    Wie soll man einen Staat, der mit Panzern gegen seine demonstierenden Bürger vorgeht, sie bespitzelt und einsperrt denn sonst nennen? Auch wenn der Westen oft viel zu schnell zu den Waffen gegriffen hat ( und auch heute noch greift) um seine außenpolitschen Interessen durchzusetzen, das kann man mMn nicht vergleichen.

  • Generell empfand ich die DDR nicht als Unrechtsstaat, zumindest nicht mehr als die übrigen Ostblockstaaten.

    Das waren sie auch alle - bis Gorbatschow kam und sich auch für die Russen kurz die Tür zur Demokratie öffnete, die nun wieder mit lautem Krachen zugeschlagen worden ist.

    There must be a beginning of any great matter, but the continuing unto the end until it be thoroughly finished yields the true glory. (Francis Drake)

  • Ich komme aus dem grenznahen Gebiet Niedersachsens und bin somit mit der DDR-Realität sehr intensiv aufgewachsen. Wir guckten sehr oft und sehr gerne DDR-Fernsehen ("Mach mit, machs nach, machs besser" zum Beispiel) und freuten uns immer, wenn im Fußball-Europapokal die bundesdeutschen Mannschaften Vereine aus der DDR als Gegner zugelost bekamen. ARD und ZDF zeigten das nicht immer, auf DDR1 war aber in dieser Hinsicht Verlass. :fussball


    1985 fuhren wir dann zur Bundesgartenschau nach Westberlin und somit zum ersten Mal über Marienborn auf dem Transitweg. Die Grenzkontrolle war spannend und die Bestimmungen und vor allem Verbote für Autofahrer hatte ich mir vorher genauestens durchgelesen und meine Mutter am Steuer darüber instruiert. In Erinnerung ist mir noch eine Baustelle geblieben, vor der das Tempo von 100 km/h recht schnell drastisch reduziert wurde, so dass viele schneller als erlaubt fuhren. Die Vopos warteten schon darauf und haben kräftig abkassiert. :alarm


    1986 war ich auch auf Klassenfahrt in Ludwigslust und in Schwerin. Hinter dem Rücken eines Angestellten vom Deutschen Reisebüro der DDR hat ein Mitschüler versucht, Geld mit einem Schweriner zu tauschen - warum auch immer. Der vom Reisebüro hat entsprechend erbost reagiert. Später haben wir zu viert noch versucht, ein Taxi von der Innenstadt zum Schloss zu bekommen. Keiner wollte uns eins bestellen, da der zu fahrende Weg länger als der Fußweg ist. Glücklicherweise fanden wir aber jemanden, der uns als Anhalter mitnahm. Als wir vier dann aus dem knatternden Trabbi ausstiegen, machten unsere Mitschüler große Augen. =O Wir wollten damals halt unbedingt mal Trabbi fahren.


    1988 war ich zur Klassenfahrt in Westberlin. An einem Tag fuhren wir zu zehnt auch rüber in den Osten. Sechs davon hatte irgendwann keine Lust mehr und gab uns ihr restliches Geld. Es folgte eine lustige Kneipentour mit einigen Lokalrunden. Also wir hatten kein Problem, dass Geld loszuwerden. ;)

  • Ich bin überrascht (den Klappentext habe ich schon lange wieder absichtlich vergessen), dass der Grundtenor des Buches die DDR sehr negativ sieht. Es könnte fast aus westdeutscher Sicht geschrieben sein, da die Ostdeutschen mit ihrer Heimat und Geschichte im Allgemeinen etwas wohlwollender umgehen. Von 1998 an habe ich vier Jahre in Erfurt gelebt und dort eigentlich lediglich positive Erfahrungen gemacht und auch meist nur positive Geschichten gehört. Es verklärt halt nicht nur der Blick in die Vergangenheit, sondern es ist für viele ja auch die Zeit der ersten Liebe und des ersten Glücks. Dies sollte man bei den "Es war nicht alles schlecht"-Anekdoten nicht vergessen.


    Es ist natürlich tragisch, dass die Flucht ausgerechnet am Tag des Mauerbaus geschehen sollte und damit scheiterte, jedoch gab es vorher auch 16 ungenutzte Jahre. Warum also nicht früher? Warum fuhren sie erst noch an die Ostsee? Bei der Leserunde zu "Kinder der Freiheit" von Ken Follett hatten wir auch gerätselt, ob man den Mauerbau nicht absehen konnte. Hier wird eindeutig gezeigt, dass der Bau nicht absehbar war. Mir gefällt, dass die berühmten Ereignisse wie z. B. die Flucht des Grenzpolizisten in die Geschichte eingearbeitet wurde.


    Das das Politbüro über die Zustände im Land belogen wurde, war mir gar nicht bekannt.

    Mac P. Lorne Hast Du hierzu noch Sekundärquellen im Netz? Das würde mich noch genauer interessieren.


    Bei der Szene mit dem abgebrochenen Florett musste ich mir beim Lesen die Hand vor Augen halten. Mir wäre in meiner Bundeswehrzeit fast ähnliches passiert. Ein dicker Draht schrammte nur um wenige Zentimeter an meinem Auge vorbei und traf die Schläfe. <X

  • ...sondern es ist für viele ja auch die Zeit der ersten Liebe und des ersten Glücks. Dies sollte man bei den "Es war nicht alles schlecht"-Anekdoten nicht vergessen.

    Seiner Liebe wird Markus auch noch in der DDR begegnen und Papa werden... dies wird er dann sicher auch als gute Erinnerungen behalten.

    Manche Bücher müssen gekostet werden, manche verschlingt man, und nur einige wenige kaut man und verdaut sie ganz.
    (Tintenherz - Cornelia Funke)

  • Dann hast Du Dich beim Eulentreffen noch nicht ausreichend mit mir unterhalten.

    Oder ich habe mich schlecht verkauft ;).

    Da ich hier nicht einfach mitschreiben möchte, ohne das Buch gelesen zu haben, habe ich es kurzerhand gekauft und beginne heute Abend mit der Lektüre.

  • Salonlöwin Du warst auch schon wirklich lange nicht mehr beim Eulentreffen.


    Es ist die richtige Entscheidung das Buch zu kaufen und mit uns zu lesen! Freu mich und bin gespannt auf Deine Beiträge.

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    (Tintenherz - Cornelia Funke)

  • Ich melde mich mal bis Sonntag zur Buchmesse ab.

    Auf meinem Handy kann ich nur ganz schwer schreiben und den PC will ich nicht mitschleppen.

    Bis bald und diskutiert schön weiter, M. :wave

    There must be a beginning of any great matter, but the continuing unto the end until it be thoroughly finished yields the true glory. (Francis Drake)

  • Wenn das erst später kommt, reicht es mir, dies auch erst im entsprechenden Abschnitt zu lesen. :hau

    :waveMit dem Satz verrat ich nun wirklich nichts. :S

    Ich melde mich mal bis Sonntag zur Buchmesse ab.

    Auf meinem Handy kann ich nur ganz schwer schreiben und den PC will ich nicht mitschleppen.

    Bis bald und diskutiert schön weiter, M. :wave

    Oh, das passt mir sehr gut, ich werde auch leider erst ab Montag zum Weiterlesen und Posten kommen, da ich bis Sonntag beim Tierärztekongress in München bin.

    Manche Bücher müssen gekostet werden, manche verschlingt man, und nur einige wenige kaut man und verdaut sie ganz.
    (Tintenherz - Cornelia Funke)

  • Wie soll man einen Staat, der mit Panzern gegen seine demonstierenden Bürger vorgeht, sie bespitzelt und einsperrt denn sonst nennen? Auch wenn der Westen oft viel zu schnell zu den Waffen gegriffen hat ( und auch heute noch greift) um seine außenpolitschen Interessen durchzusetzen, das kann man mMn nicht vergleichen.

    Schau Dir aber auch mal an, wie westliche Länder mit sogenannten Befreiungsgruppen umgegangen sind, z. B. Nordirland, Korsika, Baskenland, Molukker in den Niederlanden. So etwas vergessen wir leicht. Bei uns sind es dann ganz schnell Terroristen geworden. Der Unterschied zwischen Befreiern und Terroristen ist oft nur der, wer gewonnen hat. Schau dir z. B. nur die Entwicklung und Entstehung Israels an.

    Oder die "Berufsverbote" für potentielle Lehrer, wenn sie an falschen Demos teilgenommen hatten.

    :lesend James Lee Burke - Die Tote im Eisblock

    hörend: Hanna von Feilitzsch - Bittersüße Mandeln

  • Ich habe mich unglaublich auf dieses Buch gefreut, war ich doch im Mai diesen Jahres zum erten Mal in meinem Leben in Berlin. Ich war sechs Jahre alt, als die Mauer fiel und kann mich dementsprechend nicht an viel erinnern und in der Schule haben wir immer mit den 2. WK aufgehört. Seit letztes Jahr habe ich den fixen Gedanken mich mehr mit dieser deutschen Geschichte (nach 1945) auseinander zu setzen und da kommt dieser Roman natürlich genau zu richtigen Zeit.


    Marcus mag ich sehr, ich kann mich gut mit ihm identidizieren, auch ich war lange Zeit Außenseiter(in), bis ich zu den Menschen kam, die genau die selbe Leidenschaft teilen wie ich... Der Unfall war echt heftig und ich mag mir gar nicht vorstellen, Welche Angst man da auf einmal hat.


    Die politischen Episoden habe ich genau so verstanden, dass sie diese Irrationalität uns Lesern vor Augen führen sollen. Es ist wirklich unglaublich, dass die "Oberen" nicht gewusst haben sollen, wie es um die einfach Bevölkerung steht.


    Schmunzeln musste ich wieder bei den vorrausschauenden Andeutungen, ein unverwechselbares Element, lieber Mac.


    So, jetzt geht es direkt weiter :-)