'Mit der Faust in die Welt schlagen' - Seiten 231 - Ende

  • Ich habe heute Morgen bis 4 Uhr durchgelesen. :sleep

    Trotzdem ich bis zum Ende den Stil nicht besonders toll fand, entwickelte das Buch einen Sog - oder ich war einfach nur auf das Ende neugierig. Ich hatte eigentlich viel mehr Verstrickungen in den braunen Sumpf erwartet - vielleicht ein typisches Vorurteil. Damit hatten Tobias und Philipp und der Rest der Gang jedoch nur vordergründig was zu tun.


    Es ist die Story von Abgehängten und Vergessenen, die sich ein klein wenig aber auch in ihr eigenes Schicksal ergeben. Diese "Alles sinnlos"-Haltung gab es ja auch zum Ende der DDR bereits. Den Verfall der eigenen Heimat und den Orten der Kindheit dann zusehen zu müssen, haben die Jungs nicht verkraftet. Obwohl sie durchaus intelligent und reflektierend sind. Denen aber Haltung, Wurzeln und Orientierung fehlen.

  • entwickelte das Buch einen Sog - oder ich war einfach nur auf das Ende neugierig. Ich hatte eigentlich viel mehr Verstrickungen in den braunen Sumpf erwartet - vielleicht ein typisches Vorurteil. Damit hatten Tobias und Philipp und der Rest der Gang jedoch nur vordergründig was zu tun.

    Überrascht hat mich, dass die Brüder zum Ende hin eigentlich die Rollen/Positionen getauscht haben. War es erst Philipp, der sich in der Clique um Menzel rumtrieb, so ist es am Ende Tobias, der "mit der Faust in die Welt"schlägt. Er fühlt sich sein ganzes, junges Leben lang für alle irgendwie verantwortlich und hat schlussendlich das Gefühl, auch hier Verantwortung übernehmen zu müssen, vortreten, zutreten, etwas tun zu müssen.

    Es ist die Story von Abgehängten und Vergessenen, die sich ein klein wenig aber auch in ihr eigenes Schicksal ergeben.

    Nicht nur ein klein wenig, finde ich.

    Die Figuren im Roman ergeben sich größtenteils in ihr Elend, in die Ungerechtigkeit, mit der das Leben ihnen mitgespielt hat und vergessen völlig, dass man fast immer etwas machen kann, damit es Veränderungen gibt.

    Und es gibt viel zu viele solche Leute.


    Diese "Alles sinnlos"-Haltung gab es ja auch zum Ende der DDR bereits.

    Und Manche sind nie aus dieser Haltung, dieser Lethargie heraus gekommen.

  • Der Umbruch in der DDR fiel auch in eine Zeit, in der die Rolle des Staates kleiner wurde und Krankenhäuser, Telekommunikation, Bahnverkehr etc. privatisiert wurden. Die Bundesrepublik ist nicht mehr der frühere Wohlfahrtsstaat und die DDR war es eigentlich nie.


    In der heutigen Zeit immer nur auf den Staat zu hoffen, ist viel zu wenig. Vor kurzem las ich im Internet einen Kommentar, indem von der Politik gefordert wurde

    - endlich die Steuern zu senken und gleichzeitig

    - mehr in Bildung zu investieren,

    - mehr in Straßenreparaturen zu investieren,

    - die Renten zu erhöhen

    usw. Wie soll diese Rechnung denn aufgehen? Weniger Einnahmen, aber alles bezahlen? Das müsste doch dem Dümmsten aufgehen, dass das nicht funktioniert.

  • Man vergisst immer, die zeitgleich zur "Wende" in der DDR stattfindenden Veränderungen im Westen Deutschlands in den Blick zu nehmen.


    Ich gebe dir Recht: Es ist ein weit verbreitetes Problem, immer auf Hilfe zu hoffen, weil die einem ja wohl zusteht, zu schimpfen, aber selbst nicht bereit zu sein, etwas zu tun.

    Ich sehe genau da das Problem der beiden Brüder im Buch. So wie ich es gelesen haben, haben sie nicht gelernt, dass Ungerechtigkeit oder vermeintliche Ungerechtigkeit nicht n Frust oder Wut oder Resignation münden muss, sondern Aktivität, die auf Veränderung zielt, hervorbringen kann. Das haben sie in ihrer Kindheit nicht vorgelebt bekommen. In welcher Richtung sich die Wut, der Frust entlädt, ist wie so oft abhängig vom Umfeld, hier ein von rechtem Gedankengut geprägter Freundeskreis.

  • Ich halte den Freundeskreis hier gar nicht für rechts. Die wollen nur auffallen, provozieren und auf sich aufmerksam machen. Glatze und der andere rechte Mist waren hier eher nur Mittel zum Zweck.


    In den 70ern und 80ern hieß es von den Linken im Westen "Macht kaputt, was euch kaputt macht". Das ist ein Lied von "Ton Steine Scherben", die Band, die mal Claudia Roth gemanaget wurde.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Ton_Steine_Scherben

  • Ich halte den Kreis für rechts orientiert. Es ist die Rede vom Hitlergruß, der gezeigt wird. Die Ausländerfeindlichkeit passt auch dazu, auch wenn es die auch in anderen Kreisen gibt.

    Ihnen geht es nach meiner Auffassung auch nicht so sehr darum, kaputt zu machen, was sie kaputt macht, sondern um ein Ventil, aus dem die ganze Wut, die sie in sich haben, ungerecht vom Leben behandelt, entweichen kann. das hat etwas Zerstörendes bar jeglicher Konstruktivität, ohne den Wunsch nach wirklicher Veränderung, sondern allein darauf gerichtet, dass man selbst wahrgenommen wird.

  • Fertig. Endlich. Eine Hassliebe, glaube ich. Ich musste einfach wissen, wie es zu Ende geht.
    Es ist besser, dass das Buch so geschrieben ist, wie es geschrieben ist. Ich wäre wohl sonst vor Mitleid zerflossen. Es ist absolut scheisse, was die Jugendlichen da tun, aber in deren Situation sucht man sich was zum festhalten. Wenn es die falschen Freunde sind, wie hier, endet das so. Hilft denen denn niemand da raus?

    Das sich in sein Schicksal ergeben finde ich ganz fürchterlich. Egal, wer das tut. Man kann immer was tun, damit es einem besser geht.

    Mich hat es auch gewundert, dass Philipp und Tobias die Stelle getauscht haben. Aber Philipp wollte ja tatsächlich nur dazu gehören, während Tobias einfach nur verzweifelt ist.

  • Ich halte den Freundeskreis hier gar nicht für rechts. Die wollen nur auffallen, provozieren und auf sich aufmerksam machen. Glatze und der andere rechte Mist waren hier eher nur Mittel zum Zweck.


    In den 70ern und 80ern hieß es von den Linken im Westen "Macht kaputt, was euch kaputt macht". Das ist ein Lied von "Ton Steine Scherben", die Band, die mal Claudia Roth gemanaget wurde.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Ton_Steine_Scherben

    Ton Steine Scherben, da sind Erinnerungen.


    Ich halte den Freundeskreis schon für rechtslastig. Menzel sagt ja auch sie sollen sich wieder die Haare wachsen lassen um nicht aufzufallen, er macht das auch. Sicher, sie provozieren erst nur SChlägereien, wie auf dem Fest, wollen aber verhindern, dass Flüchtlinge die Schule beziehen, dass die syrische Familie den Garten der Familie bekommt.


    Überrascht hat mich, dass die Brüder zum Ende hin eigentlich die Rollen/Positionen getauscht haben. War es erst Philipp, der sich in der Clique um Menzel rumtrieb, so ist es am Ende Tobias, der "mit der Faust in die Welt"schlägt. Er fühlt sich sein ganzes, junges Leben lang für alle irgendwie verantwortlich und hat schlussendlich das Gefühl, auch hier Verantwortung übernehmen zu müssen, vortreten, zutreten, etwas tun zu müssen.

    Das war aber im Klappentext schon angedeutet. Ich glaube, Tobias hat bis zuletzt gehofft, sein Bruder würde sich richtig um ihn kümmern, von der Gruppe zurück erobern, ihn verstehen. Er hat ja bevor er in die Schule ging auch noch angerufen. Der tragische Satz, als er aus der Schule raus kam, zwei verpasste Anrufe. Er hatte so gehofft aber es kam zu spät. Verlorene Möglichkeiten, sich zu kümmern, seinen Weg zu finden, Hilfe zu bekommen, Anerkennung. Aber woher. Ein verzweifelter Versuch, und sehr traurig.

  • Ich halte den Kreis für rechts orientiert.

    Ich halte den Freundeskreis schon für rechtslastig.

    Ja, vordergründig. Beeinflusst durch alle möglichen Einflüsse, die auch noch vorherrschen. Nachbarschaftsstreitereien in Grenznähe usw. Ein wenig auch der Zeitgeist, da ja aktuell alle Protestler rechts sind. Früher, als die Regierungen rechtslastiger waren, waren die Protestler eher links.


    Im Kern sind die Jungs aber eher nur frustriert. Ich verstehe den Autor so, dass er uns mehr auf die Entstehungsgründe des Frusts lenken möchte. Das Rechte ist lediglich die Manifestation.

  • Im Kern sind die Jungs aber eher nur frustriert. Ich verstehe den Autor so, dass er uns mehr auf die Entstehungsgründe des Frusts lenken möchte. Das Rechte ist lediglich die Manifestation.

    Das stimmt. Ich glaube auch, dass dar Autor eigentlich auf die Gründe der Frustration aufmerksam machen will, die möglichen Folgen, dass Rattenfänger das für ihre Ideologien nutzen und solche Gruppen dann an sich ziehen und radikalisieren gibt es ja nicht nur in der rechten Szene. Hätte sie nur mal einer an der Hand genommen, bei Tobias wird das stark thematisiert, sich für ihre Probleme interessiert, ihnen einen Weg aufgezeigt, hätte es nicht so kommen müssen.

    Damit waren aber alle überfordert. Jeder hat seine eigene Hölle mit der er fertig werden muss.

  • Im Kern sind die Jungs aber eher nur frustriert. Ich verstehe den Autor so, dass er uns mehr auf die Entstehungsgründe des Frusts lenken möchte. Das Rechte ist lediglich die Manifestation.

    Das sehe ich auch so. Sein Ziel war nicht, den Zeigefinger zu heben, sondern Entwicklungen nachvollziehbar zu machen, ohne sich dabei auf eine Seite zu schlagen.

  • :writeIch auch.


    Neben all dem, was ihr schon erwähnt habt, hat mich sehr beschäftigt, dass alle in dem Buch nur um sich selbst kreisen. Ein Phänomen, das ich zunehmend in meinem Umfeld beobachte und das ich kaum noch ertragen kann. Alle, die sich um ihre Mitmenschen Gedanken machen, werden als "Gutmenschen" beschimpft, als weltfremd und naiv. Rietzschel spricht es in diesem Abschnitt auch direkt an.

    Greta zu beschimpfen ist salonfähig, die Afd spräche endlich mal aus, was alle denken usw. Man könne ja im eigenen Land nicht mehr seine Meinung sagen und, und, und. Unerträgliche Aussagen, die mir immer wieder zu Ohren kommen und einer Hau-drauf-Mentalität entsprechen. Differenziertes Denken unerwünscht. Da möchte ich manchmal mit der Faust auf die Köpfe schlagen, aus unbändiger Wut und Ohnmacht. Ich finde den Titel sehr gelungen.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Es ist auch ein ganzes Stück Ohnmacht, die aus dem Buch spricht. Rietzschel trifft genau, aber er bietet keine Lösungsvorschläge an, denn es gibt sie nicht. Wie hier im Buch kann man zurückverfolgen, wie diese Wut, Undifferenziertheit und Selbstbezogenheit entstehen, woher und aus welcher zurückliegender Zeit sie kommen.

    Manchmal oder oft bin ich desillusioniert, ob man überhaupt etwas machen kann, um diese Härten aufzuweichen, Horizonte wieder weiter zu machen und offener. Diese Ohnmacht ist schwer zu ertragen.

    Vorleben, anders machen, alles gut, aber ob es etwas ändert...?

    Auf jeden Fall will ich mir mal nicht vorwerfen müssen, dass ich nichts getan, nicht meine Position bezogen habe und wenigstens meinen begrenzten Beitrag geleistet habe.

  • Greta zu beschimpfen ist salonfähig, die Afd spräche endlich mal aus, was alle denken usw. Man könne ja im eigenen Land nicht mehr seine Meinung sagen und, und, und. Unerträgliche Aussagen, die mir immer wieder zu Ohren kommen und einer Hau-drauf-Mentalität entsprechen. Differenziertes Denken unerwünscht. Da möchte ich manchmal mit der Faust auf die Köpfe schlagen, aus unbändiger Wut und Ohnmacht. Ich finde den Titel sehr gelungen.

    Ich finde das tut weh, richtig weh. Ich versteh Dich sehr gut. Weshalb ich eigentlich von der Welt manchmal einfach nichts mehr wissen will. Ohnmacht, Hilflosigkeit, es kommt auf dasselbe heraus.

    Die Jungs im Buch empfinden wohl das auch so.


    Es ist auch ein ganzes Stück Ohnmacht, die aus dem Buch spricht. Rietzschel trifft genau, aber er bietet keine Lösungsvorschläge an, denn es gibt sie nicht. Wie hier im Buch kann man zurückverfolgen, wie diese Wut, Undifferenziertheit und Selbstbezogenheit entstehen, woher und aus welcher zurückliegender Zeit sie kommen.

    Manchmal oder oft bin ich desillusioniert, ob man überhaupt etwas machen kann, um diese Härten aufzuweichen, Horizonte wieder weiter zu machen und offener. Diese Ohnmacht ist schwer zu ertragen.

    Vorleben, anders machen, alles gut, aber ob es etwas ändert...?

    Auf jeden Fall will ich mir mal nicht vorwerfen müssen, dass ich nichts getan, nicht meine Position bezogen habe und wenigstens meinen begrenzten Beitrag geleistet habe.

    :write:write


    Besser kann man es nicht sagen.

  • Ich bin mir sicher, dass es nichts ändert, aber ich möchte nicht anders sein als ich bin. Ich habe schon tausend mal aus Wut gesagt, dass ich jetzt rücksichtslos und egoistisch werde, aber ich kann das nicht ohne mich total zu verleugnen. Dann bin ich halt ein Gutmensch :gruebel zumindest kann ich guten Gewissens in den Spiegel gucken. Und wer weiß, ob vielleicht doch ein paar Menschen zum Nachdenken angeregt werden.

  • Das sehe ich auch so. Sein Ziel war nicht, den Zeigefinger zu heben, sondern Entwicklungen nachvollziehbar zu machen, ohne sich dabei auf eine Seite zu schlagen.

    Hat er sich wirklich auf keine Seite geschlagen?
    Ich empfinde das nämlich ganz anders. Er zeigt zwar nicht mit dem Zeigefinger auf die Jungs, aber durch seinen beobachtenden, distanzierten Stil, zeigt er doch sehr deutlich, dass er die Taten dieser Clique verurteilt.


    Hier finde ich vor allem das letzte Kapitel ganz, ganz stark gemacht. Er erzählt, wie sie in die Schule einsteigen, immer wieder unterbrochen von Tobis Gedanken. Diese Gedanken beschäftigen sich hauptsächlich damit, dass doch bitte jemand kommen und ihn aufhalten möge.

    Die anderen sind verantwortlich für die Taten, Philipp, die Mutter, die Großmutter, die den Garten verkauft hat, die Politiker, Merkel, schlussendlich die Flüchtlinge. Selbst daran, dass er am Ende den Brand legt, ist sein Bruder schuld, weil er sich nicht bei ihm gemeldet hat. Dabei hat Tobi einen freien Willen. Er hätte sein Leben selbst in die Hand nehmen können. Niemand hat ihm das verwehrt oder verboten.


    So leid mir die lieblosen und trostlosen Umstände tun, in denen die Jungs aufwachsen müssen, so unentschuldbar finde ich, den Hass auf Unschuldige und Schwächere. Nichts davon rechtfertigt die rassistischen Verbrechen und die Verherrlichung des faschistischen Systems. Nicht jede/r, der so aufwachsen muss, wird zum (Möchtegern-)Nazi. Aber es ist natürlich einfacher, als sich einzugestehen, dass man selbst etwas tun muss.

    Und ich bin froh, dass der Autor hier ganz klar Stellung bezieht, wenn auch ohne erhobenen Zeigefinger. Ich finde auch sehr interessant, dass diese trostlosen, armen Lebensumstände eben nicht spezifisch für den Osten sind. Die Geschichte hätte ebenso an einem so trostlosen Ort im Ruhrgebiet oder sonstwo im Norden, Süden oder Westen Deutschlands spielen können. Auch das rechne ich dem Autor hoch an. Die Lebensumstände sind eben keine Entschuldigung für Rassismus oder die Wahl faschistischer Politiker.