'Jakob der Lügner' - Seiten 213 - Ende

  • Ich kann es nur gut finden, wenn alle, die Wurzeln in diesem Land haben, auch wenn wir selber nichts damit zu tun haben, uns dennoch tief beschämt fühlen, weil dieser größte aller Völkermorde von diesem Land hier ausging. Und ich finde auch, dass wir deshalb eine besondere Verantwortung dafür tragen, dass das niemals in Vergessenheit gerät und auch wir selbst uns immer wieder damit auseinandersetzen müssen, auch wenn es schmerzt. Und deshalb ist es ganz besonders gut, dass wir hier miteinander diesen Roman gelesen haben.

    Ich würde mich durchaus freuen, wenn wir nach einem gewissen Zeitraum, wieder mal etwas aus diesem Themenkreis läsen, zum Beispiel "Bronsteins Kinder" vom gleichen Autor, in dem das Thema aus der Perspektive der Auseinandersetzung zwischen Nachgeborenen, Opfern und Tätern behandelt wird.

  • Wunsch und Wirklichkeit gehen leider oft auseinander. Und mangelnde Bildung wollte ich Dir nicht unterstellen. ;)

    Die habe ich mir selbst unterstellt, als mir meine Naivität bewusst wurde.;)

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  • Ich kann es nur gut finden, wenn alle, die Wurzeln in diesem Land haben, auch wenn wir selber nichts damit zu tun haben, uns dennoch tief beschämt fühlen, weil dieser größte aller Völkermorde von diesem Land hier ausging. Und ich finde auch, dass wir deshalb eine besondere Verantwortung dafür tragen, dass das niemals in Vergessenheit gerät und auch wir selbst uns immer wieder damit auseinandersetzen müssen, auch wenn es schmerzt.

    Grundsätzlich stimme ich Dir zu und würde es auch noch in die Richtung erweitern, dass wir mit dieser Art Vergangenheitsaufarbeitung auch anderen Ländern und Völkern ein gutes Beispiel geben können, dass man sich der eigenen Geschichte bewusst sein kann und Verantwortung übernehmen sollte, und trotzdem - oder gerade deshalb - stolz auf sein Land sein kann.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Siegfried Lenz: Der Verlust

  • Und deshalb ist es ganz besonders gut, dass wir hier miteinander diesen Roman gelesen haben.

    Ich würde mich durchaus freuen, wenn wir nach einem gewissen Zeitraum, wieder mal etwas aus diesem Themenkreis läsen, zum Beispiel "Bronsteins Kinder" vom gleichen Autor, in dem das Thema aus der Perspektive der Auseinandersetzung zwischen Nachgeborenen, Opfern und Tätern behandelt wird.

    Die Idee hatte ich auch schon und würde das auch begrüßen.

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    :lesend Siegfried Lenz: Der Verlust

  • Ja, sogar in den letzten Monaten des Krieges und im Kampf gegen die Russen, haben die Deutschen ihren wahnsinnigen Plan der Vernichtung jüdischen Lebens bis zum Ende verfolgt. Es war der Zug ins Vernichtungslagen, das Jakob nicht überlebt hat.

    Für mich haben diese Vorgänge immer etwas von hektischen Aufräumen. Gerade in den letzten Monaten und auf dem Rückzug vor den Armeen der Alliierten wurden noch so viele in die Vernichtungund den Tod geschickt um nur verbrannte Erde und nicht mehr viel zum Befreien zurückzulassen.

  • Für mich haben diese Vorgänge immer etwas von hektischen Aufräumen. Gerade in den letzten Monaten und auf dem Rückzug vor den Armeen der Alliierten wurden noch so viele in die Vernichtungund den Tod geschickt um nur verbrannte Erde und nicht mehr viel zum Befreien zurückzulassen.

    Sie haben ja auch alles niedergebrannt, als sie durch Russland marschiert sind. Diese Denkweise und Handlung ist und bleibt mir völlig unverständlich.

  • Zu diesem Thema habe ich gerade erst dieses Hörbuch von Kirsten Boie gehört. Es ist eigentlich ein Jugendbuch, aber ich fand es sehr beeindruckend. Es geht genau um die letzte Nacht vor der Befreiung durch die Amerikaner in dem Ort Penzberg. Und es ist echt erschütternd, was dort in der letzten Nacht noch passiert ist.:(


    ASIN/ISBN: B08Q848J9L

  • Zu diesem Thema habe ich gerade erst dieses Hörbuch von Kirsten Boie gehört. Es ist eigentlich ein Jugendbuch, aber ich fand es sehr beeindruckend. Es geht genau um die letzte Nacht vor der Befreiung durch die Amerikaner in dem Ort Penzberg. Und es ist echt erschütternd, was dort in der letzten Nacht noch passiert ist.:(


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    Danke für den Tipp! Ich habe das Hörbuch gerade in der onmeihe vorbestellt.

  • Irgendwie möchte ich mir doch den Glauben an das Gute im Menschen bewahren, aber wenn ich mir zu intensiv klar mache, zu welchen Grausamkeiten Menschen fähig sind, kommen mir doch ziemliche Zweifel daran. :(

    Und ich frage mich auch, zu was ich wohl selber fähig wäre. Das sind so düstere Gedanken, denen ich mich nicht so oft stellen möchte.

    Ja, dass Du nicht mehr über solche oder ähnliche Dinge lesen willst, um Dir den Glauben an das Gute im Menschen zu bewahren, das kann ich verstehen. Ich bin da etwas zwiegespalten - ich denke, wir unterschätzen oft, wozu Menschen in Ausnahmesituationen möglich sind (sowohl positiv als auch negativ) und ich denke, sehr viele von uns sind/wären unter bestimmten Umständen auch zu Grausamkeiten fähig, aber ich bin optimistisch, dass es nur selten zu solchen Umständen kommt. Natürlich gehört dazu, dass man viel nachdenkt und reflektiert, um gewisses Unglück schon früher zu verhindern, denn irgendwann geht es vielleicht nicht mehr.


    Der Nationalsozialismus ist ein sehr düsteres Kapitel der Geschichte und ich würde nie ausschließen, dass es sich woanders nicht nochmal ähnlich (unter etwas anderen Umständen) wiederholen kann, aber auf der anderen Seite denke ich, dass auch sehr sehr viele Faktoren zusammengekommen sind, die so schnell nicht einfach so zusammenkommen.


    Zum Thema, wozu wir so fähig sind, habe ich vor Jahren das Buch "Der Luzifer-Effekt" von Philip Zimbardo gelesen (unter Psychologen ist er sehr bekannt, der eine oder andere Laie hat den Namen sicher auch schon gehört - er war einer der Versuchsleitern dieses abgebrochenen Wärter-Insasse-Experiments, welches auch verfilmt wurde), fand ich sehr spannend.


    ASIN/ISBN: 3662533251

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  • Woher sollte denn Kowalski andere Informationen haben? Wie kommst Du zu der Idee?


    Kowalski kam ja zu Jakob und wollte wegen des Radios sprechen (als ihm Jakob dann quasi sagte, er hat gar kein Radio), weil jemand andere Informationen als Jakob verbreitet hat. Auf S. 244/245 heißt es erst, die Rote Armee sei kurz vor Pry und ich denke, das waren die Infos von Jakob. Auf Seite 24 oben heißt es dann, ein Abraham sagt, die Russen seien durch Pry schon hindurch, was ja Kowalski nicht glaubt, weil Jakob was anderes erzählt hat. Logisch für mich erstmal, dass er Jakob mehr glaubt als den Dingen, die dieser Abraham erzählt. Mag sein, dass ich irgendwo was übersehen habe, aber Kowalski hat Jakob auf das hier nicht angesprochen. Und wenn er verstanden hat, dass Jakob kein Radio hat (wovon ich ausgehe, sonst hätte er sich doch nicht umgebracht vor lauter Verzweiflung, dass seine News nur ausgedacht sind), wäre es sinnvoll gewesen, den Infos von diesem Abraham nachzugehen. Vielleicht stimmen sie ja.


    Gut, vielleicht hat er dann, als klar war, Jakob hat kein Radio, gedacht, bei dem Abraham und seinem "Informanten" wird das ähnlich sein, ausgedachte Gerüchte zwecks anhaltender Hoffnung, alles nicht wahr, alles hoffnungslos, alles zum Wegwerfen und hat sich dann umgebracht. Vermutlich wollte er nicht mehr nur für die Hoffnung leben.



    Übrigens, ich danke euch für die zahlreichen Rückmeldungen zu meiner "gewagten These" und dem Thema allgemein. Darauf würde ich gerne die Tage nochmal eingehen, ich finde das einfach aus sehr vielen (auch aktuellen) Gründen spannend.

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  • Ich habe das so verstanden, dass verschiedene Versionen von Jakobs Radiomeldungen durch das Ghetto geistern, wie das eben bei der mündlichen Weitergabe leicht passiert. Dieser Abraham steht da nur für einen, der das Gerücht noch etwas aufhübschen will.

    Kowalski hat verschiedene Versionen gehört und geht zu Jakob, um die Originalversion zu erfahren.

    Als er dann erfährt, dass gar nichts davon wahr ist, verliert er die Hoffnung, dass jemals wieder eine Besserung seiner Situation möglich ist. Zusätzlich sieht er, dass die Deportationen unvermindert weitergehen und wie die Menschen in den verschlossenen Waggons behandelt werden. Da bringt er sich lieber gleich um, bevor er sich dieser Quälerei aussetzt.

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    :lesend Siegfried Lenz: Der Verlust

  • Zum Thema, wozu wir so fähig sind, habe ich vor Jahren das Buch "Der Luzifer-Effekt" von Philip Zimbardo gelesen (unter Psychologen ist er sehr bekannt, der eine oder andere Laie hat den Namen sicher auch schon gehört - er war einer der Versuchsleitern dieses abgebrochenen Wärter-Insasse-Experiments, welches auch verfilmt wurde), fand ich sehr spannend.

    Danke für den Tipp, das Buch habe ich mir mal notiert.:)

  • Danke für den Tipp, das Buch habe ich mir mal notiert.:)

    Gerne. Kann mich nicht mehr so ganz genau erinnern, wie ich es fand, aber es ist von Zimbardo, kann ich nicht so schlecht gefunden haben. :grin


    Tante Li

    Ja, das mit dem Gerücht habe ich auch so wahrgenommen, also, dass es viele Gerüchte gibt, also diverse Versionen. Das steht ja dann weiter auf der Seite 245 oder später auch nochmal da, was Kowalski da vermutlich überlegt und so. Trotzdem denke ich irgendwie, dass es zwar sein kann, dass er "richtig denkt" und es nur Gerüchte sind und dann erfährt er, wie Du sagst, dass kein Gerücht wahr ist. Hab mich da mit den "besseren Infos" etwas unglücklich ausgedrückt, so stimmt das nicht. Was ich aber denke - Kowalski hat auch andere Sachen gehört, die ja ein Gerücht (weil aufgehübschte Version der eigentlichen Lüge) sein können. Aber es hätte ja auch sein können, dass es eben keine aufgehübschte Version der Lüge ist, sondern dass das, was der Abraham erzählt im Gegensatz zu Jakobs Version wirklich die Wahrheit sein könnte. Die Wahrscheinlichkeit, dass dem so sein könnte, ist für Kowalski gering, es ist verständlich, dass er verzweifelt.

    Aber ich hätte mir fast gewünscht, er hätte dann hoffen können, dass Jakob zwar gelogen hat, aber Abraham vielleicht doch eine andere Quelle hat und er hier nochmal nachhakt (es könnte ja auch ein weiteres Radio oder andere Quellen geben). Auch wenn diese Wahrscheinlichkeit gering ist - umbringen kann er sich dann, wenn er erfährt, die andere Quelle ist auch eine Lüge bzw Jakobs ausgedachtes Radio, ja sozusagen immer noch.


    Vereinfacht dargestellt - Kowalski könnte ja denken: "Okay, Jakob hat gelogen, es gibt kein Radio. Keine Ahnung, wo die Russen sind. Aber vielleicht ist das von Abraham ja doch nicht von Jakobs Geschichte weitergesponnen, ich frag nochmal nach." (oder statt nachfragen, "ich hoffe einfach, die Abraham-Geschichte ist wahr und stammt nicht auch eigentlich von Jakobs Geschichte.")


    Mir ist schon klar, dass es sehr blauäugig ist, es so zu sehen. Viele Wahrscheinlichkeiten, viele Eventualitäten und dass die Erklärung, die sich Kowalski gibt und die auch Du gibst, wohl eher zutreffen wird, das ahnt Kowalski ja auch. Trotzdem - es ist genau das, was mich so traurig macht und die ganze Aussichtslosigkeit nochmal veranschaulicht. Dass Kowalski jede Hoffnung abhanden kommt. Dass er nicht mal in der Lage ist zu hoffen, Abraham könnte wahren Stand wiedergeben. Dass er nicht mehr bereit ist, einfach nur aufgrund einer Hoffnung, die sich vermutlich nicht erfüllen wird zu leben. Manchmal ist Hoffnung das Letzte, was einem bleibt. Und er hat sie nicht mehr bzw. merkt, wie schrecklich es ist, wenn man Hoffnungen hat, die immer wieder zerstört werden.


    Ich hoffe, ich konnte etwas genauer erklären, wie ich das meine. :gruebel:)

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  • So in etwa verstehe ich Dich schon.

    Kowalski hat sich von Anfang an auf diesen Lichtblick gestürzt, den Jakob mit seiner Radiomeldung entzündet hat und wollte ständig mehr davon. Das zeigt mir, dass er in besonderem Maße von dieser Hoffnung abhängig war (wie ein Süchtiger). Als der Nachschub durch den Stromausfall abriss, ist er hohe Risiken eingegangen, um wieder an seinen lebenswichtigen Stoff zu gelangen. Dann hat er sogar Zukunftspläne mit Jakob geschmiedet.

    Mit Jakobs Geständnis fiel sein ganzes Kartenhaus zusammen und sogar sein wichtigster Vertrauter rewies sich als unzuverlässig. Einen anderen Halt (wie andere beschriebene Gestalten) hatte er nicht.

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    :lesend Siegfried Lenz: Der Verlust

  • Wenn auch einige Zeit später, aber ich wollte noch etwas dazu schreiben, was das Thema NS-Zeit und alles drumherum angeht und meine "Theorie", warum mich das zwar beschäftigt, fassungslos macht, ja, auch traurig und voller "Unverständnis" zurücklässt (wobei ich immer vorsichtig bin und nie behaupten würde, etwas in der Art könnte nicht nochmal so passieren oder zumindest nicht unter Beteiligung Deutschlands), aber mich vielleicht doch nicht so mitnimmt und aufwühlt wie manch andere hier.


    Ich glaube ja nicht, dass es an mangelnde Empathie liegt oder der Tatsache, das jüdische Volk wäre mir bei dieser Thematik egal. Ich kann sehr viel sehr schlimm finden und es als belastend empfinden, daher äußerte ich ja die These, dass es mit der Tatsache, dass ich keine deutschen Wurzeln habe, zu tun hat.


    Es haben ja einige geantwortet, wie sie das so empfinden und sehen.


    finsbury meinte zum Beispiel, dass sie es gut findet, wenn alle mit Wurzeln in diesem Land sich beschämt fühlen, sich damit beschäftigen usw.


    Tante Li schreibt, dass es ihrer Meinung nach schon auch drauf ankommt, wie sehr man sich selber mit der eigenen Familiengeschichte auseinandersetzt und der Identität als Deutsche.


    Findus fühlt sich sozusagen mit dem jüdischen Volk (diesbezüglich) verbunden und findet es eine Pflicht, sich damit auseinander zu setzen und in Zukunft solche Geschehnisse zu verhindern.


    (Ich krieg das mit den Zitaten von mehreren Eulen nicht hin, aber ich hoffe, ich hab Sachen zwar gekürtzt, aber nicht falsch wiedergegeben oder verstanden, sonst bitte melden...)


    Ich würde euch allen grundsätzlich zustimmen, dass es sehr wichtig ist, sich mit so einem Thema zu beschäftigen. (Auch ich fände es übrigens gut und wichtig, etwas aus diesem Bereich wieder mit euch zu lesen.) Und ja, solche Völkermorde dürfen nicht passieren und so etwas zu verhindern ist eine wichtige Aufgabe. Es widerspricht sich auch in meinen Augen überhaupt nicht, auf sein eigenes Land stolz zu sein - trotz solcher dunklen Flecken in der Vergangenheit (aber gut, die Deutschen - und ja, hier nehme ich mich bewusst raus - und das Stolzsein auf sein Land, das ist so eine Sache...).

    Ob es einem passt oder nicht, das Thema gehört zu der Vergangenheit von Deutschland und sollte immer Platz in Geschichtsbüchern haben, aus vielen bereits genannten Gründen.


    Das hat in meinen Augen auch nichts damit zu tun, ob man an den Untaten beteiligt war (was allein alterstechnisch bei keinem hier möglich ist), ob eigene Vorfahren beteiligt waren oder ob es "nur" das eigene Volk war. In meinen ("ausländischen") Augen geht es auch nicht vorrangig um Schuld oder Verantwortung alleine. Sondern eher erstmal um das Wissen darum, was war und darum, sich bewusst zu sein bzw. bewusst zu werden, was da passiert ist. Ich glaube, so wirklich begreifen kann man das trotzdem nicht und die Angst der Menschen kann ich mir bei keiner Lektüre wirklich vorstellen. Dieses Bewusstsein finde ich für alle wichtig - ganz egal, ob man in Deutschland geboren und/oder aufgewachsen ist. Sich mit solchen Themen zu beschäftigen ist auch für andere Länder mehr als sinnvoll.


    Ich glaube, es ist diese "Schuld" und die Verantwortung, die mir emotional irgendwie fremd ist.

    Ich finde es schrecklich, was passiert ist. Ich finde es ungeheuerlich, was Menschen anderen unzähligen Menschen antun können, angetan haben und das ist so einem Apparat, mit so einer "Planung" und "Logistik" und so. Und mich treiben oft die Fragen rum, wie es wirklich so weit kommen konnte - die Ausgangslage in Deutschland, der Stand der Juden, der wachsende Hass usw. Und klar, ich könnte mich auch schuldig fühlen - irgendjemand in meinem Stammbaum hat vielleicht deutsche Vorfahren und ich weiß es nur nicht. Und deutsch hin oder her - ich gehöre der Gattung Mensch an, müsste/könnte/sollte mich schämen wie alle anderen Menschen auch. Aber das tue ich nicht. Ich beschäftige mich damit, stimme euch zu, dass es wichtig ist und eine Wiederholung oder ähnliche Untaten nicht stattfinden dürfen, aber diese "emotionaler" Aspekt ist mir fremd.


    Ich denke schon, dass es damit zu tun hat, dass ich weder deutsche Wurzeln habe (zumindest keine, die mir bekannt sind) noch in Deutschland aufgewachsen bin. Und ich glaube einfach, dass sich das ganz anders "einprägt", wenn man mit diesem Teil der Geschichte aufwächst, wenn es quasi von Kind auf irgendwie "im Blut" ist. Ich kann das nicht so gut erklären jetzt hier schriftlich. Es geht auch weit über das Buch hinaus. Aber auch wenn der Begriff nicht immer so beliebt ist - ich glaube, viele Menschen in Deutschland fühlen diese Art "Kollektivschuld", die mir fremd ist. Ich habe mich mit wenigen Menschen mit deutschen Wurzeln wirklich darüber unterhalten, mich aber selbst oft damit beschäftigt. Ich finde es auch in anderen Zusammehängen interessant - ich finde es interessant, weil ich oft das Gefühle habe, viele Deutsche fühlen sich mitschuldig, mich aber frage, wie viele dieser Deutschen mal einen "Nicht-Deutschen" gefragt haben, wie er die Schuldfrage einschätzt. Ich finde es interessant, weil ich der Meinung bin, dass vieles, was in Deutschland politisch geschieht, teilweise vielleicht noch von dieser Schuldfrage "gesteuert" wird - das muss nicht unbedingt negativ sein, stößt vielleicht in vielen Ländern auf Unverständnis. Aber das sind nur meine Überlegungen - sie sind sehr abstrakt evtl., würden vielleicht einer Überprüfung oder weiterer Argumentation nicht statthalten und beinhalten sicher noch andere Aspekte. Oder sind einfach nur falsch, weil ich bestimmte Aspekte nicht berücksichtige.


    Ja, aber das war jetzt sehr viel und hat mit der Handlung des Buchs an sich nichts zu tun, "nur" eben mit der Thematik. Und ich gebe zu - ich hab da evtl. eine spezielle Meinung bzw. ist mir bewusst, dass ich mit einigen Dingen anecken könnte - vor allem bei denjenigen Deutschen, die sich mitschuldig oder mitverantwortlich fühlen und dann das Gefühl bekommen könnten, ich spiele etwas Schreckliches runter (was aber nicht meine Absicht ist).

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  • Gummibärchen Ich finde Deine Betrachtungen wirklich interessant. Aber ich finde die Schuldfrage hat durchaus auch etwas mit diesem konkreten Buch zu tun. Ich weiß jetzt nicht mehr an welcher Stelle es erwähnt wird, aber irgendwo wird sich deutlich gewundert, dass ein Deutscher ein Mensch sein könnte - also menschlich zu handeln in der Lage ist.


    Bei der Toilettenhäuschen-Szene kommt sogar ein Wärter vor, der seine spontane Brutalität bedauern kann und zur Kompensation (oder gar Buße) absichtlich zwei Zigaretten fallen lässt.


    Ich finde Dein Interesse an unserem Schuldempfinden und der daraus resultierenden Verantwortungsbereitschaft durchaus berechtigt und bestimmt nicht runterspielhaft.

    Jetzt würde mich aber doch mal interessieren, welchem Volk oder Land Du Dich eher zugehörig fühlst und ob Du Dich auch mit deren Geschichte so intensiv beschäftigt hast.

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