Historischer Roman + weibliche Hauptfigur = Liebesgeschichte?

  • Ich lese zwar auch gern ab und zu historische Romane, und bevorzuge als Frau weibliche Hauptfiguren, aber bei der geringen Zahl an Werken, die ich im Regal stehen habe, weiß ich nicht, ob man diese Gleichung oben in allen historischen Romanen anwenden kann, Klostergeschichten und historische Krimiserien ausgenommen.


    Können mir die Eulenspezialisten für historische Romane weiterhelfen?


    Muss ein historischer Roman mit einer weiblichen Hauptfigur eine Liebesgeschichte erzählen (also im Grunde ein Liebesroman mit historischem Ambiente sein), um überhaupt gedruckt zu werden?


    Bei den meisten meiner historischen Romane ist nach der glücklichen Auflösung der Liebeswirren, der Hochzeit, der Verlobung usw. der Roman meist so gut wie fertig.


    Wie oft haben historische Romane mit männlichen Hauptfiguren eine Liebesgeschichte als zentrales Element, und finden ihr Ende mit der glücklichen Auflösung derselben?

  • Liebe Mariangela,


    da ich selbst historische Romane schreibe, kann ich ein bisschen Auskunft geben.


    Natürlich existiert kein "Gesetz", nachdem es Heldinnen geben muss, die sich verlieben. Aber es wird von den Verlagen gewünscht, diese Erfahrung habe ich jedenfalls gemacht. Es gibt Ausnahmen, z.B. Rebecca Gablé oder die Medicus-Romane, in denen männliche Helden dominieren, auch "Der Name der Rose" fällt mir dazu ein, aber oft sind es Frauen, die sich in einer von Männern beherrschten Welt behaupten müssen.


    Sicher gibt es auch historische Romane ohne Liebesgeschichte, aber ich muss gestehen, mir fällt spontan kein aktuelles Beispiel ein :gruebel.


    Liebe Grüße,
    Susanne

  • Ich glaube das ist meist eine Frage der Proportionen: Klar kann es ne reine Liebesgeschichte sein - es geht aber auch oft um andere Dinge, doch die Liebesgeschichte kommt meist irgendwie drin vor, mal mehr, mal weniger. Als Beispiel fällt mir spontan "Die Herrin der Zeit" ein - es geht auch um Liebe, aber ich fand dieser kleine Nebenstrang hat dem Buch noch einen Schliff gegeben obwohl es eigentlich um etwas anderes ging. Allerdings: Wann lässt uns die Liebe je richtig los? Wann ist sie mal nicht Teil unseres Lebens? ;-) Sie passt halt irgendwie ohnehin schon fast überall dazu. :gruebel

    :lesend Ich lese gerade: "Carry On" von Rainbow Rowell und "Mansfield Park" von Jane Austen | SuB: 50

  • Ich denke, daß es bei den historischen Romanen genauso ist, wie im "wirklichen" Leben, Menschen denken, atmen, fühlen, und so passiert es, daß sich auch in historischen Romanen Figuren verlieben.


    Daß das vermehrt Frauen sind, kann ich nicht behaupten, aber wenn es um Frauen als Protagonisten geht, ist es sicher wünschenswert - von Verlagsseite aus, um die Zielgruppe anzusprechen!


    Mir fällt aber grade ein schönes Beispiel ein, bei dem es sich zwar um eine Liebesgeschichte handelt, alles in allem würde ich das Buch aber eher historischen Kriminalfall nennen.


    Und zwar dies hier:


    Kurzbeschreibung von Amazon:
    Große historische Unterhaltung


    Mitten im hektischen Treiben des Trienter Konzils im Oktober 1551 verliebt sich die Ulmer Glasmalerin Antonia Bender völlig unstandesgemäß: ausgerechnet in den jungen Jesuiten Sandro. Eine unmögliche Liebe - denn Sandro ist nicht nur der Halbbruder von Antonias langjährigem Verehrer Matthias, dem mächtigen Abgesandten des württembergischen Herzogs, er soll auch einen Bischofsmörder aufspüren. Daher ist Antonia froh, in der Kurtisane Carlotta eine Freundin in der fremden Stadt gefunden zu haben. Was Antonia nicht weiß: Carlotta ist nur aus einem einzigen Grund nach Trient gekommen: Sie hat vor, den Sohn des Papstes zu töten ... So bunt, farbenprächtig und detailreich wie die Glasfenster im Dom zu Trient.

    :lesend Anthony Ryan - Das Heer des weißen Drachen; Navid Kermani - Ungläubiges Staunen
    :zuhoer Tad Williams - Der Abschiedsstein

  • Und dies hier darf von mir natürlich nicht unerwähnt bleiben...


    Kurzbeschreibung von Amazon:
    Regensburg im Jahr 1147: Agnes, uneheliche Tochter eines Herzogs und Halbschwester von Barbarossa, wird von fremden Reitern aus dem Kloster Frauenchiemsee entführt. Sie soll gegen ihren Willen mit dem Grafen von Ortenburg verheiratet werden. Als er am Tag der Hochzeit ermordet wird, machen sogleich Gerüchte die Runde, dass der Welfenherzog Heinrich der Löwe an dessen Tod Schuld sei. Agnes und ihr Halbbruder Barbarossa glauben an die Unschuld Heinrichs, und das nicht nur, weil Agnes sich in Heinrich verliebt hat. Gemeinsam beginnen sie, den wahren Mörder zu suchen Ein fesselnder historischer Roman um Macht, Mord und Liebe, als die Welfen und Staufer um die Vorherrschaft rangen.

    :lesend Anthony Ryan - Das Heer des weißen Drachen; Navid Kermani - Ungläubiges Staunen
    :zuhoer Tad Williams - Der Abschiedsstein

  • Da dort, wo es um Menschen geht, zwangsläufig auch Immer Beziehungen sind, dürfte es schwer sein, einen historischen Roman zu finden, der nicht wenigstens am Rande ein bisschen Romantik oder Liebe an sich einbringt.


    Behandelt das Buch vorrangig eine Liebesgeschichte, dient das zeitliche Setting meist nur als Hintergrund, vor dem den Protagonisten allerlei Steine in den Weg gelegt werden können. Das würde ich dann in die Kategorie "Historischer Liebsroman" einordnen.


    Tritt die Historie ganz zurück und sind nur bestimmte Versatzstücke (z.B. die Mode, Kutschen, etc.) vorhanden, dürfte es sich häufig um einen "Nackenbeißer" handeln.



    edit: Tippfehler

    :flowersIf you don't succeed at first - try, try again.



    “I wasn't born a fool. It took work to get this way.”
    (Danny Kaye) :flowers

    Dieser Beitrag wurde bereits 2 Mal editiert, zuletzt von Alice Thierry ()

  • Die Masse der historischen Romane handelt von Frauen und ihrer Liebe zu einem begehrten Mann. Einige davon sind sicher gut und lesenswert, aber dann muss es schon eine historische Geschichte sein, also von einer Frau handeln, die damals wirklich gelebt hat oder durchaus so gelebt haben könnte, das Setting muss stimmen.


    Zu unterscheiden wären noch der Kriminal- sowie der Abenteuerroman. Hier steht die Liebe wohl nicht unbedingt im Mittelpunkt.


    Herausragende Romane handeln oft von Männern, z.B. die Bücher von Gable oder das Parfum von Süskind.


    Liebe spielt gewiss immer eine Rolle. Aber Liebesgeschichten, die in einen historischen Rahmen gesetzt worden sind, und eigentlich in jeder Zeit (und vielleicht auch an jedem beliebigen Ort) spielen könnten, sind für mich Kitsch. Aber auch dieses Genre findet gewiss seine Anhänger.


    mlG
    Sayyida

  • Zitat

    Herausragende Romane handeln oft von Männern, z.B. die Bücher von Gable oder das Parfum von Süskind.


    Nicht notwendigerweise, insbesondere nicht solche älteren Datums, wie z.B.


    "Vom Winde verweht"
    "Der scharlachrote Buchstabe"
    "Amber"
    "Clarissa"

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  • Stimmt!


    Bei diesen älteren historischen Romanen steht die Liebe im Mittelpunkt, trotzdem stimmt das Setting. Das ist Kunst.


    Auch die Verfilmung des scharlachroten Buchstabens mit Demi Moore und dem hinreißenden Gary Oldman ist mir noch in sehr guter Erinnerung. Ich war sehr berührt. Auch die Atmosphäre jener Zeit kam gut rüber - wunderbares Werk.


    mlG
    Sayyida

  • Das Setting stimmt auf jeden Fall, aber die Liebe steht nicht unbedingt im Mittelpunkt, ist vielmehr einer von vielen Bestandteilen der Geschichte, die die Handlung vorantreiben.


    Das zentrale Element in diesen Büchern ist meines Erachtens die Darstellung der jeweiligen Zeit und Gesellschaft, insbesondere die Wertvorstellungen.

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  • Das stimmt nicht ganz. Bei einem Nackenbeißer (welches ja nur eine Art Spitzname ist für historischer Liebesroman) ist es so, wie du im 2. Absatz beschrieben hast. Oft ist es sogar so, dass die Geschichite sogar eine große Rolle spielt und nicht nur als Hintergrund dient. Der dritte Absatz passt auf gar keinen Fall- denn die Historie spielt im historischen Liebesroman/Nackenbeißer immer eine Rolle und ist meistens sogar stimmig und gut von den Autoren und Autorinnen herausgearbeitet.

  • @ schneewittchenx


    Voab eins: ich weiß nicht, ob es für "Nackenbeißer" eine allgemeingültige Definition gibt.
    Für mich sind "Nackenbeißer" jedenfalls Bücher oder Hefte, die sich nicht nur durch ein kitschiges Cover (halbnacke, langhaarige Paare hängen aneinander und schauen drein, als ob man ihnen etwas auf den Kopf geschlagen hätte), sondern auch durch einen ebensolchen Inhalt auszeichen. Und zwar nicht in Hinblick auf Schmalz oder Herzschmerz, sondern in Bezug auf die Darstellung der Beziehung. Diese steht dabei völlig im Mittelpunkt, wird mit häufig schmuddelig-albernen Sexszenen unterlegt und bindet Historie nur oberflächlich ein.
    Dialoge und Sprache bemühen sich hierbei nicht um historische Authentizität, die "Helden" denken und agieren häufig modern.


    Ein solches Werk bezeichne ich als "historischen Nackenbeißer". Unter "Historische Romane" laufen sie bei mir auf keinen Fall.


    Und einen historischer Liebsroman grenze ich hiervon ebenfalls ab, weil darin zwar auch die Beziehung das Hauptthema der Geschichte bildet, aber mehr Wert auf Recherche und weniger auf Sex gelegt wird.


    Ich will ja nicht ausschließen, dass unter Büchern mit Covern wie oben beschrieben vielleicht das eine oder andere ist, dass einen solchen Umschlag zu Unrecht erhalten hat und vielleicht zu den historischen Liebesromanen gehört.


    Wahrscheinlich ist letztlich alles nur eine Definitionsfrage.

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  • Eine kleine Auswahl lesenswerter Bücher, in denen zwar Frauen die Hauptfiguren sind, aber die Liebe nicht im Vordergrund steht:
    Peter Prange: ,Die Gottessucherin‘, ,Der letzte Harem‘, ,Miss Emily Paxton (Die Rebellin - TB-Titel)‘;
    Charlotte Lyne: ,Die zwölfte Nacht‘, ,Das Haus Gottes‘;
    Vanora Bennett: ,Bildnis einer jungen Frau‘, ,Die Seidenprinzessin‘;
    Sabine Weigand: ,Die Königsdame‘;
    Kirsten Schützhofer: , Die Kalligraphin‘; ,Die Farben der Revolution‘


    Männer in Hauptrollen findest du bei
    Viola Alvarez: ,Wer gab dir, Liebe, die Gewalt‘;
    Tilman Röhrigs: ,Riemenschneider‘ und ,Caravaggios Geheimnis‘ , aber auch bei
    Elizabeth Chadwicks: ,Der Ritter der Königin‘ und der Fortsetzung ,Der scharlachrote Löwe‘


    Es gibt unendlich viele historische Romane, die weit mehr beinhalten als seichte Liebesgeschichten.


    Viele Grüße
    Kalypso

  • Dieses Motiv, daß Held oder Heldin irgendwann im Lauf des Buches die Liebe des Lebens finden, nervt mich genreübergreifend. Serien jeglicher Art mögen eine Ausnahme davon bilden. Ich finde das entsetzlich stereotyp und bin stets erfreut, wenn es mal anders läuft. Also daß die Hauptperson von Anfang an in einer stabilen Beziehung ist oder eben nicht über die große Liebe stolpert.

  • Mal ein Beispiel für einen historischen Roman, in dem Liebe überhaupt keine Rolle spielt (allenfalls sehr am Rande).


    Der Fluch der Gaukler von Karen Maitland


    Amazon-Kurzbeschreibung:


    Mittsommer 1348. Die Pest gelangt nach England. Unaufhaltsam breitet sich das Verderben aus. Städte und Dörfer brennen, während die Totenglocken läuten. Eine verzweifelte Truppe von Gauklern flüchtet gen Norden, um ihr Leben zu retten.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Hm, ich würde einen Roman, der das Leben eines Helden / einer Heldin behandelt und keine Liebesgeschichte beinhaltet, auch nicht glaubwürdig finden. Wie wahrscheinlich ist es, dass sich jemand niemals verliebt? :-) Nur so als kleine Anmerkung am Rande. ;-)


    Bücher, die eine schöne, realistische Liebesgeschichte beinhalten, die aber deutlich über diesen Part hinausgehen, gibt es einige:


    Charlotte Lyne
    - Die zwölfte Nacht
    - Die Glocken von Vineta
    - Das Haust Gottes
    als Lilli Klausen: "Allein aus Gnade"


    Kirsten Schützhofer:
    - Die Kapelle der Glasmaler
    - Die Farbe der Revolution
    - Die Kalligraphin


    Mehr fallen mir im Moment nicht ein. :-)


    Lieben Gruß
    Larna

  • Ich hätte auch noch einen, nämlich den hier:


    Wobei der Klappentext (Alena riskiert neben Kopf und Kragen auch die Liebe) völliger Blödsinn ist. Alena, alleinige Perspektivperson in diesem Buch, ist nicht verliebt und hat es auch nicht vor, sich zu verlieben. Sie hat andere Sorgen, die ihr die Augen davor verschließen, dass es sowas wie Liebe überhaupt gibt. Außerdem ist sie viel zu ruppig und realistisch, um sich von Herzensdingen ablenken zu lassen.


    Und in dem Moment, als ihr Kopf wieder frei ist für sowas mundänes wie Gefühle zwischen Mann und Frau, ist das Buch zu Ende.


    Also wer einen Roman mit der Hoffnung auf eine heiße Lovestory aufschlägt, der wird über diesen hier bitter enttäuscht sein. Für andere könnte das Buch ein guter Tipp sein ...

  • Danke für die Lesetipps und die Antworten.


    Was ich bei meinen historischen Romanen bedauerlich finde, so toll sie auch sonst sind (Der Leuchtturm von Alexandria zum Beispiel) ist, dass mit der glücklichen Auflösung der Liebesgeschichte (Ehe, Verlobung usw.) das (Roman-) Leben der Heldin quasi vorbei ist. Sozusagen eine Frau unter den Fittichen eines Mannes (Liebhaber, Verlobter, besonders Ehemann) hat kein Anrecht auf ein aufregendes Leben, auf Erfolg im Beruf usw...
    Natürlich ist das bedingt durch die historischen Gegebenheiten, aber schade ist das trotzdem, vor allem weil ich den Entwicklungsromanteil bei historischen Romanen sehr mag und das Leben geht doch auch nach der Hochzeit für eine Frau weiter.


    Gibt es historische Romane, in denen verheiratete Mütter die Heldinnen sind?

  • Hallo Mariangela,


    sicher gibt es die. Charlotte Lyne's "Das Haus Gottes" beginnt mit der Hochzeit der Protagonistin. Sie ist das ganze Buch hindurch eine verheiratete Frau, Mutter und Ziehmutter.


    Ich habe übrigens gerade einen historischen Roman beendet, der heutige Leser(innen)erwartungen in den Grundfesten erschüttern dürfte. Das Buch ist allerdings auch schon mehr als 70 Jahre alt. Wer sich kräftig spoilern lassen will, kann das hier tun - ein ganz großartiges Buch, für das man aber als Konsument "heutiger" Histos gewaltig umdenken muss.

  • Mir fällt in diesem Zusammenhang auch noch "Die Pelzhändlerin" ein.


    Die Frau heiratet auch und es wird gezeicht wie sie ihr leben weiter führt usw... schönes Buch.


    Als ich diesen Thread das erste mal gelesen hatte, dachte ich persönlich auch an "Die Goldhändlerin", wobei ich nicht mehr sagen kann, wie wichtig in dem Buch die Liebe war.