Zum Lesen verurteilt

  • Zum Lesen verurteilt?


    Wenn ich das richtig verstanden habe, hat ein Jugendrichter in Fulda jugendliche Straftäter unter besonderen Umständen dazu "verurteilt", ein Buch aus einer Auswahl mit bestimmten Themen zu lesen und später mit den Beamten der Jugendhilfe zu besprechen, sich also auch darüber Gedanken zu machen.
    Innovativ. Aber kann das funktionieren? Ist das sinnvoll? Ich bin mir nicht sicher, was ich davon halte. Aber da lesen für mich ein Vergnügen, ein Teil meines Lebens ist, ein unverzichtbarer, tue ich mir auch ein wenig schwer damit, es mit Strafe gleichzusetzen. Wobei das Ziel hier wohl nicht die Bestrafung ist, sondern, daß die Jugendlichen lernen.


    Interessant wäre, um welche Bücher es sich da handelt. Welchen Büchern wird so eine Vorbildwirkung unterstellt?

  • Grisel,


    im Artikel sind ja die Themen der Bücher mit genannt und auch, unter welchen Voraussetzungen diese Art der "Bestrafung" zum Tragen kommt: wenn keine Sozialarbeit geleistet werden kann.


    Ich könnte mir vorstellen, daß die "Strafe" weniger im Lesen des Buches besteht (naja, für manche vielleicht schon!) als in der gemeinsamen Aufarbeitung des Lesestoffes zusammen mit den Mitarbeitern der Jugendhilfe.


    Ob es hilft? Ich weiß nicht. Ich habe nur bei manchen Jugendlichen das Gefühl, sie wären sich der Konsequenzen ihres Tuns nicht bewußt und würden, wie man bei uns so schön sagt, "nicht von 12 Uhr bis mittag" denken. Vielleicht sensibilisiert sie so eine Lektüre mit anschließender Diskussion doch ein wenig, über die Tragweite ihrer Handlungen VORHER nachzudenken? :gruebel

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Die Bücher, die ich von der Schule aus lesen musste, fand ich eigentlich allesamt durch die Bank weg schlecht. Das lag zum einen daran, dass mich die Themen in der Regel nicht interessierten, zum anderen auch daran, dass ich die Bücher lesen musste.
    Von daher kann ich mir nicht vorstellen, dass eine Lesestrafe bei den Jugendlichen irgendwelche Lesefreuden wecken wird. Der Fairness halber möchte ich aber erwähnen, dass mich die Bücher in der Schule nicht davon abgehalten hatten, mir privat die Geschichten durchzulesen, die mich wirklich interessierten.

  • Ich finde das sehr gut. a. lesen die dann immerhin mal wenigstens ein Buch im leben und b. wenn es nur bei einem die Lesefreude weckt dann ist scho was erreicht :-).
    Ich fand, bis auf Onkel Toms Hütte, die Bücher in der Schule toll^^. Aber das Zwingen ein bestimmtes Buch zu lesen ist halt ne doofe Sache. Was vielleicht nicht schlecht wäre, wenn die Straftäter sich ein bestimmtes Thema aussuchen dürften.

  • Die Artikel in der HNA und der Fulaer Zeitung dazu sind etwas ausführlicher:


    http://www.hna.de/nachrichten/…en-buch-lesen-712891.html


    http://www.fuldaerzeitung.de/n…Strafe-lesen;art25,269257


    Das Projekt auf der Seite des AG Fulda. Dort findet sich auch die Bücherliste:


    http://www.ag-fulda.justiz.hes…222-2222-222222222222.htm

  • Wenn Du den Betreff auch noch von "Lesen als Strafe" zu "Zum Lesen verurteilt" ändern würdest, würde auch mein Beitrag dazu passen. ;-)


    Ich bin ja begeistert von meinem neuen Lieblingsautor Adrian McKinty und seinem Charakter Michael Forsythe in "Dead I Well May Be" (dt. "Der sichere Tod". Ich sehe gerade, es gab eine ein-Stern Rezi, daher habe ich nachgesehen, was die Dame sonst so liest, Roy Black Filme und Sebastian Fitzek bekommen 5 Sterne, das passt dann. ;-))


    Ein Rezensent bei Amazon.com erzählt, dass er Jugendlichen in einer Jugendstrafanstalt dieses Buch vorgelesen hat und sie so begeistert hat, dass die Jugendlichen mehr wollten und darüber auch selbst zum Lesen gekommen sind. Es kann mit der richtigen Motivation also funktionieren.



    Zitat

    Mesmerizing enough to calm the Block, October 25, 2008
    By G. Love (Bridgeport, CT USA)


    This review is from: Dead I Well May Be: A Novel
    I read this book in a matter of hours because I couldn't put it down. Then I read it out loud to a group of older boys incarcerated in Juvenile Detention. This excellent crime thriller kept all of the young men intrigued and well-behaved for days at a time as I parceled the book out little by little. They begged for more when the book was over and I ended up buying copies of each book in the series for their library. This book and the others in the series are extremely well written and instantly captivating. While the subject matter may be above the average high school student, Adrian McKinty's books will captivate even the most reluctant readers!



    .

  • Zitat

    Original von Grisel


    Interessant wäre, um welche Bücher es sich da handelt. Welchen Büchern wird so eine Vorbildwirkung unterstellt?


    Hier der Direktlink:


    [URL=http://www.ag-fulda.justiz.hessen.de/irj/servlet/prt/portal/prtroot/slimp.CMReader/HMdJ_15/AMG_Fulda_Internet/med/052/05213b94-7ac6-721f-3efe-fe2389e48185,22222222-2222-2222-2222-222222222222]Leseliste[/URL]

  • Schön, dass im Artikel der Hessen Nachrichten steht, dass erst einmal geschaut wird, ob die Jugendlichen überhaupt in der Lage sind, die Texte zu verstehen. Bei der Bücherliste habe ich leider bedenken, dass die Bücher zu schwer sind. Es sind zwar Jugendbücher, aber vielleicht hätte da auch als Alternative ein K.L.A.R. Titel sein müssen:
    http://www.verlagruhr.de/shop/…hop/showseries.php?item=1|117

  • Mir gefällt die Idee gut.
    Jemanden zum Nachdenken bringen zu wollen finde ich als Erziehungsmaßnahme schon sinnvoll. Zumindest wird es auch nicht schaden, wenn es nicht hilft.

  • Also ich finde die Idee gar nicht schlecht.
    Es ist doch so, dass es kein Patentrezept gibt, um Jugendliche oder generell Straftäter wieder auf den richtigen Weg zu führen.
    Die einen reagieren auf Arrest, die anderen auf Arbeitsstunden und wieder andere auf gar nichts.
    Wenn durch die Leseaktion nur einer von 10, oder auch nur einer von 100 Straftätern wieder in ein normales Leben zurückfindet ist das meiner Meinung nach schon ein Erfolg. Und das mit relativ geringen Mitteln.
    Dass es bei dem ein oder anderen funktioniert glaube ich sogar, denn es ist schon etwas anderes, wenn man sich mit Sachen, die man selber "angestellt" hat, in schriftlicher Form auseinandersetzt.

  • Zitat

    Original von BelleMorte
    Ich weiß nicht ob das wirklich fruchtet, wenn ich daran denke, wie früher schon Pflichtlektüren in der Schule wirkten? schwierige Sache das.


    Ich denke, dass man das nicht so einfach vergleichen kann.
    Auch in der Schule gab/gibt es immer welche denen die Schullektüren gefallen (die sind ehrlich gesagt aber meist auch sehr unglücklich ausgewählt)
    Natürlich kann man mit so einer Aktion nicht alle Jugendlichen erreichen, aber wie ich schon erwähnt hatte, einige wenige wären doch schon ein großer Erfolg. Finde ich jedenfalls.

  • Ich bezweifle, dass das irgendetwas bringt bei Jugendlichen, ob nun Straftäter oder nicht. Und wenn überhaupt schon, warum dann ausgerechnet Bücher?
    Da sollte man doch zumindest das Medium auf den einzelnen abstimmen. :pille
    Na, hauptsache es gibt einen Sondertisch für all die lesewilligen aufgeklärten Gutmenschen :rolleyes

  • Zitat

    Original von Esther-Beth
    Ich bezweifle, dass das irgendetwas bringt bei Jugendlichen, ob nun Straftäter oder nicht. Und wenn überhaupt schon, warum dann ausgerechnet Bücher?
    Da sollte man doch zumindest das Medium auf den einzelnen abstimmen. :pille


    :write :write :write


    PS: Bin nächsten Monat 2 Tage in Fulda, werde mir aber meine eigene Lektüre mitnehmen :)

  • Das zeigt mal iwieder, das Jornalisten sich zu jedem Thema äussern, ohne den Hauch einer Ahnung zu haben.(So richtig sauer bin ich immer, wenn von 8.000 Euro Geldstrafe die Rede ist oder von 700 €- wer von den beiden stärker bestraft worden ist kann der Leser nicht ermitten 70 Tagessätze a 10 Euro oder 20 Tagessätze a 400 Euro???)


    Richtig, es heißt Jugendstrafrecht, aber die Eingriffsmöglichkeiten des Jugendrichters sind viel tiefgehender als die des Richters für erwachsene Straftäter. Der Jugendrichter soll nämlich in die persönliche Entwicklung durch Einwirkung in die Erziehung eingreifen.


    Zum Nachdenken zu verurteilen ist daher genau dann geeignet, wenn der Richter der Meinung ist bei diesem oder jenem könnte das etwas bringen so über sein Verhalten zum Nachdenken zu kommen, so wie bei dem Täter, der eine alte Frau anpöbelt eine Verurteilung zu Arbeitsstunden in einem Altenheim erzieherisch beeinflussen mag- und es trotzdem drei oder vier von Hundert gibt, die nur die Chance nutzen bei den alten Leuten die Schränke auszuräumen.

  • Ich hatte mir auch so meine Gedanken gemacht und war nicht überzeugt, ob diese Art von Bestrafung überhaupt Sinn hat. Allerdings klingt es nach beowulfs Beitrag tatsächlich sinnvoll.


    Ob es auch wirklich funktioniert, na ja, gut, da muss man abwarten. Aber ich bin der Meinung, wenn es bei einem einzigen jugendlichen Straftäter klappt, ist es schon ein Erfolg.

  • Wenn es jemand darauf anlegt, alles und jeden mit Ignoranz zu strafen, ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass er aus einem Buch Anregungen zu einem besseren Leben heraus zieht. Zumal ich mich frage, wie man jemanden zu dieser Lektüre zwingen kann. Was passiert, wenn sich jemand weigert?
    Als Ansatz ist das Lesen solcher Themen bezogenen Bücher sicher nicht falsch, aber das Projekt kann ja nur ansetzen, wenn zumindest der Ansatz eines guten Willens da ist (bzw. die Bereitschaft überhaupt ein Buch aufzuschlagen).


    Ich habe in meiner Schulzeit genug Leute kennen gelernt, die in all den Jahren keine einzige Schullektüre in die Hand genommen haben und bei denen man gegen ne Mauer gesprochen hat, falls man sie davon überzeugen wollte, dass das Buch auch ganz bestimmt nicht beißt. Falls einer von denen in die Fänge des Gesetzes gerät und dazu verdonnert werden würde ein Buch zu lesen, kann ich die Reaktionen schwer absetzen.
    Was wäre die Alternative? Buch oder Knast?


    Ich stehe dem Projekt also skeptisch gegenüber, weil ich mir die Umsetzung doch recht schwer vorstelle. Zeitlich sinnvoller fände ich es da, wenn sie die Lektüre weg lassen und gleich zum klärenden Gespräch übergehen.

    "Sobald ich ein wenig Geld bekomme, kaufe ich Bücher; und wenn noch was übrig bleibt, kaufe ich Essen und Kleidung." - Desiderius Erasmus

  • Ich denke, dass allein die Formulierungen "Lesen als Strafe" oder "zum Lesen verurteilt" sowie die Zeitungsartikel, den Sachverhalt sehr vereinfacht darstellen. (keine Kritik an der Namensgebung des Threads, irgendeinen Namen muss man dem Kind ja geben *gg*)
    Wie beowulf, der sich mit dem Thema sicherlich besser auskennt als ich, bereits erklärte, geht es ja im Jugendstrafrecht nicht explizit darum, junge Menschen, die sich auf einem falschen Weg befinden zu "bestrafen", sondern viel mehr darum, diesen zu helfen, wieder auf einen besseren Weg zu kommen.
    Soweit ich das bisher mitbekommen habe, wird gerade hier sehr stark am Einzelfall entschieden und auch eher einmal ein unkonventioneller Weg eingeschlagen. Ziel ist hier, noch viel mehr als bei erwachsenen Straftätern, die Prävention und (Re-)Sozialisierung.
    Wie gesagt, ich habe wenig Erfahrung mit jungen Straftätern, habe allerdings ein Praktikum in einer Suchtklinik für Jugendliche und junge Erwachsene gemacht.
    Zu meiner großen Überraschung wurde die Patientenbibliothek dort sehr rege genutzt. Viele der Patienten haben erst in der Thearpie oder im Gefängnis angefangen zu lesen. Inhaltlich war da alles dabei, vom Jugendbuch über Fantasy bis hin zu Hesse. Ein schwer depressiver Patient berichtete zum Beispiel, dass er abends kaum einschlafen könne, weil ihn ständig wiederkehrende Gedanken an seine Vergangenheit quälten. Er schaltete dann das Licht ein und las die halbe Nacht.
    Viele der Patienten berichteten, dass ihnen das Lesen auf die ein oder andere Weise gut tun und helfen würde, was sie selbst zum Teil überraschte.
    Und viele wären ohne die äußeren Umstände, zum Beispiel simpel die Langeweile oder die Verfügbarkeit der Bücher, gar nicht zum Lesen gekommen.
    Aufgrund dieser Erfahrung halte ich das Projekt, den Jugendlichen das Lesen eines Buches zur Auflage zu machen, für eine sehr gute Idee.
    Gerade wenn es um "kleinere" Delikte geht und zu erkennen ist, dass die Jugendlichen nur einen Schubs in die richtige Richtung brauchen.
    Dabei setze ich voraus, dass der Richter eine gut begründete Einzelfallentscheidung trifft, weil der diese Maßnahme bei diesem Jugendlichen als sinnvoll erachtet.
    Die Patentlösung "Drückt ihnen ein Buch in die Hand und alles wird gut" funktioniert nur bei den Eulen :grin