Das Haupt der Welt - Rebecca Gablé

  • Inhalt:
    Brandenburg 929: Beim blutigen Sturm durch das deutsche Heer unter König Heinrich I. wird der slawische Fürstensohn Tugomir gefangen genommen. Er und seine Schwester werden nach Magdeburg verschleppt, und bald schon macht sich Tugomir einen Namen als Heiler. Er rettet Heinrichs Sohn Otto das Leben und wird dessen Leibarzt und Lehrer seiner Söhne. Doch noch immer ist er Geisel und Gefangener zwischen zwei Welten. Als sich nach Ottos Krönung die Widersacher formieren, um den König zu stürzen, wendet er sich mit einer ungewöhnlichen Bitte an Tugomir, den Mann, der Freund und Feind zugleich ist ...


    Autorin:
    Rebecca Gablé, Jahrgang 1964, in einer Kleinstadt am Niederrhein geboren, studierte nach mehrjähriger Berufstätigkeit Anglistik und Germanistik mit Schwerpunkt Mediävistik in Düsseldorf. Wenn sie nicht gerade an einem Roman schreibt, reist sie gern und viel, vor allem in die USA und nach England, oft auch zu Recherchezwecken. Außerdem gehört sie dem Autorenkreis historischer Romane "Quo Vadis" an. Mit ihrem Mann lebt sie unweit von Mönchengladbach auf dem Land.


    Meine Meinung:
    Ihr ausführliches Nachwort zu dem Buch „Das Haupt der Welt“ beginnt Rebecca Gablé mit den Worten: Jede Geschichtsschreibung ist Fiktion. Und mit diesem Tenor kann der Leser schwelgen in einer Geschichte voller Fakten und Fiktion.
    Wohlweislich habe ich das Nachwort erst am Schluss gelesen, denn über die eigentliche Geschichte, die in diesem Buch steckt, sollte man nicht zuviel wissen, damit man völlig unvorbelastet die vielen Aha-Erlebnisse hat wie ich, die Spannung knistern kann und man mithofft und –bangt mit den schnell liebgewordenen Personen. Und derer gibt es eine Vielzahl.


    Nicht nur Tugomir, den slawischen Fürstensohn, der innerlich zerrissen ist von der Liebe zu seinem Volk und den Sympathien, die er bald auch einigen seiner sächsischen Feinde entgegenbringt. Dessen slawische Heilmethoden ein erhellendes Licht auf die Möglichkeiten der damaligen Ärzte und Heiler werfen und der damit für einige sehr spannende Höhepunkte sorgt.


    Da wäre auch Thankmar zu nennen, der große Bruder von König Otto, der sich mit Ungestüm und Übermut ins Herz des Lesers schleicht und dessen rauhbeinige und ehrliche Art auch Tugomir seine Geiselhaft leichter macht. Der trinkfest und frauenliebend einer meiner Lieblinge in diesem Buch war.


    Auch Otto I. ist eine interessante Figur. In Geschichtsbüchern wird er als Mitbegründer des ersten Deutschen Reiches zu Beginn des Mittelalters angesehen und sein Leben wird hier in all seinen Facetten geschildert. Immer eingedenk der Anfangsworte, dass natürlich viele Fakten mit Fiktion zusammengefügt werden müssen, wenn so ein historischer Roman funktionieren soll. Hier möchte ich betonen, dass ich selten ein Buch gelesen habe, in dem das ewige Hin und Her zwischen den Fürsten und Grafen, die politischen Querelen und persönlichen Händel so flüssig und verständlich geschildert wurden, dass ich nie den Faden verloren habe.


    Geliebt habe ich auch die Frauen in diesem Buch, die trotz ihrer schwachen Stellung zur damaligen Zeit starke und eigenständige Charakter sind, eine jede auf ihre Art unverwechselbar, zutiefst weiblich und doch stark und ihren Männern treu. Sei es Tugomirs Schwester Dragomira, die mit Otto einen Sohn bekommt, oder Ottos Frau Editha und ihre nicht minder interessante Schwester Egvina – eine richtig emanzipierte und schillernde Persönlichkeit – oder die Frau, die Tugomirs Herz erobert (hier wohlweislich kein Name, damit die Spannung bleibt).


    Aber auch die Bösewichte – vor allem zwei Männer und eine Frau – werden eindringlich geschildert und es gehört zu den Stärken der Autorin, ihnen den nötigen Raum zu geben, ihre Motive zu beleuchten und ihr Tun zu erklären, so dass auch sie Tiefe und einen eigenen bösen „Charme“ bekommen. Wie überhaupt alle Charaktere ihre Schatten- und Lichtseiten haben und keiner nicht auch mal einen Fehler beging oder gar Schlimmeres. Für diese menschlichen Abgründe und Schwächen - auch meiner Helden - danke ich der Autorin ausdrücklich.


    Schon in der Mitte des Buches war mir klar, dass dies eines meiner Jahreshighlights wird. Das Buch hat mit 860 Seiten keine zuviel – es hätte gerne noch länger dauern dürfen, denn nur schwer und ungern trenne ich mich von den Helden und Heldinnen dieses Buches.


    Mein Fazit also: "Das Haupt der Welt" ist ein hervorragend recherchiertes, sehr komplex erzähltes und mit straffem Handlungs- und Spannungsbogen geführtes Buch. Eine Vielzahl an historischen Fakten und liebevoll hineingestrickten geschichtlichen Details werden zu einer bewegenden Geschichte um die Anfänge Deutschlands verwoben. Es fehlen weder Humor und Sarkasmus noch Trauer, Krieg und Grausamkeit. Gute und Böse müssen sterben so wie die Geschichtsschreibung und die Feder von Frau Gablé es wollen und ich war zeitweise erschüttert mit einer Träne im Auge, musste auch mehrmals schallend lachen - und am Ende bin ich glücklich und begeistert dieses Buch genossen zu haben.


    10 Punkte - mehr gibt es ja leider nicht. :-]

    Hollundergrüße :wave




    :lesend








    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, daß er tun kann, was er will, sondern daß er nicht tun muß, was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Naja, fürs Cover kann die Autorin aber vermutlich nichts ... :-) (Wobei mir kleinere historische Schnitzer auch im "Lächeln der Fortuna" unangenehm aufgefallen sind).


    @ hollyholunder: Danke für die begeisterte Rezension; jetzt bin ich wirklich sehr gespannt. Ich überlege gerade, ob ich mir als Vorbereitung die "Res gestae Saxonicae" des Widukind von Corvey antun soll oder nicht.

    Meine Bewertungsskala: 1-4 Punkte: Mehr oder minder gravierende formale Mängel (Grammatik, Rechtschreibung, Handlung). 5/6 Punkte: lesbar. 7/8 Punkte: gut. 9/10 Punkte: sehr gut. Details und Begründung in der Rezi.

  • Zitat

    Ich überlege gerade, ob ich mir als Vorbereitung die "Res gestae Saxonicae" des Widukind von Corvey antun soll oder nicht.


    Wie gesagt, ich rate von vorbereitender Lektüre die das Leben von Otto und den Seinen behandelt ab. Es passiert so einiges geschichtlich korrektes im Buch und man nimmt sich wirklich die Überraschung, wenn man weiß, wie es in der Wirklichkeit so weiterging. Ich habe erst danach recherchiert.
    Und im Nachwort wird ziemlich genau beschrieben, wo die Autorin künstlerische Freiheit walten ließ, ihre eigene Phantasie die Feder führte oder einfach das historische Material fehlte.


    Zitat

    Zumindestens das Cover ist schlecht recherchiert, zu Ottos Zeiten sah die Heilige Lanze noch nicht so aus.


    Die Lanze wird im Buch sehr genau beschrieben - und ganz anders wie auf dem Cover. Aber eine schöne Aufmachung hat das Buch trotzdem. :-)

    Hollundergrüße :wave




    :lesend








    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, daß er tun kann, was er will, sondern daß er nicht tun muß, was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Zitat

    Original von hollyhollunder
    Wie gesagt, ich rate von vorbereitender Lektüre die das Leben von Otto und den Seinen behandelt ab. Es passiert so einiges geschichtlich korrektes im Buch und man nimmt sich wirklich die Überraschung, wenn man weiß, wie es in der Wirklichkeit so weiterging.


    Für mich kann ich aber sagen, daß mir das in keiner Weise den Lesegenuss geschmälert hat.


    Ich habe Rebecca Gablés neuen Roman schon mit Spannung erwartet, seit ich wußte, daß es um die Ottonen gehen soll, zu denen ich bis dato nur Sachbücher gefunden hatte aber keine historischen Romane. Eigentlich fand ich es bisher erstaunlich, daß die Ottonen noch keinen Eingang in den historischen Roman gefunden hatten, handelt es sich doch um einen geschichtlich interessanten Zeitraum und abgesehen von den politischen Entwicklungen bieten ihre familiären Zwistigkeiten doch einiges Potential für interessante, spannende historische Romane.


    Auch wenn ich über eine historische Figur, Zeit oder Situation einiges weiß, finde ich es trotzdem schön, mich über den Weg des historischen Romans den handelnden Personen noch einmal in anderer Weise zu nähern, insbesondere wenn ein Autor bzw. eine Autorin das so gut macht wie Rebecca Gablé, und durchweg den Eindruck vermittelt, daß es so gewesen sein könnte.


    "Das Haupt der Welt" ist durchweg unterhaltsam und spannend erzählt. Rebecca Gablé bleibt ihrem Weg treu, sich einer historischen Hauptfigur durch eine andere Figur zu nähern, die dieser nahe steht, in diesem Fall der slawische Fürst Tugomir. Sie bleibt ihrem Stil treu, indem sie Identifikationsfiguren aufbaut und klare Bösewichte, aber sie zeigt auch, daß sie ambivalente Figuren wie Thankmar und dessen Beziehung zu Otto I. auszuarbeiten versteht. In meiner Wahrnehmung enthält Rebecca Gablés neuer Roman eine deutliche Prise mehr Humor als ihre bisherigen, was den Lesern sehr entgegen kommt und eine gewisse Ausgewogenheit in ihrem Roman herstellt. Wie bei bisherigen Romanen könnte man bemängeln, daß ihre Charaktere alle wie aus einem Mund sprechen - aber wen stört das schon, wenn alles andere stimmig ist. Was die Frauen angeht - ja nun, ich verstehe schon, daß keiner etwas über eine schwache Frau lesen will, insofern stört es mich auch nicht, daß die Frauen nahezu alle als starke und durchaus einflußreiche Personen dargestellt werden.


    Ich finde, Rebecca Gablé hat sich mit dem Roman "Das Haupt der Welt" nochmal deutlich gesteigert. Und da Otto I. am Ende des Romans ja "nur" König des Ostfrankenreiches ist und bis zum König von Italien und römisch-deutschen Kaiser ja noch viel passieren muß, hoffe und warte ich jetzt schon auf einen Folgeband. Mal abgesehen davon, daß die Ottonen da ja noch Otto II. und Otto III. zu bieten haben...


    Statt Punkte gibt's deshalb von mir einfach: :anbet :anbet :anbet :anbet :anbet

  • Zitat

    Original von Pelican
    Mal abgesehen davon, daß die Ottonen da ja noch Otto II. und Otto III. zu bieten haben...


    Und nicht zu vergessen die Frauen der Ottonen, die jede für sich auch nochmal einen Roman wert wäre. Die einzige, die mehrfach (ernsthaft) "fiktionalisiert" wurde, ist dabei Theophanu, die Ehefrau von Otto II. Was aber ist mit Mathilde, der Ehefrau von Heinrich I, mit Adelheid und Editha, den Gemahlinnen Ottos I (wobei ich über Adelheid schon mal eine "Romanbiographie" gelesen habe), und Mathilde, der Schwester Ottos II, sowie dessen Töchtern - die Ottonen sind eine so schillernde Familie, die eigentlich so viel hergeben würde ...


    Ich freue mich sehr auf dieses Buch, warte aber standhaft bis zum Beginn der Leserunde ;)

  • Zitat

    Original von CorinnaV
    Und nicht zu vergessen die Frauen der Ottonen, die jede für sich auch nochmal einen Roman wert wäre. Die einzige, die mehrfach (ernsthaft) "fiktionalisiert" wurde, ist dabei Theophanu, die Ehefrau von Otto II. Was aber ist mit Mathilde, der Ehefrau von Heinrich I, mit Adelheid und Editha, den Gemahlinnen Ottos I (wobei ich über Adelheid schon mal eine "Romanbiographie" gelesen habe), und Mathilde, der Schwester Ottos II, sowie dessen Töchtern - die Ottonen sind eine so schillernde Familie, die eigentlich so viel hergeben würde ...


    Absolut. Mathilde und Editha finden sich ja in "Das Haupt der Welt". Auf Adelheid bin ich jetzt schon gespannt.

  • Mal noch was anderes:


    ich habe "Das Haupt der Welt" bereits letzten Donnerstag bei Weltbild erworben und war sehr erstaunt, daß das Buch dort schon käuflich zu erwerben war. Auch wenn ich normal kein Weltbild-Kunde bin, kam mir das sehr entgegen, da ich so die Chance hatte, das Buch noch in meinem Urlaub zu lesen - und es ja schön ist, sich von einem guten Buch nicht trennen zu müssen.


    Weiß jemand, ob es da einen Sondervertrag gab, das Buch bereits vorab zu verkaufen?

  • Zitat

    Original von Pelican
    Mal noch was anderes:


    ich habe "Das Haupt der Welt" bereits letzten Donnerstag bei Weltbild erworben und war sehr erstaunt, daß das Buch dort schon käuflich zu erwerben war. Auch wenn ich normal kein Weltbild-Kunde bin, kam mir das sehr entgegen, da ich so die Chance hatte, das Buch noch in meinem Urlaub zu lesen - und es ja schön ist, sich von einem guten Buch nicht trennen zu müssen.


    Weiß jemand, ob es da einen Sondervertrag gab, das Buch bereits vorab zu verkaufen?


    Auf ihrer Facebookseite hat Rebecca Gablé sich dahingehend geäußert, dass diverse Buchhandelsriesen sich nicht an den Erstverkaufstag 04.10. gehalten haben. Sie hat das kritisiert, aber auch gleichzeitig die Buchhändler dazu aufgerufen, die Bücher ebenfalls früher in den Verkauf zu geben, falls sie schon beliefert wurden.

  • Ich komme einfach nicht rein in das Buch. Habe es erstmal beiseite gelegt und werde es auf jeden Fall noch mal versuchen. Aber so halbherzig möchte ich das Buch nicht weiter lesen. Bis jetzt hat mich noch jedes Buch von Rebecca Gablé fesseln können. Einfach nur der falsche Zeitpunkt.

  • Das Haupt der Welt spielt ab dem Jahr 929 in Deutschland.
    Zuerst gefällt mir die Aufstellung der wichtigsten Personen, so lernt man sie schon gut kennen.


    In Deutschland waren noch nicht alle Christen. In Brandenburg wohnten die Slawen, die noch an ihre Götter glaubten. Der Heveller Fürstensohn Tagomir wurde als Priester ausgebildet.


    Bei einem Überfall der Sachsen unter König Heinrich werden Tugomir und seine Schwester Dragomira als Geiseln genommen. Sie wird die Geliebte Ottos, dem Nachfolger Heinrichs und bekommt einen Sohn Wilhelm.
    Tugomir kann sich meistens frei bewegen, aber wenn er flieht werden alle slawischen Sklaven ermordet. Er betätigt sich als Heiler, das er als auch Priester erlernt hat.


    936 wird Otto der Erste in Aachen gekrönt. Man kennt ihn und seine Brüder aus den Geschichtsbüchern, in diesem Roman erlebt man ihre Charaktere. Erst ist Otto noch ein unsicherer Prinz, sein Bruder Thankmar muss ihm oft behilflich sein. Thankmar war aus der ersten Ehe Heinrichs. Otto aus der zweiten und Heinrichs Lieblingssohn.
    Der Jüngste Henning wurde von seiner Mutter so erzogen, als wenn ihm der Thron zusteht. Daraus ergeben sich nach Ottos Krönung viele Reibereien. Henning war sehr hinterhältig und feige. Leider wurde er von Otto nie richtig bestraft.
    In den Kriegen geht es rabiat und grausam zu. Da fallen eben mal so die Köpfe und etwas zu viel waren mir die Vergewaltigungen, obwohl es in Kriegen immer noch so ähnlich zu geht.


    Die Autorin ist hier sehr direkt in den Gewaltdarstellungen. Dann gab es mir zuviel Sexszenen, die wurden mir zu detailiert und zu oft beschrieben.
    Sonst hat mir die Historie sehr gut gefallen. Am Besten haben mir Nebenfiguren gefallen, wie Semela, Tugomirs Gehilfe und seine Frau.


    Im Nachwort erklärt Rebecca Gable wieviele Personen wirklich lebten und welche Fiktion waren. Sie hat hier wieder ein spannendes, gut recherchiertes Buch geschrieben. Oft habe ich um einige liebgewordene Personen gebangt.
    Obwohl es wieder ziemlich dick ist, könnte ich noch immer weiter lesen.
    Ich bin gespannt ob die Geschichte der Ottonen bei ihr weitergeht, genug Material gibt es von denen ja.

  • Inhalt


    Im Jahr 929 gerät Tugomir, der zweite Sohn eines slawischen Fürsten, gemeinsam mit seiner Schwester in sächsische Kriegsgefangenschaft. Zehn Jahre wird er unter seinen Feinden verleben, im steten Wechsel mal als rechtloser Gefangener, wertvolle Geisel oder geschätzter Heiler und Ratgeber. Dabei wird er tiefer in die Angelegenheiten am Hof des Sachsenkönigs hineingezogen und lernt seine Feinde besser kennen, als ihm selbst lieb ist.


    Persönliche Meinung


    Ich habe dieses Buch im Rahmen einer Leserunde gelesen. Eine Bewertung fällt mir ziemlich schwer. Ich kannte vorher nur einen Roman Rebecca Gablés, "Das Lächeln der Fortuna", den ich ziemlich furchtbar fand. Insofern bin ich begeistert, daß dieses Buch mich weit besser unterhalten hat und, meiner Ansicht nach, in vielen Punkten auch deutlich besser geschrieben ist. Vor allem mochte ich die sehr positive, versöhnliche Grundaussage des Buchs.


    Andererseits gibt es doch etliche Kritikpunkte. Politische Überlegungen als Motiv für die Handlung kamen mir neben den emotionalen Beweggründen oft zu kurz. Die vielen, meiner Meinung nach für den Handlungsverlauf völlig überflüssigen Sex- und Gewaltszenen wurden ja schon genannt. Außerdem waren mir auch in diesem Roman die Bösewichter, Gero und Henning, zu platt. Ähnlich ging es mir schon mit "Mortimer" aus "Das Lächeln der Fortuna". Diese Figuren tragen alle ein "Ich bin ja SO böse"-Schild auf dem Rücken. Eine Erklärung für Ihr Verhalten wird zwar gegeben, aber so beiläufig, daß es auf mich aufgesetzt wirkt.


    Das wäre ein Punkt, in dem ich einen deutlichen Unterschied sehe zu, zum Beispiel, einer Charlotte Lyne. Die fängt an dieser Stelle, da, wo es weh tut, sich in die Figuren einzufühlen, und wo Rebecca Gablé deshalb aufhört, überhaupt erst richtig an.


    Den Versuch, einen Konflikt zwischen zwei eigentlich positiven Figuren zu schildern, unternimmt aber auch Frau Gablé mit der sehr ausführlich beschriebenen Brüderbeziehung zwischen Otto und Thankmar. Nur ist sie aus meiner Sicht damit gescheitert; jedenfalls konnte ich die psychologische Motivation hinter dem tragischen Geschehen nicht wirklich begreifen. Ich bin leider jemand, dem die Vorgänge im Inneren der Figuren wichtiger sind als die äußerliche Handlung, sehe aber ein, daß es bei vielen Lesern historischer Romane wohl anders aussieht.


    Sehr positiv hervorzuheben ist die, soweit ich es beurteilen kann, gute und im Nachwort auch gut dokumentierte Recherche. Daraus resultiert dann auch gleich ein erfreulich niedriger Anteil an typischen Mittelalter-Klischees (also nix mit grundsätzlich böse christliche Kirche, gelben Gewändern, unschuldigem Heidentum, Hexenverbrennungen und auf geheimnisvolle Weise allein im Wald überlebenden Greisinnen ;-)). Wird leider durch die vielen Gewaltdarstellungen und Bettgeschichten ein bißchen überschattet; allerdings kenne ich die Zeit zu wenig, um beurteilen zu können, wie rechtlos und freizügig die Zeit der Ottonen tatsächlich war. Das Bild der Zeit, das vermittelt wird, ist jedenfalls in sich weitgehend stimmig und überzeugend.


    Was man vielleicht als Warnung vorab sagen sollte: Es ist kein Roman über Otto den Großen. Otto ist eine wichtige Nebenfigur, aber er spielt nur insofern eine Rolle, als er Bedeutung für Tugomirs Lebensweg hat.


    Mein ganz persönlicher Zahnschmerz sind Fantasy-Elemente wie der Wassergeist, der Tugomir im Buch gelegentlich die Zukunft vorhersagt. Vermutlich ist diese romantische Komponente nach Ansicht des Verlags der überwiegend weiblichen Leserschaft von historischen Romanen geschuldet.


    Ich würde sieben Punkte geben, mit Tendenz zu acht.

    Meine Bewertungsskala: 1-4 Punkte: Mehr oder minder gravierende formale Mängel (Grammatik, Rechtschreibung, Handlung). 5/6 Punkte: lesbar. 7/8 Punkte: gut. 9/10 Punkte: sehr gut. Details und Begründung in der Rezi.

  • Beim Sturm des deutschen Königs Heinrich I auf die Burg des Slawenfürsten Vaclavic wird dessen Sohn Tugomir zusammen mit seiner Schwester Dragomira von Heinrich als Geiseln genommen. Vor allem Tugomir hat es nicht einfach am sächsischen Hof, zu viel Leid gab es auf beiden Seiten, zu lange schwelt der Konflikt schon. Doch es zeigt sich, dass Tugomir ein begnadeter Heiler ist und als er Otto, Heinrichs Sohn das Leben rettet, wird er dessen Leibarzt. Als Otto die Nachfolge seines Vaters antritt und mit zahlreichen Widersachern zu kämpfen hat, ist er auch auf Tugomirs Hilfe angewiesen und bietet diesem eine außergewöhnliche Chance …


    Rebecca Gable hat die englische Geschichte verlassen und sich der deutschen zugewandt – und dieses Wagnis ist ihr wunderbar gelungen. Wie von ihr gewohnt, bietet sie auch hier bestes Lesevergnügen, besticht mit gut ausgearbeiteten Charakteren, einem bildgewaltigen Erzählstil und einer spannenden Geschichte. Im Nachwort erzählt sie, wo die Fakten enden und die Fiktion beginnt – und lässt einen auch hier staunen. Für mich war dies bislang eine Epoche, von der ich wenig wusste und die mich ehrlich gesagt auch nicht besonders interessierte. Durch diesen Roman habe ich nun auf sehr unterhaltsame Weise Neues und zum Teil für mich auch Erstaunliches (von den einzelnen slawischen Völkern hatte ich noch nie gehört – kennt jemand z. B. die Daleminzer und die Heveller?). Nun hoffe ich, dass die Autorin noch ein wenig mehr von dort, auch die weitere Geschichte erzählt und damit für den Leser begreifbarer macht.


    Rebecca Gable berichtet nicht nur von den politischen Verhältnissen der damaligen Zeit sondern lässt uns auch teilhaben am Leben der Leute, seien es Könige, seien es deren Familie, seien es Sklaven oder das „einfache Volk“. Wie gewohnt treffen historische Persönlichkeiten auf fiktive Charaktere, wobei dieses Mal erstaunlich viele historisch belegte Personen vorkommen, die allerdings zum Teil viel Platz für Fiktion lassen, da von ihrem Leben nur wenig bekannt ist. Die Teile, die die Autorin mit Fiktion füllen musste, passen sich gut ein und wirken authentisch. Mir macht das Ganze zudem Lust darauf, selbst ein bisschen zu recherchieren.


    Der Roman liest sich flüssig und ist an keiner Stelle langweilig. Am Anfang machen einem die sehr ungewohnten slawischen Namen etwas zu schaffen, aber zum Nachschlagen gibt es ein Personenregister und schneller als gedacht hat man sich an die Namen gewöhnt. Etwas ungewohnt ist vielleicht auch für manche Fans historischer Romane, dass sich ein Hauch Mystik im Roman verbirgt, Tugomir hat eine sogenannte Vila, ein Geistwesen, das ihm u. a. Visionen bringt. Dies ist aber einzuordnen in Tugomirs Religiosität, denn er ist zugleich Priester einer slawischen Gottheit. Daneben wird auch das Christentum thematisiert, denn wir haben es hier auch mit der Epoche der Christianisierung dieser Gegend zu tun – und auch hier erfahren wir einen Hauch Mystik, wenn z. B. die Heilige Lanze Wunder wirken soll. Für mich passte beides sehr gut in den Kontext des Romans.


    Die Geschichte wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt, u. a. aus Tugomirs, Dragomiras oder der der Brüder Ottos, Thankmar und Henning. Das gibt dem Roman Dynamik und zusätzliche Spannung und beleuchtet auch verschiedene Gegebenheiten unter verschiedenen Aspekten.


    Was mir gefehlt hat, war eine Karte, allerdings lag mir ein Leseexemplar vor, so dass möglicherweise in der Buchhandelsausgabe eine solche zu finden ist. Für historische Romane halte ich Karten eigentlich für unentbehrlich, da sie auch die politischen Gegebenheiten einer Epoche aufzeigen (Grenzen, Herrschaftsgebiete).


    Wer gut recherchierte historische Romane sucht, ist bei Rebecca Gable immer richtig, wer auch ihre anderen Romane mochte, wird hier sowieso zugreifen. Ich empfehle das Buch uneingeschränkt.

  • Zitat

    Was mir gefehlt hat, war eine Karte, allerdings lag mir ein Leseexemplar vor, so dass möglicherweise in der Buchhandelsausgabe eine solche zu finden ist. Für historische Romane halte ich Karten eigentlich für unentbehrlich, da sie auch die politischen Gegebenheiten einer Epoche aufzeigen (Grenzen, Herrschaftsgebiete).


    Ging mir genauso, habe aber inzwischen das Original-HC und da ist eine wunderschöne Karte vorne und hinten drinnen. :-]

    Hollundergrüße :wave




    :lesend








    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, daß er tun kann, was er will, sondern daß er nicht tun muß, was er nicht will - Jean Rousseau)

  • 'Das Haupt der Welt' ist die Geschichte des Hevellerprinzen Tugomir und seiner Schwester Dragomira, die, nach dem Fall ihrer Heimatstadt Brandenburg, als Geiseln an den Hof König Heinrich I gelangen. Dragomira wird zur Mätresse des Königssohnes Otto und zur Mutter seines ersten Sohnes. Tugomir, in seinem Volk ein Priester und Heiler, steigt zum Leibarzt Otto I auf.
    Rebecca Gable zeigt uns durch die Augen des Fremden in Lebensart und Glauben, die Jugend Ottos und seinen Aufstieg zum König.
    Der Roman ist gut und flüssig geschrieben. Die Autorin führt uns spannend in die Zeit um 929- 945 ein, und zeichnet ein lebendiges Bild der Heveller und ihres Glaubens im Kontrast zum frühen Christentum. Das Buch versteht zu unterhalten. Es hat mir bis zum Schluss Spaß gemacht zu lesen, auch wenn das Erzähltempo im letzten Drittel unnötig anzieht und sich die Ereignisse zu überschlagen scheinen.
    Der Roman endet als Ottos Herrschaft vorläufig gefestigt ist, und Tugomir als Fürst die Heveller führt und sie loyal zu König Otto stehen.
    Das Ende gefällt mir nicht recht, da noch so viel über Ottos Regentschaft zu erzählen wäre. Aber es ist konsequent, wenn man 'Das Haupt der Welt' nicht als Roman über Otto I sieht, sondern als Lebensweg Prinz Tugomirs.
    Ich gebe Rebecca Gables Roman 8 von 10 Punkten, in der Hoffnung in Zukunft noch mehr aus der Zeit der Ottonen von ihr zu lesen.

    Literatur erweitert unser Dasein...Durch das Lesen großer Literatur werde ich zu tausend Menschen und bleibe doch ich selbst. CSL

  • Zitat

    Der Roman endet als Ottos Herrschaft vorläufig gefestigt ist, und Tugomir als Fürst die Heveller führt und sie loyal zu König Otto stehen. Das Ende gefällt mir nicht recht, da noch so viel über Ottos Regentschaft zu erzählen wäre. Aber es ist konsequent, wenn man 'Das Haupt der Welt' nicht als Roman über Otto I sieht, sondern als Lebensweg Prinz Tugomirs.
    Ich gebe Rebecca Gables Roman 8 von 10 Punkten, in der Hoffnung in Zukunft noch mehr aus der Zeit der Ottonen von ihr zu lesen.


    Ich hatte es ja nicht als Biographie von Otto gesehen und deshalb nichts vermisst. Würde mich allerdings freuen, wenn ich Otto und seine Familie oder seine Nachkommen bald bei Frau Gablè wiedertreffe. :-)

    Hollundergrüße :wave




    :lesend








    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, daß er tun kann, was er will, sondern daß er nicht tun muß, was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Das Neuste Buch der Autorin kommt leider nicht ganz an die Waringham-Reihe heran. Es liegt nicht an Otto dem I., seine Zeit war auch sehr spannend, es liegt am zum Teil veränderten Stil der Autorin, im Gegensatz zu ihren früheren Büchern, will sie wohl mit dem Zeitgeist gehen und dem Leser auch ausgedehnte Bett- und Folterszenen bieten, was in ihrem Fall leider nicht passt. Sie passen einfach nicht zu ihrem Stil.
    Ansonsten ein spannendes Buch! tut auch gut mal neuen Namen kennen zu lernen. Bitte eine Fortsetzung :-)

  • Anfangs konnte ich mit dem Buch nicht wirklich etwas anfangen und ich habe mich so 250 - 300 von diesem 900 Seiten dicken Wälzer eher durchgequält. Woran es lag, ich weiss es nicht. Die bisherigen Gablé Romane spielten alle im englischen Mittelalter, dieses hier ist ihr erstes Buch, was im deutschen Mittelalter spielt. Es war atmosphärisch so ganz anders als ihre vorherigen Romane, auch wahnsinnig düster und sehr brutal. Ich habe schwer reingefunden. Ab ca. Seite 300 nahm das Buch dann immer mehr an Fahrt auf und wurde für mich auch erneut zu einem Gablé'schen Pageturner. Ein sehr spannender historischer Schmöker und abschliessend kann ich sagen, dass es ein erneutes Meisterwerk von Gablé ist. Kann ich nur weiterempfehlen. Und, wenn jemand noch keine Gablé Bücher gelesen hat und mit diesem beginnen sollte, wer also ihre historischen Romane, die in England spielen, nicht kennt, für den ist der Einstieg ins Buch evtl. auch leichter. Für mich war es sehr ungewohnt und schwer, aber ich bin froh und glücklich durchgehalten zu haben. Ein wunderbares Buch.


    Und ich kann hier auch nochmals nur den Tip geben, bei den Gablé Büchern das Nachwort zu lesen. Sogar ihre Nachworte sind immer eine Klasse für sich und vor allem sehr informativ!


    Zur Zeit arbeitet sie wohl an einem Waringham Roman :klatschen: aber ich würde mich freuen, wenn sie auch wieder ins deutsche Mittelalter eintauchen würde. Ein kleiner Hinweis, dass sie das vorhat ergibt sich evtl. in ihrem Nachwort, in dem sie erzählt, dass sie einen guten Einstieg ins deutsche Mittelalter suchte und die Zeit Otto I. dafür prädestiniert war.


    Zu den Bett- u. Folterszenen, die eine Vorrezensentin hier kritisierte: Die gab es in ihren anderen Romanen auch schon und ist nichts neues. Dahingehend hat sie ihren Stil nicht verändert :-)


    9 von 10 Punkten.

    :lesend Sarah Morgan - Weihnachtszauber wider Willen

    2019: 22 Bücher - 9.987 Seiten

    2018: 16 Bücher - 7.045 Seiten

    2017: 17 Bücher - 8.990 Seiten