'Underground Railroad' - Seiten 087 - 154

  • Es muss ja nicht immer bösartig sein, dieses bevormunden. Manchmal sind die Absichten tatsächlich gut und die Menschen sind sich gar nicht darüber bewusst, wie sehr sie den Anderen die Kompetenzen absprechen.


    In diesem Fall muss man aber von wohldurchdachten Plänen sprechen.


    Was medizinische Experimente angeht - da ist es leider traurige Realität geblieben, dass an Menschen, die sich nicht wehren können oder nicht "dazugehören" Experimente gemacht werden.

    Ob das nun ein Mengele im KZ war, das amerikanische Militär oder die Sowjetunion - überall ist das passiert (und passiert in den Entwicklungsländern mit Medikamententests noch immer) und die Ergebnisse werden fleißig verwendet.

  • Zum Glück gibt es zwischendrin immer wieder positiver Abschnitte.


    Die Teile aus Ridgeways Perspektive finde ich auch fürchterlich, nicht zuletzt weil sie so glaubwürdig sind. Diese Arroganz und Rücksichtslosigkeit, die Vorstellung einfach alles Recht der Welt zu haben, so mit anderen Menschen umzugehen. Wobei er Cora vermutlich nicht als Menschen wahrnimmt.

    🤔 Ist das nicht heute noch so.

  • Zum Glück beginnt dieser zweite Abschnitt erstmal mit einer schönen, erholsamen Zeit für Cora. Die Anstellung bei den Andersons scheint für sie

    Die Sache mit der Zwangssterilisierung und auch mit der vorgetäuschten medizinischen Versorgung der Schwarzen und der angeblichen Behandlung der Blutkrankheit fand ich wieder ganz furchtbar. Da werden die Schwarzen wieder nur als Versuchsobjekte betrachtete und nicht wie Menschen behandelt. Einfach nur schlimm.


    Die Sache mit dem Museum fand ich auch grenzwertig. Menschen hinter Glasscheiben auszustellen geht für mich gar nicht.

    Das mit der Zwangssterilisation fand ich erschreckend. Vor allem wie es verkauft wird.


    Dieses neue Jobangebot klang erst wie eine Verbesserung, aber es ist eher ein kleinhalten.


    Die Lehrerin hat sich zwar als Gutmensch hingestellt. Aber sie ist genau so rassistisch wie die anderen.

  • Das Problem ist ja, alle handelnden Personen sind Produkte ihrer Zeit. Wenn man als Kind in einer rassistischen Gesellschaft aufwächst, ist das schon ziemlich schwer, nicht selbst rassistisch zu werden. Dasselbe gilt für Sklaven, die unfrei aufgewachsen sind und keine oder nur wenig Bildung erhalten haben. Wie sollen die zu frei denkenden Menschen werden?


    Solche Systeme kann man zwar von außen durchschauen, wie wir jetzt, aber von innen ist es ungleich schwerer und für viele schlichtweg unmöglich.

  • Dasselbe gilt für Sklaven, die unfrei aufgewachsen sind und keine oder nur wenig Bildung erhalten haben. Wie sollen die zu frei denkenden Menschen werden?

    Als DDR-Kind kann ich berichten, dass dort eine tiefe innere Befreiung von der Dikatur bestimmt frühestens in der ersten richtigen Nachwendekohorte umgesetzt ist. Selbst in mir, zur Wendezeit ein Teenager, steckt das System noch drin und ich darf mich immer mal wieder daran abarbeiten. Und das ist ja mit z.T. vielen Generationen Sklaverei nicht vergleichbar.

  • Das stimmt, Nadezhda. In allen von uns steckt die Welt, in der wir aufgewachsen sind, tief drinnen. Am übelsten sind ja die Dinge, die unbewusst bleiben.

    Mittlerweile habe ich gelernt, mal ganz genau nachzugucken, wenn mich irgendwas eher belangloses ganz heftig umhaut. Dann schlummert da irgendein altes Erlebnis.


    Und ich glaube auch, dass die amerikanische Gesellschaft noch immer von diesen grauenvollen Zeiten geprägt ist, auch wenn es schon viele Generationen her ist. Aber darüber werden wir uns sicher später noch austauschen.

  • (...) auch wenn es schon viele Generationen her ist.


    Inzwischen weiß man ja, wie lange solche Lebenserfahrungen weitergereicht werden können. Wenn noch meine Kindheit in den Siebzigern dank der dominanten Oma vom Lebensgefühl des Krieges und der Nachkriegszeit geprägt war, was machen dann erst viele Generationen Versklavung mit den Menschen. :|


    Es tat übrigens sehr gut, parallel zu diesem Buch einige Ausschnitte aus Michelle Obamas Autobiografie anzuhören - auch hier nochmal ein Dank an ottifanta für den Link.

  • Das Problem ist ja, alle handelnden Personen sind Produkte ihrer Zeit. Wenn man als Kind in einer rassistischen Gesellschaft aufwächst, ist das schon ziemlich schwer, nicht selbst rassistisch zu werden. Dasselbe gilt für Sklaven, die unfrei aufgewachsen sind und keine oder nur wenig Bildung erhalten haben. Wie sollen die zu frei denkenden Menschen werden?


    Solche Systeme kann man zwar von außen durchschauen, wie wir jetzt, aber von innen ist es ungleich schwerer und für viele schlichtweg unmöglich.

    Ich bin sehr froh, dass du das so klar ausdrückst Ellemir! Natürlich ist es aus heutiger Sicht schlimm, dass die Farbigen als Menschen zweiter oder eher noch dritter Klasse angesehen werden, mit allen geschilderten Konsequenzen. Aber aus unserer heutigen Sicht die Menschen dazu zu verurteilen oder als rassistisch zu bezeichnen, finde ich aus genau den genannten Gründen von Ellemir sehr fragwürdig. Ich hab leider nicht gefunden, wann die Sklaverei in South Carolina abgeschafft wurde, aber allzulang kann es zum Zeitpunkt des Buches nicht her sein. Und im Gegensatz zu den völlig menschenunwürdigen Zuständen in der Sklaverei ist das Leben in South Carolina für Cora eine deutliche Verbesserung.


    Was ganz anderes: ob Coras Mutter überhaupt fliehen konnte oder irgendwo verscharrt wurde, um ein Verbrechen (oder mehrere) zu vertuschen? Ich hoffe zwar ersteres, befürchte aber doch zweites.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Ich bin sehr froh, dass du das so klar ausdrückst Ellemir! Natürlich ist es aus heutiger Sicht schlimm, dass die Farbigen als Menschen zweiter oder eher noch dritter Klasse angesehen werden, mit allen geschilderten Konsequenzen. Aber aus unserer heutigen Sicht die Menschen dazu zu verurteilen oder als rassistisch zu bezeichnen, finde ich aus genau den genannten Gründen von Ellemir sehr fragwürdig. Ich hab leider nicht gefunden, wann die Sklaverei in South Carolina abgeschafft wurde, aber allzulang kann es zum Zeitpunkt des Buches nicht her sein. Und im Gegensatz zu den völlig menschenunwürdigen Zuständen in der Sklaverei ist das Leben in South Carolina für Cora eine deutliche Verbesserung.


    Was ganz anderes: ob Coras Mutter überhaupt fliehen konnte oder irgendwo verscharrt wurde, um ein Verbrechen (oder mehrere) zu vertuschen? Ich hoffe zwar ersteres, befürchte aber doch zweites.

    South Carolina trat Ende 1860 aus der Union aus und schloss sich 1861 den Konföderierten an, nachdem Abraham Lincoln Präsident wurde und die Sklaverei abschaffen wollte. North Carolina trat im Mai 1861 aus der Union aus und den Konföderierten an.


    Die politische Situation in North + South Carolina scheint im Buch komplett fiktiv zu sein.

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")

  • Erschreckend fand ich die Zwangssterilisation der Frauen, und die Realisierung des Gedankengutes der Weißen in South Carolina. Sicherlich nicht aller, aber das schien ja schon eine sehr systematisch aufgebaute Maschinerie zur Veränderung der schwarzen Rasse zu sein, wenn man es denn so nennen will. Insbesondere die Wahrnehmung von Lucy hat mich überrascht, war sie anfangs ja als selbstlos helfende Frau dargestellt worden, ist sie später sehr manipulativ.

    Da kann ich dir nur zustimmen. Erschreckend finde ich auch, dass Schwarze gar nicht im Ansatz als Manschen angesehen werden, sondern ihre angebliche Unterlegenheit überhaupt nicht infrage gestellt wird. Es wird als gegeben hingenommen. Menschen, die denken wie Sam, gibt es wohl nur wenige. Hoffentlich entpuppt er sich nicht auch noch als ein Verräter.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Vermutlich ging es dem Autor auch nicht um die genaue politische Situation, sondern eher darum zu zeigen, dass die Lage in jedem Staat unterschiedlich war.

    Je mehr ich lesen, habe ich den Eindruck, dass es dem Autor gar nicht um eine konkrete historische Einordnung geht, sondern um Rassismus und Unterdrückung im Allgemeinen.


    Die Tuskegee-Syphilis-Studie, die ich gefunden habe, klingt ziemlich ähnlich, gab es aber zu einer ganz anderen Zeit. An der Grausamkeit ändert sich nichts.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Je mehr ich lesen, habe ich den Eindruck, dass es dem Autor gar nicht um eine konkrete historische Einordnung geht, sondern um Rassismus und Unterdrückung im Allgemeinen.


    Die Tuskegee-Syphilis-Studie, die ich gefunden habe, klingt ziemlich ähnlich, gab es aber zu einer ganz anderen Zeit. An der Grausamkeit ändert sich nichts.

    Ja, dieser Eindruck drängt sich bei mir auch immer mehr auf.


    Ich habe auch schon nach ganz hinten geblättert und ein Nachwort gesucht, in dem Historie und Fiktion zumindest grob unterteilt werden. Leider Fehlanzeige. Momentan irritiert mich das ziemlich. Wenn ich ein Buch mit einem historisch belegten Titel lese, dann gehe ich eigentlich davon aus, dass die beschriebenen gesellschaftlichen Umstände einigermaßen so waren. Ist anscheinend hier nicht der Fall. Hmm .... :rolleyes:


    Gut, ich bin noch nicht fertig, also werde ich mal weiterlesen und schauen, was sich bis zum Ende des Buches noch so alles tut. Momentan kann ich Nadezhda aber nur voll und ganz zustimmen: :write


    Ich hätte es dann besser gefunden, wenn er auch fiktive Namen für die jeweiligen Staaten erfunden hätte.

    Danke Regenfisch für den Link von dieser Studie - das geht ja genau in die Richtung, die auch im Buch beschrieben wird (einschließlich des "schlechten Blutes"). Ich nehme mal stark an, auf genau diese Studie will der Autor hinaus, auch wenn es tatächlich zu einer viel späteren Zeit stattfand. Durchaus legitim - aber kann man das in einem Nachwort nicht kurz erwähnen? Aber wie gesagt - bevor ich mir dazu eine endgültige Meinung bilden kann, möchte ich das Buch erstmal fertiglesen.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021