Das Licht - T.C. Boyle

    • ISBN-10: 3446261648
    • ISBN-13: 978-34462616

    1943 führte der Schweizer Chemiker Albert Hofmann, beschäftigt bei der Pharmafirma Sandoz, einen ersten Selbstversuch mit der Substanz Diethylamid LSD-25, das 25. synthetisierte Amid der Lysergsäure, eines Inhaltsstoffes des Mutterkorns, durch. Er verprach sich davon, ein Arzneimittel zur Kreislaufstabilisation zu entwickeln.


    Wir kennen diese Substanz schlicht als „LSD“, der halluzinogen wirkenden Droge, die in den 1960er Jahren eine ganze Revolution auslöste, die Musiker auf der ganzen Welt beeinflusste, eine sexuelle Revolution lostrat, die wohl im weitesten Sinne für Woodstock, die Hippiebewegung, für freie Liebe und freies Denken verantwortlich gemacht werden kann. „Vater“ dieser Bewegung ist der Harvard- Professor für Psychologie Timothy Leary („Tim“) der zu vermeitlich wissenschaftlichen Forschungszwecken zahlreiche Drogensessionen abhielt, u.a in den ersten gegründeten Kommunen, Gemeinschaften aus mehreren Erwachsenen und deren Kindern, denen auch LSD verabreicht wurde.


    T. C. Boyle greift Learys Geschichte auf und beleuchtet die Zeit zwischen 1962 bis 1964, in dem er fiktive Personen erzählen lässt, den Studenten Fitz und dessen Frau Joanie. Ihr Sohn Corey wird nur beobachtet, leider erzählt er nicht. Fitz schafft es, in den „inneren Kreis“, einer Gruppe aus anderen Studenten samt deren Ehefrauen und einigen bekannten Künstlern Learys einzudringen, mit seiner Frau Joanie regelmäßig an Sessions teilzunehmen, an denen „das Sakrament“ verteilt wird, wie Tim die LSD- Trips nennt. Dabei ging es Leary in erster Linie darum, den menschlichen Geist zu befreien von Konventionen und anerlernten Mustern. Er wollte den Geist sozusagen resetten, das Gehirn auf Null zurückschalten und öffnen für jede Art von Reiz und Bewusstsein. Die Droge fungierte als Religion, als etwas Göttliches, die es ermöglichte, seinen eigenen Geist von außen zu betrachten, Zwängen und Manipulationen von außerhalb zu entfliehen, tief mit sich eins zu werden.


    Aus diesen regelmäßigen Treffen verdichtet sich die Idee, einen gemeinsamen Sommer mitsamt den Kindern in Mexiko zu verbringen, gemeinsame Sessions zu verdichten, Partys zu veranstalten, den Geist ganz zu befreien. Als es zu Konflikten mit dem Gesetz kommt und der Hersteller Sandoz die Versuchssubstanzgaben einschränkt, kommt die Gruppe in Millbrook unter, einem riesigen Anwesen im Staate New York, welches sich letztlich zur Heimat für die Mutter aller Partyexzesse entwickelt. Das versagte LSD 25 wird durch ein Generikum substituiert, immer mehr Alkohl und Marihuana ( deren Wirkung immer geringer wird, bzw gegen null tendiert) der „innere Kreis“ wird aufgeweicht, um die angespannte finanzielle Situation zu entlasten (kaum einer der Statisten verfügt über einen Job, die Gruppe lässt sich aushalten von Tims reicher Freundin Peggy, einer Millionenerbin, der das Anwesen gehört) werden Partys für Externe veranstaltet. Paradiesvögel aus der Bohme erscheinen mit exzentrischen Haustieren, mit Affen und Hunden, jeder schläft mit jedem, es gibt kaum noch einen geregelten Tagesablauf. Die Kinder erhalten ebenfalls das Sakrament und gehen auf Trips, machen erste sexuelle Erfahrungen und pubertieren dennoch wie ganz „normale“ Teenager. An dieser Stelle zeigt sich im Buch auch ganz deutlich der Bruch zu Aldous Huxley, der auch Drogenerfahrungen sammelte, für den diese Substanzen allerdings nur Intellektuellen und spirituellen Menschen vorbehalten sein sollten, Leary propagierte eine allgemeine Freigabe und verabscheute Massenmedien und Politik, die er als manipulativ ansah.



    Fazit

    Der Leser merkt ziemlich genau, dass der Autor ziemlich genau weiß, wovon er da schreibt. Wenn er diese Explosion aus Licht und Farben beschreibt, dieses... irre, was sich wohl nur schwer zu beschreiben überhaupt in Worte fassen lässt. Er skizziert genau, lässt aber Raum für Phantasie, ganz besonders, wenn es um Sexualität geht. Er lässt nicht zu viel Subjektives einfließen, aber Eines bleibt nach dem Lesen klar zurück. Eine Droge ist eine Droge ist eine Droge ist eine Droge. Und sie hat zerstörerisches Potenzial, was höher wiegt als das ideelle Wunschempfinden, welches sie Dir verspricht. Zumindest kommt das bei mir so an. Was vielleicht aber auch an meiner eigenen Meinung liegen mag, ich weiß es nicht. Es ist jedenfalls klar, dass Glück und Zerstörung, Genie und Wahnsinn, Erfüllung und Absturz oft ganz nah aneinander liegen. Es geht um eine Zeit, die viel bewegt hat, aus der viel geboren wurde, die viele Künstler und Musiker geprägt und beeinflusst hat. Die Welt wäre ohne die Zeit eine andere. Und das ist großartig erzählt. Nicht zu dick oder ausladend- einfach erzählt.


    Ein Buch, wie ein Rausch. Wahrscheinlich, keine Ahnung. ;) Ich berausche mich u.a nur an guten Büchern.


    Edit: Ich habe einen Spoiler gesetzt, weil in diesem Absatz Dinge erwähnt werden, die erst gegen Ende des Buches vorkommen. LG JaneDoe

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

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  • Danke für die tolle Rezi, liebes rienchen! :-)

    Ich habe schon ein paar Leseindrücke gelesen, die Boyle eine Verherrlichung der Droge/von Drogen unterstellen. Dein Fazit klingt da für mich plausibler.
    Ich bin gerade noch mit Mungo Park beschäftigt, aber "Das Licht" möchte ich auch noch lesen bzw. hören.

  • Danke für die tolle Rezi, liebes rienchen! :-)

    Ich habe schon ein paar Leseindrücke gelesen, die Boyle eine Verherrlichung der Droge/von Drogen unterstellen.


    Das glaube ich sofort, für Drogenkritiker ( wie ich im Grunde genommen ja auch eine bin) und nach deren Logik hätten die negativen Aspekte natürlich viel mehr hervorgehoben werden müssen. Es läge auf der Hand, Höllentrips bis ins Detail auszuschmücken und DU!DU!Du! Drogen sind böse hineinzuschreiben. Das geschieht eben durch die Erzählweise nicht drastisch, sondern viel subtiler und feiner, grade das rechne ich ihm hoch an.

    Es gibt Menschen, die so gefestigt sind, die können ihr ganzes Leben mit Drogen umgehen, während andere schon nach einem bisschen Rumprobieren psychischen und physischen Selbstmord betreiben. Wie Drogen auf einen wirken, ist eine höchst individuelle Angelegenheit. Er verteufelt weder, noch verherrlicht er. Er zeigt Facetten, die mEn gut beobachtet sind.

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

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  • In der Lesung zum Buch ist er genau das gefragt worden, ob er nicht deutlicher vor Drogen hätte warnen sollen. Boyle entgegnete, dass ein erhobener Zeigefinger noch niemandem vom Drogenkonsum abgehalten habe, ganz im Gegenteil und ihn im Übrigen auch nicht. Die einzige wirksame Drogenprävention sei, ein sinnstiftendes Leben zu führen und sich an anderen Dingen zu berauschen. Er berausche sich zum Beispiel an der Natur.

    Das Schreiben habe ihn auch von seinem Drogentrip gerettet.

    Ein Buch, wie ein Rausch. Wahrscheinlich, keine Ahnung. Ich berausche mich u.a nur an guten Büchern.

    :writeJunkies unter sich. :lache

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zwanzig Watt


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    Der Psychologiedoktorand Fitz, seine Frau Joanie und der gemeinsame Sohn Corey leben in Cambridge. Fitz hat ein Harvard-Stipendium und Joanie hat nach der frühen Heirat und der kurz darauf erfolgten Geburt des Sohnes diverse Jobs angenommen, um den Mann zu unterstützen. Inzwischen arbeitet sie in einer Bibliothek. Das Paar verfügt über wenig Geld, die Ehe hat ihre Höhen und Tiefen, aber sie hoffen gemeinsam auf die gute Zeit, die nach der Dissertation kommen wird, einfach kommen muss. Wir schreiben die Sechzigerjahre.


    An der psychologischen Fakultät von Harvard ist schon seit einiger Zeit ein gewisser Timothy Leary beschäftigt, ein vielbeachteter Psychologe, der im Rahmen seiner Forschungsprojekte mit bewusstseinserweiternden Drogen - vor allem Psilocybin und LSD-25 - experimentiert. Fitz gerät gegen eigenen anfänglichen Widerstand in dessen Umfeld und dringt schließlich sogar in den inneren Kreis vor, doch auch Joanie ist von Tim Leary und seinen Ideen angetan, hauptsächlich aber von der Hoffnung, auf diesem Weg dem ermüdenden, anstrengenden Alltag entkommen zu können.

    Als die Versuche und die allwochenendlichen LSD-Partys im Hause Leary auf immer mehr Unmut bei der Universitätsleitung stoßen, verlegt der Psychologe die Experimente zunächst nach Mexiko und dann auf ein großes Anwesen in New Jersey, wo fortan regelmäßig das "Sakrament" konsumiert und die freie Liebe praktiziert wird. So weit, so vorhersehbar und, leider, so langweilig.


    Boyle erzählt hier im Prinzip seinen Roman "Dr. Sex" (OT: "The Inner Circle", 2004) rund um den Sexualforscher Albert Kinsey noch einmal, nur eben mit Leary und mit Drogen. Wie Kinsey im älteren Buch bleibt Leary in "Das Licht" eine Hintergrundfigur, oder eben das Zentrum, um das alle kreisen, ohne es je wirklich zu erreichen. Dieser Kunstgriff, biografische Romane indirekt, aus der Sicht einer Nebenfigur zu erzählen, ist nicht neu, aber bei Boyle konnte man sich bislang halbwegs darauf verlassen, dass das Ergebnis interessant, lesbar, erhellend, möglicherweise sogar spannend ausfallen würde. "Das Licht" allerdings ist so interessant und erhellend wie eine klassische 20 Watt-Glühbirne, deren Leuchtkraft gerade mal für einen Besenschrank ausreichte. Und das nach einem wirklich furiosen Prolog, der vermutlich Jahre vor dem Hauptwerk verfasst wurde - so jedenfalls fühlt es sich an.


    Das Bewusstsein von Fitz erweitert sich erwartungsgemäß irgendwann so sehr, dass es nicht mehr in die Person passt. Während Joanie nebst Sohn noch den Absprung schafft, verstrickt sich der Doktorand nach fast 300 ziemlich vorhersehbaren Seiten in eine etwas krude Liebesgeschichte und verliert die Bodenhaftung vollständig. Interessant bei dieser zäh geratenen Erzählung sind einzig Boyles Versuche, die LSD-Erlebnisse anschaulich wiederzugeben, ansonsten passiert fast nichts in diesem Buch, das vor dreißig Jahren aufgrund der Thematik vielleicht eine kleine Sensation gewesen wäre, aber im Jahr 2019 doch sehr angestaubt, altbacken und konventionell daherkommt. Die Naivität im Umgang mit LSD, die pädagogisch fragwürdige Nachlässigkeit im Umgang mit den eigenen Kindern, die eigentümlichen Praktiken der Psychologen damals und ein paar andere Elemente verleihen der Geschichte zwar eine gewisse Würze, aber nicht genug davon, um die farblosen Figuren und das weitgehend spannungsfreie Geschehen schmackhaft zu gestalten. Von Boyle früherem Witz und seinen Ambitionen spürt man in diesem steril komponierten, lieblos heruntererzählten Roman wenig. Ein Buch wie ein vernieselter Herbstnachmittag: Man bringt ihn - also es - möglichst schnell hinter sich und vergisst das ganze sofort wieder.

  • Anfangs habe ich das Buch mit großem Interesse gelesen, z. B. wie Fitz und Joanie in den inneren Kreis von Leary geraten sind.

    Aber irgendwann hat es mich nicht mehr so begeistert. Manche Personen und ihre Beweggründe blieben mir fremd.

    Manchmal wurden Episoden erzählt, bei denen ich den Eindruck hatte, jetzt würde der Grundstein für spätere Ereignisse gelegt, und dann kam nichts.

    Und am Ende hatte ich das Gefühl, in der Luft zu hängen.