Colson Whitehead - "Die Nickel Boys"

Die tiefgreifenden System-Arbeiten sind soweit abgeschlossen. Weitere Arbeiten können - wie bisher - am laufenden System erfolgen und werden bis auf weiteres zu keinen Einschränkungen im Forenbetrieb führen.
  • Gebundene Ausgabe: 224 Seiten

    Verlag: Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG (3. Juni 2019)

    Sprache: Deutsch

    ISBN-10: 3446262768

    ISBN-13: 978-3446262768



    Inhaltsangabe:



    Florida, Anfang der sechziger Jahre. Der sechzehnjährige Elwood lebt mit seiner Großmutter im schwarzen Ghetto von Tallahassee und ist ein Bewunderer Martin Luther Kings. Als er einen Platz am College bekommt, scheint sein Traum von gesellschaftlicher Veränderung in Erfüllung zu gehen. Doch durch einen Zufall gerät er in ein gestohlenes Auto und wird ohne gerechtes Verfahren in die Besserungsanstalt Nickel Academy gesperrt. Dort werden die Jungen missbraucht, gepeinigt und ausgenutzt.



    Autoreninfo:



    Colson Whitehead, geboren 1969 in New York, studierte in Harvard und arbeitete als Journalist und Fernsehkritiker. Für seinen Roman "Underground Railroad" wurde er mit dem National Book Award 2016 und dem Pulitzer-Preis 2017 ausgezeichnet. Colson Whitehead lebt in Brooklyn.



    Meine Meinung:



    Titel: Wenn Willkür das Leben verändert...



    Ich hatte sehr viele positive Stimmen zu dem Buch vernommen und wollte mir eine eigene Meinung bilden. Ich habe das Lesen dieses Buch nicht bereut, denn trotz der geringen Seitenzahl erzählt es von so viel mehr.



    In der Geschichte geht es um Elwood, der als Farbiger bald das College besuchen darf. Leider wird er durch Zufall wegen Autodiebstahls beschuldigt und landet im Nickel, einer Besserungsanstalt für Jugendliche. Wird das Nickel ihn brechen können?



    Zunächst einmal muss ich gestehen, dass ich diesen Roman nicht in einem Rutsch lesen konnte. Für mich war das Geschilderte teils so bedrückend, dass ich beim Lesen immer mal wieder innehalten musste.



    Der Roman, der während der 60er Jahre in Amerika spielt, schildert sehr eindrücklich die Unterdrückung der Farbigen anhand des Anstaltslebens.



    Elwood als Figur ist wirklich jemand, den man gern hat. Von den Eltern verlassen, probiert er dennoch sein Bestes zu geben. Und trotz allen Einschränkungen versucht er immer wieder an das Gute im Menschen zu glauben, auch wenn er dauernd enttäuscht wird. Sein Schicksal hat mich zutiefst berührt.



    Beim Lesen hatte ich immer mal wieder eine Gänsehaut. Solche Grausamkeiten, die den Jungen dort passieren, kann man sich nicht wirklich vor Augen führen. Es ist schon erstaunlich wie Menschen mit etwas mehr Macht zu Gewalt den Unterdrückten gegenüber neigen und sich immer noch im Recht fühlen.



    Die Gewalttaten werden nicht beschönigt geschildert, aber auch nicht blutrünstig ausgemalt. Vieles bleibt der Fantasie eines jeden Lesers überlassen, was mir gut gefallen hat.



    Positiv hervorheben möchte ich zudem die Umschlaggestaltung, die es ermöglicht, dass das Buch ohne Plastik ausgeliefert werden kann.



    Fazit: Ein Roman der seinesgleichen sucht. Mich hat er mitten ins Herz getroffen, weshalb ich nur eine klare Leseempfehlung aussprechen kann. Klasse!



    Bewertung: 10/ 10 Eulenpunkten


    ASIN/ISBN: 3446262768

  • Harte Kost mit realem Hintergrund


    Obwohl ich den noch erfolgreicheren Vorgänger-Roman von Colson Whitehead bislang noch nicht gelesen hatte, haben mich die grundlegende Idee und Handlung von "Die Nickel Boys" gleich zu Anfang gepackt. Mit Bildern aus dem Film "Sleepers" im Kopf, der die Misshandlung von jugendlichen Straftätern eindringlich schildert, war ich auf das Unrecht, die harten Strafen, die Misshandlung und die stete Angst vor neuen Gewalttaten vorbereitet.


    Dass der Autor dabei mit Blick auf die Dozier School for Boys auf ein reales Beispiel zurückgreift, macht die geschilderten Szenen nur umso erschreckender. Gleichzeitig ist der Schreib- und Erzählstil aber äußerst sachlich gehalten und eine richtige Beziehung bzw. ein "Hineindenken" in die Protagonisten ist mir schwer gefallen. Nur bei Elwood, dem zu unrecht verurteilten Jungen, der idealistisch den Reden Martin Luther Kings lauscht und zu Anfang noch an eine bessere Welt glaubt, ging mir das anders.


    Dass die ehemaligen Schüler, wenn sie denn lebendig diesem Elend entkommen, für ihr restliches Leben gezeichnet sind, lässt den Leser nachdenklich zurück. Eine ernsthafte, sachlich geschilderte Geschichte, die man so schnell nicht vergisst!


  • Tallahassee (Südflorida) Anfang der 1960er-Jahre: Der 16-jährige Elwood Curtis lebt bei seiner Großmutter in einem schwarzen Ghetto, nachdem seine Eltern abgehauen sind. Der farbige Jugendliche ist ein glühender Fan von Martin Luther King und träumt davon, aufs College zu gehen. Er legt viel Fleiß an den Tag, um dieses Ziel zu erreichen. Tatsächlich erhält er die Möglichkeit, seinen Traum zu verwirklichen. Doch dann kommt alles ganz anders. Wegen eines Missverständnisses, ausgelöst durch seine Hautfarbe, wird Elwood zum Opfer eines Justizirrtums und landet in der Besserungsanstalt „Nickel Academy“. Dort muss er Tag für Tag Willkür und unvorstellbare Brutalität über sich ergehen lassen.


    „Die Nickel Boys“ von Colson Whitehead ist ein Roman, der die Themen Rassismus und Gewalt in den Vordergrund stellt.


    Meine Meinung:

    Der Roman besteht aus drei Teilen und insgesamt 16 Kapiteln. Vorangestellt ist ein Prolog. Zudem gibt es einen Epilog. Erzählt wird vorwiegend, aber nicht nur aus der Sicht von Elwood. Immer wieder gibt es Zeitsprünge, die mir jedoch keine Probleme bereitet haben.


    Der Schreibstil ist unaufgeregt, recht nüchtern und ein wenig distanziert, aber dennoch intensiv und einfühlsam. Allerdings wirkt die deutsche Übersetzung stellenweise holprig und hat leider einige idiomatische Schwächen. Der Einstieg in die Geschichte fiel mir dennoch leicht.


    Mit Elwood steht ein junger Protagonist im Mittelpunkt, der mit seiner ehrlichen, vielleicht schon etwas naiven Art meine Sympathie gewinnen konnte. Seine Entwicklung wird authentisch und nachvollziehbar geschildert.


    Obwohl die Handlung insgesamt recht spannungsarm ist und erst gegen Ende mit einer Wendung so richtig überrascht, kommt beim Lesen keine Langeweile auf. Das liegt nicht nur an der eher geringen Seitenzahl, sondern vor allem am Inhalt.


    Die Themen im Roman haben es in sich und machen betroffen. Es geht um Rassismus, Hass und Diskriminierung, um Missbrauch, Unterdrückung, Willkür und andere Formen von Gewalt. Dadurch ist die Geschichte keine leichte Kost. Sie regt nachdrücklich zum Nachdenken an und wühlt auf. Zwar spielt der Roman in der Vergangenheit, doch lassen sich auch Bezüge zum Geschehen der heutigen Zeit erkennen, was der Lektüre Aktualität verleiht.


    Gut gefallen hat mir, dass der Roman – trotz des fiktiven Charakters Elwood – auf wahren Begebenheiten beruht. Tatsächlich gab es in Florida eine solche Besserungsanstalt, allerdings mit dem Namen „Dozier School for Boys“. Das ist im Nachwort zu erfahren, das die fundierte Recherche des Autors belegt. Durch die literarische Verarbeitung wird die Aufmerksamkeit auf diese grauenvolle Episode der Vergangenheit gelenkt, was ich wichtig finde.


    Das sehr reduziert gestaltete Cover passt gut zum Inhalt. Gut gefällt mir auch, dass man sich am prägnanten amerikanischen Originaltitel („The Nickel Boys“) orientiert hat.


    Mein Fazit:

    „Die Nickel Boys“ von Colson Whitehead ist ein aufrüttelnder, tiefgründiger Roman über ein dunkles Kapitel der amerikanischen Geschichte. Besonders aufgrund seiner Thematik kann ich das Buch empfehlen.


    Ich vergebe 4 von 5 Sternen.

  • Lesenswert, aber nicht immer gelungen


    dreisterne.gif


    Elwood Curtis wurde von seinen Eltern verlassen und lebt bei der Großmutter, er jobbt in einem kleinen Laden und träumt vom Highschoolabschluss. Er würde außerdem gerne mal ins Kino gehen oder in einem dieser Restaurants, die er für schick hält, wenigstens ein Glas Limo bestellen, aber solche Dinge sind ihm verwehrt, denn Elwood ist schwarz und dies sind die südlichen U.S. of A. Anfang der Sechzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts. Die sogenannten Jim-Crow-Gesetze gelten noch, die die Rassentrennung festschreiben, und nach denen man beispielsweise fürs versehentliche Anrempeln eines Weißen hart bestraft wird, wenn man selbst nicht weiß ist. Doch Reverend Martin Luther King macht von sich reden, und das Civil Rights Movement verzeichnet erste, kleine Siege.


    Elwood jedoch hat großes Pech im kleinen Glück. Eine Highschool bietet ihm ein Stipendium an, aber auf dem Weg dorthin trampt der Junge unwissentlich in einem gestohlenen Auto. Im Ergebnis wird er im „Nickel“ kaserniert, einer Besserungsanstalt für Jungen. Dort gibt es zwar keine Bildung und auch nicht wirklich Besserung, dafür aber beispielsweise das „Weiße Haus“, einen weißlackierten Lagerschuppen, in dem ein mächtiger Industrieventilator hängt, der die Geräusche übertönt, wenn dort ein Junge ausgepeitscht wird. Weiter hinten auf dem Gelände stehen zwei mächtige Eichen mit Ketten und Eisenringen daran, und wer dort einmal festgemacht wird, kehrt nicht lebend in sein Wohnheim zurück. So ergeht es dem jungen Boxtalent, das sich bei den Runden verzählt und deshalb die Wetten des Anstaltsleiters ruiniert. Die Aufseher sind Sadisten und Klan-Mitglieder, und das halbwegs gute Essen, das die Jungs eigentlich bekommen sollten, wird nachts an die Restaurants der benachbarten Kleinstadt verscherbelt. Den Schülern auf dem südlichen Teil des Geländes geht es deutlich besser, aber die sind ja auch weiß.


    Der Roman, der auf der Geschichte einer Einrichtung basiert, die es (wie viele sehr ähnliche) tatsächlich gegeben hat, beginnt damit, dass Archäologiestudenten die beiden Friedhöfe der seit ein paar Jahren geschlossenen Anstalt ausheben, den offiziellen und einen zweiten, auf dem offenbar die Jungs landeten, die man nach einem Besuch bei den Eichen oder einer zu intensiver Bestrafung im Weißen Haus oder ähnlichen Geschehnissen in der „Lover’s Lane“ als vermisst gemeldet hat. Dann erzählt Colson Whitehead davon, wie Elwood praktisch unschuldig im „Nickel“ landet, relativ schnell auch das Weiße Haus kennenlernt und von den Methoden dort und vom allgegenwärtigen Rassismus gebrochen wird. Am Ende kehrt der Roman in die Jetztzeit zurück, aber das Ende ist ein wenig verwirrend und dramaturgisch nicht ganz nachvollziehbar.


    Dies gilt leider auch für weite Strecken der Erzählung, die fulminant beginnt, aber dann seltsam unentschlossen weitergeht. Whitehead scheint sich nicht so recht entscheiden zu können, wie und von wem er im Kern erzählen will, er springt nach der gelungenen Eröffnung plötzlich zwischen seinen Figuren, zu denen er eine Form von Distanz aufbaut, die die sachliche, nüchterne Erzählweise steigert, so dass die Emotionalität oft auf der Strecke bleibt. Der Autor will offensichtliche alle Wertung dem Leser überlassen und ihn nicht zu Urteilen drängen, er versagt seinen Protagonisten deshalb starke Gefühle oder Gefühlsäußerungen, und wenn derlei unvermeidlich zu werden scheint, wechselt er das Thema oder die Perspektive. Das funktioniert leider nicht immer gut, und manchmal sogar so schlecht, dass die Story zu versanden droht, weshalb sie an Dringlichkeit und Macht einbüßt.


    Aber „Die Nickel Boys“ ist trotzdem sehr lesenswert. Das ist alles noch nicht sehr lange her, und wie so viele dunkle Kapitel der menschlichen Geschichte, von denen es unterm Strich deutlich mehr als helle zu geben scheint, ist höchstens halbherzig aufgearbeitet, wovon da Mitte der Sechziger das Ende eingeläutet wurde, das noch längst nicht erreicht ist. Die Opfer und Überlebenden mussten sich damit zufriedengeben, dass immerhin die Gesetze geändert wurden, dass gleiche Rechte fortan zumindest theoretisch galten, aber tiefere, weitgehende Untersuchungen, gar Wiedergutmachungen blieben überwiegend aus, um die Gesellschaft nicht fundamental zu erschüttern. Es gelingt Whitehead gut, diesen Aspekt herauszuarbeiten, ohne das in (berechtigten) Zorn umschlagen zu lassen, aber erzählerisch und dramaturgisch hat die eigentlich packende, hochdramatische und tieftraurige Geschichte von Elwood und seinen Leidensgenossen noch eine Menge Luft nach oben.


    (Weil er oben fehlt, hier noch der Buchlink:)

    ASIN/ISBN: 3446262768

  • Colson Whitehead – Die Nickel Boys

    Übersetzer: Henning Ahrens


    Inhalt:


    Florida in den 60er Jahren: Der junge Elwood lebt bei seiner Großmutter in Tallahassee. Begeistert hört er die Reden von Martin Luther King, beteiligt sich an der Bürgerrechtsbewegung und träumt davon, sein Idol einmal live zu sehen. Elwood ist ernst und strebsam, und vielleicht wird er als erster in seiner Familie sogar das College besuchen können. Doch dann steigt er ein einziges Mal zu der falschen Person ins Auto und landet in der „Nickel Academy“, einer Besserungsanstalt für Jungen. Dort ist eine andere Welt, in der die Jungen ausgenutzt und verprügelt werden. Und manchmal verschwinden sie einfach.


    Meine Meinung:


    Das ist ein sehr bedrückendes Buch. Es fiel mir schwer, zu lesen, welchen Ungerechtigkeiten Elwood von Kind an ausgesetzt war, wie er ausgenutzt und manipuliert wurde. Und das nur, weil er schwarz war. Ja, natürlich wusste ich vorher schon, um was es in dem Buch geht, aber es ist etwas anderes, es mit Elwood zu erleben, und zu wissen, dass man gegen die Erwachsenen mit ihren „lustigen Streichen“ chancenlos ist. Aber noch kann man mit Elwood hoffen, dass er sich aus dem Elend herausarbeiten kann.


    Als Elwood aber in der „Nickel Academy“ landet, ist für Optimismus kein Platz mehr, hier geht es nur noch ums Überleben. Die Jugendlichen sind der Willkür ihrer Aufseher ausgeliefert, und wer sich beschwert, wird vielleicht zu denen gehören, die nach einem Besuch im „weißen Haus“ auf dem Gelände nicht mehr zurückkommen. Elwood findet einen Freund in Turner, der ihm die Grundregeln der Nickel Academy beibringt. Und er lernt, über das Erlebte zu schweigen. Diese kollektive Schweigsamkeit machte mich beim Lesen noch mehr fertig als die Grausamkeiten, die den Jungen angetan wurde. Der Autor schildert die Geschichte sehr distanziert, was die Sprachlosigkeit noch eindringlicher wirken lässt. Es ist wirklich so, als wäre eine unsichtbare Mauer um jeden Jungen gezogen, aber ich denke, nur so kann man in dieser Umgebung überhaupt überleben: Indem man sich in sich zurückzieht, niemand etwas erzählt und auch bei anderen niemals nachfragt. Dies liegt wie ein ungeschriebener Vertrag über den Jungen.


    Der Roman ist keine leichte Kost, aber es ist wichtig, über die dunklen Kapitel zu schreiben bzw. zu lesen, die sich vielleicht auch ganz in unserer Nähe ereignet haben. Es wäre zu einfach, zu sagen, dass so etwas nur im „bösen Amerika“ passieren konnte.


    Der Autor greift mit seinem Roman auf tatsächliche Ereignisse zurück, die sich in der „Dozier School for Boys“ ereignet haben. Im Internet lassen sich etliche Artikel dazu finden.