Der Zopf von Laetitia Colombani

  • Würde uns das Verhalten bei einem Mann auch so stören???

    Das wohl weniger - Männer werden einfach nicht schwanger.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Virginia Woolf: Orlando

  • Männer werden einfach nicht schwanger.

    Das ist aber auch der einzige Unterschied. Ich finde dies mit dem Verschweigen von gleich zwei Schwangerschaften etwas unglaubwürdig. Eine war davon auch noch eine Zwillingsschwangerschaft.


    Und gesellschaftlich muss man wirklich sagen: Männer dürfen das und machen dies tausendfach. Früher wahrscheinlich noch viel häufiger als heute. Männer sind früher nach der Schicht erstmal in die Kneipe zum Saufen gegangen oder waren irgendwo mit ihren Sekretärinnen unterwegs. Vor 15 Jahren hatte sich mal ein Chef im Gespräch mit mir darüber aufgeregt, weil bei einem unserer Kunden ein Mitarbeiter in Elternzeit ging. Damals war das noch neu und ungewohnt und für meinen Chef der Frevel schlechthin.

  • Bei mir ist es auch zwei Jahre her, dass ich den Roman gelesen habe. An manches kann ich mich noch gut erinnern.

    Leben und denken die auch immer noch in ihrem Kastensystem?

    Ja, immer noch. In der größten Zeitung des Landes "Time of India" spielt dies in den Kontaktanzeigen noch eine Rolle. Wenn ich mich richtig erinnere wird es umschrieben, da es offiziell keine Kasten mehr gibt.


    Frauen sind oft Menschen zweiter Klasse und werden auch so behandelt. Schwiegertöchter werden mit Säure überschüttet oder erleiden schwerste Brandverletzungen.

    Achso... da hast Du Recht. Nein, dort war ich noch nie. Wäre sicher spannend.

    Es ist schon ein eindrucksvolles, buntes Land, aber es gibt sehr viel Armut. In manchen Gegenden kaum sanitäre Anlagen, entsprechend ist der Geruch.

  • Die Erzählung um Smita und Lalita fand ich am eindrücklichsten, allein schon deswegen, weil das für mich alles exotisch und unbekannt ist. Religion wirkt da wie eine Droge und jeder versucht den anderen zu betrügen und auszunehmen. Nicht einmal dem Kartenverkäufer bei der Bahn kann man vertrauen und überall musste Smita aufpassen, dass ihr nicht auch noch die letzten Lumpen im Schlaf geklaut werden.


    Der blödsinnige Glaube an irgendeinen Gott hat zur Folge, dass die Menschen barfuß oder auf Knien einen Berg hochrobben und ihre Haare spenden und opfern und sich anschließend durch diese Aufopferung sogar noch glücklich fühlen. Das, was wirklich passiert ist, dass ein Engländer nach dem Verkauf der Haare Cocktails am eigenen Pool schlürfen kann. Aufgebaut auf dem Elend von anderen Menschen.

    In diesem Fall gehört die Religion quasi zum Bildungssystem der Ungebildeten. Smita weiß nur das, was sie von ihren Eltern und nächsten Nachbarn gehört hat. Sie hatte nie andere Quellen oder auch nur die Idee gehört, dass ihr Glaube angezweifelt werden könnte. Erstaunlich genug, dass sie sich gegen die tradierte Lebensweise auflehnt.


    Das Verhalten des Brahmanen fand ich krass aber leider typisch für deren Selbstverständnis. Sie glauben ja von den Göttern selbst abzustammen und jeder anderen Kaste überlegen zu sein. Klar, dass dieser Lehrer die kleine Dalit als nicht würdig findet, sich aus ihrem Schmutz zu erheben.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Virginia Woolf: Orlando

  • In diesem Fall gehört die Religion quasi zum Bildungssystem der Ungebildeten.

    Ja, damit und den folgenden Worten hast Du sicher recht. Ich würde es nur nicht Bildungssystem, sondern eher Fessel der Ungebildeten nennen. Man könnte denen erzählen, dass sie nackt und auf Knien einen Berg hochrobben sollen und sich oben einen Finger abschneiden müssen. Solange sie glauben, sie würden anschließend von irgendeinem Gott belohnt werden, würden viele das sofort machen. Religion kann leider so leicht missbraucht werden.

  • Ja, so war und ist es immer und überall.

    Andererseits kann ein fester Glaube auch Sicherheit und Bestätigung geben. Smita hätte sich wohl nicht aus ihrer Hütte getraut, wenn sie sich nicht grundlegend von ihrem Gott beschützt fühlen würde.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Virginia Woolf: Orlando

  • Ich bin mit dem Buch noch nicht ganz durch, aber sehr fasziniert von der Geschichte.


    Insbesondere Smitas Geschichte finde ich spannend. Wir in unserer Wohlstandsgesellschaft können uns doch kaum vorstellen, dass Menschen unter solchen Umständen leben. Umso mehr bewundere ich Smita dafür, wie sie sich für ihre Tochter einsetzt.


    Mit Sarah kann ich dagegen nicht wirklich etwas anfangen.


    Giulia kann ich für mich noch nicht einordnen.


    Ich lese mal den Rest des Buches, vielleicht ändert sich das Bild, das ich von den Frauen habe, dann noch.

  • Wir driften stark vom Buch ab ;) auch wenn Religion dort eine große Rolle spielt. Hast Du das Buch auch gelesen Ellemir ?


    Religionen sind ja Philosophien oder Weltanschauungen, die durch Menschen entwickelt wurden. Davon als Grundannahme ausgehend, kann man zwischen Menschen und Religion kaum unterscheiden.

  • Ja, habe ich und ich fand es großartig.


    Ich denke schon, dass man zwischen Menschen und den Instrumenten, die sie für verschiedene Zwecke entwickeln, unterscheiden sollte. Das Instrument als die Ursache zu definieren, ist einfach zu kurz gedacht. Man unterscheidet ja auch zwischen dem Zimmermann und seinem Hammer.


    Das Buch hat mir ziemlich gut gefallen. Sehr schön fand ich auch, dass es genau 3 Handlungsstränge sind, die miteinander verflochten werden, genau wie die meisten klassischen Zöpfe aus drei Haarsträngen geflochten werden.


    Ich glaube, ich hatte etwas mehr Mitgefühl mit Sarah als die meisten hier. Natürlich hat sie ihren Anteil an der Arbeitssituation, aber ganz ehrlich - welche Alternative hätte sie denn? Ist sie nicht genau so in ihrer Kultur gefangen, die nun einmal einen bestimmten Umgang miteinander in der Arbeitswelt fördert? Wer Schwäche zeigt, verliert - genau wie in der indischen Kultur der Schwächere unterdrückt, ausgenommen und bestohlen wird. Nur mal so ein paar Gedanken...

  • Das ist aber auch der einzige Unterschied. Ich finde dies mit dem Verschweigen von gleich zwei Schwangerschaften etwas unglaubwürdig. Eine war davon auch noch eine Zwillingsschwangerschaft.

    Och, das mit dem Verschweigen geht bei manchen problemlos. Ich hatte mal eine Kollegin, der man bis zum Mutterschutz nicht den Hauch ihrer Schwangerschaft angesehen hat.

  • Mich zieht es dort auch nicht hin. Dieses ganze Elend dort direkt zu sehen, würde mich frustrieren. Ich verstehe nicht, wie sich Urlauber da amüsieren können. Mir wäre es schrecklich peinlich mit meinem Reichtum zu protzen - und verglichen mit diesen Ärmsten ist jeder, der da Urlaub machen kann, unanständig reich.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Virginia Woolf: Orlando

  • Religionen sind ja Philosophien oder Weltanschauungen, die durch Menschen entwickelt wurden. Davon als Grundannahme ausgehend, kann man zwischen Menschen und Religion kaum unterscheiden.

    Religionen sind aber mehr als nur Philosophien oder Weltanschauungen. Sie geben den Gläubigen Struktur und Lebensinhalt. Die meisten Menschen haben ein Bedürfnis an ein (oder mehrere) höhere Wesen zu glauben. Das wertet auch ihre eigene Existenz auf. Smita fühlt sich in ihrer Position als Teil der geordneten Welt.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Virginia Woolf: Orlando

  • Och, das mit dem Verschweigen geht bei manchen problemlos. Ich hatte mal eine Kollegin, der man bis zum Mutterschutz nicht den Hauch ihrer Schwangerschaft angesehen hat.

    Gab es in der Familie von meiner Mama auch. Mit Zwillingen schwanger gewesen und man hat nichts gesehen. Als sie mit Wehen ins Krankenhaus kam, haben die dort gedacht, dass sie sich einen Scherz erlaubt. War nicht so. Sie hat nur keinen Babybauch gehabt.


    Ich glaube, ich hatte etwas mehr Mitgefühl mit Sarah als die meisten hier. Natürlich hat sie ihren Anteil an der Arbeitssituation, aber ganz ehrlich - welche Alternative hätte sie denn? Ist sie nicht genau so in ihrer Kultur gefangen, die nun einmal einen bestimmten Umgang miteinander in der Arbeitswelt fördert? Wer Schwäche zeigt, verliert - genau wie in der indischen Kultur der Schwächere unterdrückt, ausgenommen und bestohlen wird. Nur mal so ein paar Gedanken...

    Mir tat Sarah leid. Ganz ehrlich. Ok, sie hat sich bestimmt auch nicht immer korrekt verhalten. Hat sich aus vielem privatem auf der Arbeit raus gehalten. Vielleicht hat sie auch ein völlig falsches Denken davon, was von ihr erwartet wird. Sie musste hart kämpfen, um an so weit zu kommen.

    Dennoch sind die Reaktionen auf ihre Erkrankung für mich unverständlich.

    Ja, der Arbeitgeber muss für Ersatz sorgen. Aber jemanden so fallen zu lassen, ist in meinen Augen unschön.

    Ich kenne das auch anders. Und bin auch froh darum. Dazu kommt, dass ich dieses hintenherum Getuschel überhaupt nicht mag. Jemanden ausgrenzen, weil er krank ist, geht auch nicht.

    Es geht uns mit den Büchern wie mit den Menschen. Wir machen zwar viele Bekanntschaften, aber wenige erwählen wir zu unseren Freunden, unseren vertrauten Lebensgefährten.
    Ludwig Feuerbach (1804-1872)

  • Für mich war das Buch zu kurz und die Geschichte(n) nicht fertig erzählt. Wie ging es Euch mit dem Ende?

    Fand ich auch. Ich habe die Geschichten für mich gleich weitererzählt. Allerdings ohne Happy Ends für alle drei.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Virginia Woolf: Orlando