Die ersten drei Sätze eures aktuellen Buches (ab 23.08.2020)

  • Es war eine Lust, Feuer zu legen.

    Es war eine besondere Lust, zu sehen, wie etwas verzehrt wurde, wie es schwarz und zu etwas anderem wurde.


    Das Stahlrohr in der Hand, die Mündung dieser mächtigen Schlange, die ihr giftiges Kerosin in die Welt hinausspie, fühlte er das Blut in seinen Schläfen pochen, und seine Hände waren die eines erstaunlichen Dirigenten, der eine Symphonie des Sengens und Brennens ausführte, um die kärglichen Reste der Kulturgeschichte vollends auszutilgen.


    "Drei Dinge sind uns aus dem Paradies geblieben: die Sterne der Nacht, die Blumen des Tages und die Augen der Kinder!" (Dante Alighieri)

  • Die Geschichte nahm einen durchaus prosaischen Anfang. Ich fuhr mit dem Zug durch die endlosen Welten der kasachischen Steppe. Schon die vierte Nacht klopften Streckenwärter an einsamen Haltestationen mit ihren Hämmern gegen die Räder und fluchten etwas Kasachisches vor sich hin, während ich insgeheim stolz darauf war, diese Sprache zu verstehen.

  • Ellie kletterte auf den hässlichsten orangefarbenen Plastikstuhl der Weltgeschichte, stellte sich auf die Zehenspitzen und streckte sich in Richtung Wand. Hinter ihr quietschten Turnschuhe auf dem Linoleumboden der Notaufnahme. "Ich hoffe, Sie demonstrieren gerade nur, was man nicht tun sollte, um für Sicherheit am Arbeitsplatz zu sorgen", sagte eine Stimme kühl.


  • Zum Abendbrot isst er jetzt immer eine Seite aus dem Tagebuch seiner verstorbenen Frau. Er isst sie roh, und er tut es aus Liebe.

    Die Kinder müssen die Seiten zerreissen.

  • Es war am 15. Juni, einem warmen und sonnigen Sommertag, beim Neun-Uhr-Schlag der Rathausuhr, dass die General Slocum mit dem Tuten eines Schiffshorns von ihrem Pier im unteren Manhattan ablegte. Ich erinnere mich an die belebten Decks, mit Frauen und Kindern dicht an dicht, während wir uns in unserem Sonntagsstaat gegen die Reling drängten, um uns einen besseren Ausblick zu verschaffen. Fast ganz Kleindeutschland war da; zumindest schien es mir so.



  • Unser Krieg, der Krieg zwischen den Werwölfen und den Vampiren, begann vor Jahrhunderten mit Ausbrüchen von Gewalt, erreichte seinen Höhepunkt in einem Blutbad und ging - mit Buttercremetorte - ruhmlos zu Ende an dem Tag, an dem ich meinem Ehemann zum ersten Mal begegnete.

    Was ganz zufällig auch mein Hochzeitstag war.

    Nicht gerade der Stoff, aus dem Kindheitsträume gemacht sind.


    “You can find magic wherever you look. Sit back and relax all you need is a book." ― Dr. Seuss

  • Dieses Buch versammelt ausgewählte und überarbeitete Kolumnen und Essays aus den Jahren 2011 bis 2018. Gute Zeiten, um nicht nur den Zerfall des Patriarchats zu beobachten, sondern auch sein letztes Aufbäumen; die vielen Backlash-Bewegungen und die immer und immer wieder vorgebrachten Forderungen, dass es doch jetzt endlich mal genug sei mit dem

    Feminismus.

    Es ist nicht genug. Feminist*innen mussten sich zu jedem Zeitpunkt der Geschichte anhören, dass eigentlich längst alles okay wäre – wenn sie sich nur nicht so anstellen würden!




    Die letzten Tage des Patriarchats – Margarete Stokowski

  • Der ganze lange und hoffentlich schöne Sommer liegt vor ihm. Ohne Arbeit, Verpflichtungen, Aufgaben; sage und schreibe keine einzige Eintragung im Terminkalender, das gab's seit zwanzig Jahren nicht mehr. Oder fünfundzwanzig, oder dreißig.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Aurora, Illinois

    6:32 Uhr, Dienstag, 14. April


    Jeder kannte Norman Levy. Als Professor an der Universität Chicago hatte er talentierte, neugierige Menschen magnetisch angezogen und einen verwandten Geist immer erkannt, wenn er einen sah. Studenten, die nirgendwo so recht hineinpassten, fühlten sich im beengten Büro des Professors oder bei Abendessen, Kaffee und Getränken in seinem Holzhaus am Ende der Cayuga Lane im nahegelegenen Aurora wie zuhause.


  • Ich kam in die Stadt und suchte die Glücklichen, jene, die weg streben. Sie haben keinen Ort, dachte ich, oder sind an der Erde nicht richtig befestigt. Jedenfalls sind sie nie nur da, wo sie sind, und die Ferne liegt ihnen schon auf den Schultern, noch ehe sie aufgebrochen sind, "rastlose Menschen" werden sie von denen genannt, die es nicht sind.

  • Orange und weiß gestreifter Stoff wirbelt um Mayas Beine, während sie sich ausgelassen im Kreis dreht: Obwohl wir uns noch mitten in einer Boutique am Flughafen von San Francisco befinden, kann ich sie mir jetzt schon vorstellen, wie sie mit diesem Kleid an einer hawaiianischen Promenade entlangspaziert und bewundernde Blickeauf sich zieht. Ich hingegen sitze mit mulmigem Gehfühl auf einem Hocker zwischen dem Ganzkörperspiegel und dem Schuhregal, das mit sommerlichen Sandaletten bestückt ist.


  • Es war mein Zusammenprall mit dem Blitz, der meinen Pa dazu brachte, sich intensiv der Fotografie zu widmen. So fing damals alles an. Pa hatte sich schon immer für das Fotografieren interessiert, schließlich kam er aus Schottland, wo solche Künste seit jeher sehr beliebt waren.