'Die Wahrheit über Metting' - Seiten 151 - 216

  • Anfangs dachte ich gar nicht, dass die Mutter so furchtbar werden kann. Von Müttern erwartet man ja eher etwas anderes. Aber wahrscheinlich steht sie auch unter dem Druck des Kleinstadtmiefs. Neben der Ausbildung fehlen aber noch weitere Angaben zu den Eltern. Eigentlich fehlt sogar alles. Sie sind einfach plötzlich da. Interessant wäre für mich vor allem zu wissen, ob sie selbst aus Metting stammen oder ob sie dort nur irgendwie gestrandet sind.

    Sie sind da, wie die Geschichte als solche einfach da ist. Ich finde es jetzt nicht wichtig zu wissen, wo sie herkommen, es ist aber sicher auch ihre Lebensgeschichte, die sie so hat werden lassen.

    Erst war mir die Reaktion der Mutter Tom gegenüber auch recht hart und verkehrt, aber mit etwas Nachdenken kam ich doch zu dem Schluss, das es die einzige logische Reaktion war. Sie richtet sich nicht gegen den Verursacher, sondern den Entdecker. Sonst hätte sie ja ganz bequem weiter mit ihrer Lebenslüge leben können.

  • Was für eine geniale Rache von Filips Mutter! Das hat die schreckliche Lehrerin wirklich verdient.
    Diese Diskriminierungen scheinen ja kein Einzelfall zu sein. War das damals tatsächlich so oder ist es eine Mettingsache?


    Dass Toms Vater schwul ist; hat ja schnell die Runde gemacht. Ich bin froh, dass wir in der heutigen Zeit leben in der sehr vielen Menschen egal ist, welches Geschlecht das Gegenüber bevorzugt. Die schrecken ja vor nichts zurück. Nicht mal davor einen kleinen Jungen auszufragen.

    Tom fühlt sich nach dem Tod von Marieluise und der Abwesenheit von Filip ziemlich einsam und zu Hause sieht es auch nicht rosig aus. Ich wäre an seiner Stelle wohl auch aus Metting geflüchtet.


    Die Sonderschule ist ja grausig. Vor allem; weil er ja tatsächlich nicht dort hin gehört.

  • Ich habe mich auch schon gefragt, ob es seine Erinnerungen sind, die wir hier lesen. Ich sehe es wie du und denke mal, dass es so ist.

    Mir hat sich die Frage gar nicht gestellt, ob dies die Erinnerungen sind, die er als Erwachsener aufgeschrieben hat. Es deutet doch einiges darauf hin. Er erwähnt ja hin und wieder mal, dass etwas anders kam wie erwartet oder eben rückblickend. Der Erzählstil klingt auch sehr erwachsen.

  • Was für eine geniale Rache von Filips Mutter! Das hat die schreckliche Lehrerin wirklich verdient.
    Diese Diskriminierungen scheinen ja kein Einzelfall zu sein. War das damals tatsächlich so oder ist es eine Mettingsache?

    Ich bin ja zu dieser Zeit auch in die Realschule gegangen. So offene Diskriminierung gab es vielleicht unter den Jugendlichen, aber die Lehrer haben eher versucht auszugleichen und uns Toleranz beizubringen. Sie haben damals auch schon auf die Verfolgung der Sinti und Roma im Dritten Reich hingewiesen und dass "Zigeuner" eine falsche Bezeichnung ist.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Tom Liehr: Im wechselnden Licht der Jahre

  • aber die Lehrer haben eher versucht auszugleichen und uns Toleranz beizubringen.

    Da warst Du in einer glücklicheren Lage als viele andere. Es gab in dieser Zeit, die eine Übergangszeit war (aber das sind die meisten Zeiten), an vielen Orten bereits Tendenzen zu mehr Offenheit, Toleranz, sogar Achtsamkeit, aber Lehrer waren nach wie vor relativ unangefochten und mächtig, und die Kids hatten keine Lobby. Und ich habe von (nicht nur ländlichen) Schulen und Lehrern gehört, die bis weit in die Achtziger ganz offene Aggressivität gegenüber Minderheiten gepflegt haben.

  • Vielleicht hatten wir da in Erlangen eine Sondersituation, weil wir eine große Universität haben, wo die Studenten auch damals schon aus der ganzen Welt zusammenkamen, und weil der größte Arbeitgeber (Siemens) auch ein internationaler Konzern ist, der sich mit den unterschiedlichsten Kulturen gut stellen musste und auch von überall her seine Mitarbeiter bezogen hat und zu den Projekten auf der ganzen Welt geschickt hat. Außerdem hatten wir noch die amerikanische Besatzungsmacht in der Stadt, bei der auch ein Gutteil dunkelhäutiger Soldaten oft sichtbar war.

    Einige der Lehrer waren der 68er Studentenbewegung entsprungen und hätten ihre Stimmen gegen offensichtliche Ungerechtigkeiten in ihren Reihen erhoben. Falls da noch Altnazis herumgelaufen sind, haben die sich schön bedeckt gehalten und eher ihre Entnazifizierung hochgehalten.

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    :lesend Tom Liehr: Im wechselnden Licht der Jahre

  • Tante Li : Ja, mir sind damals auch Lehrer begegnet, die zum Jahrzehntewechsel aus den Unis gekommen sind und eine ganz andere Art des Umgangs propagiert haben. Aber die meisten hatten in den Fünfzigern und Sechzigern ihre Lehramtsstudien absolviert und vertraten einen anderen Umgang. Und Lehrer waren damals fast gottgleich. Selbst Eltern haben vor ihnen gekuscht.

  • Sicher waren Lehrer*innen damals noch eher Respektpersonen bei Schülern und Eltern, aber sie hatten auch eine gewisse Selbstkontrolle durch Kollegen oder das Schulamt. Da gab es regelmäßig Lehrproben und Konferenzen. Der gute Ruf einer Schule zeichnete sich auch mit einem vernünftigen Verhalten im Unterricht aus. Wir hatten eben nicht nur ein Gymnasium sondern mindestens fünf, und zwei Realschulen (+ Wirtschaftsschule), so dass eine gewisse Auswahl bestand.

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    :lesend Tom Liehr: Im wechselnden Licht der Jahre

  • Zu meiner Schulzeit war das gerade im Umbruch, allerdings waren Lehrer, wenn es hart auf hart kommt, immer noch sakrosant. Ich habe mehr als einen Lehrer erlebt, der eigentlich nicht tragbar war (Flachmann im Unterricht, um den Pegel zu halten; nicht ganz zufällige Berührungen an unpassenden Stellen, getarnt als Hilfestellung im Sportunterricht...) Nicht einer davon hat ernsthafte Konsequenzen zu spüren bekommen.

  • Flachmann im Unterricht, um den Pegel zu halten

    Das es solche Fälle gibt ist unvermeidlich.
    Lehrer sind auch nur Menschen, der Rest ist Statistik.
    Man braucht ein System, dass das mit einkalkuliert und das war früher weniger der Fall.

    Heutzutage hat man (zumindest hier bei uns) in der weiterführenden Schule 2 Klassenlehrer. Das ist schon mal eine enorme Verbesserung. Vertrauenslehrer ist auch eine ganz wichtige Sache.
    Denn auch heutzutage passieren merkwürdige Dinge in der Schule.

    Ein junges Beispiel das mir einfällt:
    Ein Klassenlehrer der in der 5. Klasse den Klassensprecher wählen lässt. Bei den Vorschlägen zeigen viele Kinder auf, er nimmt 2 dran, schreibt deren beide Vorschläge auf und sagt, ok 2 reichen, dann wählen wir jetzt. Es gibt Proteste, es gibt Kinder, die andere vorschlagen wollten, aber er insistiert, nein 2 Vorschläge reichen.
    Einige Kinder finden das nicht in Ordnung und gehen zur Vertrauenslehrerin.

    In der nächsten Stunde kommt er in die Klasse und übt erst mal solange Druck auf die Klasse aus, bis die Kinder die zur Vertrauenslehrerin gegangen sind, sich zu erkennen geben. Dann macht er klar, dass es nicht ok ist zur Vertrauenslehrerin zu gehen. Eine Klasse wäre wie eine Familie, da würde man auch nicht einfach so zum Jugendamt gehen, wenn es Probleme gäbe, sondern die unter sich klären. Das dürfe nicht mehr vorkommen.

    Ich habe auch schon erlebt, dass Lehrer beim Elterngespräch in Tränen ausbrachen. Nicht weil das Gespräch so verlief, einfach nur aus Überforderung.

    Es sind eben auch alles nur Menschen und es ist ein einfach ein ziemlich großer Querschnitt über die Gesellschaft.

  • Eine Vertrauenslehrerin hatten wir damals auch. Leider war das ausgerechnet die, die von meinen Leistungen wenig gehalten hat und meinen Eltern geraten hat, mich von der Schule zu nehmen. Zum Glück haben die nicht darauf gehört. Ich habe lieber die Klasse wiederholt und mich dann in der neuen Klassengemeinschaft viel wohler gefühlt.

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    :lesend Tom Liehr: Im wechselnden Licht der Jahre

  • Unfassbar, oder? Bei mir war es ein Kunstlehrer, der alle paar Minuten auf ein Schlückchen nach hinten in den Vorbereitungsraum ging.

    Da unser Klassenraum keinen Vorbereitungsraum hatte, musste mein Deutschlehrer am Anfang kreativer sein, da wurde ein ordentlicher Hieb aus dem Flachmann in die Kaffeetasse gegeben, das hat ihn dann über die Stunde gebracht. Später war er dann weniger diskret und hat den Flachmann direkt angesetzt. Ja, aus heutiger Sicht unfassbar, damals haben wir das allerdings als gegeben hingenommen.


    Über den Sportlehrer haben wir uns zwar beschwert, allerdings ist das ziemlich im Sande verlaufen und wir haben daraus gelernt, dass wir gegen Lehrer eh den Kürzeren ziehen.

  • Aber um ein Gegenbeispiel zu bringen:
    Wir hatten einen Lehrer, der immer mal wieder vollkommen fachfremde Sachen im Unterricht mit uns machte.

    Er hat sich aufs Pult gestellt und Goebbels imitiert, um uns zu zeigen, wie dessen Polemik funktioniert und warum die Menschen darauf hereinfielen (dabei hinkte er, weil Göbbels einen Klumpfuss hatte).
    Er erzählte über die Gefahren von Sex, dass die Begierde die Vernunft zu sehr ausschalten kann. Versuchte uns teilhaben zu lassen, an den Sachen, die ihm Freude machten (z.B. Camembert aus Frankreich, nicht das tote unreife Zeug, was es in Deutschland im Supermarkt gibt und nie wieder zum Leben erweckt werden kann).

    Solche Lehrer gab und gibt es auch.

  • Einer meiner Geschichtslehrer hat uns mit den Worten "Seid gegrüßt, Kameraden von der rot-schwarz-weißen Front!" für den Unterricht vorbereitet, aber das war möglicherweise ironisch gemeint. Heutzutage wäre auch das keine Ausrede mehr, die ihn vor der Hinrichtung bewahren würde. ;)

  • Über Lehrer ließe sich glaube ich endlos schreiben. Wir hatten mal einen in Englisch, allerdings nur 2 Klassen lang, dann war er weg, er hatte ein Techtelmechtel mit einer Kollegin, bei dem übersetzten wir generell nur Beatlestexte oder Texte anderer angesagten Bands. Er schwor auch bei Erkältung auf eine Flasche Whisky am Abend und dann ins Bett.

    Ansonsten war ich mit meinen Lehrern sehr zufrieden, es waren allesamt welche die uns etwas beibringen wollten und nicht so schnell aufgaben. Es wurde auch keiner bloß gestellt oder bevorzugt. Da hatte ich wirklich Glück.

  • Ich möchte Tom am liebsten anfeuern, als er an seinem 18. Geburtstag die Stadt verlässt, ihm auf der anderen Seite aber auch erklären, dass man seine Heimat nicht verlassen kann, man nimmt sie mit.


    Sehr berührend fand ich, wie er, statt weiter vorzulesen, die Bewohner aufgefordert hat, ihm ihre Geschichte, ihre Träume zu erzählen.


    Ich bin gespannt auf die nächsten Teile, ich kanns nicht erwarten, den erwachsenen Tom kennenzulernen.

    Ob man seine Heimat mitnimmt, bezweifle ich, denn Heimat ist für mich tatsächlich kein Ort und man kann eine alte Heimat gegen eine neue austauschen. Ich bin ja ein bisschen der Tomás hier in der Runde, auch wenn mein Lebensweg natürlich ein anderer ist und ich 30 nicht 18 Jahre gebraucht habe. ;-)

    Was man definitiv mitnimmt, ist die eigene Geschichte, die man dabei hat, bis man damit abgeschlossen hat. Ich hoffe, das gelingt Tom.

    Er ist ein toller Junge, der sich nicht hat brechen lassen, obwohl die Umstände ja immer übler für ihn wurden.

    Ich finde das von Tom gut gemacht, denn selbst für mich als Leserin war es am Ende genug. Ich möchte jetzt nichts mehr von Toms fürchterlicher Jugend und von diesem "bigotten Kaff" lesen. Es ist Zeit für das, wie Tom trotz oder gerade wegen dem allen sein Leben gelebt hat und lebt. Ich bin gespannt, ob er Marieluise Benedikts weise Ratschläge (sehr schöner, ehrlicher Brief übrigens und passendes Ende von Teil 1 für mich) beherzigen konnte. Die übrigens hilfreich sein können, um die o. a. eigene Geschichte gut abzuschließen.

    Ich freu mich auf Teil 2.