Dörte Hansen - Zur See

  • Klappentext

    Die Fähre braucht vom Festland eine Stunde auf die kleine Nordseeinsel, manchmal länger, je nach Wellengang. Hier lebt in einem der zwei Dörfer seit fast 300 Jahren die Familie Sander. Drei Kinder hat Hanne großgezogen, ihr Mann hat die Familie und die Seefahrt aufgegeben. Nun hat ihr Ältester sein Kapitänspatent verloren, ist gequält von Ahnungen und Flutstatistiken und wartet auf den schwersten aller Stürme. Tochter Eske, die im Seniorenheim Seeleute und Witwen pflegt, fürchtet die Touristenströme mehr als das Wasser, weil mit ihnen die Inselkultur längst zur Folklore verkommt. Nur Henrik, der Jüngste, ist mit sich im Reinen. Er ist der erste Mann in der Familie, den es nie auf ein Schiff gezogen hat, nur immer an den Strand, wo er Treibgut sammelt. Im Laufe eines Jahres verändert sich das Leben der Familie Sander von Grund auf, erst kaum spürbar, dann mit voller Wucht.


    Über die Autorin

    Dörte Hansen, geboren 1964 in Husum, arbeitete nach ihrem Studium der Linguistik als NDR-Redakteurin und Autorin für Hörfunk und Print. Ihr Debüt Altes Land wurde 2015 zum „Lieblingsbuch des unabhängigen Buchhandels“ und zum Jahresbestseller 2015 der SPIEGEL-Bestsellerliste. Ihr zweiter Roman Mittagsstunde erschien 2018, wurde wieder zum SPIEGEL-Jahresbestseller und mit dem Rheingau Literatur Preis sowie dem Grimmelshausen Literaturpreis ausgezeichnet. Dörte Hansen, die mit ihrer Familie in Nordfriesland lebt, ist Mainzer Stadtschreiberin 2022.


    Mein persönliches Fazit

    Dörte Hansen hat mich damals mit ihrem ersten Roman völlig aus den Socken gehauen und seither bin ich in einer Art Hibbelstimmung, wenn ein neues Buch von ihr angekündigt wird. Und wenn einem die Bücher einer Autorin so gut gefallen, hat man ja blöderweise auch immer gewissen Erwartungen... Wie gut, dass Dörte Hansen meine inneren Erwartungen mal wieder mehr als erfüllt hat!

    Dieses Mal nimmt sie uns mit auf eine Nordseeinsel, deren Einwohner zwischen Tradition und Gegenwart pendeln; ihren persönlichen Gedanken und Familiengeschichten.


    Und wieder empfinde ich das Buch als großen Genuss. Die Beschreibungen ihrer Figuren sind hervorragend. Sehr gefühlvoll, mit viel Fingerspitzengefühl ausgearbeitet, sehr liebevoll und facettenreich ohne dabei auszuufern. Kein Wort zu wenig und auch keines zu viel. Man kann sich alle Menschen problemlos vorstellen, kann sich mühelos in ihre Gefühlswelt hineinversetzen. Ihre Figuren sind authentisch und die vielen kleinen und großen Dramen, die Figuren hier erleben und verarbeiten (müssen), haben mich beim Lesen nur noch mehr in die Geschichte reingezogen. Ich konnte gar nicht anders, jedes Geschehnis hat mich mitgenommen und berührt. Sie erschafft eine Stimmung, die mich sofort in die Geschichte reingezogen hat. Keine heile Idylle, eher ein wenig düster und melancholisch.


    Ein Erbsenzähler könnte jetzt monieren, dass es das dritte Buch nach gleichem "Strickmuster" ist. Zum Glück bin ich kein Erbsenzähler und es ist mir auch sehr egal, solange es so gut gemacht ist wie bei Dörte Hansen.


    ASIN/ISBN: 3328602224

  • Bleierne Depression


    Eine Nordseeinsel im Wattenmeer, die Pellworm ebenso sein könnte wie Amrum, Föhr ebenso wie Sylt, darauf eine sich auflösende alteingesessene Familie. Dazu ein Pastor, der seinen Glauben verliert und ein Walkadaver, angeschwemmt am Strand – das ist, knapp gesagt, der ganze Inhalt des neuen Buches von Dörte Hansen, in dem man darüber hinaus so etwas wie Romanhandlung vergeblich sucht. In der Werbung des Verlags hört sich das allerdings so an:


    Die Fähre braucht vom Festland eine Stunde auf die kleine Nordseeinsel, manchmal länger, je nach Wellengang. Hier lebt in einem der zwei Dörfer seit fast 300 Jahren die Familie Sander. Drei Kinder hat Hanne großgezogen, ihr Mann hat die Familie und die Seefahrt aufgegeben. Nun hat ihr Ältester sein Kapitänspatent verloren, ist gequält von Ahnungen und Flutstatistiken und wartet auf den schwersten aller Stürme. Tochter Eske, die im Seniorenheim Seeleute und Witwen pflegt, fürchtet die Touristenströme mehr als das Wasser, weil mit ihnen die Inselkultur längst zur Folklore verkommt. Nur Henrik, der Jüngste, ist mit sich im Reinen. Er ist der erste Mann in der Familie, den es nie auf ein Schiff gezogen hat, nur immer an den Strand, wo er Treibgut sammelt. Im Laufe eines Jahres verändert sich das Leben der Familie Sander von Grund auf, erst kaum spürbar, dann mit voller Wucht. (Penguin Verlag)


    Ohne Zweifel ist Dörte Hansen eine exzellente Erzählerin, das hat sie in „Altes Land“ und noch mehr in „Mittagsstunde“ eindrucksvoll bewiesen. Und auch „Zur See“ atmet durchaus die stilistische Wucht der Autorin, nimmt wieder deren Hauptthema auf: den Niedergang überkommener gesellschaftlicher Strukturen, alter Sitten und Gebräuche, früher einmal ehern hochgehaltener Lebensweisen. Dennoch fehlt ihm neben dem besonderen Quäntchen stilistischer Brillanz, das ihre bisherigen Werke so unwiderstehlich macht, ein ganz wesentliches Element: Handlung. Alles wird nur episodenhaft und ohne echte Romanhandlung erzählt, vor allem aber immer düster, immer schwermütig bis zur Hoffnungslosigkeit. Es grenzt an Effekthascherei, wie sehr die tiefe Depression dieses Buch ganz und gar durchzieht, von Anfang bis Ende. Das allein wäre noch kein Grund zur Kritik, Hoffnungsloses gibt es schließlich durchaus. Nur verliert sich Dörte Hansen hier – manchmal fatal erinnernd an aktivistische Impertinenz – in einer ebenso bedrückend düsteren wie allzu pamphletischen Anklage des Wandels (in diesem Falle des wachsenden Tourismus), der alle Insulaner zu Opfern (sie nennt sie „die Gekränkten“) macht.

    Was von diesem Buch bleibt, ist eine Untergangsstimmung, die allzu konstruiert daherkommt, und die Erkenntnis, dass auch großen KönnerInnen nicht jedes Werk gelingt.


    Penguin Verlag, gebundene Ausgabe : 256 Seiten, 24,00 €

  • Was mich an diesem neuen Roman von Dörte Hansen sofort in seinen Bann gezogen hat, ist die Poesie der Sprache.

    "Man kann am Anfang nicht begreifen, dass die Welt sich einfach weiterdreht. Nicht einmal zuckt. Hendrik Sander ist ertrunken, und die Sonne scheint, der Mond geht auf, die Sterne funkeln. Wie können sie es wagen.


    (. . . .)Zuerst will man die Welt anhalten, aber dann, nach ein paar Monaten, ist man nicht anders als die Erde und der Mond. Geht wieder auf und dreht sich um sich selbst. Versorgt die Alten in den Pflegebetten, kämpft für ein Walskelett, lässt Urnen in die Nordsee sinken, zählt Seevögel und stopft sie aus.

    Aber kein Mensch, kein Hund, kein Mond ist halb so treulos wie die See, die niemanden vermisst, selbst Henrik Sander nicht. Die sich so lieben lässt und keinen je zurückgeliebt hat."


    Es ist eine harte, eine wahrhaftige Poesie, wie die erbarmungslose Nordsee, die nichts verspricht, aber alles hält, was in ihrer Gewalt steht. Und wer in diesem großartigen Roman keine herkömmliche Handlung findet, findet sie vielleicht deshalb nicht, weil er ständig danach sucht. Dörte Hansen kann sich in das Wesen und die Seele ihrer Figuren wunderbar einfühlen. Ihre Schilderungen sind kompakt und eindringlich und es gelingt mir mühelos, alles, was nicht gesagt ist, weiterzuspinnen. Vielleicht braucht man dafür viel eigene Lebenserfahrung. Auf jeden Fall aber Empathie.

  • "Aber kein Mensch, kein Hund, kein Mond ist halb so treulos wie die See, die niemanden vermisst, selbst Henrik Sander nicht. Die sich so lieben lässt und keinen je zurückgeliebt hat."


    Es ist eine harte, eine wahrhaftige Poesie, wie die erbarmungslose Nordsee, die nichts verspricht, aber alles hält, was in ihrer Gewalt steht. Und wer in diesem großartigen Roman keine herkömmliche Handlung findet, findet sie vielleicht deshalb nicht, weil er ständig danach sucht. Dörte Hansen kann sich in das Wesen und die Seele ihrer Figuren wunderbar einfühlen. Ihre Schilderungen sind kompakt und eindringlich und es gelingt mir mühelos, alles, was nicht gesagt ist, weiterzuspinnen. Vielleicht braucht man dafür viel eigene Lebenserfahrung. Auf jeden Fall aber Empathie.

    Einspruch, liebe leselampe.

    "Wahrhaftige Poesie" ist der zitierte Satz nun wirklich nicht, eher nähert er sich peinlich einer schwülstigen Esoterik, die man von dieser Autorin vorher nicht kannte.

    Die See ist kein lebendiges Wesen. Ich befahre sie seit fünfzig Jahren und weiß, welch inniges Verhältnis man zu ihr entwickelt. Nie aber habe ich sie als menschliches, als fühlendes Wesen begriffen, kenne das auch sonst von niemandem, der sie befährt.

    Die See kann nicht treulos sein, kann nicht vermissen, kann sich weder lieben lassen noch selbst lieben. So etwas zu beklagen, ist eine literarisch verunglückte Mystifizierung, wie sie wohl jemand in seinem Dichterstübchen erfinden kann, nicht aber am Ruder eines Schiffes. Solche krampfigen Verdichtungen entspringen keiner "eigenen Lebenserfahrung", ebenso wenig, wie sie Empathie voraussetzen. Man sollte nicht den Fehler machen, Empathie mit esoterischem Schwulst zu verwechseln - wie Dörte Hansen an allzu vielen Stellen ihres Buches.

  • Vielleicht darf ich etwas ein bisschen zurechtrücken, Dieter Neumann. Die Empathie, die du als esoterischen Schwulst bezeichnet, bezieht sich auf die Figuren des Romans, die Dörte Hansen in deren besonderen Situation so gut beschreiben kann. Du verbeißt dich derart in eine Verteufelung der Gefühle, die die See natürlich nicht hat und sonst auch nichts, was dem Gefühlsspektrum von uns Menschen entspräche. Dabei hast du doch ein inniges Verhältnis zu ihr entwickelt. Wie äußert sich das?

    Was im übrigen dein Verständnis von Poesie betrifft, so ist das deine Ansicht. Andere dürfen darin sicher anderer Meinung sein. Oder muss man sich dabei an eine Poesienorm halten? Den Boden der Wirklichkeit verlassen und sich in Wir Menschen können nur interpretieren, weil wir das Wesen der Dinge nicht begreifen und nie begreifen werden. Deshalb beschreiben wir doch vieles, was wir nicht beschreiben können, in Bildern oder Metaphern.

    Du kennst mich nicht, ich weiß von dir nur, dass du fünfzig Jahre zur See gefahren bist, da widerfährt einem so manches. Und ich kann mir auch vorstellen, dass Poesie dabei keine Rolle spielt. Aus einer anderen Perspektive kann es das aber durchaus. Und was die Lebenserfahrung betrifft, bezieht sie sich natürlich auf die Situation der Inselbewohner, die man nachfühlen kann.

    Im übrigen ist ein gutes Buch doch dazu da, Gefühle zu erzeugen, anders als ein Tatsachenbericht oder ein Protokoll. Das macht dieser Roman - jedenfalls bei mir.

    Daher - Einspruch abgelehnt

  • Danke für diese ausführliche und durchdachte Antwort, liebe leselampe.

    Wir werden uns da wohl nicht einig, aber das ist ja nichts Schlimmes. Nur Bücher, über die man streiten kann, sind interessant. Insbesondere kann ich dir nicht folgen, was die von dir mehrfach gelobte Poesie betrifft, die, wie ich meine, in einem Roman wie diesem mit derartig konkretem Gegenwartsbezug nicht allzu viel zu suchen hat.

    :wave

  • Danke für eure Rezensionen. Ich bin am kämpfen, ob ich das Hörbuch noch weiterhöre. Derzeit bin ich bei zwanzig Prozent und warte immer noch darauf, dass es endlich anfängt. Die Handlung ist bisher so emotional wie eine Landschaftsbeschreibung. Ich finde es schlichtweg langweilig... Und nach euren Kommentaren ändert sich der Stil wohl auch nicht.

    “You can find magic wherever you look. Sit back and relax all you need is a book." ― Dr. Seuss

  • Breumel es gab bei der Lesung auch einen Punkt, an dem ich mich gefragt habe, ob ich weiterhören möchte. Da kam es mir so vor, als würde Dörte Hansen ein Klischee ans andere hängen.

    Faszinierend ist dann aber, dass sie das benutzt, um den Menschen dann doch nahe zu kommen, ich möchte fast sagen "auf die Schliche" zu kommen.

    Da tauchen, auch über den Umweg der Sichtweise der Anderen, Emotionen auf und Beziehungen werden sichtbar.

    Vielleicht hilft das beim Durchhalten. :)

  • Ich habe das Hörbuch noch beendet - wäre es kein Hörbuch gewesen, hätte ich abgebrochen. Das war so absolut nicht meins.

    Die ersten 20 Prozent sind so spannend wie eine Landschaftsbeschreibung, nur mit Menschen statt Bäumen. Es passiert kaum etwas, die Perspektivwechsel wirken willkürlich, und keiner der Protagonisten ist sonderlich sympathisch.

    Das ändert sich im Verlauf des Buches nicht wirklich. Man erkennt irgendwann die Zusammenhänge und weiß mehr über die Personen, aber im Grunde genommen war mir ihr Schicksal immer noch herzlich egal. Da es fast keine Dialoge und kaum Innenansichten der Handelnden gibt, schaut man ständig von außen aufs Geschehen. Namen werden auch selten benutzt, so etwas wie "XY dachte ..." "XY sagte ..." gibt es nicht. Das mag ein bewusstes Stilmittel sein - ich finde es nur öde. Ich möchte mit den Figuren der Bücher mitfiebern, mitleiden, ihre Perspektive einnehmen. Das geht hier nicht. Nicht nur einige der Personen sind gefühlskalt, der ganze Schreibstil ist es.

    Von mir definitv keine Leseempfehlung!

    “You can find magic wherever you look. Sit back and relax all you need is a book." ― Dr. Seuss

  • Breumel es gab bei der Lesung auch einen Punkt, an dem ich mich gefragt habe, ob ich weiterhören möchte. Da kam es mir so vor, als würde Dörte Hansen ein Klischee ans andere hängen.

    Faszinierend ist dann aber, dass sie das benutzt, um den Menschen dann doch nahe zu kommen, ich möchte fast sagen "auf die Schliche" zu kommen.

    Da tauchen, auch über den Umweg der Sichtweise der Anderen, Emotionen auf und Beziehungen werden sichtbar.

    Vielleicht hilft das beim Durchhalten. :)

    Mir hat es nicht beim Durchhalten geholfen... ich habe das Hörbuch abgebrochen, ich fand die Personen langweilig und hatte irgendwann keine Lust mehr auf das Gejammere über die doofen Touristen und die ewigen Klischees.

  • Mir hat es nicht beim Durchhalten geholfen... ich habe das Hörbuch abgebrochen, ich fand die Personen langweilig und hatte irgendwann keine Lust mehr auf das Gejammere über die doofen Touristen und die ewigen Klischees.

    chiclana, in gewisser Weise gebe ich Dir Recht. Dörte Hansen bemüht die Touristenklischees übergebührlich und beansprucht damit die Nerven der Leserschaft - einschließlich meiner - aufs Äußerste.

    Zu Gute halten muss man der Autorin, dass ihre Beschreibungen zutreffen und es in den letzten Jahren sowohl an Touristenströmen als auch deren Benehmen immer schlimmer geworden ist; im Kern ist die Kritik durchaus berechtigt. Viel schwieriger empfand ich in diesem Zusammenhang die Einordnung der Einheimischen als Gutmenschen gegenüber den Touristen als Störern. An dieser Stelle fehlte im Roman die Balance, denn unterm Strich, ob Nordseeinsel oder ein anderes Reiseziel, lebt die Tourismusbranche auch von den Störern, und das zuweilen recht gut.

  • Ich habe - vermutlich in Respekt vor den ersten beiden Büchern dieser großen Erzählerin - nicht gewagt, den Begriff "Klischees" in meine Rezeption einzubringen. Danke, liebe chiclana, dass du es tust. Denn es ist leider nur allzu treffend.

    Angefangen damit hat eigentlich Rumpelstilzchen  :grin



    chiclana, in gewisser Weise gebe ich Dir Recht. Dörte Hansen bemüht die Touristenklischees übergebührlich und beansprucht damit die Nerven der Leserschaft - einschließlich meiner - aufs Äußerste.

    Zu Gute halten muss man der Autorin, dass ihre Beschreibungen zutreffen und es in den letzten Jahren sowohl an Touristenströmen als auch deren Benehmen immer schlimmer geworden ist; im Kern ist die Kritik durchaus berechtigt. Viel schwieriger empfand ich in diesem Zusammenhang die Einordnung der Einheimischen als Gutmenschen gegenüber den Touristen als Störern. An dieser Stelle fehlte im Roman die Balance, denn unterm Strich, ob Nordseeinsel oder ein anderes Reiseziel, lebt die Tourismusbranche auch von den Störern, und das zuweilen recht gut.

    :write Ja, da bin ich voll bei Dir.


    Meine Freundin war begeistert von dem Buch und hatte von ein paar typischen Szenen erzählt und kommentiert wie treffend sie das mit einer anderen Freundin im Urlaub dort erlebt hatte und so hatte ich wirklich Lust auf das Buch. Aber meins wars leider überhaupt nicht.