'Auf Tiefe - See- und Küstengeschichten' - Tjark auf Tiefe

  • Klar - der Selbstmord ist konsequent. Aber ich sehe Konsequenz nicht als erstrebenswert. Die Eiche ist konsequent und bricht im Sturm, der inkonsequente Bambus biegt sich und steht wieder auf.

    “You can find magic wherever you look. Sit back and relax all you need is a book." ― Dr. Seuss

  • Deshalb meine kleine Kritik nun am Schluss, die letzten drei Absätze mit den Schweden waren überflüssig.

    Ich hätte darauf verzichtet. Denn der stolze Tjark wird durch diese verspätete Entscheidung zum Verlierer. Das hat er nicht verdient.

    :gruebel Finde ich nicht. Gerade dieser letzte Absatz spiegelt die Tragik eines ganzen Lebens wider. Klar, die Absage des Schwedischen Unternehmens hat sicherlich das Fass zum Überlaufen gebracht. Aber Tjark musste ja sein ganzes Leben mit der Übermacht der großen Unternehmen auseinandersetzen. David gegen Goliath. Ich kann verstehen, dass er müde war, nicht mehr kämpfen wollte. Dass ihm selbst sein geliebtes Schiff nicht mehr gehören sollte, hat er nicht verkraftet.

    Gerade die letzten Sätze zeigen, dass der Einzelne im harten Business nicht zählt, schon gar keine Gefühle. Sie zeigen, dass Tjark für die Firma nur ein Geschäftspartner war, austauschbar. Für Tjark war seine Firma und seine Boote sein Leben. Was zählt im Big Business schon ein Leben?

    Ich fand das Ende stimmig.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Ich kann verstehen, dass er müde war, nicht mehr kämpfen wollte

    Ich habe Tjark nicht als "müde" empfunden, für mich war es eher so, dass er "hocherhobenen Hauptes" in den Freitod gegangen ist (wenn man das so sagen kann, ein besseres Bild fällt mir gerade nicht ein), denn ein paar Minuten vor seinem Tod hat er noch ein Erfolgserlebnis: " Kaum Wasser drin, dachte er und freute sich. Die Boote aus seiner Werft waren bekannt dafür, dass sie schön trocken segelten. Qualität eben." (Im E-book S. 40/41)

  • Ich habe Tjark nicht als "müde" empfunden, für mich war es eher so, dass er "hocherhobenen Hauptes" in den Freitod gegangen ist (wenn man das so sagen kann, ein besseres Bild fällt mir gerade nicht ein), denn ein paar Minuten vor seinem Tod hat er noch ein Erfolgserlebnis: " Kaum Wasser drin, dachte er und freute sich. Die Boote aus seiner Werft waren bekannt dafür, dass sie schön trocken segelten. Qualität eben." (Im E-book S. 40/41)

    Ich meinte "müde" im Sinne von irgendwie weiter machen. Er wollte als Schiffsbauer mit seinen einzigartigen Anfertigungen leben. Er hätte ja auch nach Geschäftsaufgabe und Insolvenz ganz etwas anderes machen können, staatliche Unterstützung beziehen können, da ist ganz viel denkbar. Das wollte er nicht. Selbstbestimmt bis zum Schluss, da gebe ich dir recht. Aber kämpfen wollte er nicht mehr. So habe ich das empfunden.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • (...) für mich war es eher so, dass er "hocherhobenen Hauptes" in den Freitod gegangen ist (wenn man das so sagen kann, ein besseres Bild fällt mir gerade nicht ein), denn ein paar Minuten vor seinem Tod hat er noch ein Erfolgserlebnis: " Kaum Wasser drin, dachte er und freute sich. Die Boote aus seiner Werft waren bekannt dafür, dass sie schön trocken segelten. Qualität eben." (Im E-book S. 40/4IE)

    Wie schön, dass du diese für das Verständnis von Tjarks Gemüts- und Motivationslage wichtige Passage nicht nur bemerkt hast, sondern ihr auch genau die Bedeutung beimisst, die ich ihr geben wollte.

    Es hat schon was, wenn der Autor feststellt, dass sein Zeug verstanden wird ... :freude

    Selbstbestimmt bis zum Schluss, da gebe ich dir recht. Aber kämpfen wollte er nicht mehr. So habe ich das empfunden.

    Sehe ich auch so. Wozu auch? Für jemanden, der so "gestrickt" ist wie Tjark, war das Leben, das er führen wollte, nun zu Ende. Und die Fantasie, sich ein anderes auch nur vorzustellen, hat er nicht. Also handelt er. Konsequent.

  • Ist denn Tjark wirklich ein Verlierer? Er hat seinen Traum jahrelang gelebt. Etwas, das vielen Menschen versagt bleibt. Er hat alles ihm mögliche getan, um sein Unternehmen zu retten.

    Es ist nicht seine Schuld, dass es ihm nicht gelungen ist.

    Und mit weniger als seinem Traum wollte er sich nicht zufrieden geben.

    Das sehe ich eigentlich auch so. :writeNatürlich hätte es auch andere Möglichkeiten gegeben - aber Tjark hat sich (bewusst) für diese entschieden. Das war seine Entscheidung und die passt zu ihm.


    Es ist eine andere Art Kurzgeschichte, als die, die ich bislang in diesem Büchlein gelesen habe. Über einen wesentlich längeren Zeitraum hinweg erzählt, bis auf das Ende ohne große Zuspitzungen und Spannungsmomente. Vielleicht ist sie für mich deswegen etwas weniger beeindruckend, da nicht so prägnant und auf den Punkt zugespitzt. Gerne gelesen habe ich sie aber auch und nach den bisher sehr aufrührenden Geschichten fand ich sie am Ende zwar dramatisch, zwischendurch aber erholsam. Für mich bringt sie eine schöne Abwechslung in die Kurzgeschichtensammlung.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Bei dem Titel hatte ich sofort an die Geschichte von Tjark Evers gedacht, die ja weiter vorne bereits verlinkt wurde. Ist dir diese bekannt Dieter Neumann oder ist die Namensgleichheit Zufall? Ist Tjark im nordischen Raum noch ein üblicher Name?


    Diese Geschichte hat mir auch gut gefallen, allerdings habe ich an zwei Stellen meine Schwierigkeiten:


    Tjark wird ziemlich gut beschrieben, auch über die Geschichte und sein handeln hinweg. Doch die ersten Absätze der Geschichte wirken auf mich ein bisschen „Holzhammerartig“ in der Geschichte - so ist Tjark, lernt ihn kennen, und mit diesem Wissen müsst ihr sein Handeln einordnen. Das finde ich schade, vor allem auch weil es in den vorherigen Geschichten viel subtiler war.


    Und zum anderen fand ich die zeitliche Einordnung schwierig, erst das strikte Erbrecht mit dem älteren Bruder, dann plötzlich die EU und der schwedische Konzern, was die Geschichte ja in die jüngere Geschichte oder Jetzt-Zeit holt. Und dann noch die Auszahlung des Bruders, von einem landwirtschaftlichen Betrieb, was dann nur für eine CNC-Maschine gereicht hat. Das wirkte auf mich irgendwie nicht ganz stimmig.


    Leider, denn es ist eine Kurzgeschichte, die mir gut gefallen hat, Tjark war ein Charakter, dem ich gerne gefolgt bin. Aber durch die Unstimmigkeiten hat es mir die emotionale Verbindung schwer gemacht.


    Beim Ende hätte es natürlich theoretisch weitere Möglichkeiten gegeben, aber dass Tjark diese nicht gesehen hat und den Verlust seines Bootes nicht verkraften könnte, fand ich stimmig.

  • Dieses strikte Erbrecht in der Landwirtschaft, die Höferolle oder Höfeordnung, gibt es immer noch, und ich meine es steht sogar wirklich noch drin, dass der älteste männliche Nachkomme den Hof erbt, die Geschwister werden mit einem geringen Pflichtteil abgefunden.

    Sinn macht das Ganze im Prinzip schon, sonst müsste der Hoferbe zuviel Fläche verkaufen und hätte am Ende keinen überlebensfähigen Betrieb mehr.


    Und dann noch die Auszahlung des Bruders, von einem landwirtschaftlichen Betrieb, was dann nur für eine CNC-Maschine gereicht hat. Das wirkte auf mich irgendwie nicht ganz stimmig.

    Mich wundert da eher, dass es überhaupt für eine CNC Maschine gereicht hat :lache war bestimmt gebraucht.

  • Wen das so ist wie du schreibst Zwergin , dann danke ich dir für die Erläuterung und ich bin froh und erschüttert, das gelernt zu haben. Den Sinn kann ich sogar nachvollziehen, aber da muss es doch heutzutage eine gerechtere Lösung geben, das lässt sich doch mit der heutigen Zeit nicht vereinbaren. Und wenn der älteste Sohn gar nicht den Hof betreiben möchte, müsste auf alle Ansprüche verzichtet werden?

  • Der Hoferbe kann beliebig festgelegt werden, nur wenn keine weiteren Angaben gemacht wurden, erbt automatisch der älteste Sohn.

    100 prozentig weiß ich es nicht, in RLP gelten diese Sonderregelungen nicht und der älteste Sohn, mein kleiner Bruder, wollte den Hof auch gar nicht haben. :lache

  • Ist Tjark im nordischen Raum noch ein üblicher Name?

    Durchaus.

    Und zum anderen fand ich die zeitliche Einordnung schwierig, erst das strikte Erbrecht mit dem älteren Bruder, dann plötzlich die EU und der schwedische Konzern, was die Geschichte ja in die jüngere Geschichte oder Jetzt-Zeit holt. Und dann noch die Auszahlung des Bruders, von einem landwirtschaftlichen Betrieb, was dann nur für eine CNC-Maschine gereicht hat. Das wirkte auf mich irgendwie nicht ganz stimmig.

    Ich denke, die Geschichte spielt ungefähr von 1980 bis um das Jahr 2000 herum.

    Wieviel der Hof wert war, wieviel Tjark als sein Erbteil bekommen hat, wie viele Geschwister er noch hatte, mit denen er es teilen musste - all das weiß ich nicht.

    Und es ist auch ohne Belang.

  • Ich denke, die Geschichte spielt ungefähr von 1980 bis um das Jahr 2000 herum.

    Wieviel der Hof wert war, wieviel Tjark als sein Erbteil bekommen hat, wie viele Geschwister er noch hatte, mit denen er es teilen musste - all das weiß ich nicht.

    Und es ist auch ohne Belang.

    Du hast natürlich Recht, für die Geschichte sind die Details ohne Belang, egal wie die Fragen beantwortet werden, die wirtschaftliche Schieflage wäre durch die äußeren Einflüsse sowieso irgendwann gekommen. Es hatte mich beim Lesen nur irritiert.

  • Du hast natürlich Recht, für die Geschichte sind die Details ohne Belang, egal wie die Fragen beantwortet werden, die wirtschaftliche Schieflage wäre durch die äußeren Einflüsse sowieso irgendwann gekommen. Es hatte mich beim Lesen nur irritiert.

    Und es ist auch gut, dass du das zum Ausdruck gebracht hast. Manchmal fällt einem als Autor nicht auf, dass da etwas leicht "schief" ist. Auch hier würde ich es - nach deinen Anmerkungen - ein wenig anders schreiben.

    Aber in der Tat würde es an dem, was die Geschichte ausmacht, nichts ändern.

  • Ergänzend zu Zwergin möchte ich noch sagen, dass ich die Erbgeschichte nicht aus rechtlicher, sondern aus traditioneller Sicht sehe. Und da ist es auch in meiner Gegend durchaus üblich, dass ein Kind den Hof erbt (mit Rechten und Pflichten!) und die anderen mit einem deutlich geringeren Teil ausbezahlt werden. Vielleicht würden sie und auch Tjark mehr bekommen, wenn sie vor Gericht zögen - aber das machen die wenigsten, weil sie das auch nicht wollen (wie schon geschrieben: für die Betriebe ist diese Regelung durchaus überlebenswichtig).

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Saiya und Ayasha haben es ziemlich gut auf den Punkt gebracht, besser kann ich es sicher nicht schreiben. Danke Euch beiden. Und natürlich danke Dieter Neumann für diese Geschichte.


    Ein Verlierer ist Tjark für mich keineswegs - er hat in seinem Leben viel erreicht, seinen Traum gelebt und sich dann entschieden, sein Leben zu beenden. Nachdem er sich noch einmal vor Augen geführt hat, dass er gute Arbeit geleistet hat (Danke Sonnenschein12 , dass Du die Stelle genannt hast, ich hätte sie vermutlich nicht wieder gefunden). Ich habe ihn als starke Persönlichkeit wahrgenommen.

  • Ich gehe gerade vor meiner abschließenden Rezension noch einmal alle Geschichten durch. Hier muss ich tatsächlich noch anmerken, dass auch ich Tjark als starke, konsequente Person wahrgenommen haben, der mit hoch erhobenem Haupt gegen die Widrigkeiten des Lebens ankämpft. Aber er zieht dabei seine persönliche Grenze, er verbiegt sich nicht über einen gewissen Punkt hinaus. Und als der erreicht ist, beendet er seinen Kampf und sein Leben.


    Nun kann man sich darüber streiten, ob das ein Fehler von Tjark ist oder der Fehler in der Art liegt, wie unsere moderne Welt funktioniert - ich habe Tjark tatsächlich als eine Art Anachronismus wahrgenommen, als jemanden, der in unserer heutigen Welt heraussticht, weil er ganz anders tickt und nicht bereit ist, sich anzupassen und einzufügen. Und genau dieses Hin und Her der modernen Welt, dem Tjark sich durch seinen Ausstieg entzogen hat, wird durch das Ende noch einmal betont.

  • (...) ich habe Tjark tatsächlich als eine Art Anachronismus wahrgenommen, als jemanden, der in unserer heutigen Welt heraussticht, weil er ganz anders tickt und nicht bereit ist, sich anzupassen und einzufügen. (...)

    So sehe ich ihn auch, Ellemir, und mehr noch: Er stellt sich nicht einmal bewusst - und schon gar nicht in einer Protesthaltung - gegen das, was du "unsere heutige Welt" nennst, sondern sein Verhalten liegt schlicht in seiner Natur begründet. Er kann nicht anders handeln als genau so. Er ist eben Nordfriese ... :lache