'Auf Tiefe - See- und Küstengeschichten' - Die Botschaft

  • Ich habe auch eine leidenschaftliche Bernsteinsucherin in der Familie und kann diese Faszination zum Teil nachempfinden. Für den alten Fischer ist es daneben auch noch eine Flucht aus seinem stressigen Ehealltag. Die Goldene Hochzeit wurde wohl nicht gefeiert.

    Schlimm, wenn einem zur Lösung nur noch ein Gewaltakt einfällt!


    Dieser kurze Text beschränkt sich auf die akute Situation und das magische Moment. Mich hätte zumindest noch interessiert, was der Mann geträumt hat, als er neben dem Zauberstein geschlafen hat.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Virginia Woolf: Orlando

  • Sprachlich und stilistisch : wunderbar, einfühlsam, einfach großartig - mit deeem Schluss hatte ich absolut nicht gerechnet, er kam vollkommen überraschend für mich, der letzte Satz hat mich förmlich umgehauen...

    Ein Ehepaar, über 50 Jahre verheiratet, hat sich dermaßen auseinandergelebt, dass nur noch tiefer Hass übrigbleibt. Wie es dazu gekommen ist, bleibt ungesagt, das müssen wir mit unserer eigenen Phantasie füllen. Seine Haltung - soweit bekannt - ist die Flucht in seine Sammelleidenschaft und damit auch die räumliche Flucht vor seiner Frau. Aber da ich viel mit Ehepaaren in Scheidungssituationen gearbeitet habe (zum Glück nie mit dieser Konsequenz!), ist mir sehr wohl klar, dass zu solcher abgrundtiefen Entfremdung in der Regel BEIDE beigetragen haben... Aber da von Paraffinkerzen und Lampen mit Docht die Rede ist, gehe ich davon aus, dass die Geschichte in einer Zeit spielt, wo das Wort "Ehetherapie" noch ein Fremdwort war...

    Als er "den Fund seines Lebens" macht, träumt er (vielleicht), dass für ihn ein Leben ohne seine Frau glücklicher sei?

    Trotz des für mich erschreckenden Endes, merke ich, dass die Geschichte mich zur Zeit noch nicht richtig "loslässt", dass sie noch ziemlich "nachhallt"...


    Aber insgesamt hoffe ich sehr, dass die nächsten Geschichten mal etwas positiver sind...

  • Puh, die Geschichte ist aber auch nichts für die Enkelkinder, Dieter.


    Wir blicken hier in eine dieser Ehen, bei der man als Außenstehender nicht weiß, nicht beurteilen kann, warum die beiden es so lange miteinander ertragen haben und was jetzt anders ist, warum auf einmal diese Gewalttat nötig scheint. Was bringt den alten Mann dazu, zu glauben, hier eine Botschaft zu sehen und zu verstehen? Offenbar sucht er ja schon länger nach dem perfekten Bernstein, steht der Fund hier für ihn für die Erfüllung seines Lebenstraums und damit auch für das Ende? Ist die Beendung seine Ehe das eine, was er noch zu erledigen hat?


    Oder ist die Botschaft real und dies eigentlich eine Schauergeschichte und nicht der Moment des psychischen Zusammenbruchs eines zutiefst unglücklichen Menschen? :/

  • (...) Was bringt den alten Mann dazu, zu glauben, hier eine Botschaft zu sehen und zu verstehen? Offenbar sucht er ja schon länger nach dem perfekten Bernstein, steht der Fund hier für ihn für die Erfüllung seines Lebenstraums und damit auch für das Ende? Ist die Beendung seine Ehe das eine, was er noch zu erledigen hat?


    Oder ist die Botschaft real und dies eigentlich eine Schauergeschichte und nicht der Moment des psychischen Zusammenbruchs eines zutiefst unglücklichen Menschen? :/

    Ich lasse die Fragen lieber noch im Raum stehen (oder hängen), liebe Ellemir. Warten wir mal ab, was dazu sonst noch so kommt ...

    Bin gespannt.

  • Oder ist die Botschaft real und dies eigentlich eine Schauergeschichte und nicht der Moment des psychischen Zusammenbruchs eines zutiefst unglücklichen Menschen?

    Och nöö, an die Schauergeschichte an sich glaube ich eigentlich nicht...

    Ist die Beendung seine Ehe das eine, was er noch zu erledigen hat?

    Das ist ein Gedanke, der mir noch nicht gekommen war... Das muss ich vielleicht in meine Überlegungen einbauen...

  • hm.... Diese Ehe endet also mit einem Knall..... Di Frau hat ihm sein Leben ja wirklich zur Hölle gemacht. Aber sich deswegen des anderen so entledigen? Ich meine, sein Leben ist dann ja auch zerstört. Nichts mehr mit Bernsteinsuchen. Auch wenn er jetzt seinen größten Fund gemacht hat.


    Wobei ich ja sagen muss, dass ich eine Spinne in Bernstein schon gruslig finde..... Vor allem, wenn sie einen so anschaut, wie Dieter Neumann das beschrieben hat :yikes

    Nein, ich mag Spinnen nicht sonderlich...

  • Auch hier zu Beginn wieder mein erster Gedanke, der mir nach dem Lesen der Geschichte kam: "Nicht lang schnacken, Kopf abhacken!". :grin

    Gut gefällt mir, dass hier einem unterdrückten und misshandeltem Mann eine Stimme verliehen wird. Das liest man eigentlich kaum in der Literatur. Auch in dieser Geschichte fühle ich Einsamkeit, Sprachlosigkeit, Unverständnis, Unterdrückung, Verletzungen, Narben, die auf der Seele hinterlassen wurden.

    Dazwischen scheint dann goldenes Licht auf den Bernsteinsammler, wenn er seine Frau vergisst und sich ganz der Suche hingibt. Ein atemberaubender Moment, als der Sammler entdeckt, dass ihm tatsächlich ein großer Fund gelungen ist, dass sich sein Lebenstraum erfüllt hat.

    Am Ende der Geschichte steht für mich die Frage, wie er nun dazu kam, seine Frau auf so brutale Weise zu ermorden. Ein Schlüsselsatz ist für mich:

    Zitat

    Die Spinne bewegt sich, tanzt! (S.25)

    Die Spinne überwindet die Gefangenschaft, das Eingeschlossensein in einer für sie ausweglosen Situation. Ihr Tanz liest sich wie eine Befreiung. Letztendlich befreit sich der Sammler ebenfalls aus seiner Gefangenschaft durch den Mord an seiner Frau. Jahrzehntelange Unterdrückung suchen sich ein Ventil.

    Für meinen Geschmack hätte er auch einfach gehen können.


    Auch eine gelungene Geschichte. Für mich noch dichter.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Die Spinne hat das Animalische in ihm geweckt. Spinnen beißen wohl auch als erstes den Kopf ab.


    Mir ist dieser Text einfach zu kurz. Da fehlt die Vorgeschichte und die Konsequenz der Gewalttat.

    Falls der Bernsteinsucher seine Tat vor der Öffentlichkeit vertuschen kann, würde er Hungers sterben, denn trotz seines Grolls gegen seine Frau hat er sich wohl doch immer wie selbstverständlich an den bereiteten Tisch gesetzt. Von daher wäre es für ihn günstiger, wenn er den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringt, wo er rundum versorgt wird.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Virginia Woolf: Orlando

  • Ich meine, sein Leben ist dann ja auch zerstört. Nichts mehr mit Bernsteinsuchen. Auch wenn er jetzt seinen größten Fund gemacht hat.

    In meiner Phantasie ist der Alte ähnlich geschickt wie der Förster in Loriots Gedicht. Vielleicht vermisst die Frau auch gar niemand.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Dann wäre es ein Roman oder zumindest eine Novelle. :chen

    Natürlich könnte man diesen Stoff auch zum Roman auswalzen, aber selbst für eine Kurzgeschichte ist mir das hier zu kurz - liest sich eher wie ein Beitrag zum Schreibwettbewerb mit beschränkter Wortanzahl.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Virginia Woolf: Orlando

  • Auch hier zu Beginn wieder mein erster Gedanke, der mir nach dem Lesen der Geschichte kam: "Nicht lang schnacken, Kopf abhacken!". :grin

    Oh, Regenfisch , was für ein Gedanke! :yikes Aber herrlich.... :lache  :kiss


    Ich habe mich am Ende gefragt, ob das alles so geschehen ist oder vielleicht doch ein Traum war. Vielleicht gar ein Tagtraum, um nicht zu sagen ein Wunschtraum? :gruebel Ich würde es dem guten Mann von Herzen gönnen, dass er so einen tollen Fund macht. Was aber dann geschah, empfand ich als gruselig und doch auch gleichzeitig faszinierend. Ich glaube sogar, dass meine Augen beim Lesen immer größer geworden sind und ich froh war, nicht in Dunkeln zu sitzen. :chen


    Ich spinne den Gedanken, dass es ein Traum war, Mal weiter: Was wäre dann die Botschaft gewesen? Vielleicht dass es manchmal auch besser ist, wenn sich Träume nicht erfüllen? Ohne die Spinne im Bernstein wäre er möglicherweise nie so weit gegangen, sich seiner Frau so zu entledigen.


    Ja, ich glaube, ich wünsche mir, dass es nur ein Traum war... :zwinker

  • Natürlich könnte man diesen Stoff auch zum Roman auswalzen, aber selbst für eine Kurzgeschichte ist mir das hier zu kurz - liest sich eher wie ein Beitrag zum Schreibwettbewerb mit beschränkter Wortanzahl.

    Also mir hat die Begegnung mit der Spinne so vollkommen gereicht... :zwinker Ich finde, es war alles erzählt und ich konnte auch in dieser Kürze erkennen, wie sehr der Mann unter seiner Frau gelitten hat. Ich weiß nicht, ob mir das so als Roman gefallen würde. :gruebel

  • Die Spinne überwindet die Gefangenschaft, das Eingeschlossensein in einer für sie ausweglosen Situation. Ihr Tanz liest sich wie eine Befreiung. Letztendlich befreit sich der Sammler ebenfalls aus seiner Gefangenschaft durch den Mord an seiner Frau. Jahrzehntelange Unterdrückung suchen sich ein Ventil.

    Ich sehe es so ähnlich. Für mich ist es nicht die reale Spinne, die tanzt, die sich bewegt.

    Es sind seine Gedanken, die endlich frei sind, sich bewegen, ungewohnte Wege gehen können. Und er seinen ihm selbst vorher gar nicht bewussten Mordgedanken erkennt und in die Tat umsetzt.


    Ohne dieses mystische Erlebnis hätte er sicher den Rest seines Lebens in seiner elenden Einsamkeit verbracht.


    Sequana war nicht diese schwarze Spinne eine Verkörperung des Teufels, der eigentlich die Seele eines ungetauften Kindes wollte?