Die Dolmetscherin - Titus Müller

  • Produktinformation (Amazon):

    • Herausgeber ‏ : ‎ Heyne Verlag
    • Erscheinungstermin ‏ : ‎ 13. August 2025
    • Auflage ‏ : ‎ Originalausgabe
    • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
    • Seitenzahl der Print-Ausgabe ‏ : ‎ 416 Seiten
    • ISBN-10 ‏ : ‎ 3453442903
    • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3453442900

    Kurzbeschreibung (Verlag):

    Mit Fakten und Fiktion erzählt Titus Müller eine große Geschichte vor dem Hintergrund historischer Ereignisse

    Asta arbeitet als Dolmetscherin im Kurhotel »Palace« in Mondorf-les-Bains, wo die US-Armee gefangengenommene Nazi-Größen interniert. Am 20. Mai 1945 reist ein neuer Gast an. Er bringt 16 Koffer, eine rote Hutschachtel und seinen Kammerdiener mit. Es ist Hermann Göring, Oberbefehlshaber der Luftwaffe und Hitlers designierter Nachfolger. Asta übersetzt bei den Verhören, reist dann mit nach Nürnberg zu den Prozessen und wird jeden Tag im Gerichtssaal anwesend sein, die abscheulichsten Dinge zu hören bekommen und sie zudem ins Englische übertragen müssen. Umso empfänglicher ist sie für Leonhard, ein junger, sensibler Mann, der ihr sanft den Hof macht. Doch seine Vergangenheit ist undurchsichtig und er stellt verdächtig viele Fragen zu den Prozessen …

    Zum Autor (Verlag):

    Titus Müller, geboren 1977, studierte Literatur, Geschichtswissenschaften und Publizistik. Mit 21 Jahren gründete er die Literaturzeitschrift »Federwelt« und veröffentlichte seither mehr als ein Dutzend Romane. Er lebt mit seiner Familie in Landshut, ist Mitglied des PEN-Clubs und wurde u.a. mit dem C.S. Lewis-Preis und dem Homer-Preis ausgezeichnet. Seine Trilogie um »Die fremde Spionin« brachte ihn auf die SPIEGEL-Bestsellerliste und wird auch von Geheimdienstinsidern gelobt.

    Meine Meinung:

    Als Asta nach Camp Ashtray kommt hat sie nur ein Ziel: Hermann Göring für das bestrafen, was er ihrer Familie angetan hat. Dafür geht sie Risiken ein, die man so sicher nicht erwarten kann und auch Asta ist sich nicht bewusst, mit welchen Mächten sie sich eingelassen hat. Sie schafft es als Dolmetscherin arbeiten zu können und wird dann auch mit zu den Nürnberger Prozessen genommen. Das was sie dort zu hören bekommt und übersetzen muss, fordert sie aufs Äußerste.


    Asta war für mich anfangs ein wenig gewöhnungsbedürftig. Sie ist eine sehr forsche Frau, die nicht immer so handelt, wie es ihre Vorgesetzten von ihr erwarten. Sie verfolgt eigene Ziele, die sie um jeden Preis zu erreichen versucht.


    Dem Autor gelingt es wieder einmal einen Teil der deutschen Geschichte lebendig werden zu lassen. Die Bilder aus den Nürnberger Prozessen sind ja weltbekannt und nun erfahren wir Details dazu. Die Abgebrühtheit der Angeklagten wird hier mit historisch belegten Informationen noch einmal deutlich gemacht. Dabei lernt man auch viel über den damals neu entstandenen Beruf der Simultandolmetscher, die damals hohen Strapazen ausgesetzt wurden.


    Doch nicht nur die Prozesse und damit das historische Großereignis findet Platz im Buch, auch das Leben im zerstörten Nürnberg wird gezeigt. Leo, den Asta aus dem Kriegsgefangenenlager geholt hat, hat seine Familie in Nürnberg und kehr nach dem Krieg nach Hause zurück. Dort trifft er auf seine Familie , für die der Krieg auch alles verändert hat. Außerdem gerät er mit Asta in eine Verschwörung von Nazis, die immer noch nicht an das Ende des tausendjährigen Reichs glauben.


    Mir hat das Buch wieder ausgesprochen gut gefallen. Der Autor liefert viele historische Fakten und doch kommen seine Protagonisten dabei nicht zu kurz und auch das Alltagsleben und die Einstellung der Bevölkerung kommt zu Sprache. So zeichnet er ein lebendiges Bild der unmittelbaren Nachkriegszeit. Zusätzlich habe ich wieder viele historische Details neu gelernt und mein Bild der damaligen Zeit erweitert.


    Ich kann das Buch also wieder nur empfehlen. Jeder der Spaß und Interesse an gut recherchierten historischen Romanen hat, ist hier genau richtig!


    9 von 10 Punkte


    Herzlichen Dank an den Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars und an Titus Müller an die wirklich engagierte Begleitung der Leserunde!

    ASIN/ISBN: 3453442903

  • Meine Rezension

    Der zweite Weltkrieg ist vorüber, doch er hat überall seine Spuren hinterlassen. In den Städten ebenso wie in den Menschen. Ein Neubeginn ist dringend vonnöten, doch bevor dieser gelingen kann gilt es, Recht über die gefangenen einstigen Nazigrößen zu sprechen. Den Siegermächten steht eine große Aufgabe bevor: erstmals sollen die persönlich Verantwortlichen für ihre Straftaten verurteilt werden, was eine Grundlage für das heutige Völkerstrafrecht darstellte. Es sollte nicht mehr möglich sein, sich als Befehlsempfänger auszugeben und somit mehr oder weniger schuldfrei davon zu kommen. Damit der Prozessablauf gelingen kann, wird eine große Schar an Dolmetschern der einzelnen Sprachen eingesetzt. Die Nürnberger Prozesse sind mehr oder weniger auch die Geburtsstunde des Simultandolmetschens und der Schwurgerichtssaal 600 ist bis heute ein Mahnmal, mit dem an diese dunkle Zeit erinnert werden soll.


    Hauptperson des Romans ist Asta, eine der Simultandolmetscherinnen. Asta hat ihre ganz persönlichen Gründe, den Nürnberger Prozessen beiwohnen zu wollen. Bald trifft sie auf den Kriegsgefangenen Leo, dem sie zur Freiheit verhilft und der immer wieder ihre Wege kreuzt.


    Eingebettet in das Umfeld der Nürnberger Prozesse erfahren wir nach und nach, welche Ziele die beiden verfolgen und welche Widerstände sich ihnen entgegen stellen. Mehr möchte ich zum Inhalt und den beiden Hauptprotagonisten auch gar nicht sagen.


    Mir hat dieser Roman ganz außerordentlich gut gefallen. Ich war sehr erstaunt, wie gut es dem Autor gelungen ist, soviele geschichtlich verbürgte Fakten in einen Roman zu packen und wie wenig Fiktion das Buch letztlich enthält. Dennoch ist es ein ungemein gut lesbarer und unterhaltsamer Roman. Es ist aufgrund des Themas keine leichte Kost: bei manchen Szenen läuft es einem kalt den Rücken runter, bei anderen wird man richtig wütend. Dennoch finde ich dieses Buch gut und auch wichtig – zeigt es doch wieder einmal die Verbrechen, die das Naziregime an der Menschheit begangen hat und wie die Menschen, die daran schuld sind, ticken. Leider hat auch bei einem Gutteil der Bevölkerung die Schuldeinsicht noch nicht eingesetzt und man sieht sich noch als Opfer bzw. als hilflose Menschlein (was hätte ich als einzelner denn schon tun können?).


    Viele Menschen denken ja heute manchmal, jetzt sei aber genug Zeit verstrichen, jetzt könne man dieses dunkle Kapitel der deutschen Geschichte aber mal ruhen lassen. Dem kann ich nur entgegnen: Nein. Auch und gerade jetzt ist ein NIE WIEDER! wichtig. Dieses Buch zeigt auch wieder, warum... Eine wichtige und empfehlenswerte Lektüre über einen spannenden Zeitabschnitt in der Nachkriegsära.


    Asta ist für mich keine einfache Protagonistin: ihre Beweggründe und ihr Handeln konnte ich nicht immer nachvollziehen – aber das muss ich auch gar nicht. Protagonisten dürfen gerne ihren eigenen Kopf haben ;-) .


    Sehr eindrucksvoll beschrieben fand ich auch das Leben im Nachkriegs-Nürnberg. Es war nicht einfach für die Menschen, in der weitgehend zerstörten Stadt irgendwie durchzukommen. Es gab wenig zu essen, dafür aber unendlich viel wieder aufzubauen.


    Ich kenne Fotobände über meine Heimatstadt in der Nachkriegszeit. Das Bild, das Titus Müller mit seinen Schilderungen über das Nürnberg dieser Zeit malt, deckt sich damit sehr gut. Ich fühlte mich angesichts seiner detailgetreuen Schilderungen an die Erzählungen meiner Großeltern aus dieser Zeit erinnert.


    Auch wenn das Buch thematisch keine leichte Kost ist, hat es eigentlich jetzt schon einen sicheren Platz in meiner Jahresbestenliste und ich vergebe sehr gerne 10 von 10 Punkten.


    An dieser Stelle ein ganz herzliches Dankeschön an den Verlag für das Lese-Exemplar und vor allem auch an Titus Müller für die überaus engagierte Begleitung der Leserunde.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

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  • Titus Müller schreibt bemerkenswerte Romane über historische politische Ereignisse. Er nutzt fiktive Personen, die uns schildern, wie sie die Nürnberger Prozesse erleben, was sie fühlen und wie es auf sie wirkt. Er beschreibt auch das Leben in der kriegszerstörten Stadt Nürnberg, die Wohn- und Lebensumstände, das Leid der Menschen und die Veränderungen auf ihr Leben.


    1946 - Ada arbeitet für die Amerikaner als Simultandolmetscherin bei den Nürnberger Prozessen. Dort trifft sie einen Kriegshäftling erneut, der nicht nur sehr neugierig und liebenswert ist, darum undurchsichtig wirkt. Für ihre Stellung ist dieser Kontakt ein Konflikt. 1945 wurde erstmals im Hauptquartier der Vereinten Nationen in Genf ein von der Firma IBM entwickeltes erstes elektrisches System zum Simultandolmetschen mit Mikrofonen, Mischpulten und Kopfhörern verwendet. In Nürnberg ist es für die Dolmetscher dies wichtiges Arbeitsinstrument um alle Prozessparteien und Zuhörer gleichwertig zu informieren.


    Ada hat aber auch persönliche Gründe bei den Nürnberger Prozessen mitzuwirken, denn ihre Familie war früher zu Gast bei Familie Göring. Hermann Göring, Hitlers designierter Nachfolger und Luftwaffe-Oberbefehlshaber ist ein berechnender Mann, der seine Leidenschaft für dekorierte und fantasievolle Uniformen auch vor Gericht auslebt. Ihm gelingt es weiter, Menschen in seinen Bann zu ziehen und zu manipulieren. Auch die Alliierten kämpfen jeder für sich, sie misstrauen einander und vertrauen auf ihre eigenen Geheimdienste.


    Titus Müller ist Geschichtserzähler und ein brillanter Geschichtenerzähler. Themen und Ereignisse, die im Geschichtsunterricht nicht mehr an die Reihe kamen, denn bei mir grätschte z.B. die innerdeutsche Grenzöffnung in den Lehrplan oder einen damals auch wohl nicht so interessierte, die lasse ich mir gern durch Titus Müllers Romane näherbringen. Während und nach der Lektüre habe ich immer wieder im Netz recherchiert und nachgelesen. Hätte ich abgewartet bis zum Nachwort, hätte ich manches auch dort nachlesen können.


    Er beherrscht mit Worten zu jonglieren und Szenen wunderbar bildreich zu beschreiben. Zu Beginn der Lektüre habe ich langsam und genüsslich jeden Satz gelesen und mir gesagt, dass ich mir Zeit nehmen will, das Buch in Ruhe weiterzulesen. Absätze auch, weil sie so schön sind, ein zweites Mal zu lesen. Leider habe ich das nicht durchgehalten, die Spannung war schuld. Ich ertappte mich, weil ich mir nicht mehr jedes Wort über die Zunge gleiten ließ.


    Beispiel für bildhafte Sprache:

    Zitat

    S. 6: „Sie lagerten beieinander wie Raubtiere nach getaner Jagd, zufrieden und satt gefressen. Unter dem friedlichen Himmel, beim Tschilpen der Spatzen im Gebüsch, hockte das Böse auf der Wiese, es hatte sich eingenistet, es klebte wie Schlamm an den Gräsern.“

    Großartig!


    S.49: …unter seinen Schuhen schmatzte der Schlamm…

    Man kann es sich so richtig schön vorstellen und wenn man die Bilder aus Wacken sieht, dann möchte man rufen: „Hey, unter Deinen Schuhen schmatzt der Schlamm.“


    Die Handlung klingt in mir nach und ich bin noch nicht fertig mit dem Thema.


    Es ist großartig, wie der Autor die vielen Fakten, mit nur wenig Fiktion, zu diesem spannenden und sich gut lesenden Roman zusammengeführt hat. Das beweist Titus Müller ein weiteres Mal mit seinem aktuellen Werk. Das Buch bleibt selbstverständlich für ein reread in meinem Regal.

    Überzeugte Leseempfehlung!

    Manche Bücher müssen gekostet werden, manche verschlingt man, und nur einige wenige kaut man und verdaut sie ganz.
    (Tintenherz - Cornelia Funke)

  • Dieses Gerichtsverfahren und seine Folgeprozesse habe ich im Fach Rechtsgeschichte vor 40 Jahren im Studium quasi seziert. Leider waren zu diesem Zeitpunkt die einzig produktiven Werke von Titus Müller die Kinderbilder, die alleine seine Eltern als Beweis seiner Genialität betrachten konnten. Hätte ich dieses Buch damals ein Einstieg gehabt, wäre mir das Seminar deutlich besser gelungen.


    Nicht das erste Mal beweist Titus Müller, dass er Geschichte so geschickt mit Geschichten verknüpfen kann, dass man am Ende gar überrascht feststellt, dass man ein höchst spannendes und unterhaltsames Buch gelesen und dabei noch so einiges gelernt hat. Das ist bei dem schweren Stoff gar nicht so einfach. Eine Autorin hat mir mal auf die Frage wie ein historischer Roman entwickelt wird geantwortet dass sei wie ein Teppich auf dem Webstuhl. Die historische, aktuelle Erkenntnis bildet die Schussfäden und der Autor fügt die fehlenden Fäden und die Kettfädem hinzu. Wenn du also eine Geschichte über Walther von der Vogelweide schreibst hast du einen einsamen Faden, die Rechnung des Bischofs, wenn du aber ein Bild des Prozesses im Saal 600 des Nürnberger Gerichtes zur Zeit des Geschehens schreibst, dann hast du ungeheuer viel Material vor dir und damit ein neues interessantes Motiv zu weben, dass Leser fesselt stelle ich mir ausgesprochen schwer vor. Titus Müller ist glänzend gelungen. Indem er quasi nebenbei die Entstehung des Simultandolmetschens zum Thema seines Buches macht und mit Asta, der Dolmetscherin eine Hauptfigur und Erzählerin präsentiert, die alle Emotionen für den Leser darstellen kann von Rachegedanken über Ekel und Entsetzen führt Titus Müller und quasi durch das Geschehen aus der Perspektive seiner Protagonistin. Dabei beschreibt der Autor zunächst die sehr egoistischen Motive seiner Asta, die Rache für den Tod ihrer Tante will und dann mit der Zeit dieses Motiv vor dem Entsetzen über das Geschehene immer mehr in den Hintergrund gerät, soweit, dass Asta gegen Ende der Tochter Görings Mitleid empfinden kann. Ein wirklich weiteres grandioses Werk von Titus Müller. Für mich ein Lesehighlight dieses Jahr.

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