Die Dolmetscherin - Titus Müller

  • Produktinformation (Amazon):

    • Herausgeber ‏ : ‎ Heyne Verlag
    • Erscheinungstermin ‏ : ‎ 13. August 2025
    • Auflage ‏ : ‎ Originalausgabe
    • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
    • Seitenzahl der Print-Ausgabe ‏ : ‎ 416 Seiten
    • ISBN-10 ‏ : ‎ 3453442903
    • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3453442900

    Kurzbeschreibung (Verlag):

    Mit Fakten und Fiktion erzählt Titus Müller eine große Geschichte vor dem Hintergrund historischer Ereignisse

    Asta arbeitet als Dolmetscherin im Kurhotel »Palace« in Mondorf-les-Bains, wo die US-Armee gefangengenommene Nazi-Größen interniert. Am 20. Mai 1945 reist ein neuer Gast an. Er bringt 16 Koffer, eine rote Hutschachtel und seinen Kammerdiener mit. Es ist Hermann Göring, Oberbefehlshaber der Luftwaffe und Hitlers designierter Nachfolger. Asta übersetzt bei den Verhören, reist dann mit nach Nürnberg zu den Prozessen und wird jeden Tag im Gerichtssaal anwesend sein, die abscheulichsten Dinge zu hören bekommen und sie zudem ins Englische übertragen müssen. Umso empfänglicher ist sie für Leonhard, ein junger, sensibler Mann, der ihr sanft den Hof macht. Doch seine Vergangenheit ist undurchsichtig und er stellt verdächtig viele Fragen zu den Prozessen …

    Zum Autor (Verlag):

    Titus Müller, geboren 1977, studierte Literatur, Geschichtswissenschaften und Publizistik. Mit 21 Jahren gründete er die Literaturzeitschrift »Federwelt« und veröffentlichte seither mehr als ein Dutzend Romane. Er lebt mit seiner Familie in Landshut, ist Mitglied des PEN-Clubs und wurde u.a. mit dem C.S. Lewis-Preis und dem Homer-Preis ausgezeichnet. Seine Trilogie um »Die fremde Spionin« brachte ihn auf die SPIEGEL-Bestsellerliste und wird auch von Geheimdienstinsidern gelobt.

    Meine Meinung:

    Als Asta nach Camp Ashtray kommt hat sie nur ein Ziel: Hermann Göring für das bestrafen, was er ihrer Familie angetan hat. Dafür geht sie Risiken ein, die man so sicher nicht erwarten kann und auch Asta ist sich nicht bewusst, mit welchen Mächten sie sich eingelassen hat. Sie schafft es als Dolmetscherin arbeiten zu können und wird dann auch mit zu den Nürnberger Prozessen genommen. Das was sie dort zu hören bekommt und übersetzen muss, fordert sie aufs Äußerste.


    Asta war für mich anfangs ein wenig gewöhnungsbedürftig. Sie ist eine sehr forsche Frau, die nicht immer so handelt, wie es ihre Vorgesetzten von ihr erwarten. Sie verfolgt eigene Ziele, die sie um jeden Preis zu erreichen versucht.


    Dem Autor gelingt es wieder einmal einen Teil der deutschen Geschichte lebendig werden zu lassen. Die Bilder aus den Nürnberger Prozessen sind ja weltbekannt und nun erfahren wir Details dazu. Die Abgebrühtheit der Angeklagten wird hier mit historisch belegten Informationen noch einmal deutlich gemacht. Dabei lernt man auch viel über den damals neu entstandenen Beruf der Simultandolmetscher, die damals hohen Strapazen ausgesetzt wurden.


    Doch nicht nur die Prozesse und damit das historische Großereignis findet Platz im Buch, auch das Leben im zerstörten Nürnberg wird gezeigt. Leo, den Asta aus dem Kriegsgefangenenlager geholt hat, hat seine Familie in Nürnberg und kehr nach dem Krieg nach Hause zurück. Dort trifft er auf seine Familie , für die der Krieg auch alles verändert hat. Außerdem gerät er mit Asta in eine Verschwörung von Nazis, die immer noch nicht an das Ende des tausendjährigen Reichs glauben.


    Mir hat das Buch wieder ausgesprochen gut gefallen. Der Autor liefert viele historische Fakten und doch kommen seine Protagonisten dabei nicht zu kurz und auch das Alltagsleben und die Einstellung der Bevölkerung kommt zu Sprache. So zeichnet er ein lebendiges Bild der unmittelbaren Nachkriegszeit. Zusätzlich habe ich wieder viele historische Details neu gelernt und mein Bild der damaligen Zeit erweitert.


    Ich kann das Buch also wieder nur empfehlen. Jeder der Spaß und Interesse an gut recherchierten historischen Romanen hat, ist hier genau richtig!


    9 von 10 Punkte


    Herzlichen Dank an den Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars und an Titus Müller an die wirklich engagierte Begleitung der Leserunde!

    ASIN/ISBN: 3453442903

  • Meine Rezension

    Der zweite Weltkrieg ist vorüber, doch er hat überall seine Spuren hinterlassen. In den Städten ebenso wie in den Menschen. Ein Neubeginn ist dringend vonnöten, doch bevor dieser gelingen kann gilt es, Recht über die gefangenen einstigen Nazigrößen zu sprechen. Den Siegermächten steht eine große Aufgabe bevor: erstmals sollen die persönlich Verantwortlichen für ihre Straftaten verurteilt werden, was eine Grundlage für das heutige Völkerstrafrecht darstellte. Es sollte nicht mehr möglich sein, sich als Befehlsempfänger auszugeben und somit mehr oder weniger schuldfrei davon zu kommen. Damit der Prozessablauf gelingen kann, wird eine große Schar an Dolmetschern der einzelnen Sprachen eingesetzt. Die Nürnberger Prozesse sind mehr oder weniger auch die Geburtsstunde des Simultandolmetschens und der Schwurgerichtssaal 600 ist bis heute ein Mahnmal, mit dem an diese dunkle Zeit erinnert werden soll.


    Hauptperson des Romans ist Asta, eine der Simultandolmetscherinnen. Asta hat ihre ganz persönlichen Gründe, den Nürnberger Prozessen beiwohnen zu wollen. Bald trifft sie auf den Kriegsgefangenen Leo, dem sie zur Freiheit verhilft und der immer wieder ihre Wege kreuzt.


    Eingebettet in das Umfeld der Nürnberger Prozesse erfahren wir nach und nach, welche Ziele die beiden verfolgen und welche Widerstände sich ihnen entgegen stellen. Mehr möchte ich zum Inhalt und den beiden Hauptprotagonisten auch gar nicht sagen.


    Mir hat dieser Roman ganz außerordentlich gut gefallen. Ich war sehr erstaunt, wie gut es dem Autor gelungen ist, soviele geschichtlich verbürgte Fakten in einen Roman zu packen und wie wenig Fiktion das Buch letztlich enthält. Dennoch ist es ein ungemein gut lesbarer und unterhaltsamer Roman. Es ist aufgrund des Themas keine leichte Kost: bei manchen Szenen läuft es einem kalt den Rücken runter, bei anderen wird man richtig wütend. Dennoch finde ich dieses Buch gut und auch wichtig – zeigt es doch wieder einmal die Verbrechen, die das Naziregime an der Menschheit begangen hat und wie die Menschen, die daran schuld sind, ticken. Leider hat auch bei einem Gutteil der Bevölkerung die Schuldeinsicht noch nicht eingesetzt und man sieht sich noch als Opfer bzw. als hilflose Menschlein (was hätte ich als einzelner denn schon tun können?).


    Viele Menschen denken ja heute manchmal, jetzt sei aber genug Zeit verstrichen, jetzt könne man dieses dunkle Kapitel der deutschen Geschichte aber mal ruhen lassen. Dem kann ich nur entgegnen: Nein. Auch und gerade jetzt ist ein NIE WIEDER! wichtig. Dieses Buch zeigt auch wieder, warum... Eine wichtige und empfehlenswerte Lektüre über einen spannenden Zeitabschnitt in der Nachkriegsära.


    Asta ist für mich keine einfache Protagonistin: ihre Beweggründe und ihr Handeln konnte ich nicht immer nachvollziehen – aber das muss ich auch gar nicht. Protagonisten dürfen gerne ihren eigenen Kopf haben ;-) .


    Sehr eindrucksvoll beschrieben fand ich auch das Leben im Nachkriegs-Nürnberg. Es war nicht einfach für die Menschen, in der weitgehend zerstörten Stadt irgendwie durchzukommen. Es gab wenig zu essen, dafür aber unendlich viel wieder aufzubauen.


    Ich kenne Fotobände über meine Heimatstadt in der Nachkriegszeit. Das Bild, das Titus Müller mit seinen Schilderungen über das Nürnberg dieser Zeit malt, deckt sich damit sehr gut. Ich fühlte mich angesichts seiner detailgetreuen Schilderungen an die Erzählungen meiner Großeltern aus dieser Zeit erinnert.


    Auch wenn das Buch thematisch keine leichte Kost ist, hat es eigentlich jetzt schon einen sicheren Platz in meiner Jahresbestenliste und ich vergebe sehr gerne 10 von 10 Punkten.


    An dieser Stelle ein ganz herzliches Dankeschön an den Verlag für das Lese-Exemplar und vor allem auch an Titus Müller für die überaus engagierte Begleitung der Leserunde.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Batcat ()

  • Titus Müller schreibt bemerkenswerte Romane über historische politische Ereignisse. Er nutzt fiktive Personen, die uns schildern, wie sie die Nürnberger Prozesse erleben, was sie fühlen und wie es auf sie wirkt. Er beschreibt auch das Leben in der kriegszerstörten Stadt Nürnberg, die Wohn- und Lebensumstände, das Leid der Menschen und die Veränderungen auf ihr Leben.


    1946 - Ada arbeitet für die Amerikaner als Simultandolmetscherin bei den Nürnberger Prozessen. Dort trifft sie einen Kriegshäftling erneut, der nicht nur sehr neugierig und liebenswert ist, darum undurchsichtig wirkt. Für ihre Stellung ist dieser Kontakt ein Konflikt. 1945 wurde erstmals im Hauptquartier der Vereinten Nationen in Genf ein von der Firma IBM entwickeltes erstes elektrisches System zum Simultandolmetschen mit Mikrofonen, Mischpulten und Kopfhörern verwendet. In Nürnberg ist es für die Dolmetscher dies wichtiges Arbeitsinstrument um alle Prozessparteien und Zuhörer gleichwertig zu informieren.


    Ada hat aber auch persönliche Gründe bei den Nürnberger Prozessen mitzuwirken, denn ihre Familie war früher zu Gast bei Familie Göring. Hermann Göring, Hitlers designierter Nachfolger und Luftwaffe-Oberbefehlshaber ist ein berechnender Mann, der seine Leidenschaft für dekorierte und fantasievolle Uniformen auch vor Gericht auslebt. Ihm gelingt es weiter, Menschen in seinen Bann zu ziehen und zu manipulieren. Auch die Alliierten kämpfen jeder für sich, sie misstrauen einander und vertrauen auf ihre eigenen Geheimdienste.


    Titus Müller ist Geschichtserzähler und ein brillanter Geschichtenerzähler. Themen und Ereignisse, die im Geschichtsunterricht nicht mehr an die Reihe kamen, denn bei mir grätschte z.B. die innerdeutsche Grenzöffnung in den Lehrplan oder einen damals auch wohl nicht so interessierte, die lasse ich mir gern durch Titus Müllers Romane näherbringen. Während und nach der Lektüre habe ich immer wieder im Netz recherchiert und nachgelesen. Hätte ich abgewartet bis zum Nachwort, hätte ich manches auch dort nachlesen können.


    Er beherrscht mit Worten zu jonglieren und Szenen wunderbar bildreich zu beschreiben. Zu Beginn der Lektüre habe ich langsam und genüsslich jeden Satz gelesen und mir gesagt, dass ich mir Zeit nehmen will, das Buch in Ruhe weiterzulesen. Absätze auch, weil sie so schön sind, ein zweites Mal zu lesen. Leider habe ich das nicht durchgehalten, die Spannung war schuld. Ich ertappte mich, weil ich mir nicht mehr jedes Wort über die Zunge gleiten ließ.


    Beispiel für bildhafte Sprache:

    Zitat

    S. 6: „Sie lagerten beieinander wie Raubtiere nach getaner Jagd, zufrieden und satt gefressen. Unter dem friedlichen Himmel, beim Tschilpen der Spatzen im Gebüsch, hockte das Böse auf der Wiese, es hatte sich eingenistet, es klebte wie Schlamm an den Gräsern.“

    Großartig!


    S.49: …unter seinen Schuhen schmatzte der Schlamm…

    Man kann es sich so richtig schön vorstellen und wenn man die Bilder aus Wacken sieht, dann möchte man rufen: „Hey, unter Deinen Schuhen schmatzt der Schlamm.“


    Die Handlung klingt in mir nach und ich bin noch nicht fertig mit dem Thema.


    Es ist großartig, wie der Autor die vielen Fakten, mit nur wenig Fiktion, zu diesem spannenden und sich gut lesenden Roman zusammengeführt hat. Das beweist Titus Müller ein weiteres Mal mit seinem aktuellen Werk. Das Buch bleibt selbstverständlich für ein reread in meinem Regal.

    Überzeugte Leseempfehlung!

    Manche Bücher müssen gekostet werden, manche verschlingt man, und nur einige wenige kaut man und verdaut sie ganz.
    (Tintenherz - Cornelia Funke)

  • Dieses Gerichtsverfahren und seine Folgeprozesse habe ich im Fach Rechtsgeschichte vor 40 Jahren im Studium quasi seziert. Leider waren zu diesem Zeitpunkt die einzig produktiven Werke von Titus Müller die Kinderbilder, die alleine seine Eltern als Beweis seiner Genialität betrachten konnten. Hätte ich dieses Buch damals ein Einstieg gehabt, wäre mir das Seminar deutlich besser gelungen.


    Nicht das erste Mal beweist Titus Müller, dass er Geschichte so geschickt mit Geschichten verknüpfen kann, dass man am Ende gar überrascht feststellt, dass man ein höchst spannendes und unterhaltsames Buch gelesen und dabei noch so einiges gelernt hat. Das ist bei dem schweren Stoff gar nicht so einfach. Eine Autorin hat mir mal auf die Frage wie ein historischer Roman entwickelt wird geantwortet dass sei wie ein Teppich auf dem Webstuhl. Die historische, aktuelle Erkenntnis bildet die Schussfäden und der Autor fügt die fehlenden Fäden und die Kettfädem hinzu. Wenn du also eine Geschichte über Walther von der Vogelweide schreibst hast du einen einsamen Faden, die Rechnung des Bischofs, wenn du aber ein Bild des Prozesses im Saal 600 des Nürnberger Gerichtes zur Zeit des Geschehens schreibst, dann hast du ungeheuer viel Material vor dir und damit ein neues interessantes Motiv zu weben, dass Leser fesselt stelle ich mir ausgesprochen schwer vor. Titus Müller ist glänzend gelungen. Indem er quasi nebenbei die Entstehung des Simultandolmetschens zum Thema seines Buches macht und mit Asta, der Dolmetscherin eine Hauptfigur und Erzählerin präsentiert, die alle Emotionen für den Leser darstellen kann von Rachegedanken über Ekel und Entsetzen führt Titus Müller und quasi durch das Geschehen aus der Perspektive seiner Protagonistin. Dabei beschreibt der Autor zunächst die sehr egoistischen Motive seiner Asta, die Rache für den Tod ihrer Tante will und dann mit der Zeit dieses Motiv vor dem Entsetzen über das Geschehene immer mehr in den Hintergrund gerät, soweit, dass Asta gegen Ende der Tochter Görings Mitleid empfinden kann. Ein wirklich weiteres grandioses Werk von Titus Müller. Für mich ein Lesehighlight dieses Jahr.

    Nemo tenetur :gruebel


    Ware Vreundschavt ißt, wen mahn di Schreipfelerdes andereen űbersit :lesendViola Eigenbrodt Bilder, Tod und Volksmusik :lesend

  • Zum Inhalt

    Asta, die zeitweise in Deutschland aufgewachsen war, reist aus den USA nach Luxemburg, wo die US-Armee ihre Kriegsgefangenen, insbesondere Nazi-Größen, interniert haben, um dort als Dolmetscherin zu arbeiten. Es wird ihr nicht leicht gemacht, sich in in diesem besonderen Umfeld zu behaupten und findet in Leonhard, einem jungen deutschen Kriegsgefangenen, eine Art Verbündeten. Durch ihr Durchsetzungsvermögen und dem persönlichen Ziel vor Augen, dass sie trotz harten und vor allem gefährlichen Bedingungen unbeirrt verfolgt, schafft sie es trotzdem, dass sie als Dolmetscherin mit zu den Nürnberger Prozessen reisen darf. Auch Leonhard kehrt in seine Heimatstadt zurück und obwohl Asta ihn nur schwer einschätzen kann, hofft sie auf ein Wiedersehen. Doch die Prozesse und die dortige Arbeit verlangen einiges von ihr ab.


    Meine Gedanken zum Buch

    Kann ein Buch mit einem solch sensiblen, manchmal belastenden Thema ein Highlight sein? Nach der Lektüre von „Die Dolmetscherin“ kann ich diese Frage mit einem glasklaren „Ja“ beantworten.

    Titus Müller gelingt es mit diesem Buch, historische Ereignisse und Fiktion quasi nahtlos miteinander zu verbinden, um Geschichte lebendig werden zu lassen.


    Das Buch hat mich jedenfalls auf mehreren Ebenen gepackt. Trotz des schwierigen Themas und der doch harten Kost, mit der man beim Lesen konfrontiert wird, hat es mich von Anfang bis zum Ende begeistert. Das liegt zweifellos an der Umsetzung und der für mich perfekten Dosierung zwischen dem geschichtlichen Hintergrund und der fiktiven Geschichte rund um Asta und Leo. Die beklemmenden Fakten über die Prozesse, werden mit Szenen aus dem Alltag der kriegsgeplagten Bevölkerung untermalt. Und dennoch blitzt im ganzen Elend immer wieder Hoffnung und das Menschliche auf, vor allem in den Szenen, in denen man mit einem kleinen Jungen durch das zerstörte Nürnberg stromert.


    Kurzum: Titus Müller erzählt uns auf brillante und spannende Weise von historischen Ereignissen, die nicht vergessen werden dürfen. Dieses Buch empfehle ich ganz besonders gerne weiter.

  • Wenn ich nicht von bereits erschienenen Bänden wüsste wie spannend und unterhaltend Titus Müller Geschichten aus und über die Geschichte schreibt, nach diesem Buch wäre ich endgültig überzeugt.


    Dieses Mal geht es um ein besonders düsteres Kapitel deutscher Historie.

    Nach dem Krieg, und nach Entdeckung der Konzentrationslager durch die Alliierten, sollen Verantwortliche durch einen Prozess in Nürnberg zur Verantwortung gezogen werden. Dass dies schon allein durch die Uneinigkeit der Alliierten nicht ausreichend gelingen konnte, wissen wir bereits.

    Nun aber setzt der Autor alles daran, zumindest einen Teil Aufarbeitung zu leisten, indem er Asta, die mit ihrer Mutter vor dem Krieg und nach dem Tod ihrer geliebten Tante, von der Gestapo verschuldet, in die USA ausgewandert ist, als Dolmetscherin bei dem Prozess gegen Hermann Göring und anderen Mitschuldigen, deren Aussagen übersetzen lässt.


    Titus Müller erzählt detailgetreu und vielschichtig, lässt auch leise Töne zu, gerade bei Leo und Robert dessen Sohn. Die Hauptfigur Asta hat Ecken und Kanten, ist nicht immer einfach in ihren Handlungen zu verstehen, aber trotzdem wünscht man ihr, dass sie trotz erlittenen Verlustes ihren Frieden mit der Vergangenheit machen kann. Man kann das Buch kaum aus der Hand legen, so dramatisch ist es an manchen Stellen, aber auch Abscheu empfindet man, wenn man wieder einmal liest, was Nazideutschland, und damit nicht nur die ausführenden Personen, verbrochen hat.

    Das Buch bekommt von mir eine klare Leseempfehlung, selten ist ein Autor in der Lage, den Leser auf eine Reise in die Vergangenheit mit zu nehmen, die immer noch nach hallt.

  • Starkes historisches Setting – aber schwache emotionale Bindung


    Titus Müller ist bekannt für seine akribische Recherche, und das spürt man auch in Die Dolmetscherin. Das Buch versetzt die Leserschaft mitten hinein in die Nürnberger Prozesse – in jene Zeit, in der die Weltöffentlichkeit das Grauen der NS-Verbrechen verhandelte und zugleich der Kalte Krieg schon seine Schatten warf. Müller gelingt es, diese historische Kulisse eindrucksvoll und detailreich zu schildern: die Säle, die Atmosphäre im Gericht, die Machtspiele hinter den Kulissen.

    Gerade hier liegt für mich die Stärke des Romans: Die historischen Kontexte sind hervorragend aufbereitet und in eine spannende Rahmenhandlung eingebunden. Man bekommt ein Gefühl dafür, wie groß die politische und moralische Tragweite dieser Prozesse war und wie sehr sie die Nachkriegswelt prägten.


    Was mich allerdings enttäuscht hat, sind die Figuren. Mit keinem der Protagonisten konnte ich wirklich warm werden. Besonders Asta, die titelgebende Dolmetscherin, hat mich nicht abgeholt. Ihr Doppelspiel, ihre Entscheidungen und die Art, wie sie durch die Handlung geht, blieben für mich schwer nachvollziehbar. An Stellen, wo ich innere Zerrissenheit, Zweifel oder Leidenschaft erwartet hätte, wirkte sie eher kühl und distanziert. Dadurch fiel es mir schwer, Sympathie oder echtes Mitgefühl für sie zu entwickeln. Auch die Nebenfiguren – von den Prozessbeteiligten bis zu den Geheimdienstkontakten – blieben für mich eher schablonenhaft und erfüllten hauptsächlich ihre Funktion für die Handlung.


    Der Schreibstil hingegen ist – wie bei Titus Müller gewohnt – flüssig, klar und gut zu lesen. Szenen wie die simultane Übersetzung im Gerichtssaal oder die Begegnungen im Umfeld der Prozesse sind lebendig beschrieben und machen das Buch insgesamt zugänglich.


    Fazit:

    Die Dolmetscherin bietet ein starkes und faszinierendes historisches Setting, das eindrücklich zeigt, wie komplex die Nürnberger Prozesse waren. Wer vor allem geschichtliches Interesse mitbringt, wird hier viel Spannendes finden. Wer sich jedoch eine Hauptfigur mit emotionaler Tiefe und Nähe wünscht, dürfte wie ich vielleicht (etwas) enttäuscht zurückbleiben.


    ➡️ Für mich: 3 von 5 Sternen – respektable historische Fiktion, aber ohne echte emotionale Bindung.

    Viele Grüße
    Thomas


    ________________________________________
    wyrd bid ful aræd - Das Schicksal ist unausweichlich

  • Die Alliierten haben Nazi-Deutschland besiegt und die Konzentrationslager befreit. Für die Verbrechen gegen die Menschlichkeit sollen die überlebenden Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.


    Zitat aus Wikipedia:

    >>Im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher, auch Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess, wurden nach dem Zweiten Weltkrieg deutsche Politiker, Militärs und NS-Funktionäre erstmals für die Planung, Vorbereitung, Einleitung und Durchführung eines Angriffskrieges, Verbrechen an der Zivilbevölkerung und an Kriegsgefangenen sowie für den Massenmord in den Vernichtungslagern strafrechtlich zur Verantwortung gezogen. Von den 24 Angeklagten wurden zwölf zum Tode und sieben zu Freiheitsstrafen verurteilt, drei Angeklagte wurden freigesprochen. Zwei Verfahren wurden ohne Verurteilung eingestellt.


    Die Verhandlung fand vor einem eigens von den Alliierten eingerichteten Ad-hoc-Strafgerichtshof, dem Internationalen Militärgerichtshof (IMG; englisch International Military Tribunal, IMT), statt. Der Prozess dauerte vom 20. November 1945 bis zum 1. Oktober 1946 und fand im Justizpalast an der Fürther Straße in der Stadt Nürnberg statt. Die Angeklagten und zahlreiche Zeugen wurden im angrenzenden Zellengefängnis Nürnberg inhaftiert.<<


    In dieses geschichtliches Geschehen flicht Titus Müller die fiktive Story der Dolmetscherin Asta, die ihr Sprachtalent den Amerikanern zur Verfügung stellt. Mit erstaunlicher Leichtigkeit entwickelt sie ihre Fähigkeit in zwei Sprachen zu denken zur Gabe weiter, simultan die Rede während der Verhandlungen zwischen Anklägern und Angeklagten zu dolmetschen. Diese Arbeit erfordert hohe Konzentration über viele Stunden mit wenig Pausen. Asta meistert sie trotz der schockierenden Inhalte und der unbegreiflichen Reuelosigkeit der Nazi-Größen. Besonders belastet sie das Auftreten Hermann Görings, zu dem sie eine ganz persönliche, familiäre Verbindung hat. Außerdem schafft dieser sie nebenbei auch noch unter Druck zu setzen, weil er von ihrer Spionagetätigkeit weiß.


    Titus Müller bildet den ganzen Kosmos der damaligen politischen Situation und der einfachen Bevölkerung im kriegszerstörten Deutschland, insbesondere Nürnbergs, in lebensnahen Schilderungen ab. Der kleine Junge Robert sehnt sich nach seinem verschollenen Vater und muss nach der Zerstörung seines Heims mit seiner Mutter und ihrem harten Freund in einem Kellerloch leben.


    Der gefühlvoll geschriebene und spannende Roman regt dazu an, selber die geschichtlichen Tatsachen und Persönlichkeiten nachzuschlagen und in frei verfügbaren Zusammenfassungen zu recherchieren. Einiges wird auch im Nachwort selber erklärt. Von daher möchte ich ihn als gute, lehrreiche Unterhaltung und wider des Vergessens empfehlen.


    Als Schwäche habe ich die unzureichende Zeichnung der Protagonisten empfunden. Mir fehlen zur Abrundung der fiktiven Personen deren Entwicklung und Erfüllung ihrer Ziele.

    - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Diana Remus: Ich bin Herodias

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Tante Li ()

  • Jetzt wird abgerechnet ... oder doch nicht?

    In Titus Müllers neuestem Roman schreiben wir das Jahr 1945. Der Zweite Weltkrieg ist endlich vorbei und die Menschen möchten wieder aufatmen und leben. Doch die Nazigrößen, die das furchtbare Morden der letzten Jahre zu verantworten haben, sollen nicht ungeschoren davonkommen, sondern für ihre grausamen Taten Rede und Antwort stehen. Hier kommt die junge Dolmetscherin Asta Maschner ins Spiel, die zunächst in Mondorf-les-Bains und anschließend in Nürnberg mit ihren guten Sprachkenntnissen übersetzen soll. Auf der Anklagebank sitzt die Elite des NS-Regimes, allen voran der selbstgefällige Hermann Göring, Reichsmarschall und selbsternannter Nachfolger Hitlers. Jeder der Angeklagten hat seine eigene Verteidigungsmethode, schuldig fühlten sich die wenigsten. Den Vogel schießt jedoch Göring ab, indem er die Anklagenden mit seinen immer wieder ändernden Taktiken hart an ihre Grenzen bringt. Die begangenen fast nicht beschreibbaren Taten sind nichts für schwache Nerven und so merkt auch Asta schnell, dass sie ab und zu Abstand gewinnen muss. Da tritt Leo in ihr Leben, der ihr Kraft zu geben scheint, obwohl er selbst am Ende ist …

    Wie von dem bekannten Autor Titus Müller gewohnt, merkt man auch an diesem auf wahren Tatsachen basierenden Roman, dass wieder akribisch recherchiert wurde. Auf faszinierende Weise nimmt er mich mit auf eine Reise ins zerbombte Nürnberg vor achtzig Jahren und gewährt mir einen Platz in der ersten Reihe des Gerichtssaals der Nürnberger Naziprozesse. Obwohl ich im Vorfeld schon einiges darüber gehört hatte, merkte ich doch schnell, dass es hier nicht nur darum geht, den Einzelnen zu verurteilen. Nein, diesmal geht es auch um das große Ganze nämlich das Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

    Geschickt strickt Müller zudem eine Geschichte über die zerrissene Familie rund um genannten Leo und den kleinen Robert, die aufzeigt, wie wenig von dem Wunsch der überlebenden Bevölkerung „einfach nur zu leben“ Wirklichkeit ist. Der Winter ist klirrend kalt, die Wohnmöglichkeiten „few and far between“ und Nahrung und Kohle Mangelware.

    Wenn man nun also achtzig Jahre später zurückblickt, ist es umso weniger zu verstehen, was gerade um uns herum, besonders auch in der Ukraine, geschieht. Hat denn wirklich niemand aus der Geschichte gelernt? Titus Müller hat mit „Die Dolmetscherin“ jedenfalls mal wieder ein Werk geschaffen, das aufrüttelt, das bewegt und eigentlich ein wenig Hoffnung vermitteln sollte. Ich hoffe aus tiefstem Herzen, dass das gelungen ist und es viele Menschen erreichen möge.

    Lieber Titus, von mir bekommst du beeindruckte fünf von fünf Sternen verbunden mit dem Wunsch, dass dein Buch viel Erfolg haben möge. Ich freue mich heute schon auf das nächste Werk aus deiner Feder und sage bis dahin mal „see you later …“

  • Ich habe mir letztes Jahr in Nürnberg das Memorium Nürnberger Prozesse angeschaut, ein wirklich eindrucksvolles Museum, das einen sehr guten Eindruck über die damaligen Prozesse und die Angeklagten vermittelt, absolut sehenswert.


    Umso mehr war ich gespannt auf den Roman "Die Dolmetscherin", der genau diese Prozesse zum Thema hat.


    Wir reisen zunächst nach Luxemburg, wo in einem Hotel die Nazi-Größen Deutschlands gefangen gehalten wurden, bevor ihnen in Nürnberg der Prozess gemacht werden sollte. Die Insasssenliste ist besetzt von prominenten Namen, der hervorstechenste ist jedoch Hermann Göring. Zudem werden sie wie Gäste behandelt, um sie bei Laune zu halten für die Verhöre, die dann zur Anklage führen sollen.


    Asta schleicht sich als Übersetzerin in das sogenannte "Camp Ashcan" ein, doch vor Ort wird sie kaltgestellt, Colonel Burton C. Andrus würde sie am liebsten direkt zurück nach Amerika schicken, doch Asta ist geschickt, bietet sich ihm als Sekretärin an und darf schließlich bleiben. Dass sie ein doppeltes Spiel spielt und persönliche Interessen daran hat, als Dolmetscherin bei den Nürnberger Prozessen speziell Göring verurteilt zu sehen, macht sie angreifbar. Doch die Amerikaner vertrauen ihr und setzen sie ein.


    Das Setting fand ich unglaublich spannend, ich habe nebenbei immer wieder Dinge nachgeschaut, Fotos wie das von den Gefangenen im Camp Ashcan gefunden und meinen Besuch im Saal 600 in Nürnberg vor Augen gehabt.


    Mit Asta jedoch wurde ich nicht so recht warm. Ihr doppeltes Spiel kam mir ein wenig an den Haaren herbeigezogen vor. Auch Leo war für mich blass, seine Rolle in Nürnberg fand ich gekünstelt, das konnte ich ihm nicht recht abnehmen.


    Göring fand ich dagegen hervorragend widerlich und raffiniert gezeichnet, wie er mit seinen Wortklaubereien seine Anhörung fast ins Lächerliche gezogen hat, da hatte ich beim Lesen Gänsehaut. Das ganze Prozedere, wie die Prozesse abliefen und die enorme Leistung der Dolmetscher waren für mich sehr anschaulich geschildert. Ebenso, wie das Leben nach dem Krieg in Deutschland gewesen sein muss, hat Bilder vor meinen Augen entstehen lassen. Spannend, dass auch Emmy Göring und ihre Tochter eine Rolle spielten


    Allerdings war mir der Roman zu kurz, ich hätte es gerne noch ausführlicher gehabt, eventuell noch mehr aus der Sicht der Ankläger erfahren, was sie gedacht und gefühlt haben. Das Ende war mir zu abrupt.


    Wichtig war, und das ist sehr gut rausgekommen, dass es das erste Mal war, dass den Verbrechern auf diese Art und Weise ein rechtsstaatlicher Prozess gemacht wurde und um klarzustellen, dass die vier Großmächte sich dazu bekennen, dass ein Angriffskrieg ein Verbrechen darstellt (S.333). Dass eben auch die Siegermächte wissen, dass sie nicht frei von Schuld sind.


    Das Nachwort ist auf jeden Fall ein runder Abschluss der Geschichte.


    Von mir 8 Punkte