Tom R. Smith: Kind 44

  • Kind 44 hat mich bestenfalls durch seine Andersartigkeit beeindruckt.


    Was man Tom Smith auf jeden Fall lassen muss, er beschreib die Lebenssituation im stalinistischen Russland so beklemmend echt, dass beim Leser ein Gefühl der hoffnungslosen Aussichtslosigkeit aufkommt.
    Die Figuren sind zwar nicht unglaubwürdig, aber auch nicht gnadenlos realistisch, am merkwürdigsten habe ich da Leos Frau empfunden


    Ich persönlich habe die gesamte Lebenssituation der Menschen als so bedrückend empfunden, dass ich öfters kurz davor war das Buch abzubrechen und gebe zu , dass ich mich durch einige Teile hindurch gequält habe.


    Aaber: letztendlich war ich nicht komplett unzufrieden und würde das Buch auch nicht gern abgewatscht sehen, nach vorne gerissen hat es mich allerdings auch nicht.


    Vielleicht habe ich aber auch einfach viel zu viel erwartet, nach den ganzen vorhergegangenen Rezensionen (und dabei meine ich nicht die hier im Forum)



    unbehagliche Grüße von Elbereth :wave

    “In my opinion, we don't devote nearly enough scientific research to finding a cure for jerks.”

    ― Bill Watterson

  • Tom Rob Smith - Kind 44


    Mit Kind 44 hat Tom Rob Smith sein Erstlingswerk vorgelegt, das es sogar
    auf die Spiegel-Bestseller-Liste in Deutschland geschafft hat.
    So zumindest teilt es der Taschenbuchaufkleber dem Käufer mit.
    Im Moskau des Jahres 1953 des letzten Jahrhunderts wird
    auf den Bahngleisen die Leiche eines Kindes gefunden.
    Die Akte dieses Kindes wird schnell mit der Begründung eines Unfalls geschlossen, denn nach Auffassung der politisch herrschenden Kräfte in der Sowjetunion gibt es keine Verbrechen an Kindern.
    Der Geheimdienstoffizier Leo Demidow wird gebeten, die Ergebnisse der Untersuchung dem Vater des Kindes mitzuteilen.
    Eingebettet in diese Rahmenhandlung nimmt Smith den Leser mit auf eine Odyssee in die politischen Verhältnisse unter Stalin und lässt den Leser etwas über Säuberungsaktionen und Zwangslager und über die Menschen,die Angst vor der politischen Willkür haben, wissen.
    Diese Willkür darf auch der Protagonist Leo erfahren,
    der als Geheimdienstoffizier seinen Platz in einem System gefundenden hat,
    das auch ihn nicht völlig schützt. Intrigen stellen ihn schließlich vor die Wahl, seine Ehefrau zu denunzieren und seine Karriere weiterzuverfolgen oder ebenfalls in ein Zwangslager geschickt zu werden.
    Diesen Aufhänger nimmt der Autor zum Anlass, den Geheimdienst NKWD eine wilde Hetzjagd nach Leo und seiner Frau durch die Sowjetrepubliken veranstalten zu lassen und den Protagonisten
    nebenbei eine detailreich geschilderte blutige Tötungsserie an Kindern aufklären zu lassen.


    So ambitioniert dieser Roman auch angelegt ist, so lässt er den Leser sich immer wieder fragen, ob es sich um eine Kriminalgeschichte, einen Kalten-Krieg-Thriller oder doch eine Familiengeschichte handelt. Smith verliert sich in
    seiner eigenen Geschichte und verfolgt zahlreiche Spuren,
    die ihn und den Leser von der eigentlichen Handlung abbringen.
    Die eingehenden Schilderungen der russischen Lebensumstände acht Jahre nach Kriegsende lassen die akribische Recherche des Autors nur erahnen und trotzdem bleibt der Eindruck, dass Smith die Sowjetunion
    nie oder nicht richtig bereist hat und sich seine Beschreibungen an denen der großen Literatur über den Gulag orientieren, deren Autoren er im Nachwort dankt.
    Darüberhinaus wäre eine konsequente, weniger widersprüchliche Darstellung des Protagonisten Leo wünschenswert gewesen, der zu Beginn des Romans dogmatischer Verfechter eines Systems ist,
    das keine menschlichen Regungen zu lässt und nach 70 Seiten den Hauptakteur seine Überzeugungen verwerfen lässt.
    Bei der deutschen Übersetzung verwundert zudem, dass der Übersetzer den englischen Transkriptionsregeln für die russische Sprache und nicht den deutschen beziehungsweise den wissenschaftlichen Maßgaben gefolgt ist und letztlich doch nicht für eine fehlerfreie Überlieferung gesorgt wurde.


    Am Ende des Buches bleibt die Erkenntnis, dass ein vielverkauftes Buch doch kein beachtliches Buch sein muss, aber ein Buch bleibt, dessen Autor gewiss seine Anhängerschaft finden wird.

  • Falls sich hier ein Uhrenexperte unter den Eulen tummelt, hätte ich gern noch eine Frage beantwortet.


    Der Protagonist Leo Demidow trägt eine Aviator Poljot.
    Die Handlung spielt 1953. Meines Wissens nach wurde eine Poljot erst im Jahre 1963 anlässlich des ersten Weltraumfluges von Juri Gagarin produziert, was sicherlich nicht frühere Anfertigungen ausschließt, sich leider aber nicht im Netz recherchieren lässt.
    Falls da jemand mehr weiß ...

  • Ich wollte gerade 10 Punkte für den - für mich ausgezeichneten Roman - geben - und nun versaust du mir das durch deine Frage nach der Poljot-Uhr.... - denn es stimmt - die Uhr gab es unter dem Namen "Poljot" erst ab 1963 - schaust du hier: Poljot


    Zum Buch selbst:
    Es war mir bisher weder klar, dass diese Hungersnot in der Ukraine und anderen sowjetischen Staaten, bis zu 14,5 Millionen Menschen das Leben gekostet hat, noch das dieser Holodomor / Hungerholocaust vom Regime , d. h. von Stalin willkürlich ausgelöst wurde.
    Selbst "zartbesaiteten" Menschen muss klar sein, dass hier das Verzehren einer Katze das harmloseste Vergehen überhaupt sein konnte. Was wirklich geschehen ist, beschreibt dieser Roman eindringlich und deshalb ging er fürchterlich unter die Haut. Das die Handlung an einem echten Massenmörderder UDSSR angelehnt wurde, macht die Geschichte um so eindringlicher. Ich werde jedenfalls dieses Buch so schnell nicht vergessen.


    Hut ab vor solch einem Debütroman - 9 Punkte (wegen der Uhr)...;-).

  • Mich hat das Buch auch etwas ratlos zurück gelassen. Es hatte gute Ansätze, und wie Elbereth oben schrieb, ist die beklemmende Lebenssituation im stalinistischen Russland und das Thema Gulag wirklich gut beschrieben.Mir war ebenfalls die Hauptperson Leo nie sympathisch geworden, der Roman schafft es nicht die Wandlung von ihm während des Handlungsablaufs nachzuvollziehen. Meiner Meinung nach, wollte der Autor zu viel und hat sich dann verstrickt. Eine nicht glaubhaft inszenierte Jagd, keine authentischen Protagonisten, die Geschichte wurde dann zum Schluß komplett unglaubwürdig und ich habe mich geärgert.
    Die Punktevergabe fällt mir schwer, eine schlechte Sieben gibt es von mir

    :lesend Jonathan Tropper - Sieben verdammt lange Tage


    Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.
    Albert Einstein

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  • Das Buch ging mir sehr unter die Haut. Der Autor schildert die Atmosphäre der Bespitzelung und Angst so gut, dass man versteht, wozu ein totalitäres System Menschen treiben kann.
    Das Buch ist für mich absolut spannender Unterricht in Geschichte und menschlicher Psychologie.
    Was mir nicht so gefallen hat, ist der Schluss. Er erscheint mir ein wenig konstruiert. Deshalb gibt es 9 statt 10 Punkten.

  • Ich muss gestehen, anfangs habe ich mich mit dem Buch ein bisschen "herumgequält", habe sogar das Lesen einmal unterbrochen. Da ich aber schon einige positive Meinungen gehört und gelesen hatte, habe ich dem Buch noch eine Chance gegeben. Verdientermaßen, muss ich sagen.


    Gestört hat mich an der Geschichte, dass sehr ausführlich über das Leben in Russland berichtet wurde. Das ist einerseits wichtig für die Geschichte, denn nur so kann man verstehen, warum die Menschen so handeln, wie sie handeln. Andererseits gerät darüber der Mord an dem kleinen Jungen über lange Zeit ins Hintertreffen. Die letztendliche Auflösung erscheint im Vergleich zu den ausführlichen Erklärungen zum gesellschaftlichen und politischen Hintergrund dann eher simpel.


    Insgesamt hat mir das Buch - von den beschriebenen Schwachpunkten abgesehen - aber sehr gut gefallen. Nach der anfänglichen "Hängepartie" war es sehr spannend, die Atmosphäre war sehr dicht, wirkte auf mich oft beklemmend - ich habe mich oft gefragt, wie die Menschen es ausgehalten haben, so zu leben.


    Ein starkes Debüt - ich kann mir gut vorstellen, mehr von Tom Rob Smith zu lesen.

  • Ein starkes Debüt. Der Autor beschreibt sehr gut die beängstigende Stimmung und Atmosphäre des stalinistischen Russlands. Immer muss man auf der Hut sein, wem man was sagt oder ob man überhaupt lieber schweigt.
    Auch die Geschichte rund um die Kindermorde ist toll geschrieben. Die Figuren wirken manchmal etwas unglaubwürdig, aber dennoch realistisch.


    Alles in allem ein guter Thriller. Ich freue mich auf den 2. Teil.

  • Ich habe das Buch innerhalb zwei Tagen durchgelesen und war sehr begeistert.
    Es ist absolut spannend geschrieben und sehr interessant aber auch erschreckend fand ich die ganzen Informationen zur damaligen Regierung und deren Methoden in der Sowjetunion.


    Fazit: absolut empfehlenswert!

    Einige Bücher soll man schmecken, andere verschlucken und einige wenige kauen und verdauen.

  • Hallo


    ich lese ja lieber halbwegs politische Bücher als Thriller.
    Das Buch ist sehr hart an manchen Stellen kommen mir die Tränen,
    einmal über diese Stalin Methoden, das andere Mal über die vielen
    Kinder, die dem Täter zum Opfer fallen, da Mord in der damaligen
    Sowjetunion wohl totgeschwiegen wurde. Und keine wirkliche Fahndung
    anlief. Es ist ja ein authentischer Fall.
    Der Anfang des Buches ist furchtbar, aber wichtig und dann gibt es Erholungspausen.
    Also Taschentuch bereit halten.:cry Das Buch ist für mich absolut empfehlenswert und ich fand es auch durchweg spannend, nebenbei erfährt man doch wie furchtbar Diktatur ist.


    Grüsse
    Eva

    Tilmann Lahme Die Manns Geschichte einer Familie
    Byron Tanja Das Gehirn meiner Großmutter








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  • Ich möchte dieses Buch unbedingt weiterempfehlen. Das sowjetische Politsystem und dessen Auswirkungen auf das Alltagsleben werden sehr bildhaft wiedergegeben. Nicht nur die Schwierigkeiten die bei der Aufklärung von Mordfällen auftauchen, machen nachdenklich. Die Geschichtsebene ist notwendig, um den Gang der Handlungen zu verstehen. Habe das Buch kürzlich gelesen und es gehört zu meinen Favoriten im Jahr 2010.

  • Ich habe Kind 44 als Hörbuch und die Fortsetzung Kolyma als Taschenbuch gerade von meiner Schwester zu Weihnachten geschenkt bekommen. Meine Schwester liest noch mehr als ich und ihr hat es sehr gut gefallen, auch eure Meinungen machen mich sehr gespannt! Mich bewegt dieses Thema auch deshalb, weil mein Großvater damals in russischer Kriegsgefangenschaft war und ich mich neulich erst mit diesem Thema wieder mal etwas beschäftigt habe. Also ich bin gespannt!

  • Meine Meinung:
    Ein befreundeter Kollege von Geheimdienstoffizier Leo Demidow ersucht ihn, das Verbrechen an seinem Sohn aufzuklären. Da aber Leo nur die Informationen eines Unfalles hat, versteht er nicht, dass Fjordo von Mord redet und kann es auch nicht glauben, da es ja in der Sowjetunion offiziell keine Verbrechen gibt. Als Leo selber in die gefährlichen Räder des Geheimdienstes gerät, wird er in ein weit entferntes Nest versetzt und dort bei der Miliz als niedrigster Soldat eingestellt. Durch Zufall wird er hier mit weiteren Morden an Kindern konfrontiert und er versucht auf eigene Faust dem Mörder auf die Spur zu kommen. Und damit beginnt erst die richtige Hetzjagd auf ihn und seine Frau. Eine Jagd auf Leben und Tod.


    Ein Buch, dass einem voll zum Nachdenken bringt.


    Ein Buch, dass einem nicht mehr loslässt und immer wieder hinterfragt, wie so ein kommunistisches Regieme bestehen kann, dass nur Macht und Angst aufrechterhält.

  • Manche Bücher lassen mir den Atem stocken.


    Manche Bücher sind düster.


    Manche lassen mich eine Zeitlang nicht los, man denkt immer wieder darüber nach.


    Manche Bücher sind grausam.


    Und doch habe ich es bis zum Ende gelesen.


    Ein Buch, das die Beschreibung Thriller wirklich verdient, das sich wie ein Film noir vor einem abspult, fast völlig in schwarz-weiß, zu einer Zeit, in der ich nie hätte leben wollen, geschweige denn können…


    Jemine, also das hatte es in sich.

    :lesend Anthony Ryan - Das Heer des weißen Drachen; Navid Kermani - Ungläubiges Staunen
    :zuhoer Tad Williams - Der Abschiedsstein

  • Mir hat das Buch nicht gefallen.


    Ich kann mich mit Handlungen in der ehemaligen UdSSR wenig begeistern.
    Sonst ist die Handlung recht langatmig, und ich brauchte einige Zeit, um das Buch zu lesen.
    Die nach folgenden tu ich mir nicht an!

    Gruss Hoffis :taenzchen
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    :lesend Der fünfte Tag - Jake Woodhouse
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  • es ist schon länger her, das ich es gelesen habe und ich fand es super!!!!!
    Es war sehr beklemmend und ich war immer froh, das es nur eine Geschichte war und ich sicher in meinem warmen Bett liegen konnte.....
    den Nachfolger fand ich ganz ok, aber lange nicht so gut, wie das erste Buch.....