Kleiner Mann, was nun - Hans Fallada

  • Mit diesem Roman, der zum erstenmal 1932 erschien, gelang einem Schriftsteller das, wovon alle träumen: er verdiente soviel Geld damit, daß er sich kurz darauf ein kleines Gut im Mecklenburgischen kaufen konnte, auf dem er von da an mit seiner Familie lebte.
    Hans Fallada nimmt in der deutschen Literatur einen Platz ein, der nicht leicht zu greifen ist. Seine Bücher waren fast alle erfolgreich, ihre Titel, wie eben 'Kleiner Mann - was nun' oder 'Ein Mann will nach oben', 'Wer einmal aus dem Blechnapf frißt' oder auch 'Jeder stirbt für sich allein', sind so bekannt, daß sie regelrecht sprichwörtlich geworden sind. Sie erlebten hohe Auflagen, Dramatisierungen, Verfilmungen, Übersetzungen in viele europäische Sprachen, sie wurden nicht nur von den LeserInnen gelobt, sondern auch von den KollegInnen und von der Kritik. Zugleich ist er ein halb vergessener Autor, der von jeder Generation aufs Neue entdeckt werden muß.
    Eine ungewöhnliche Situation, extrem, fast wie Falladas Leben. Als Sohn eines Juristen 1893 unter dem Namen Rudolf Ditzen in Greifswald geboren, versuchte er sich in den verschiedensten Berufen, von der Landwirtschaft bis zum Lektor und Journalisten. Selbstmordgefährdet schon als Jugendlicher, Verurteilungen mit Gefängnisstrafen, eine langjährige Morphiumsucht, die ihn 1947 schließlich das Leben kostet. Ein wildes Leben: jugendlicher Aufrührer, glücklicher Gutsbesitzer und Landwirt, bürgerlicher Ehemann, hingebungsvoller Vater, exzentrisch, halbverrückt, tyrannisch, egoistisch, dabei klarsichtig und klug. Vor allem aber war er ausgestattet mit einer Beobachtungsgabe und einem Ohr für den richtigen Ton, beides so fein ausgeprägt, daß man nicht sagen kann, ob das noch Gaben waren oder eher Strafen. Seine Romane zeigen das deutlich.


    Der Kleine Mann dieser Geschichte heißt Johannes Pinneberg. Er ist Buchhalter von Beruf, ein kleiner Angestellter in einem kleinen Geschäft (Futter, Düngemittel, Sämereien) in einer kleinen Stadt. Klein die Charaktere, z.B. der Chef, Herr Kleinholz, ein kleiner Tyrann als Inhaber wie als Ehemann, klein selbst der Kollege, der enthusiastischer S.A.-Mann ist, einfach nur, weil er in regelmäßigen sonntäglichen Prügeltouren gegen Kommunisten und Juden seine Lebenssehnsucht stillen kann. Kleine Verhältnisse in jeder Hinsicht. Aber groß sind die Träume und Wünsche, geradezu ungeheuer groß. Hinauskommen will man, über die täglichen Beschränkungen hinweg, reich sein, glücklich sein, lieben.
    Die Liebe hat er gefunden, dieser Pinneberg, in Gestalt von Emma Mörschel, dem Lämmchen. Doch wie es so geht bei den ganz kleinen Leuten, sie haben sich kaum getroffen, bei einem Sonntagsausflug am einsamen Strand - die Darstellung dieser Begegnung gehört zu den schönsten, die die moderne deutsche Literatur zu bieten hat - ist Lämmchen schon schwanger. Eine Familie muß gegründet werden, man muß zusehen, wie man von einem Wochenlohn lebt, der, selbst wenn man alle Ersparnisse miteinbezieht, den Kauf von Trauringen (matt) zu einem Preis von 30 Mark zu einem Ding der Unmöglichkeit macht. Doch sie wagen es, Lämmchen und der Junge.
    Der Alltag und die Verhältnisse aber gönnen ihnen nicht einen Moment Ruhe. Da sind das erste gemeinsame, ganz schrecklich möblierte Zimmer, die angsteinflößende Vermieterin, Pinnebergs Bemühen, seine Ehe vor dem Chef zu verbergen, der ihn mit seiner Tochter verheiraten möchte, eine Situation, die ihm verbietet, seine eigene Frau zu grüßen, wenn er sie zufällig beim Einkaufen trifft.
    Rettung scheint zunächst zu nahen in Gestalt von Pinnerbegrs ungeliebter Mutter Mia, die ihm eine Stelle in Berlin verschafft hat. Voller Hoffnung brechen die beiden auf in die Großstadt, doch auch hier ist kein Platz für Illusionen. Es wird gerechnet, es wird gespart, es reicht nie. Der Traum: einmal im Jahr fein angezogen essen gehen zu können. Die ganze Geschichte erstreckt sich nur über ein knappes Jahr, wir werden nie erfahren, ob sie sich diesen Traum haben erfüllen können.
    Es ist die Geschichte eines Abstiegs in einer wirtschaftlichen wie politischen Krisenzeit. Die Stimmung der Zeit, die Probleme der sozial Schwachen, der Arbeitssuchenden wie Arbeitslosen, die Frage der Solidarität im Berufsalltag unter hohem Anforderungsdruck, das Mißtrauen gegenüber der Politikern, die gesellschaftlichen Unterschiede zwischen Arbeitern, Angestellten, Kleinbürgern und Reichen, wird so präzis wiedergegeben, daß man streckenweise das Gefühl dafür verliert, daß man einen geschriebenen Text vor sich hat. Hautnah, unmittelbar erlebt man, lebt mit, so, als stünde man neben den Personen. Man hat ihre Stimmen im Ohr und ihre Worte. Man kämpft mit ihnen, bemüht sich wie sie, etwa wenn Lämmchen, hochschwanger, durch endlose Sraßen wandert auf der Suche nach einer Wohnung oder wenn im Kaufhaus, in dem Pinneberg schließlich arbeiten darf, nach einer Effektivitätsprüfung der Abteilung nach Quoten verkauft werden muß.
    Dabei werden nicht einmal so viele Worte gemacht, trotz der vielen wunderschönen Stimmungsbilder der Naturschilderungen ebenso wie den Beschreibungen der Stadt. Die Sprache ist schlicht, ruhig, pointiert. Nie ironisch. Komik wie Witz entstehen aus der eingehenden, genauen Schilderung, allein durch die Erkenntnis der Absurdität des Alltags.
    Die wenigen Charaktere, sechs, sieben Personen in der Kleinstadt, etwa ebensoviele in Berlin, wie auch die Dialoge sind komisch, traurig, verückt, grotesk. Stimmungswechsel kommen von einem Moment auf den anderen, das Tragische liegt ganz nah beim Komischen, das Gute beim Schlimmen, wie im Leben eben.
    Was zum Schluß bleibt, darüber kann man sich streiten. Pinneberg hat alles verloren außer Lämmchen und dem Murkel. Lämmchen sorgt für sie alle drei. Ein Zeichen ihrer Liebe, idyllisch-romantisch, wie es die heutigen Kritiker am liebsten hätten? Ein Versuch, in schlechten Zeiten wenigstens privates Glück zu bewahren oder nur instinktives Handeln, weil man den Untergang noch hinausschieben möchte? Denn Handeln, das ständige Sich-Bemühen ist ebenso Falladas Thema wie die Erkenntnis der Abhängigkeit von den nicht selbst gewählten Gegebenheiten und - langfristig gesehen - der Vergeblichkeit der Bemühungen.
    Das eigentlich "Idyllische" ist wahrscheinlich, daß dieser großartige Schriftsteller die Menschen tatsächlich liebte.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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  • Das Buch habe ich noch rum zu stehen. Echte DDR-Ausgabe. :-]


    Gute Rezi! Das Buch kann ich nur empfehlen! :-)

    _______________________
    Grüßle, Heaven


    Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen. (Goethe) ;-)

  • Zitat

    Original von Heaven
    Gute Rezi!




    Mönsch, steht auch noch ungelesen im Regal. Werde es mir aber gleich mal rauslegen, damit ich es nicht wieder vergesse. Denn das, was ich damals beim Anlesen entdeckt habe, hat mir schon sehr gut gefallen.

  • Es ist schon länger her, dass ich das gelesen habe, aber es hat mich damals sehr angesprochen.


    Die Rezi entspricht nicht ganz meiner Erinnerung an das Buch - ich habe es "leichter" in Erinnerung. Natürlich ist das Leben der kleinen Leute ein "schweres", aber mich faszinierte gerade so die scheinbare Leichtigkeit, mit der es dargestellt wurde.

    Surround yourself with human beings, my dear James. They are easier to fight for than principles. (Ian Fleming, Casino Royale)

  • Hi magali
    Super Rezi.
    Ich habe vor Jahren den Film dazu gesehen mit Arno Wyzniewski (Johannes Pinneberg) und Jutta Hoffmann (Emma Mörschel, genannt Lämmchen) ganz schön hart das Leben der beiden, ich möchte das nicht durchgemacht haben.
    Aber ich muß gestehen solche Themen kann ich als Buch nicht lesen. Da muß schon der Film her.
    "Ein Mann will nach oben" habe ich auch im TV gesehen war schon bunt und in Teilen. 'Wer einmal aus dem Blechnapf frißt' den habe ich noch nicht gesehen.
    Gruß oemchenli

  • Oh, liebste Magali!
    Da hast du aber mit ner tollen Rezension ein tolles Buch vorgestellt!


    Mein Vater besitzt sämtliche Hans Fallada Bücher und hat mir irgendwann mal eins davon zum Lesen gegeben, das war "Wer einmal aus dem Blechnapf frisst". Danach hab ich die komplette Reihe durchgelesen und dieses Buch ist mir auf jeden Fall in sehr guter Erinnerung geblieben.

  • Ich schließe mich mal an. Von Fallada habe ich vor etlichen Jahren mal "Wer einmal aus dem Blechnapf frisst" gelesen. Ein sehr beeindruckendes Buch.


    Über den Autor selbst habe ich mir damals keine großen Gedanken gemacht. Deine Rezi macht tatsächlich Lust auf dieses Buch. :-)

  • Uih, das habe ich vor 17 Jahren mit Begeisterung gelesen!!! Bin sowieso ein großer Fan von Fallada!!!

    ...der Sinn des Lebens kann nicht sein, am Ende die Wohnung aufgeräumt zu hinterlassen, oder?


    Elke Heidenreich


    BT

  • Dieses Buch...mit diesem Buch...ich kann den Titel kaum aussprechen vor lauter Sentimentalität...hatte ich mein erstes richtiges "literarisches" Erlebnis. Mein Großvater, Deutschlehrer, hat es mir vererbt. Mit 13 Jahren habe ich es dann gelesen. Obwohl ich wahrscheinlich nur die Hälfte davon verstanden hatte, habe ich die Szenen heimlich nachgespielt. Ich war Lämmchen. Ganz lange. Und immer, wenn ich von der Schule nach Hause kam, lies ich Mutters Vorgekochtes stehen und schnitt mir eine ganz dünne Scheibe Brot ab. Und dann habe ich mir vorgestellt, dass Lämmchen, also ich, Geburtstag hat und habe mir zu diesem Anlass einen winzigen Klecks Marmelade aufs Brot geschmiert. So als Geburtstagsgeschenk.
    Es war verrückt. Ich war wirklich monatelang Lämmchen. Noch heute kenne ich das Buch seitenweise auswendig.


    Danke schön, Magali.

  • Zitat

    Original von Ines
    Dieses Buch...mit diesem Buch...ich kann den Titel kaum aussprechen vor lauter Sentimentalität...hatte ich mein erstes richtiges "literarisches" Erlebnis. Mein Großvater, Deutschlehrer, hat es mir vererbt. Mit 13 Jahren habe ich es dann gelesen. Obwohl ich wahrscheinlich nur die Hälfte davon verstanden hatte, habe ich die Szenen heimlich nachgespielt. Ich war Lämmchen. Ganz lange. Und immer, wenn ich von der Schule nach Hause kam, lies ich Mutters Vorgekochtes stehen und schnitt mir eine ganz dünne Scheibe Brot ab. Und dann habe ich mir vorgestellt, dass Lämmchen, also ich, Geburtstag hat und habe mir zu diesem Anlass einen winzigen Klecks Marmelade aufs Brot geschmiert. So als Geburtstagsgeschenk.
    Es war verrückt. Ich war wirklich monatelang Lämmchen. Noch heute kenne ich das Buch seitenweise auswendig.


    Danke schön, Magali.


    Das ist ja eine schöne Erinnerung !!!!!!!!!!!!! :knuddel1

    ...der Sinn des Lebens kann nicht sein, am Ende die Wohnung aufgeräumt zu hinterlassen, oder?


    Elke Heidenreich


    BT

  • Wirklich eine sehr gelungene Rezension, magali :anbet


    Ich habe das Buch in einem Rutsch durchgelesen und gerade beendet. Und nun wollte ich hier im Forum nachsehen, ob es noch einen zweiten Teil gibt. Den hätte ich mir dann heute sofort gekauft, so sehr hat mich diese Geschichte begeistert.
    Fallada versteht sehr gut zu beschreiben, was in so einem "kleinen Mann" vorgeht. Man kann natürlich die Arbeitslosigkeit von damals nicht mit der heutigen vergleichen, aber die Gefühle sind doch schon sehr ähnlich.


    Ein Buch, das sich sehr gut lesen läßt und zum Nachdenken anregt.
    Ich kann es auch nur empfehlen.

  • Ich habe es im Rahmen der Leserunde gelesen. Am Anfang hatte ich so meine Vorbehalte. Aber es hat sich super lesen lassen, Ich habe es in einen Rutsch durchgelesen, konnte es teilweise nicht aus der Hand legen.


    Was ich erschreckend finde ist , ist die Aktualität die es jetzt noch hat. Einmal der Antisemitismus, der jetzt gerade auch stattfindet. und dann die Arbeitssituation. Arbeitgeber die übergriffig sind und Mitarbeiter die mobben.

    Zitat


    Überhaupt sind die größten Schweine nicht die Chefs, am meisten quälen sich die Angestellten untereinander



    Ich werde jetzt noch ein paar andere Bücher von Fallada lesen.

  • Ja, die anderen Fallada-Bücher sind sicher auch lesenswert :gruebel aber ich brauche jetzt erst einmal wieder etwas aufbauendes - die Geschichte ist doch sehr niederdrückend. :(


    Ich hatte hier vor dieser Leserunde die Miniserie auf DVDs von "Ein Mann will nach oben" angefangen, aber jetzt bin ich mir nicht sicher, ob ich das weiter anschauen will.:gruebel

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Siegfried Lenz: Der Verlust

  • Ich habe die DVD-Box vor einiger Zeit schon gekauft und bisher noch nicht angeschaut.

    Jetzt habe ich gerade die erste DVD daraus fertig angesehen. Es gefällt mir gut. :)

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Siegfried Lenz: Der Verlust