'Geister' - Teil 5

  • Was haltet ihr von dem "amerikanischen Hobby" (könnte auch eine europäisches, deutsches etc Hobby sein), der "Zuschaustellung der eigenen moralischen Überlegenheit".

    Der Satz beschäftigt mich noch, aber ich komme noch mal darauf zurück.


    Die "Wähle-dein-Abenteuer-Geschichte" bringt viel Klarheit darüber, wie Samuel zu dem Samuel der Gegenwart wurde. Seine jungen Jahre sind nicht wie bei Anderen ein Suchen, ein Ausprobieren, sondern ein Verstellen mit dem einzigen Ziel, Bethany zu beeindrucken, von ihr wahrgenommen zu werden, sie zu gewinnen, der Mann zu sein, den sie will.


    Eigentlich spiegelt das den Unterricht, der Samuels Mutter zuteil wurde. Sie bekam beigebracht, wie sie einen Mann halten sollte, was sie alles tun und lassen sollte. Samuel versucht alles, um erstmal Bethanys Aufmerksamkeit zu erregen, aber auch seine Bemühungen haben nur ein Ziel: jemand zu werden, der dem Anderen recht ist.


    Bethany als Erwachsene finde ich leer, als wolle sie keine Gefühle mehr zulassen oder habe keine. Sie wirkt kalt, aber auch traurig und verlassen, seltsame Kombination.


    Bishops Tod hat mich erst erschüttert. Ich hatte vermutet, dass er in Samuel verliebt war. Nun bin ich nicht mehr sicher, obwohl, dass er Samuel eigentlich von seiner Schwester trennt, passt dazu. Manipulativ bis zum Schluss.

    Ich denke nicht, dass er Bethany schützen will. Er denkt an sich.

  • Im Grunde ist dieser Roman eine Abhandlung darüber, wie Menschen in ihrem Leben scheitern bzw. zum Scheitern verurteilt sind.

    Hill schafft es immer wieder, mich zu überraschen. Zuletzt mit Bishops Brief, genau in dem Moment, als ich mich entspannt zurücklehnte und die wunderschön beschriebene Kussszene genoss. Samuel wird mit dem Lackaffen schon fertig, dachte ich, und dann schiebt sich Bishops letzte Bitte zwischen die beiden.

    Samuel wird diese beherzigen, denn Bethany scheint ja in seinem aktuellen Leben keine Rolle zu spielen.


    Es sind immer wieder Faustschläge, die beim Lesen meine Magengrübe treffen. Zum Beispiel die Auflösung, warum der Rektor sterben musste. Wieder eine Überraschung, dass es nicht nur der Missbrauch war, sondern zurückgewiesene Liebe.


    Ich weiß gar nicht, was ich mir für den weiteren Verlauf des Romans wünschen soll. Will ich lesen, dass Samuel eines Tages schafft und glücklich wird? Das wünsche ich natürlich jedem, würde aber gar nicht zu dem bisherigen Buch passen und das würde mich wahrscheinlich enttäuschen.

    Also lasse ich mich überraschen.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Bethany als Erwachsene finde ich leer, als wolle sie keine Gefühle mehr zulassen oder habe keine. Sie wirkt kalt, aber auch traurig und verlassen, seltsame Kombination.

    Bethany bleibt für mich bisher nur eine Randfigur, ein Traumbild. Kalt wirkt sie auf mich nicht, eher unnahbar. Wir erleben sie ja nur aus Samuels Sicht. Aber wer sich mit einem einen Banker verlobt...:grin

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Bishops Tod hat mich erst erschüttert. Ich hatte vermutet, dass er in Samuel verliebt war. Nun bin ich nicht mehr sicher, obwohl, dass er Samuel eigentlich von seiner Schwester trennt, passt dazu. Manipulativ bis zum Schluss.


    Ich denke nicht, dass er Bethany schützen will. Er denkt an sich.

    Darüber habe ich gar nicht nachgedacht. Du hast bestimmt recht mit deiner Vermutung.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Bethany bleibt für mich bisher nur eine Randfigur, ein Traumbild. Kalt wirkt sie auf mich nicht, eher unnahbar. Wir erleben sie ja nur aus Samuels Sicht. Aber wer sich mit einem einen Banker verlobt...:grin

    Ich denke ja, dass wir später im Buch noch mal mehr erfahren.

    Das mit der Verlobung ist auch so eine Sache. Glücklich sind sie jedenfalls nicht miteinander , da können sie noch so viel Heile Welt spielen.

  • Aber ob Bethany mit Samuel glücklicher wäre? Ich wage es zu bezweifeln.

    Andererseits ist es mir auch egal, ob die beiden zueinander finden oder nicht. Ich sehe das Buch nicht als Liebesschnulze, in der sich zwei nur finden müssen, um dann für immer und ewig glücklich zu sein. So ist das Leben nicht. Und schon gar nicht dieser Roman.


    Für mich ist das Buch ein Abbild der Gesellschaft - alle bemühen sich um eine Stellung in der Welt, denken an ihr eigenes Wohl und wie sie ihre Bedürfnisse befriedigen. In dem Buch verbergen sich Abgründe. Fast alle sind im Grunde gescheiterte bzw zum Scheitern verurteilte Existenzen. Und die mit der größten Unverfrorenheit und Frechheit scheinen zu siegen. So wie es halt immer ist...


    Mir gefällt das Buch ausgezeichnet, aber etwas vermisse ich doch. Und zwar ein wenig Humor. Ich meine wirklich Humor, Lächeln und Freundlichkeit, keine Schadenfreude. Humor, der all das Elend und all die Gemeinheiten erträglicher macht.

    Kinder lieben zunächst ihre Eltern blind, später fangen sie an, diese zu beurteilen, manchmal verzeihen sie ihnen sogar. Oscar Wilde

  • Mir gefällt das Buch ausgezeichnet, aber etwas vermisse ich doch. Und zwar ein wenig Humor. Ich meine wirklich Humor, Lächeln und Freundlichkeit, keine Schadenfreude. Humor, der all das Elend und all die Gemeinheiten erträglicher macht.

    Ich vermisse den Humor nicht, weil ich finde, dass die Stimmung so, wie sie ist, genau zum Buch passt. Aber du hast Recht, vieles wäre leichter zu ertragen.

  • Für mich ist dieser Abschnitt schwer zu ertragen. Meiner Meinung nach geht es weniger um Scheitern, sondern um beschädigt sein. Zu geschädigt, um es mit dem Leben aufnehmen zu können. Alle vorkommenden Personen sind nicht in der Lage, wirklich zu leben.


    Auf S. 430 ist dafür eine echte Schlüsselstelle. Samuel über sich selbst: "Nichts in deinem Leben hast du bewusst entschieden - es ist einfach alles so gekommen, du wurdest geformt von den Dingen, die dir zugestoßen sind. Wie die Schlucht, die dem Fluss nicht sagen kann, wie er sie aushöhlen soll. Sie lässt es lediglich geschehen."

    Eine furchtbare Lebenseinstellung. Menschliches Leben reduziert auf die Existenz eines Steins.


    Da kann es weder Humor noch Freundlichkeit oder Zufriedenheit geben. Von Glück gar nicht zu reden.



    Es sind immer wieder Faustschläge, die beim Lesen meine Magengrübe treffen. Zum Beispiel die Auflösung, warum der Rektor sterben musste. Wieder eine Überraschung, dass es nicht nur der Missbrauch war, sondern zurückgewiesene Liebe.


    Ich sehe das mit dem Rektor anders, Liebe war es nicht. Zurückweisung ja. Und Scham über die eigenen Gefühle, die Bishop gleich mit schwul sein verbunden hat.

    Vielleicht auch ein Gefühl der Minderwertigkeit, weil er ersetzt wurde.

    Diese verfluchte Sprachlosigkeit, die solche Monster davonkommen ließ. Das macht mich unglaublich wütend.

    Und der arme Bishop glaubt ja selbst als Erwachsener noch, verdorben worden zu sein. Zum Leben und Lieben nicht zu taugen. Und er glaubt, Samuel damit "angesteckt" zu haben und möchte deshalb nicht, dass er sich Bethany nähert.

  • Ich sehe das mit dem Rektor anders, Liebe war es nicht. Zurückweisung ja. Und Scham über die eigenen Gefühle, die Bishop gleich mit schwul sein verbunden hat.

    Vielleicht auch ein Gefühl der Minderwertigkeit, weil er ersetzt wurde.


    Diese verfluchte Sprachlosigkeit, die solche Monster davonkommen ließ. Das macht mich unglaublich wütend.

    Und der arme Bishop glaubt ja selbst als Erwachsener noch, verdorben worden zu sein. Zum Leben und Lieben nicht zu taugen. Und er glaubt, Samuel damit "angesteckt" zu haben und möchte deshalb nicht, dass er sich Bethany nähert.

    Missbrauch ist ein ganz schwieriges Thema. Ich habe nur wiedergegeben, was auf S. 458 zu lesen ist. Bishop erkennt bzw. kann den Missbrauch erst später einordnen, aber als Junge hat er sich zurückgewiesen gefühlt, "wie eine sitzen gelassene Freundin." Das werte ich jetzt nicht.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Vielleicht hätte er, also Bishop gar nicht mehr die Chance, eine wirkliche Position zu diesem Missbrauch zu finden. Viele Missbrauchsopfer brauchen Jahre, um sich überhaupt klar zu werden, was da mit ihnen geschehen ist. Uns Bishop starb als junger Mann.

    Aus dem, wie Bishop zum Beispiel dem neuen Rektor gegenüber auftritt, sieht man, dass er schon weiß, das ihm Unrecht getan wurde, das es falsch und strafbar war, was der alte Rektor mit ihm tat. Ich bin mir nur nicht sicher, wie er inzwischen seine eigene Rolle dabei sah:gruebel

  • Ich finde Hill gelingt es hier sehr gut, die Abhängigkeit, die viele Opfer empfinden und den Machtmissbrauch der Täter dadurch zu schildern. Natürlich auch, die Unsicherheit, den Schmerz und die Wut, wenn niemand dem Kind hilft und wie die Kinder damit erwachsen werden oder eben nicht. Mir hat Bishop unheimlich leid getan.

  • Das Buch wird für mich von Abschnitt zu Abschnitt interessanter und besser.

    Samuels Leben ist ja total auf die Liebe zu Bethany fixiert. Ich habe das Gefühl, sein einziges Ziel im Leben ist es, ihr zu gefallen und sie vielleicht doch noch für sich zu gewinnen. Das macht mich auch traurig, weil er sein Leben dabei so vergeudet.

    Bishops Tod hat mich erst erschüttert. Ich hatte vermutet, dass er in Samuel verliebt war. Nun bin ich nicht mehr sicher, obwohl, dass er Samuel eigentlich von seiner Schwester trennt, passt dazu. Manipulativ bis zum Schluss.


    Ich denke nicht, dass er Bethany schützen will.

    Der letzte Teil des Abschnittes, also die kurze Geschichte von Bishop im Krieg hat mich auch sehr erschüttert und berührt. Und wie tragisch ist es, dass er nur noch diesen einen Brief an Samuel schreibt, bevor er stirbt. Was wäre gewesen, wenn er alle die Briefe noch geschrieben hätte, so wie er es sich gewünscht hat?

    Nun sieht es für die Hinterbliebenen so aus, als hätte er nur diesen eine Brief für Samuel als Nachlass geschrieben und hätte seine anderen Verwandten und Bekannten vergessen.


    Das mit dem Missbrauch ist einfach nur furchtbar und mir hat Bishop in dieser Situation mit dem Rektor auch furchtbar leid getan.


    Ich muss immer wieder an den Satz von Samuels Mutter denken, den sie zu ihm gesagt hat, bevor sie ihn verlassen hat: "Das, was Du am meisten liebst, wird dir eines Tages am meisten wehtun". Ich bin gespannt, ob der Leser noch erfährt, auf was sie es bei sich bezogen hat.

    Und ich glaube jetzt einfach mal ganz stark daran, dass das nicht immer so sein muss. Das ist einfach eine furchtbare Vorstellung


    I

  • Mir gefällt besonders gut, wie der Autor diese ganzen zwiespältigen Gefühle deutlich macht.

    Nicht einfach eine Schublade auf und fertig, sondern er hält diese Zwiespältigkeit aus und mutet sie auch den Lesern zu.


    Rouge, ich glaube ja, es muss nicht immer so sein, dass das, was man am meisten liebt einem am meisten weh tun kann. Aber diejenigen haben die meiste Macht über einem und wenn sie dich verletzen, dann ist es schlimm. Jemand, der mir gleichgültig ist, kann das nicht so sehr.

  • Rouge, ich glaube ja, es muss nicht immer so sein, dass das, was man am meisten liebt einem am meisten weh tun kann. Aber diejenigen haben die meiste Macht über einem und wenn sie dich verletzen, dann ist es schlimm. Jemand, der mir gleichgültig ist, kann das nicht so sehr.

    Ich denke, dass uns der, den wir am meisten lieben, am meisten verletzen kann.

    Und ich denke, dass uns der, den wir am meisten lieben, nicht am meisten verletzen wird, es auch nicht muss.

    Die Möglichkeit ist da, aber dieser Mensch wird es nicht tun, weil er das auch weiß.

    Klingt verwirrt, es ist spät, war das verständlich?

  • Ich meine, dass es ganz klar ist, dass einen diejenigen, die man am meisten liebt, auch am tiefsten verletzen können.

    Der Verrat, die Lüge, die Gemeinheit eines geliebten Menschen schmerzt mich hundertmal mehr als die eines Menschen, der mir nicht so nahe steht. Bei denen ist mir meist (fast) egal, was sie über mich sagen.

    Kinder lieben zunächst ihre Eltern blind, später fangen sie an, diese zu beurteilen, manchmal verzeihen sie ihnen sogar. Oscar Wilde

  • Ich meine, dass es ganz klar ist, dass einen diejenigen, die man am meisten liebt, auch am tiefsten verletzen können.

    Der Verrat, die Lüge, die Gemeinheit eines geliebten Menschen schmerzt mich hundertmal mehr als die eines Menschen, der mir nicht so nahe steht. Bei denen ist mir meist (fast) egal, was sie über mich sagen.

    Interessanter finde ich aber, dass gesagt wird, dass die, die man am meisten liebt, einen am meisten verletzen werden, nicht nur können.

    Und das, finde ich, muss nicht so sein.