'Underground Railroad' - Seiten 001 - 085

  • Rouge, ich weiß gar nicht, wo ich das mal gelesen habe: Armut lässt Menschen zusammenrücken. Wenn es aber über Armut hinausgeht, es weder Hoffnung noch irgendeinen Raum für Verbesserung gibt, dann werden Menschen grausam und bösartig.

    Genau das wird hier sehr deutlich beschrieben und macht einem so betroffen.

    Das bringt es genau auf den Punkt.


    Ich bin jetzt auch soweit. Der Anfang fiel mir total schwer, weil ich mich erst mal auf die Schreibart des Autors einstellen musste. Aber jetzt hat es mich.

    Ich fand den Schreibstil auch erst gewöhnungsbedürftig, aber mittlerweile gefällt er mir sehr gut.

    Auf mich wirkt die Erzählweise sehr distanziert, aber trotzdem so eindringlich, dass es unter die Haut geht.

  • Rouge, ich weiß gar nicht, wo ich das mal gelesen habe: Armut lässt Menschen zusammenrücken. Wenn es aber über Armut hinausgeht, es weder Hoffnung noch irgendeinen Raum für Verbesserung gibt, dann werden Menschen grausam und bösartig.

    Genau das wird hier sehr deutlich beschrieben und macht einem so betroffen.

    Genau so ging es mir auch - allerdings wird auch sehr deutlich gezeigt, was passieren kann, wenn eine Gruppe zuviel Macht über eine andere hat.


    Erhängen und dann vor den Gästen verbrennen? :bonk:help Und fest überzeugt zu sein, dass man in den Himmel kommt???

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")

  • Dieser erste Abschnitt hat es wirklich in sich. Nachdem ich gestern in Ruhe diesen Teil lesen konnte, habe ich mich auch an den Schreibstil gewöhnt.


    Die Art, wie die Sklaven von ihren "Herren" behandelt wurden ist wirklich heftig. Für mich auch eher ein Buch, das ich in Ruhe lesen muss und auch nicht gerade vor dem Einschlafen...

    Vor allem sind die weißen Damen und Herren auch noch von ihrer eigenen Überlegenheit überzeugt. Moralisch und geistig und so.

    Es schaudert einem - vor allem, wenn man weiß, wie auch heute noch Menschen mit anderem Aussehen behandelt werden. Nicht nur in USA.

    :writeDa kann ich Dir leider nur zustimmen - geändert hat sich das leider nicht überall...

  • Dass die Sklaven sich untereinander z.T. wie Wölfe verhalten haben, liegt sicher zum einen an den Lebensbedingungen, die eben nicht mehr nur karg waren, sondern keinerlei Hoffnung auf Besserung geboten haben. Zum anderen aber haben sich die Sklavenhalter alle Mühe gegeben, sämtliche existierenden familiären und gesellschaftlichen Strukturen der Sklaven untereinander zu zerstören - Familien voneinander trennen, Angehörige derselben Volksgruppe separat verschiffen und verkaufen, Paare einzeln weiterverkaufen, Babys von ihren Müttern trennen, bevor diese auch nur den Hauch einer Chance hatten, dem Kind ein wenig eigene "Geschichte" mit auf den Weg zu geben, Leute ständig weiterverkaufen, sodass nicht einmal stabile Freundschaften entstehen können... Wenn man immer wieder aus seinem Lebenszusammenhang gerissen wird und gezwungenermaßen irgendwo neu anfangen muss, kann kaum so etwas wie ein übergeordnetes Zusammengehörigkeits- oder gar Verantwortungsgefühl entstehen. "Teile und herrsche." :-(


    In dem Buch "Heimkehren" von Yaa Gyasi Yaa Gyasi: Heimkehren wird das sehr deutlich. Dieser Roman steht "Underground Railroad" an geschilderten Grausamkeiten in nichts nach und zeigt sehr deutlich auf, was diese generationenweise immer wieder erfolgte Entwurzelung mit den betroffenen Menschen macht.

  • Bei der Szene von der Eisenbahn, die auf dem unterirdischen Bahnsteig einfährt und eben ein echter Zug ist, der einen irgendwohin bringt, idealerweise in die Freiheit, hatte ich sofort das Spiritual "Swing low, sweet chariot" im Kopf - die Kutsche, die einen nach Hause bringt, "coming for to carry me home". Ich weiß nicht, ob der Autor darauf anspielen will. Jedenfalls wäre ich auf diesen Gedanken nicht gekommen, wenn es nicht ein echter Zug gewesen wäre und ich mich an der Stelle gefragt habe, was das jetzt bitte soll. ^^

    Aber ich bin mal gespannt, wie es mir im Laufe dieses Buches noch mit der echten Eisenbahn ergehen wird und ob ich diese dichterische Freiheit dann nicht als zu bemüht wahrnehmen werde.

  • Am Anfang habe ich mich auch etwas schwer getan mit den Zuordnungen der Personen. Aber jetzt so in der Mitte des Abschnittes bin ich ganz gut im Buch angekommen.

    Gung mir genau so. Ausserdem fand ich den schreibstil gewöhnungsbedürftig.


    Aber mittlerweile liest es sich flüssig.

  • Nadehzda, ich habe mich das mit der echten Bahn ja auch gefragt und finde deshalb deinen Gedanken mit "swing low, sweet chariot" sehr interessant und es passt auch.

    Sozusagen eine Freiheitskutsche.


    Das ist ein wichtiger Punkt - und wie man mehrfach nachlesen kann, von den Herrschenden ganz bewusst eingesetzt.

  • Das ist ein wichtiger Punkt - und wie man mehrfach nachlesen kann, von den Herrschenden ganz bewusst eingesetzt.

    Ja, das taucht immer wieder auf. Yaa Gyasi hat diese Problematik in ihrem Roman deutlicher herausgearbeitet; ohne dieses Buch im Hinterkopf würde ich es in "Underground Railroad" vielleicht eher überlesen. Aber vielleicht wird es dort an späterer Stelle ja auch noch vertieft.

  • Eure Gedanken dazu sind echt interessant und decken sich in vielen Punkten mit meinen beim Lesen damals. Mir fällt gerade auf, wie intensiv dieses Buch nachwirkt - noch längst nicht bei jedem Buch habe ich nach einem Jahr oder so noch alles so parat.


    Die Sache mit der Solidarität finde ich interessant. Wie bei vielen anderen Büchern auch (z.B. den meisten Büchern, deren Handlung in der Zeit des Nationalsozialismus spielt) frage ich mich hier - wie hätte ich unter den Umständen gehandelt. Sowohl auf der einen, als auch auf der anderen Seite. Man macht sich da ja gerne Illusionen über das eigene Handeln in Extremsituationen, die man wahrscheinlich (und zum Glück) in seinem Leben nicht mehr erleben muss.


    Und es hat ja immer und zu allen Zeiten auch Menschen gegeben, die anderen geholfen haben - auf allen Seiten. Ein Großteil der Organisatoren der echten Underground Railroad war z.B. weiß.


    Die echte Bahn hat bei mir auch zu einem Stutzen geführt. Ich war schon gespannt auf eure Reaktionen darauf.


    Nadezhda - das Buch habe ich mir gleich mal notiert.

  • Im ersten Moment habe ich bei der echten Bahn auch gestutzt, aber ich sehe diesen Zug und seine unterirdische Strecke als Symbol für all die Schleichwege, die sich mutige Menschen (stationsvorsteher) einfallen gelassen aheb, um Menschen bei der Flucht zu helfen.

  • Ellemir, ich glaube, wenn man so relativ behütet aufgewachsen ist, wie das bei den meisten von uns der Fall ist, kann man sich ein solches Leben überhaupt nicht in allen Konsequenzen vorstellen. Wir hatten ja gerade die Chance, einigermaßen stabile Persönlichkeiten zu werden - diese hatten die Sklaven so gut wie nie.


    Zwergin, für mich wäre schon die Bezeichnung als "underground railroad" symbolträchtig genug gewesen.


    Aber ich denke, darüber werden wir später noch diskutieren.

  • f(...) ür mich wäre schon die Bezeichnung als "underground railroad" symbolträchtig genug gewesen (...)


    Ich nehme die echte Eisenbahn im Buch auch als metaphorisch überfrachtet wahr. Aber es ist ja schon ein eindrückliches Bild von dem Abstieg in diesen absurden Eisenbahntunnel unterm Haus - vielleicht wollte der Autor einfach dieses starke Bild bei den LeserInnen verankern.

  • Nadezhda - das Buch habe ich mir gleich mal notiert.


    Es ist eins der bewegendsten Bücher, die ich in den letzten Monaten gelesen habe. Natürlich ebenfalls schwere Kost, was noch dadurch gesteigert wird, dass in jedem Kapitel eine Generation weiter gesprungen wird. Ich hatte es damals als Wanderbuch und habe es mir danach auf Englisch gekauft. Liegt jetzt ziemlich weit oben auf meinem Reread-Stapel.

  • Mich hat es irgendwie an Keller & Tunnel als Verstecke erinnert, allerdings im Dunkeln und in völlig fremder Umgebung, bzw. hier mit unbekanntem Ziel.


    Sprachlich und stilistisch gefällt es mir sehr gut. Die Gräul/Gewalttaten werden oft nur knapp angedeutet, aber eindeutig genug.

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")

  • Die Sache mit der Solidarität finde ich interessant. Wie bei vielen anderen Büchern auch (z.B. den meisten Büchern, deren Handlung in der Zeit des Nationalsozialismus spielt) frage ich mich hier - wie hätte ich unter den Umständen gehandelt. Sowohl auf der einen, als auch auf der anderen Seite. Man macht sich da ja gerne Illusionen über das eigene Handeln in Extremsituationen, die man wahrscheinlich (und zum Glück) in seinem Leben nicht mehr erleben muss.


    Und es hat ja immer und zu allen Zeiten auch Menschen gegeben, die anderen geholfen haben - auf allen Seiten. Ein Großteil der Organisatoren der echten Underground Railroad war z.B. weiß.


    Diesen Punkt finde ich auch sehr wichtig, der mir im Buch auch eine gewissen Selbstreflektion aufdrängt - würde ich die Courage haben, fliehenden Sklaven zu helfen. Sehr schnell finde ich für mich die Antwort: keine Ahnung. Wir leben in einer so behüteten Welt mit einer langen Friedensperiode in Europa, solche Extrem-Situationen kann ich mir als 31jähriger weißer Mann mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag gar nicht vorstellen. Aber es stellen sich sofort weitergehende Fragen: Was habe ich in der Vergangenheit getan, wo hätte ichv ielleicht anders reagieren können/sollen, was mache ich momentan, und am wichtigsten: Was sehe ich als notwendig an für eine Gesellschaft, in der ich leben möchte, was kann ich dazu beitragen, dass meine Umgebung so bleibt oder wird. Das ein Buch diese Fragen so eindringlich aufwirft, ist eine tolle Leistung von Whitehead. Nur die Fragen kann er mir nicht beantworten, das muss jeder selber schaffen. Und das ist nicht einfach.

  • Ich schleich mich mal hier rein, in der Hoffnung, dass ihr mich aufnehmt. 8) Das Buch möchte ich schon länger lesen, ich wusste aber nicht, ob ich die Zeit und Muse für die Leserunde finde. Jetzt habe ich einfach mal angefangen und mich festegelesen und hoffe, ich komme einigermaßen hinterher.


    Den ersten Abschnitt habe ich durchaus als sehr packend empfunden. Zum Teil wirklich furchtbar grausam (die Szene, wo der entlaufene Sklave zu Tode gefoltert wird und für die Weißen ist das Unterhaltungsprogramm zum Kaffeeklatsch), aber auch mit viel Empathie für das Leben der Sklaven.

    Auf mich wirkt die Erzählweise sehr distanziert, aber trotzdem so eindringlich, dass es unter die Haut geht.

    Das geht mir auch so. Ich bin aber sehr froh, über den distanzierten Schreibstil, denn mit vielen Emotionen könnte ich das Buch sicher nicht lesen.

    Dass die Sklaven sich untereinander z.T. wie Wölfe verhalten haben, liegt sicher zum einen an den Lebensbedingungen, die eben nicht mehr nur karg waren, sondern keinerlei Hoffnung auf Besserung geboten haben. Zum anderen aber haben sich die Sklavenhalter alle Mühe gegeben, sämtliche existierenden familiären und gesellschaftlichen Strukturen der Sklaven untereinander zu zerstören - Familien voneinander trennen, Angehörige derselben Volksgruppe separat verschiffen und verkaufen, Paare einzeln weiterverkaufen, Babys von ihren Müttern trennen, bevor diese auch nur den Hauch einer Chance hatten, dem Kind ein wenig eigene "Geschichte" mit auf den Weg zu geben, Leute ständig weiterverkaufen, sodass nicht einmal stabile Freundschaften entstehen können... Wenn man immer wieder aus seinem Lebenszusammenhang gerissen wird und gezwungenermaßen irgendwo neu anfangen muss, kann kaum so etwas wie ein übergeordnetes Zusammengehörigkeits- oder gar Verantwortungsgefühl entstehen. "Teile und herrsche." :-(

    Das finde ich sehr gut beschrieben! Die Menschen kämpfen jeden Tag um das nackte Überleben. Und dass es dann Leute gibt, die ihre extreme Machtlosigkeit zumindest teilweise kompensieren wollen, dass sie ihrem eigenen Volk Gewalt antun, gibt es immer wieder.


    Es gab nur ein illegales, organisiertes Netzwerk, dass sich so genannt hat. Diese Eisenbahn ist eine Erfindung des Autors.

    Was das mit der Eisenbahn soll, verstehe ich momentan überhaupt nicht. Das finde ich dermaßen unglaubwürdig, dass es mir echt den Spaß am Lesen kurzzeitig verdorben hat. Ich hoffe, der Autor hat einen guten Grund dazu! Die Geschichte ist doch auch "in real" spannend und abenteuerlich genug, da muss er doch nicht mit so einem Schnick Schnack aufwarten.


    Ich wusste zwar grob von der "echten" underground railroad, aber deinen Link dazu fand ich sehr interessant Rouge! Danke dafür! :wave

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021