Fragen an Ulrike Renk

  • Hier können ja Fragen an mich gestellt werden - aber offensichtlich habt ihr keine. Wenn doch - traut euch! Manchmal antworte ich auch. :D:D


    Ich hätte allerdings eine Frage an Tante Li - du stellst in der Leserunde viele Fragen. Fragen warum und weshalb - und du setzt meistens diesen Smiley dahinter :gruebel Das ist der Grübel Smiley - oft sind es Fragen zum Geschehen, zu Dingen, die nun mal so passiert sind. Was bringt dich da zum Grübeln?

    Oder so eine Frage: "Warum hast du das so geschrieben? :gruebel Das ging doch auch anders" - meine Interpretation deiner Frage und des Smileys. Tja, das lässt mich immer irgendwie sprachlos zurück. Was soll ich darauf antworten? Gerade mit diesem grünen und somit negativen Smiley?
    Ich halte mich meistens sehr genau an die Geschichte, in den letzten Romanen habe ich sehr konkrete Leben, an denen ich mich orientiere. Man könnte mehr Spannung in die Geschichte bringen, wenn man Tatsachen verändert, das will ich aber nicht. Es ist keine Biographie, aber ein wahres Leben liegt der Geschichte zu Grunde und unsere Geschichte.


    Ich begleite gerade (unfreiwillig) drei Leserunden. Die bei den Eulen mache ich immer und immer mit Herzblut und Vergnügen, die bei Lovelybooks kann kritisch sein - die Leserunde bei der Lesejury ist murks. Ich versuche jeden Tag mitzulesen, in allen drei Runden, und Fragen zu beantworten. Noch nie war das so schwierig, wie bei diesem Buch.

    Ja, es ist ein schwieriges Buch. Ja, es geht um Juden und ja, es ist jüdisch angehaucht.
    Und tatsächlich habe ich mich bewusst dafür entschieden, die ersten zwei Teile langsam und gemächlich zu erzählen. Ich wollte, dass die Leser - so wie ich - langsam ein Gespür für die Familie, die zwar Deutsche, aber auch Juden, sind, bekommen. Ganz allmählich. Und ich wollte ganz deutlich das leichte, vielleicht auch langsame Leben der Familie Meyer aufbauen und zeigen. Sie haben so gelebt - sie waren glücklich, wohlhabend, nicht reich, aber wohlhabend. Sie hatten es gut. Und dann kamen die Schatten, die Nazis - schleichend, aber unaufhaltsam.

    Wir heute wissen, was passiert ist, was ihnen passieren wird. Wir wissen, wie schreckliches wird. Unvorstellbar schrecklich.


    Ich war in Auschwitz. Die Bilder habe ich nie, nie, nie vergessen. Das, was ich gesehen habe, kann ich nicht vergessen.
    Und ich habe immer gedacht - so etwas wird nie niemals nie wieder vorkommen, weil es das nicht darf. Weil es so unsagbar schrecklich war, so unmenschlich ... so ohne Worte gräßlich.

    Aber es fing schleichend an.

    Niemand hat sofort nach Gaskammern geschrieen. Niemand hat sofort die Juden enteignet. Das kam nur nach und nach ...

    So schleichend.

    So langsam, dass es sich in die Gemüter einnistete.
    Und so unvorstellbar es für mich immer war - es passiert heute wieder. Mit einer Partei, die unsäglich ist, die sich langsam aber sicher Anhänger erkämpft, die mit Parolen arbeitet, die es früher schon gab. Mit Rache, Hass und Vorurteilen.

    Das macht mir Angst. Große Angst.
    Nichts kommt auf einmal ganz schnell ... die schleichenden Dinge sind viel gefährlicher.

    Unser Leben heute ist schön. Ich kenne keine Krieg, meine Mutter und meine Großeltern schon. Meine Kinder nicht - und ich hoffe, sie werden den Krieg nur aus Bücher kennenlernen. Das wünsche ich mir für 2019 und alle weiteren Jahre.

    In diesem Sinne - rutscht gut ins nächste Jahr.

    Wir lesen uns!

    Ulrike Renk

  • Liebe Ulrike Renk, das hast Du ganz wunderbar gesagt. Und seltsamerweise habe ich das so ähnlich gerade in einem der threads dazu geschrieben. Wie ich es empfunden habe aber wie es gemeint ist. Mit unserem Wissen ist es leicht ungeduldig zu werden. Ich interessiere mich, seit ich lesen kann und meiner ersten Erfahrung mit der Shoah für die jüdische Geschichte, egal ob alt oder neu. Für ihre Kultur ihren Glauben usw. Ich erinnere mich noch gut an den 6 Tage Krieg. Da war ich noch relativ jung.


  • Ich hätte allerdings eine Frage an Tante Li - du stellst in der Leserunde viele Fragen. Fragen warum und weshalb - und du setzt meistens diesen Smiley dahinter :gruebel Das ist der Grübel Smiley - oft sind es Fragen zum Geschehen, zu Dingen, die nun mal so passiert sind. Was bringt dich da zum Grübeln?

    Oder so eine Frage: "Warum hast du das so geschrieben? :gruebel Das ging doch auch anders" - meine Interpretation deiner Frage und des Smileys. Tja, das lässt mich immer irgendwie sprachlos zurück. Was soll ich darauf antworten? Gerade mit diesem grünen und somit negativen Smiley?
    Ich halte mich meistens sehr genau an die Geschichte, in den letzten Romanen habe ich sehr konkrete Leben, an denen ich mich orientiere. Man könnte mehr Spannung in die Geschichte bringen, wenn man Tatsachen verändert, das will ich aber nicht. Es ist keine Biographie, aber ein wahres Leben liegt der Geschichte zu Grunde und unsere Geschichte.

    So negativ wie Du das hier empfindest, meine ich meine Grübelsmileys nicht. Ich verwende sie gern, wenn ich mir über Inhalt oder Form Gedanken machen.

    Dies ist meine erste Leserunde mit Autorin bei den Büchereulen und ich hatte die Idee, dass hier nicht nur Fragen zum Inhalt sondern auch zur Darstellung erlaubt sind.


    Grundsätzlich finde ich es gut, dass Du Dir die Mühe gemacht hast, das jüdische Leben vor der Shoa so eindrücklich zu schildern. Jetzt wo die Zeitzeugen langsam wegsterben und Holocaust-Leugner gesellschaftsfähig zu werden scheinen, ist es wohl an der jüngeren Generation, die Geschichte möglichst authentisch wach zu halten.


    Erschüttert hat mich letztens ein Gespräch mit einer 25jährigen mit Abitur, die mit dem Begriff "Brauner" gar nichts anfangen konnte - das ist wohl die Generation Netflix, die keine der vielen Dokumentationen zu dem Thema im Free-TV sieht und keine Zeitung oder wenn überhaupt nur Fantasy oder ScienceFiction liest. :gruebel

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Siegfried Lenz: Der Verlust

  • Tante Li Das ist aber jetzt auch etwas hart! Ich glaube, es ist einfach so, dass gerade Begriffe wie „Brauner“ für die Jugendlichen, die ja vom Geschehen noch weiter weg sind und nicht mal die Teilung Deutschlands bewusst bzw überhaupt mitbekommen haben, einfach leere Worte sind. Natürlich lernen die das in der Schule, aber es berührt einen wenig, wenn man in einer so reichen Welt wie heute lebt. Ich finde es einfach unfair, Menschen in dem Alter als dumm und ignorant einzustufen, weil sie gerne Netflix gucken. Ziemlich überheblich ist es dazu auch noch.

    Wie soll man sich in eine so schlimme Welt rein versetzen können, wenn man mit einem Fingerschnippen alles bekommen kann, was man möchte? Meiner Meinung nach ist da die Gesellschaft dran schuld, nicht die Jugendlichen. Ich habe mich in dem Alter auch nicht für Kriegs- und Vorkriegsdokus interessiert. Einfach, weil das Fach Geschichte in der Schule nur aus auswendig lernen bestand. Wie soll man da Interesse aufbauen? Den meisten wird es heute auch nicht anders gehen.

    Vielleicht überdenkst du mal deine Einstellung zu jungen Leuten. Ich hoffe, dass du den Hintergrund zu dem Wort erklärt hast.

  • Erschüttert hat mich letztens ein Gespräch mit einer 25jährigen mit Abitur, die mit dem Begriff "Brauner" gar nichts anfangen konnte - das ist wohl die Generation Netflix, die keine der vielen Dokumentationen zu dem Thema im Free-TV sieht und keine Zeitung oder wenn überhaupt nur Fantasy oder ScienceFiction liest.

    Ich möchte hier eine Lanze brechen für die "Jugend von heute", die eben nicht durch und durch so ist, wie du das hier mir viel zu verallgemeinernd darstellst.
    Ja, auch meine Eindrücke sind subjektiv, aber unter den jungen Menschen in meinem Umfeld (und das sind umständehalber schon recht viele) und den vielen engagierten jungen Leuten, über die auch die Medien berichten, wissen die meisten, trotz Netflix, Fantasy und Science Fiction (von den letzten beiden bin ich ebenfalls großer Fan und habe mit diesen Genres das Lesen überhaupt erst lieben gelernt), sehr wohl Bescheid, lesen Zeitung (vielleicht eher virtuell als auf Papier) und informieren sich.

    Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir in unserer Familie mit unseren Kindern jemals von "Braunen" gesprochen hätten, sondern sie als das bezeichnet haben, was sie waren/sind, nämlich Nazis, Drecksschweine, Menschenverächter usw. Dass eine 25jährige diesen Begriff also nicht kennt, ist vielleicht nicht verwunderlich.

    Ganz abgesehen davon ist es Aufgaben der Eltern, des erwachsenen Umfeldes, der Schulen, der Politik usw. dies an die "Jugend von heute" weiterzugeben. Die meisten, die ich kenne, machen da einen ganz guten Job. Man schaue sich nur die "Schulen ohne Rassismus - Schulen mit Courage" als Beispiel an oder Lehrer und Eltern, die Begegnungen mit Zeitzeugen organisieren, Reisen nach Ausschwitz, Buchenwald usw.
    Es ist unsere Aufgabe, die jungen Menschen dafür zu sensibilisieren.


    Danke für deine Worte, liebe Ulrike, denen ich mich nur anschließen kann und dafür, dass du versuchst, dir diese Authentizität in deinen Geschichten zu bewahren. Mein ältester Sohn war während seiner Schulzeit in Auschwitz. Er findet ähnliche Worte aus Sicht der uns nachfolgenden Generation.

  • Vielleicht überdenkst du mal deine Einstellung zu jungen Leuten. Ich hoffe, dass du den Hintergrund zu dem Wort erklärt hast.

    Ja, natürlich habe ich das Wort erklärt und so verallgemeinernd habe ich das hier auch nicht gemeint.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Siegfried Lenz: Der Verlust

  • Ich bin von den 25 gar nicht weit entfernt und mein Freund noch weniger und wir kennen das Wort beide seit Jahren trotz intensiven Netflix-Konsums, wo ich im Übrigen schon viel mehr Dokus gesehen habe als im FreeTV, was ich zugebenermaßen auch nur noch über App-Mediatheken schaue. Einen Fernsehanschluss haben wir gar nicht.

  • Ulrike Renk  

    Ich finde es interessant, dass das Buch als schwierig, jüdisch oder was auch immer aufgefasst wird. So empfinde ich es gar nicht... Teilweise könnte das Tempo vielleicht etwas schneller sein, aber das Gemächliche hat ebenso seinen Reiz und das von dir beschriebene Kennenlernen schätze ich sehr und macht mich wirklich nachdenklich. Habe eben erst eine Lesepause eingelegt, um mit meinem Freund über die Themen des Buches zu sprechen.

  • Mich erinnert das Buch irgendwie auch an die Serie "Holocaust".

    Diese habe ich als junges Mädchen gesehen und das Thema hat mich nicht mehr losgelassen.

    Schaue ich mir vielleicht bald mal wieder an.


    https://de.wikipedia.org/wiki/Holocaust_–_Die_Geschichte_der_Familie_Weiss


    Holocaust wird wieder im Fernsehen gezeigt:

    https://www.stern.de/kultur/tv…ug0Qz9E-OqLBwRTe5rRfrOFIM

  • Gerade das gemächliche hat mir in diesem Buch so gut gefallen. Es macht es so deutlich, wie sich das Klima in Deutschland schleichend geändert hat. Man vergisst ja immer gerne, dass es ja nicht von einem Moment zum andern so schlimm für Juden wurde. Und es wurde ja auch darauf vertraut, dass notfalls auch andere Staaten das schlimmste schon verhindern würde, niemand bringt doch einfach so ein ganzes Volk um und niemand kümmert es.


    Was mich bei diesem Buch und auch bei Peter Pranges „Eine Familie in Deutschland“ so betroffen gemacht hat war, dass soviele Staaten sich geweigert haben den Juden, die aus Deutschland weg wollten, eine Möglichkeit zum Unterschlüpfen zu bieten. So wie heute niemand die Syrer beherbergen möchte, die vor dem Krieg in ihrem Heimatland fliehen.

    Das treibt mich momentan echt ziemlich um.

  • Ihr Lieben,


    wir sind heute von unserem Silvesterurlaub zurückgekommen. Das Wlan hat dort nicht wirklich funktioniert - deshalb konnte ich nicht mehr mitschreiben.

    Leider habe ich mir jetzt noch eine fiese Erkältung eingefangen, aber ich werde in aller Ruhe alles nachlesen.


    Sollte es wichtige Fragen geben, stellt sie mir doch bitte hier - damit ich sie nicht überlese!

  • Gute Besserung auch von mir!:blume


    Ich habe mit meiner Klasse damals Dachau besucht und war damals wie heute schwer erschüttert und habe da erst wirklich verstanden, was damals passiert ist. Kein Film und kein Buch hätte mir das vermitteln können, als dieser stille Moment in den Gaskammern..

    Und wenn ich heute sehe und höre, was auf der Welt passiert - es kommt schleichend, nicht plötzlich..