'Deutsches Haus' - Seiten 115 - 222

  • Hasst er seine Mutter? Das habe ich überlesen. Für mich ist er auch ein Getriebener und auch hier gefällt mir die Vielschichtigkeit. Ein Jude im Bordell passt so gar nicht ins Klischee.

    Ich hätte das irgendwo gelesen, aber vielleicht habe ich das falsch verstanden?

    Daran kann ich mich nicht erinnern. Wo steht das denn?

  • Ich kann leider nicht mehr nachsehen, denn ich hab das Buch nicht mehr.

    Aber an Bemerkungen über Davids Mutter kann ich mich gar nicht erinnern.

    Ich weiß noch, dass Davids Familie schon recht früh in die USA übersiedelt ist. Dass ein Elternteil besonders erwähnt wird ist mir nicht im Gedächtnis.

  • Ist doch kein Problem booklooker! Das gehört doch alles zum gegenseitigem Austausch!


    Was anderes ist mir jetzt im Nachhinein noch aufgefallen (dank der Verdränken-Diskussion im 1. Abschnitt). Die Charaktere gehen im Buch ganz unterschiedlich mit der Situation um. Nennen möchte ich hier Sissy, die ganz bewusst und sehr massiv verdrängt. Aber gerade an ihrem Beispiel sieht man meiner Meinung nach sehr deutlich, dass es in Extremsituationen vielleicht manchmal notwendig ist, das Grauen "in einer Kammer einzuschließen". Sonst wäre eine Weiter- und Überleben wohl gar nicht möglich.


    Der ungarische Zeuge Otto Cohn dagegen will sich erinnern - ja, er hat eigentlich nur überlebt, um sich Erinnern zu können/dürfen. Doch letztlich ist er daran zerbrochen.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Ist doch kein Problem booklooker! Das gehört doch alles zum gegenseitigem Austausch!

    Finde ich auch. Dafür sind doch Leserunden da und jeder "liest" und interpretiert ja auch etwas anders.


    Ich glaube nicht, dass es hilft zu vergessen. Es gelingt auch nicht. Diese "Kammer des Grauens" wird sich wie ein Geschwür durch die Seele fressen. Viele Überlebende der Shoa sind ja nach der Befreiung mit ihren Schuldgefühlen des Überlebens nicht klar gekommen. Wie mag es da den Mitwissern bzw. Leugner gehen?

  • Die Charaktere gehen im Buch ganz unterschiedlich mit der Situation um.

    Die Strategie des Verdrängens kann ich nachvollziehen. Es gibt Probleme, die sind so groß und schmerzhaft, dass man sie - zumindest zeitweise - manchmal verdrängen muss, sonst könnte man nicht mehr funktionieren. Hi und da betrachtet man dann das Problem und manchmal kann man es so auch verarbeiten. Manchmal auch nicht. Und damals gab es ja noch kaum Therapeuten, die einem weiter geholfen haben.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend

    Aslak Nore - Meeresfriedhof


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Und damals gab es ja noch kaum Therapeuten, die einem weiter geholfen haben.

    Und auch kein Bewusstsein dafür, wenn und dass etwas therapiert werden müsste. Bei meinen Eltern z.B. herrscht auch noch die Meinung, dass die Leute denken, und man selbst auch, dass man verrückt ist, wenn man zu einem Therapeuten geht.

    Das musste man alles selbst schaffen und überwinden.

  • Oder eben nicht.

    Es war ein schlimmer Grundsatz, alles für sich zu behalten, mit allem selbst fertig zu werden zu müssen. Es gab auch genug Menschen, die daran zerbrochen sind.

    Und leider gibt es diese unselige Forderung in vielen Familien noch immer.

    Ich glaube, wir sprechen von zwei unterschiedlichen Dingen. Du meinst das Schweigen, dass mit der Absicht verordnet wird, dass niemand in der Öffentlichkeit die schmutzige Wäsche des anderen sieht. Den Versuch, nach außen die Familie Saubermann zu sein.

    Das meinte ich nicht. Ich meine eine Sprachlosigkeit, einen seelischen Ausnahmezustand, der es den Betroffenen unmöglich macht, frei und ehrlich über das Geschehene zu sprechen. Nicht mal im engsten Familienkreis. Nein, gerade im Familienkreis. Mit einem Therapeuten ist so eine Verletzung oft besser zu besprechen und verarbeiten, als mit den Liebsten. Und diese Art von Verarbeitung gab es damals einfach noch nicht.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend

    Aslak Nore - Meeresfriedhof


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • hollyhollunder, ich meine, dass diese Sorte Sprachlosigkeit innerhalb des Familien oder Freundeskreises ein schlimmes Übel ist. Natürlich gibt es Probleme, die man nicht gerade mit Mutter oder Vater, Bruder oder Schwester oder auch dem Partner behandeln möchte.

    Aber die meisten von uns haben nahe stehende Freunde, die gerne helfen wollen. Und ganz oft ist es das

    Gespräch, die Anteilnahme und der Austausch, der Menschen fehlt.


    Es ist eine Art "preußische Doktrin", die ich in vielen Familien angetroffen habe, wo es als höchste Tugend galt und gilt, sich nur niemals (nicht nur gegenüber Außenstehenden) irgendwelche Gefühlsregungen anmerken zu lassen. "Man macht das mit sich selber ab" ist der typische Satz, den ich dazu höre.

    Diese Haltung macht Menschen krank - selbst wenn sie keine schauerlichen Dinge erleben.


    Das versuchte Saubermann Image nach außen ist wieder was anderes, da hast du ganz recht.

  • Es ist eine Art "preußische Doktrin", die ich in vielen Familien angetroffen habe, wo es als höchste Tugend galt und gilt, sich nur niemals (nicht nur gegenüber Außenstehenden) irgendwelche Gefühlsregungen anmerken zu lassen.

    Vielleicht kann ich es nicht richtig ausdrücken, aber ich meine etwas anderes. Ein Beispiel. Eine Frau in meinem Bekanntenkreis (will jetzt nicht genauer erklären wer) wurde als Teenager missbraucht. Das konnte sie niemandem erzählen. Erst fast 40 Jahre später hat sie Worte dafür gefunden. Das hatte nichts mit preußischer Doktrin zum tun sondern mit ihrer Sprachlosigkeit und ihrem Trauma. So habe ich es auf jeden Fall empfunden. Ähnlich dramatisch sehe ich auch die Geschehnisse in Nazideutschland. Eine Vergewaltigung anderer Art.

    Der menschliche Geist sucht sich manchmal den Weg des Totschweigens, damit er das Gefühl hat, es hätte nicht stattgefunden. Das tut er nicht unbedingt, weil die Gesellschaft/Familie das möchte, sondern weil er es braucht, um nicht daran kaputt zu gehen.


    Ich glaube, auch die Eltern von Eva haben sich untereinander nicht darüber unterhalten.

    Natürlich ging diese Sprachlosigkeit durch die ganze Gesellschaft auch. Und hier war sie natürlich nicht richtig. Das wurde den Prozess ja dann versucht. Dennoch mache ich für mich einen Unterschied in der Motivation zu Schweigen. Und mag der Übergang auch fließend sein. Ich kann den Eltern ihre Sprachlosigkeit verzeihen/verstehen. Eva ist vielleicht auch einfach zu jung, um zu vergeben. Die Jugend ist noch unduldsamer und unnachgiebiger.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend

    Aslak Nore - Meeresfriedhof


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)