'Der letzte Auftrag' - Seiten 001 - 077

  • Den ersten Abschnitt habe ich gestern lesen können und ich muss sagen, ich bin schon wieder total gefesselt. Und wie schön, dass wir nun von Annie lesen dürfen. Natürlich bin ich auch gespannt, wie es ihrer Mutter im Westen wohl ergangen sein mag, aber Annies Lebensgeschichte scheint mir doch mehr interessantes Potential zu haben.


    Die Sache mit dem Wahlbetrug ist ungeheuerlich. Auch wenn man um diese Dinge weiß, davon zu lesen berührt und ist gleichzeitig hochspannend. Annie findet sich weiterhin im Friedenskreis ein, obwohl sie anfangs ja auch eher skeptisch war und nur mal eben vorbeischauen wollte. Aber sie bleibt und unterstützt die dortigen Aktivitäten. Ein gefährliches Terrain, in das sie sich begibt, zumal sie in ihrem Job auch schon angeeckt ist. Sie steht für ihre Ideale ein und gibt nicht nach, das mag ich an ihr.


    Misstrauen ist allgegenwärtig. Ganz furchtbar, wenn man so wirklich niemandem trauen kann. Nur Honecker vertraut auf die Gunst seines Volkes. Seine Gedanken im Rahmen der Feierlichkeiten waren fernab jeder Lebenswirklichkeit, irgendwie skurril.


    Ich finde auch die Einblicke in Ingos Leben sehr interessant. Er sorgt für "Recht und Ordnung" im Staat und kämpft selbst gegen seine Fehlbarkeit an. Oder auch die Wünsche seiner Frau, die er nur mit einem höheren Gehalt befriedigen kann, was aber wohl in weite Ferne rückt, wenn er nicht spurt. Eine verzwickte Situation, die ihn aber auch gefährlich machen kann: Schließlich will er seine Beförderung erreichen.


  • ich finde es mutig, dass Annie und Michael jetzt die Anzeige erstellen. Am Ende kann ja auch das Annie den geliebten Job kosten.

    Das ist wirklich sehr mutig. ihnen muss doch klar sein, dass sie unter Beobachtung stehen und dass Konsequenzen unweigerlich folgen werden.

    Tja, die erste Liebe ist doch eine besondere, ganz besonders, wenn sie nicht erwidert oder erfüllt wurde. Ich finde, dass auch Michael noch an Annie hängt, sonst wäre er nicht so barsch.

    Ja, er hängt noch an Annie, doch ich glaube, dass er sich Franziska verpflichtet fühlt und daher zu ihr steht.

    Am Ende war das ja auch keine Emanzipation, Frauen hatten zu arbeiten und basta. Und dass bisschen Haushalt und Kinder geht ja wohl nebenbei, die Kinder konnte man ja weg delegieren. Und dabei wurden die dann auch gleich zu braven Staatsbürgern erzogen.

    Ist doch sehr praktisch für den Staat. so hat er alle unter Kontrolle.

  • Ganz schrecklich stelle ich mir dieses ständige mißtrauisch sein müsen vor.

    es war ja bekannt, daß die Stasi alles unterlaufen hatte, nur wußte man je eben nicht, wer.

    Das muss furchtbar sein, wenn man niemandem vertrauen kann. Am schlimmsten ist es wohl, wenn man in der eigenen Familie vorsichtig sein muss oder nicht weiß, ob die guten Freunde einen dann in die Pfanne hauen.

    Das fand ich jetzt irgendwie seltsam, dass diese Stasi-Typen an bestimmten Merkmalen scheinbar direkt zu erkennen waren. Abwer viellecit mussten die auch gar nicht unauffällig sein, weil die Leute eh hinter jeder Ecke mit der Stasi rechneten.

    Es gab sicher solche und solche. Die einen waren auffällig und sollten ein ungutes Gefühl geben. Doch die Unsichtbaren sind bestimmt noch gefährlicher.

    Wahrscheinlich hatte das auch Methode: einmal die leicht Erkennbaren und dann die, die sich so gut tarnten, dass man ihnen auch Dinge anvertraute, die echt geheim bleiben sollten.

    👍

  • Ich finde auch die Einblicke in Ingos Leben sehr interessant. Er sorgt für "Recht und Ordnung" im Staat und kämpft selbst gegen seine Fehlbarkeit an. Oder auch die Wünsche seiner Frau, die er nur mit einem höheren Gehalt befriedigen kann, was aber wohl in weite Ferne rückt, wenn er nicht spurt. Eine verzwickte Situation, die ihn aber auch gefährlich machen kann: Schließlich will er seine Beförderung erreichen.

    Tja und am Ende geht es doch nur ums Geld und die damit verbundenen Bequemlichkeiten.... Zu mindestens bei Ingos Frau. Er wird ja auch angesprochen, warum sie nicht in der Partei ist, sprich er kann als Stasi-Offizier ja durchaus Schwierigkeiten bekommen, wenn sie sich daneben benimmt.

  • Bin momentan angeschlagen und komme nur langsam voran.

    Der Einstieg fiel mir diesmal nicht so leicht wie beim Vorgänger. Als Niederrheiner mit Verwandten im Osten waren für mich viele neue Informationen enthalten. Bei den Frühchen fiel mir eine Diskussion aus Zeiten von Corona ein, bei der es um die Kriterien für die Behandlungsreihenfolge bei Engpässen ging. Bedeutet im Grunde ja auch zu entscheiden, wen man sterben lässt. Ähnliches gilt auch bei Katastropheneinsätzen.

    Über Wladimir Putin hatte ich schon einiges gehört und gelesen. KGB-Agent in Dresden, der sehr gut deutsch spricht und Durchsetzungsvermögen zeigen musste. Damals fand ich ihn nicht unsympathisch, aber seine Entwicklung zeigt, wie falsch mein Eindruck war.

    Bei der Durchdringung mit Stasi-Mitarbeitern graust es mir. Jeder Kollege, Nachbar, Freund oder gar Mitstreiter kann ein Denunziant sein. Mir kam dazu die Seidenstadt-Saga von Ulrike Renk in den Sinn, in der gerade Nachbarn bei der Verfolgung jüdischer Mitbürger eine unrühmliche Rolle gespielt haben. Andere Zeit, anderes Regime, aber ähnliche Vorgänge.

    Den Staatsbesuch Honeckers in der BRD habe ich positiv gesehen als ein Zeichen der Normalisierung. Damals habe ich nicht im Traum an einen einzigen deutschen Staat gedacht. Da hatte ich keine Vision.

    :lesend James Lee Burke - Die Tote im Eisblock

    hörend: Hanna von Feilitzsch - Bittersüße Mandeln

  • Den Staatsbesuch Honeckers in der BRD habe ich positiv gesehen als ein Zeichen der Normalisierung. Damals habe ich nicht im Traum an einen einzigen deutschen Staat gedacht. Da hatte ich keine Vision.

    Damals dachte ich auch, diese Annäherung bedeutet, dass die DDR-Führung sieht, dass mit uns Westdeutschen doch vernünftig zu reden ist und wir nicht nur der böse Feind sind.

    An ein wiedervereinigtes Deutschland habe ich damals auch nicht geglaubt. Die Ideologie des Ostblocks war mir nicht mit westlichem Demokratieverständnis vereinbar.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Tom Liehr: Im wechselnden Licht der Jahre

  • Bin momentan angeschlagen und komme nur langsam voran.

    Tröste dich wampy, mir geht es ähnlich. Angeschlagen bin ich zwar zum Glück nicht, aber langsam vorankommen tue ich trotzdem. Das Leben ... ;) Lesen geht jetzt wieder einigermaßen, schreiben ist noch das Problem, deshalb musste ich mich schon bremsen, um nicht allzuweit über den Abschnitt hinauszuschießen.


    Ein paar Seiten lang musste ich mich mal sortieren und im Stillen herauskramen, was ich noch von den zwei Vorgängerbänden weiß. Gott sei Dank, genug, dass ich Annie und ihre Vergangenheit einsortieren konnte. Und auch Michael. Ich bin überrascht, dass sie so vehement weiter an ihm hängt.

    Auch ich musste ein Weilchen überlegen, was ich von Annie aus den letzten Bänden schon weiß. Aber zum Glück ist alles (zumindest das Wichtige) wiedergekommen. :) Ansonsten bin ich sehr gut ins Buch gestartet. Es fängt wirklich ganz anders an als die letzten beiden Bände. Aber das ist gut so! Was ich von Annie und Michael halten soll, weiß ich noch nicht so recht. Es ist ja deutlich, dass er Franziska nicht wegen ihr verlassen will, auch wenn da sicher noch was ist. Ich weiß nicht, ob es mir gefällt, dass sie so an ihn - einem vergebenen Mann - rangeht. :/ Annie ist sehr einsam und sehnt sich nach einem Freund und/oder Partner. Da ist sie sehr die Tochter ihrer Mutter, den Ria ging es im 1. Band ja ähnlich. Und auch die gewisse Dickköpfigkeit erkenne ich wieder, keine direkte Rebellion, doch großes inneres Unbehagen, (noch) nicht groß nach außen geäußert. Wahrscheinlich lässt sie deshalb auch nicht von Michael ab.


    Diese Ähnlichkeit mit Ria gefällt mir sehr gut :thumbup:. Das versöhnt mich auch mit Rias Fehlen. Doch dann wurde gerade die Sache mit der Wahl und dem aufgedeckten Wahlbetrug so spannend, dass ich Ria nicht mehr vermisst habe. Zu der Zeit passierte im Osten so viel, da wäre es schade, auf den Westen zu blicken.


    Dazu kommt dann noch die Arbeit des Friedenskreises. Ich finde es mutig, sich so zu engagieren, denn dass sie unter Beobachtung stehen, dürfte allen bewusst sein. Annie sieht zwar, was falsch läuft. Doch dass sie sich so reinhängt, liegt wohl an Michael. So kann sie in treffen, aber sie tut sich nur selbst weh.

    Auch da wieder viel Ähnlichkeit mit Ria, die ja auch eher zufällig aus Frust am System in die Spionagetätigkeit hineingerutscht ist. Hier ist es Annies Interesse an Michael und der Wunsch, mit ihm zusammenzusein. Ich bin gespannt, wo das hinführt und hoffe sehr, dass Annie nicht so viele Gewalterfahrungen machen muss wie Ria!


    Ich finde es auch äußerst bewundernswert, wie sich diese und viele andere Menschen im Widerstand engagieren! Es war ja deutlich mit Nachteilen und Gefahren verbunden. Doch ganz sicher haben gerade diese vielen tapferen Menschen die Wiedervereinigung von West und Ost ermöglicht! <3


    ... man spürt regelrecht die Anspannung die überall herrscht. Freunde sind keine Freunde, man kann niemandem trauen, was macht das mit den Menschen? Einfach furchtbar, aber Titus trifft es haargenau mit seiner Art, Zeiten zu beschreiben aber auch das Gefühl für die Zeit zu wecken und den Leser mit hinein zu ziehen.

    :writeDem kann ich nur voll und ganz zustimmen! Die Atmosphäre ist so perfekt eingefangen, dieses ewige Mistrauen, die ewige Vorsicht (die man ja auch bei der einsamen Annie ganz deutlich merkt), die Aufgebrachtheit im Friedenskreis, dieses System nicht länger mitzumachen und auch die Machtlosigkeit. Da kann man sich wirklich super in diese Zeit hineinversetzen.


    Interessant fand ich auch die Stelle, in der Sascha darüber reflektiert, dass es den Leuten in der DDR noch soviel besser geht als in der Sowjetunion. Unvorstellbar dieser Mangel, während der Westen mit allem versorgt war!


    Titus Müller Magst du uns erzählen, wie du dieses Jahr vor dem Mauerfall erlebt hast?

    Dieses Beispiel zeigt schön, wie sich mit Kleinlichkeiten die Loyalität der Untergebenen verscherzt wurde. Ich könnte mir schon vorstellen, dass Ingo Beckmeier sich von Regimegegnern beeindrucken lässt. Ihm ist seine Beförderung ja hauptsächlich deshalb wichtig, weil sie mit besserem Gehalt verbunden ist.

    Ähnliches habe ich mir auch gedacht. So ein Aufstand wegen 1,40 Mark! Natürlich kann das einschüchtern, es kann aber auch den Widerstand wecken, weil es niemand versteht. Meiner Meinung nach sollte jede Regierung schauen, dass ihr Volk die Regelungen auch versteht und mitträgt, denn sonst wirds schwierig ... (siehe z. B. Coronabestimmungen).

    Danke, Titus, für die ausführliche Erklärung der vertuschten Säuglingssterblichkeit und ihre „Vorteile“ für den Staat.

    Die Sache mit den Frühgeborenen ist wirklich furchtbar, dennoch bin ich auch dankbar, dass es drinsteht. Es ist ein ganz schwieriges Thema, auch heute noch gibt es verschiedene Regelungen, ab wann eine Intensivstbetreuung greift. Interessant wäre es jetzt zu wissen, wie in der BRD zu dieser Zeit mit so kleinen Frühchen umgegangen wurde. Sie aktiv zu töten bzw. sie ohne Versorgung sterben zu lassen geht aber natürlich gar nicht!

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Magst du uns erzählen, wie du dieses Jahr vor dem Mauerfall erlebt hast?

    Ganz normales Leben: Schule, Fahnenappelle wie gewohnt, Ferien, Russischunterricht ... Aber von Monat zu Monat eine stetig ansteigende, unterschwellige Aufregung. Mein Onkel floh über die grüne Grenze in Ungarn. Man fragte sich, wo das alles hinführen würde -- auf den Mauerfall kam keiner, es war nur deutlich, dass der Druck zunahm und der Mut der Leute, ihren Ärger kundzutun. Ich weiß, dass ich Anfang November Angst hatte, weil unsere Lehrer uns so drohten. Ich konnte auch die Maueröffnung nicht ganz genießen, weil ich wegen der Warnungen der Lehrer fürchtete, etwas ganz Schlimmes würde passieren.

  • Ganz normales Leben: Schule, Fahnenappelle wie gewohnt, Ferien, Russischunterricht ... Aber von Monat zu Monat eine stetig ansteigende, unterschwellige Aufregung. Mein Onkel floh über die grüne Grenze in Ungarn. Man fragte sich, wo das alles hinführen würde -- auf den Mauerfall kam keiner, es war nur deutlich, dass der Druck zunahm und der Mut der Leute, ihren Ärger kundzutun. Ich weiß, dass ich Anfang November Angst hatte, weil unsere Lehrer uns so drohten. Ich konnte auch die Maueröffnung nicht ganz genießen, weil ich wegen der Warnungen der Lehrer fürchtete, etwas ganz Schlimmes würde passieren.

    Interessant!


    Wie gut ist Dein Russisch noch? Würdest Du Putin im Original verstehen können?


    Womit haben Euch die Lehrer gedroht?

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Tom Liehr: Im wechselnden Licht der Jahre

  • Ganz normales Leben: Schule, Fahnenappelle wie gewohnt, Ferien, Russischunterricht ... Aber von Monat zu Monat eine stetig ansteigende, unterschwellige Aufregung. Mein Onkel floh über die grüne Grenze in Ungarn. Man fragte sich, wo das alles hinführen würde -- auf den Mauerfall kam keiner, es war nur deutlich, dass der Druck zunahm und der Mut der Leute, ihren Ärger kundzutun. Ich weiß, dass ich Anfang November Angst hatte, weil unsere Lehrer uns so drohten. Ich konnte auch die Maueröffnung nicht ganz genießen, weil ich wegen der Warnungen der Lehrer fürchtete, etwas ganz Schlimmes würde passieren.

    Wie viel hat man von den Unruhen und Demonstrationen mitbekommen? Im Buch wird ja das Westfernsehen erwähnt, aber da hatten ja auch nicht alle Zugang dazu (oder haben es aus welchem Grund nicht genutzt).


    Sehr traurig, dass gerade bei Kindern solche unnötigen Ängste geschürt wurden :(.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Danke Titus Müller , dass Du Deine Erlebnisse und die Gefühle so offen mit uns teilst. Das Regime, bis hinunter zu den Lehrern, ja bis in die Krippe, konnte wohl nicht anders funktionieren als mit Angsterzeugung.

    Ja auch von mir danke - ich finde das hoch faszinierend, da ich das ja nur von der anderen Seite mitbekommen habe.

    (Auch wenn ich immer DDR Fernsehen geguckt habe.)

  • Ja auch von mir danke - ich finde das hoch faszinierend, da ich das ja nur von der anderen Seite mitbekommen habe.

    (Auch wenn ich immer DDR Fernsehen geguckt habe.)

    :write vor allem den "Schwarzen Kanal" um mich zu gruseln. ging aber erst ab 82, vorher hab ich zu weit weg gewohnt um es zu empfangen.