Der Zeitgeist und die Bücher oder ist das Zensur?

  • Selbst auf die Gefahr hin, hier eine Lawine loszutreten, will ich das Folgende nun doch schreiben, weil es mich vom Prinzipiellen her schon lange bewegt. Vor allem würde mich interessieren, was Autoren über diese Thematik denken, könnten sie (bzw. deren Werke) in einigen Jahren/Jahrzehnten doch von ebensolchen „Umschreibungen“ betroffen sein.


    Am 23. Februar fand sich in der hiesigen Tageszeitung ein Artikel mit der Überschrift Schluss mit „Rassismus in Lummerland“ (hier der Link zur Onlineversion, die von der Druckversion abweicht: Verlag streicht rassistische Passagen und Bilder aus „Jim Knopf“-Büchern – „ganz im Sinne von Michael Ende“ , hat andere Autorin als in der Druckausgabe).


    Die beiden Lummerland-Bücher zählten in meiner Kindheit zu meinen absoluten Lieblingsbüchern; keine Ahnung, wie oft ich die gelesen habe. Obwohl ich die ursprünglichen Ausgaben hatte (und noch immer besitze), bin ich seltsamerweise nicht zum Rassisten geworden. Obwohl es in der Schule in der Pause Brötchen gab, deren Namen ich heute nicht mehr ungestraft nennen darf, ohne einen „Shitstorm“ auszulösen. Niemand hat sich damals dabei (bei den Bezeichnungen) etwas gedacht. Und seltsamerweise wußte ich sogar, daß China heute (und schon damals in den 60er Jahren) keinen Kaiser mehr hat und man dort nicht mal Schnürsenkel unter den Reis mischte - obwohl das doch so genau so im Buch stand.


    Als meine Tochter in das Alter kam, holte ich meine alten, sehr zerlesenen Exemplare hervor und las sie ihr vor. Weil die doch sehr mitgenommen sind, wollte ich die durch neue ersetzen (auch, weil die Schrift in den 60er Jahren doch sehr klein und mühsam zu lesen war). Da stellte ich fest, daß in den erhältlichen Auflagen (Anfang der Nullerjahre) schon Änderungen waren - „Mandala“ statt „China“ etwa. Hä? Dachte ich - und blieb bei den alten Originalversionen.


    Nun sollen die Bücher (wie viele andere auch) also erneut an den herrschenden Zeitgeist angepaßt werden. Wohin soll das eigentlich noch führen? Provozierend gefragt: sollen/müssen jetzt alle Bücher früherer Zeiten, die eine andere Meinung als die aktuelle (bzw. was manche Kreise dafür halten) vertreten, umgeschrieben oder gar verboten werden? Muß alles bedingungslos dem heutigen Zeitgeist unterworfen und geopfert werden? Und wenn sich der Zeitgeist ändert (was ganz sicher eines Tages passieren wird): die Umschreibung aufs Neue auf den dann „gültigen“ Zeitgeist?


    Brauchen wir eine „Zensurbehörde“ (oder wie immer man eine solche Stelle nennen mag), die auf Unverträglichkeiten mit dem heutigen Zeitgeist achtet und alles entsprechend „gleichrichtet“ und umschreibt?


    Das war heute übrigens auch Thema im „Pro und Contra“ der „WELT am Sonntag“. Das Contra schloß mit den Sätzen:

    In welchem zeitlichen, räumlichen und persönlichen Kontext entstanden sie? Diese kritische Auseinandersetzung findet nicht statt, wenn man Texte so weit glättet, dass sie niemanden mehr kränken können. Wer anderen diese Auseinandersetzung nicht zumutet, kann das Lesen gleich ganz sein lassen.


    Ist man heute wirklich geistig so … beschränkt, daß man alles auf den heutigen Zeitgeist ausrichten und entsprechend verändern muß? Haben wir das Denken verlernt? Gilt nur noch eine einzige Meinung/Ansicht? Wie ist das mit der Freiheit der Künste/Literatur - oder gar der Meinungsfreiheit?


    Wenn ich nur noch Bücher lesen dürfte, die dem heutigen Zeitgeist entsprechen, würde ich das Lesen wohl wirklich aufgeben. Oder, wie ich mir schon mehrfach vorgenommen habe, mich nur noch auf das Lesen von Büchern, die vor 1900 erschienen sind, beschränken. Aber das kann die Lösung doch nicht sein, oder?

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Mir wiederstreben solche Bemühungen auch immer mehr. Ich meine dass man als Leser sich auch mit der Lektüre auseinandersetzen sollte. Wer zu einem Buch von Ende greift sollte sich doch bewusst sein, dass das Buch zu einer Zeit geschrieben wurde, deren Wortnutzung einfach anders war als die, die wir heute haben.


    Auch bei Astrid Lindgren wurde ja schon geändert. Gerade bei Kinderbüchern sollten Eltern sich ja vielleicht auch die Zeit nehmen, mit den Kindern über die Geschichten zu reden. Und wie du sagst, nicht jeder der die Bücher im Originalen gelesen hat, ist heute ein Rassist. Und vermutlich haben viele Rassisten die Bücher ehr nicht gelesen (um mal wieder ein Klischee aus der Kiste zu holen. Wobei ich mir einbilde, dass jemand, der liest, eh weniger zum Rassismus neigt, aber das ist sicher nur eine Vermutung von mir)


    Die Frage wie das in Zukunft weitergehen soll, stellt sich mir auch… Wird dann irgendwann zurückgerudert? Was passiert wenn man die Originalfassung so gründlich ausgemerzt hat, dass man das gar nicht mehr kann? Und wer weiss, ob die Texte, von denen wir meinen, dass sie noch im Original sind das auch wirklich sind? Die Karl May Bücher sind schon ziemlich früh neu überarbeitet worden, da merkt man den Unterschied auch recht deutlich. Ich habe einige Erstausgaben hier, da hat sich schon einiges verändert…

  • Ich weiß gar nicht, ob es Autoren gibt, die heute noch leben und selbst ihre Werke noch mal überdenken und evtl. anpassen, ich habe zumindest noch von keinem gehört.


    Ich habe aber z.B. ein Interview mit Bully Herbig gesehen, in dem er sagte, dass er viele Sachen heute nicht mehr so machen würde, weil sich einfach das Bewußtsein geändert und in diesen Dingen sensibilisiert hat.


    Gerade über Jim Knopf habe ich dieser Tage aber auch einen sehr interessanten Artikel gelesen (ich meine, das könte in der Süddeutschen gewesen sein) ... ich fand es durchaus nachvollziehbar - und ich habe das bisher auch immer sehr skeptisch gesehen, weil ich mir dachte: sowas kann man doch auch mit erklärenden Vor- oder Nachworten regeln, da muß man doch nicht im Werk eines Autors herumpfuschen. Aber ich bin darüber ins Nachdenken geraten, was nun wirklich der "bessere" Weg ist. :gruebel

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Das Jim Knopf jetzt eine hellere Haut hat, finde ich verstörend.

    War tiefschwarze Haut nicht mehr zumutbar?

    Wie bitte?? Das finde ich in der Tat bedenklich. Jim ist doch der Held, die Identifikationsfigur für die Kinder, er ist eine positiv besetzte Figur. Letzten Endes ist die Aussage dieser Änderung doch dann: Helden dürfen keine schwarze Hautfarbe haben, das muss man aufhellen? :gruebel


    Ich denke mit diesen Anpassungen sollte man so vorsichtig vorgehen wie möglich. Einzelne anstößige Wörter zu streichen oder zu ersetzen (Pippis Vater ist jetzt "Inselkönig") sehe ich jetzt nicht als so problematisch, aber wo es tiefer eingreift und ganze Figuren oder Elemente der Geschichte verändert erachte ich auch eher eine erklärende Einleitung oder kommentierte Fassungen als sinnvoller.

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda

  • Man sollte Bücher halt auch stets als Kind ihrer Zeit betrachten. Natürlich ist vieles sehr schlecht gealtert. Aber gerade diese Stellen helfen auch dabei, die Denkweise dieser Zeit und die gesellschaftliche Entwicklung zu verstehen, die wir seitdem durchlaufen haben.


    Einordnende Fußnoten wären meines Erachtens ausreichend.

  • Das neue Jim Knopf Cover finde ich schöner als das alte, Jims Gesicht ist besser zu sehen und die Lippen waren wirklich übelstes Klischee.

    Ich selbst habe die alten Ausgaben mit blauem Schutzumschlag.


    Dass im Inhalt geändert wurde, gefällt mir nicht. Es gab ja nur eine Figur, welche das N-Wort benutzt hat, und diese wurde als Rassist dargestellt. Für mich hat das gepasst.


    Ich bin allerdings mit Worten wie Negerkuss, Negerkrause und Negerpüppchen aufgewachsen, welche meine Kinder ganz furchtbar finden. Die benutze ich auch nicht mehr. Wenn ich (vor allem auf Facebook) Leute sehe, die bewusst Negerkuss, Zigeunersauce ect. schreiben, denke ich mir immer, wie blöd und unsensibel manche Zeitgenossen doch sind. Die farbigen Freundinnen meiner Kinder finden das nicht lustig und so schwer ist es schließlich nicht, von Schokoküssen zu reden.

    “You can find magic wherever you look. Sit back and relax all you need is a book." ― Dr. Seuss

  • was macht man denn dann mit Jugendbüchern, die ein fragwürdiges Frauenbild transportieren? Ich meine Trotzkopf ist ja nun nicht das beste Beispiel für emanzipiertes Frauenleben und viele andere Jugendbücher aus den 50er und 60er Jahren sind es sicher auch nicht. Werden die dann ganz verboten, weil sie nicht mehr dem entsprechen, was sich Frauenrechtler so wünschen?


    Ich finde es tatsächlich schwierig, wenn man vergisst, aus welchen Zeiten Bücher stammen.

    Im EAT Read Sleep podcast hatten sie es letztens auch. Kästner hat wohl auch mal geschrieben, dass man eine Frau gerne auch mal schlagen dürfte, wenn sie aufmüpfig wird. Darf man ihn deswegen nicht mehr lesen?

  • was macht man denn dann mit Jugendbüchern, die ein fragwürdiges Frauenbild transportieren? Ich meine Trotzkopf ist ja nun nicht das beste Beispiel für emanzipiertes Frauenleben und viele andere Jugendbücher aus den 50er und 60er Jahren sind es sicher auch nicht. Werden die dann ganz verboten, weil sie nicht mehr dem entsprechen, was sich Frauenrechtler so wünschen?

    Ich habe vor 40 Jahren geliebt, die Frakturausgabe von Trotzkopf, aus Omas Jugendbuchschrank, zu lesen - obwohl mir meine Eltern eine leichter zu entziffernde Neuauflage schenkten. ich mochte auch generell den Gedanken, dass es alte "Schätze" meiner Mutter bzw. Großmutter waren. Sie hatte nicht viele eigene Bücher.


    Die Nesthäkchenbücher sind inhaltlich bereits nach dem Krieg verändert worden, daher habe ich zwar meine eigenen als Geschenk erhaltenen Nesthäkchenbände, jedoch auch begonnen, sie in möglichst früher Auflage/ damit näher am Original, zu sammeln und zu lesen.


    Die Pucki-Reihe von Magda Trott wurde sogar vor zehn Jahren noch einmal neu veröffentlicht. Info 2015 dazu - Laut dem Vertreter des Titania-Verlages wären nur geringfügig Änderungen vorgenommen worden. Die Auflage an sich ist eine Faksimile-Auflage mit Halbleinen-Bindung und Schutzumschlag:

    Das hätte ich nicht für möglich gehalten. Gerade weil so viel diskutiert wird, ob man den Kindern Bücher mit so einem Frauenbild zum Lesen geben kann. Auch als ich diese Bücher gelesen habe, Mitte der 80er, konnte ich erkennen und abgrenzen, dass es sich um vor vielen Jahren geschriebene Bücher handelt. Es hat mich nicht gestört.

    Manche Bücher müssen gekostet werden, manche verschlingt man, und nur einige wenige kaut man und verdaut sie ganz.
    (Tintenherz - Cornelia Funke)

  • Habt Ihr das mit "Die neue Häschenschule: Wie Fuchs und Hase Freunde wurden | Ein Bilderbuch von Anke Engelke" mitbekommen?

    Interview mit Anke Engelke zur "Neuen Häschenschule"

    Shitstorm gegen die Häschenschule


    Heutzutage sitzen in der Häschenschule nicht nur kleine Hasen im Klassenzimmer, sondern auch ein Fuchskind. Ein Fuchs – wirklich? Damit hat Hasenmädchen Hoppich gar nicht gerechnet. Schnell wird ihr und ihren Mitschüler:innen klar: Ein Fuchsjunge, der Möhren als Pausensnack auspackt, ist keine Gefahr! Die droht von ganz anderer Seite und Fuchs und Hase können die schwierige Lage nur zusammen meistern ... In der neuen Häschenschule trifft Nostalgie auf Moderne. Die Schauspielerin Anke Engelke reimt und interpretiert neu und so bringt diese Geschichte nicht nur alte Rollenbilder ins Wanken, sondern beendet auch die Feindschaft zwischen Hase und Fuchs. Mit ihren stimmungsvollen und emotionalen Bildern zeigt auch die Illustratorin Mareike Ammersken die Häschenschule von einer neuen Seite. Kinder ab 4 Jahren erfahren, wie spannend es sein kann, neue Freundschaften zu schließen. Denn gemeinsam macht eben nicht nur stark, sondern auch schlau!

    Die Geschichte eignet sich zum Vorlesen für die ganze Familie und zum Verschenken für alle Fans von Anke Engelke, die die Häschenschule neu entdecken möchten!

    ASIN/ISBN: 3480238386

    Manche Bücher müssen gekostet werden, manche verschlingt man, und nur einige wenige kaut man und verdaut sie ganz.
    (Tintenherz - Cornelia Funke)

  • Ich möchte das ganze 1x allgemein betrachten, da ich ja deutlich jünger bin mit meinen 25 Jahren und somit zur Generation Z gehöre.


    Ich finde im allgemeinen betrachtet, dass man das N-Wort nun nicht so als das Werk des Teufels betrachten soll, dass Wort ist Schmutz und das sage ich als junger, weißer, hetero-sexueller Mann der auch ein Furry ist.


    Aber ich finde jeden anzuprangern, der es benutzt einfach nur übelst dumm.


    Meiner Meinung nach kommt es auf den Kontext an.


    Wenn ich auf der Straße einen POC als N. beleidige und dann auf die Fresse bekomme, schon verdient.


    Aber wenn das Wort zitiert wird, sagen wir um zum Beispiel auf die Unterdrückung während Zeiten wie dem 2. Weltkrieg aufmerksam zu machen ist es schon völlig übertrieben.


    Es kommt auf den Kontext an.


    Was viele von unseren Boomern CDU Politikern nicht verstehen ist auch, dass Filme, Bücher, Musik und Games Kunst sind. Mehr Kunst als eine dumme blaue Leinwand.


    Deswegen wenn ein Buch um Unterdrückung geht, vollkommen Okay die Bösen Wörter zu benutzen, sofern der Kontext stimmt.


    Genau so dämlich fand ich es wie in Deutschland Hitler zensiert wurde bei unserer Version von Wolfenstein.


    Es ist ein Teil unserer Geschichte und Kunst und diese hat nicht zensiert zu werden.


    Wirklich also da muss man echt mal 1x den Stock aus dem Arsch ziehen, aber Okay da solche Drecks Parteien wie die CDU von uns Jugendlichen eh nicht gewählt wird, ist es nur eine Frage der Zeit, bis diese Partei ihre Wähler verliert.


    Ein weiteres Thema, dass ich ansprechen will ist, dass bekämpfen von Rassismus mit Rassismus.


    Ihr kennt sicherlich den guten, alten Uncle Bens Reis mit dem schwarzen Mann der einen so nett angelächelt hat.


    Ja der ist nun verschwunden, weil es "rassistisch" ist.


    Vielleicht lehne ich mich weit damit aus dem Fenster, aber... ist es nicht rassistischer Schwarzen zu verbieten ein Maskottchen zu haben?


    Vor allem wird gleichzeitig in gefühlt jedem Film ein Schwarzer eingebaut, obwohl es nicht mal passt.


    Bestes Beispiel: Percy Jackson... die Blonde aus den Büchern... IST NICHT SCHWARZ VERDAMMT. Weil in der "TV Serie" ist sie auf 1x.


    Bei One Piece wurde eine Weiße auch Schwarz gemacht.


    Ariel wurde auch Schwarz, aber die Roten Haare fehlen.


    Und SCHNEEwitchen ist nun eine Latina und anstatt 7 Kleinwüchsige Schauspieler einzustellen sind die 7 Zwerge 3D animiert.


    Fazit: Wir brauchen keine Zensur oder auf Krampf irgendwelche Gleichberechtigungen, lasst Kunstwerke wie sie erschaffen wurden, aber es ist wohl nun nur noch eine Frage der Zeit, bis auch in Büchern gegendert wird und in der nächsten Hitler Doku wird Hitler schwarz sein.

  • ..................ohne jetzt weiter darauf eingehen zu wollen - ich bin gegen solche Änderungen/Anpassungen. Zumindest bei 99,9 Prozent.

    Das geht mir genau gleich, zu 100%.

    Die Bücher und Geschichten sind Produkte ihrer Zeit, die sollte man belassen wie sie sind. Und ich bin kein Rassist, wenn ich diese noch in Originalfassung lese.

    Die Herrschaften, die laut nach Zensur krähen und diesen Mist verzapfen, sollten sich vielleicht zur Abwechslung mal um die wirklich braune Brühe kümmern.

    Mein Freundschaftes - und Bekanntenkreis besteht aus Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen und noch niemand hat sich an Büchern in originaler Fassung gestört.

    Ich finde es ehrlich gesagt verstörend, dass in jeder Werbung, in jedem Film nun ums verrecken alle Kulturen mit eingebaut werden müssen, nur damit Deutschland als ach so tolerant dasteht.

    In arabischen Ländern würde doch auch niemand auf die Idee kommen die Frau durch eine deutsche Blonde zu ersetzen....


    Die Menschen sollten mal anfangen, sich um die richtigen Problem im Land zu kümmern, und nicht weiter den Rest unserer Kultur zu verstümmeln und auszumerzen.

    Den Rest bekommen wir als Gesellschaft doch hin, wenn wir leben und leben lassen und endlich anfangen uns zu akzeptieren wie wir sind.

  • Ich möchte das ganze 1x allgemein betrachten, da ich ja deutlich jünger bin mit meinen 25 Jahren und somit zur Generation Z gehöre.



    Wirklich also da muss man echt mal 1x den Stock aus dem Arsch ziehen, aber Okay da solche Drecks Parteien wie die CDU von uns Jugendlichen eh nicht gewählt wird, ist es nur eine Frage der Zeit, bis diese Partei ihre Wähler verliert.



    Solche dümmlichen Äußerungen halte ich mal deinem jugendlichen Alter zugute. Und du hast in deinem Leben offensichtlich noch nichts geleistet - im Gegensatz zu dieser "Drecks Partei".

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Das ist ein Aufregerthema, und auch ich hätte mich vor vier, fünf Jahren noch tierisch aufgeregt, aber inzwischen frage ich mich, worüber man sich da eigentlich aufregt.


    Die Welt ändert sich, der Umgang miteinander ändert sich, das Wertegefüge ist im Wandel, und wir erkennen früheres Verhalten als falsch, wobei wir nie sicher sein können, das sozusagen korrigierte Verhalten nicht später auch wieder als falsch zu erkennen - such is fucking life, nothing is forever, blablabla. Aber der Umgang der Menschen miteinander ändert sich, und er verbessert sich überwiegend, wie ich finde. Er verbessert sich nicht dadurch, dass Leuten verboten wird, sich auf bestimmte Weise zu verhalten (was tatsächlich so gut wie nie geschieht), sondern dadurch, dass wir uns alle allmählich dafür sensibilisieren, wie unser Verhalten von anderen wahrgenommen wird, dass wir emphatischer zu sein versuchen, "achtsamer", dass wir uns in andere hineinversetzen und sie nicht aufgrund irgendwelcher Eigenschaften kategorisch aburteilen. Und auch wenn wir uns, wie SiCollier schreibt, damals "nichts dabei gedacht haben", wenn wir wie auch immer zu unseren Schokobrötchen gesagt haben, haben wir doch ziemlich miese Klischees bedient, wir haben große Menschengruppen auf äußere Eigenschaften reduziert und definitiv abfällige* Begriffe für sie für verdammte Süßspeisen verwendet. Ja, vielleicht haben wir uns dabei nichts gedacht, aber wir haben es getan. Was nicht böse intendiert oder gemeint war, kann trotzdem böse gewesen sein, und auch wenn gerade kein schwarzer Mensch in der Nähe war, wenn wir beim Bäcker den "Negerkuss" bestellt haben, haben wir damit eine Denke fundamentiert und transportiert, die für uns selbst und die gesamte Gesellschaft legitimiert hat, auf diese Weise ziemlich abfällig mit ziemlich vielen Leuten umzugehen. Das war vielleicht nicht bewusst rassistisch, und ich würde sogar bezweifeln, dass es in jeder Definition von Rassismus überhaupt rassistisch war, aber im Kern war es trotzdem kacke. Dieser Kern hat noch eine ganze Menge anderer Verhaltensweisen befruchtet, von denen wir uns allmählich lösen. Das wird vielleicht noch zwei, drei Generationen dauern, aber der Prozess findet statt, und ich begrüße ihn. Ihm werden weitere Prozesse folgen, die wir uns derzeit noch nicht einmal erträumen können.


    Tja, das mit den Büchern. Wie macht man das, wenn man ein altes Kinderbuch weiter verlegen will, sich aber keinem Shitstorm aussetzen will, weil einige Elemente im Kinderbuch mittlerweile von nicht wenigen als problematisch eingeschätzt werden? Ich würde ja ganz persönlich zwei Ausgaben herstellen, eine "Classic"-Variante mit dem Original, vielleicht ergänzt um ein paar Kommentare, die hilflosen Eltern (und die meisten Angehörigen der aktuellen Elterngeneration scheinen unaufhörlich hilflos zu sein) eine Handhabe bietet, um zu erklären, was da passiert und wie es gemeint war und zu verorten ist. Und eine woke Ausgabe, die Materialkosmetik betreibt, insofern die Rechteinhaber nichts dagegen haben. Wobei den Käufern dieser Ausgaben ebenso klargemacht werden sollte, dass sie da etwas in den Händen halten, das ursprünglich total rassistischer Mist war, und dass dieser Rassismus quasi zwischen allen Zeilen klebt, auch wenn er nicht mehr direkt erkennbar ist. Das Problem bei dieser Vorgehensweise wäre allerdings, dass die notorisch Aufgeregten trotzdem gegen die "Classic"-Variante protestieren würden, was darauf verweist, dass die Aufregung eigentlich das Hauptproblem bei diesen ganzen Vorgängen ist, also der unbedingte Wunsch, ganz energisch und kompromissbefreit gegen etwas zu agitieren, bis es verschwindet. Es ist aber auch schwer, entspannt zu bleiben, während alle anderen von den Barrikaden heruntersabbern.


    In meinen beiden letzten Romanen kommt das Wort "Neger" übrigens auch vor, in Abschnitten, die in der Vergangenheit spielen und u.a. davon erzählen, wie dieser Begriff verwendet wurde, gemeint war, und wir haben in der Redaktionsphase nur sehr kurz darüber gesprochen. In meinem Literatur-Quickie "Ferien mit Faschisten" lege ich da sogar noch zwei, drei Schippen drauf. Wenn man etwas anprangern will, muss man es benennen können, und zu jedem Begriff gehört im Moment seiner Verwendung auch die Konnotation, der Bedeutungskontext. Deshalb habe ich mir in dieser Nachricht auch erlaubt, das Wort zu verwenden, weil ich auch ein wenig absurd finde, das Ersatzkonstrukt "N-Wort" zu benutzen, das ja der rosa Elefant für das Original ist und keinen Schritt weiterhilft, außer, wenn es um Selbstschutz des Sprechers geht.


    Was ich sagen will. Ich kann verstehen, wenn man das ärgerlich findet, aber es ist ja nicht so, dass die Gedankenpolizei nach Hause kommt und die alten Ausgaben konfisziert. Ich kann sogar verstehen, wenn man sich darüber aufregt, dass die Verlage so agieren, aber nur noch bis zu einem gewissen Punkt, ab dem man nämlich einen Vorgang mit Bedeutung auflädt, die er nicht hat. Verlage wollen an Kinderbüchern weiter verdienen, und Kinderbücher sind noch einmal ein anderer Schuh. Nein, das ist auch keine Zensur. Ich finde das aus Autorensicht zwar durchaus sehr problematisch, und ich würde einer nachträglichen Bereinigung meiner Texte niemals zustimmen, aber das, was in "Jim Knopf" als rassistisch eingeschätzt wird, ist darin ja nicht rassistisch gewesen, um auf (damaligen) Rassismus hinzuweisen, sondern in Bezug auf unser aktuelles Wertegefüge. Und das ist eben mit solchem Material ein bisschen schwieriger zu vermitteln. Unterm Strich gibt es aber einfach keine unproblematische Lösung für dieses Problem - lässt man es drin, gehen die einen auf die Barrikaden, nimmt man es raus, rotieren die anderen. Würden sich alle ein bisschen entspannen, könnte man vielleicht auch noch über andere Lösungen für dieses Problem nachdenken, aber aufregen ist einfach die Lieblingsbeschäftigung der Gegenwart.


    (* Und ich will wirklich keinen Blödsinn über die Etymologie des Wortes "Neger" hören. Danke dafür.)

  • :gruebel Nur ein Gedanke zu dem ganz oben verlinkten Artikel:

    Zitat


    Lange hatte der Verlag daran festgehalten, das N-Wort weiter im Text zu belassen. Nun sei man zu einem anderen Schluss gekommen, „auch weil viele Kinder das N-Wort heute überhaupt nicht mehr kennen, bis es ihnen in einem Buch begegnet“.

    Ein seltsames Argument! Seit wann sollen Kinder nicht mehr Wörter kennenlernen, wenn sie in einem für Kinder geschriebenen Buch vorkommen? :hmm

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Diana Wynne Jones: Howl's Moving Castle

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  • Vorwort/Nachwort/Fußnoten mögen zwar helfen, werden von Kindern aber eher nicht gelesen. Und die sollen ja selbst lesen. Daher ist das für mich keine Lösung.

    Ich finde die Fußnoten-Lösung am besten, Fußnoten lese ich immer (auch früher schon) - zumindest wenn sie wirklich unten auf der Seite stehen und nicht in irgendeinem kaum auffindbaren Anhang.