Schwer zu begeistern - eine Alterserscheinung?

  • Liebe Mit-Eulen und Eulinnen,


    falls es das Thema (schon öfter) hier gab, bitte ich um Nachsicht: Ich bin noch nicht so lange dabei.


    Was ich seit einigen Jahren an mir beobachte, ist, dass ich immer schwerer von einem Autor/einem Buch zu begeistern bin. Früher ... als Teen und Twen ... war die Bücherwelt voller neuer Entdeckungen. Ich hatte zahlreiche "Lieblingsautoren" und "Lieblingsserien".


    Jetzt schleiche ich auf die 50 zu, habe vieles gelesen, privat und auch beruflich. Die Begeisterung von früher will sich einfach nicht mehr so leicht einstellen. Es kommt alle paar Jahre mal vor, dass mir was vor die Flinte läuft, das wirklich vor Begeisterung aus den Latschen haut.


    Werden die Bücher schlechter oder wird man mit zunehmender Leseerfahrung immer wählerischer? Vielleicht, weil man mehr Vergleichsmöglichkeiten hatte als mit 15 oder 20? Weil es Autoren gab, die Maßstäbe setzten und an denen man dann eine ganze Literaturgattung misst?


    Ich ertappe mich dabei, ein Buch zu lesen und zu denken, naja, diese Szene haste bei dem und dem Autor auch schon gelesen, nur besser. "Dorothy Dunnett light", wenn's ein historischer Roman ist. Oder "beeinflusst von dem und dem und dem Autor".


    Geht das anderen erfahrenen Lesern auch so, lese ich nur die falschen Bücher oder sollte ich mich gar in Behandlung begeben? :grin

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner

  • Ich denke, für Behandlung ist es noch ein bißchen zu früh. Es sei denn, du möchtest dich in die euleneigene Entzugsklinik einweisen lassen. :grin


    Ich finde es völlig normal, dass man im Laufe des Lebens etwas anspruchsvoller wird und neue Bücher an den vorher gelesenen misst. Ich glaube nicht, dass die Bücher generell schlechter werden. Es ist wohl wirklich eher eine Frage der Erfahrungen und Erwartungen.

  • Vandam , das klingt, als sei es bei dir an der Zeit für "Bis(s) zum Morgengrauen".




    OT
    Endlich mal hallo übrigens unbekannterweise, ich lese immer sehr gerne deine Beiträge in einem gewissen TV-Forum. :-] Und da, wo du mal RoseRoyce warst, kennt man mich auch noch, aber wir sind uns da wohl nie über den Weg gelaufen.

    Surround yourself with human beings, my dear James. They are easier to fight for than principles. (Ian Fleming, Casino Royale)

  • Vandam


    es sieht so aus, als seine wir etwa die gleich Altesrgruppe.
    Mir geht es seit einigen Jahren ganz genauso.


    Ich bin anspruchsvoller geworden.
    gerade, weil ich eine Karriere als Vielleserin hinter mir habe. Immer häufiger hatte ich das Gefühl, das alles schon einmal gelesen zu haben.


    Ich probiere aber unverdrossen weiter. Die Neugier treibt mich. Meist werde ich enttäuscht, dafür sind die gelegentlichen Überraschungen gerade auch bei viel jüngeren AutorInnen und selbst in der Unterhaltungsliteratur, die ich zugegebenermaßen nur noch mit einem Auge streife, umso größer.


    :wave

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Ich finde, es gibt immer noch viel zu entdecken. Andere Genres, neue Autoren....
    Ich merke, das ich mich weiterhangele von Thematik zu Thematik. In jungen Jahren las ich Fantasy, der ich aber schnell wieder abtrünnig wurde, weil mich eine Freundin zu Krimis führte. Inzwischen bin ich diese ganzen Kommissare müde, lese historische Romane, aber da gibt es viel Einheitsbrei, also halte ich die Augen weiter offen nach anderen Gebieten, für die ich vielleicht inzwischen reif oder bereit bin.
    Enttäuschungen gibt es öfter als früher, weil man durch die Leseerfahrung nicht mehr alles kritiklos hinnimmt. Aber ich lasse mich immer noch von begeisterten Empfehlungen mitreissen wie vor 20 Jahren.


    Es bleibt spannend. Ein wenig kritischer bin ich evtl. geworden. Aber mäkelig war ich schon immer. Eigenarten vertiefen sich im Alter nur :grin
    Aber für "Biss zum Morgengrauen" werde ich wohl hoffentlich nicht verzweifelt genug werden ;-). Solch gehypte Bücher meide ich normalerweise. Deswegen habe ich auch bei Harry Potter aufgegeben. Zuviel Rummel :rolleyes

  • Hallo Vandam,


    Hm - das geht (leider) nicht nur mit Büchern so, sondern auch mit anderen "Lastern". Es gibt diese nette Liste mit Dingen, woran merkt, dass man älter geworden ist. Ein Punkt war "Der Wein für 5€ aus dem Supermarkt ist kein verdammt gutes Zeug mehr".


    Ein wenig bedauere ich es, nicht mehr so "locker" lesen zu können wie früher, Genre geht inzwischen fast gar nicht. Zum Glück gibt es aber nach wie vor Überraschungen, und wenn ich mir den Sub hier anschaue, dann bleiben genug begeisternde Bücher übrig, für die ich noch einige Extraleben bräuchte.


    :wave
    Die Suppe

  • Oh ... da werde ich mal gucken, was es mit Biss ... so auf sich hat.


    Da ich beruflich lesen muss, was (mir) auf den Tisch kommt, bin ich sicher schon mehrfach quer durch den Genre-Gemüsegarten gelatscht. Ich hab das Gefühl, so rasend viel Neues wird es da nicht geben.


    Aufregend finde ich nach wie vor das Erscheinen eines Buchs, dessen Entstehung ich in der einen oder anderen Form miterlebt habe. Weil ich z.B. die Autoren kenne und vorher schon an Diskussionen beteiligt war oder Leseproben in den Fingern hatte. Oder weil es ein neues Verlagsprojekt ist und ich von der ersten Idee bis zum fertigen Buch mitgefiebert habe. (Oft kriege ich ja nur die fertigen Bücher auf den Tisch: "Da, mach mal Werbung für."


    Es wird wohl eine Alterserscheinung sein, dass man nicht mehr so leicht zu begeistern ist. Bei Film und Fernsehen geht es mir ja auch so. Noch bin ich nicht so streng wie mein Vater (81), der sagt: "Die eine Hälfte des Fernsehprogramms kenne ich schon, und die andere würde ich mir nicht anschauen wollen, selbst wenn ich's bezahlt bekäme."
    :grin )


    Und @ MaryRead: Hätte mich ja schwerst gewundert, wenn es zu *diesem* Forum keine Überschneidungen gegeben hätte. In dem von dir genannten hat's ja auch eine kleine feine Bücherrubrik und viele belesene Leute.

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner

  • Ich bin jetzt 55 und noch immer sehr begeisterungsfähig. Es gibt immer wieder Aufregendes und Neues zu entdecken - habe zwar schon im Laufe meines Lebens sehr vieles gelesen, aber dagegen steht ein riesiger Ozean von Sachen, die ich unendlich gern auch noch lesen möchte, aber unter Garantie nicht schaffen werde.


    Man wird wohl nicht unbedingt anspruchsvoller - ich denke, der Anspruch an die Dinge als solcher ändert sich.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Bei mir ist es eher umgekehrt. In den letzten Jahren habe ich viele Bücher gelesen, die mich komplett aus den Latschen gehauen haben, darunter die Romane von Wolf Haas, Preisendörfers "Die letzte Zigarette", die SF-Wahnsinnswerke von Dan Simmons, "Regenroman" von Karen Duve und vieles andere mehr, und nicht zuletzt "Mitsu" von unserem lieben Nudelsuppe. Gleichzeitig gab es auch viele Bücher, über die ich mich mehr geärgert habe, als ich das früher getan hätte. Auch das ist eine Form (bzw. ein Ausdruck) von Begeisterung. Wie gesagt, gegensätzliche Diagnose. Sehr gute Bücher fallen stärker auf und berühren mich mehr, parallel ist die Toleranzschwelle für Schrott gesunken.

  • Als Vielleserin mit ca. dreizigjähriger Leseerfahrung,
    bekomme ich auch schon mal das Gefühl dies und jenes
    schon mal gelesen zu haben, aber es gibt noch so vieles,
    was ich nicht gelesen habe:
    neue Genres
    unterschiedlichsten Themen
    wahnsinnig viele Neuveröffentlichungen, und darunter
    auch wirklich gute,
    dass ich immer noch eine begeisterte Leserin bin und mir
    auch keine Sorgen mache, dass das Lesestoff, an dem was
    mich anspricht und interessiert mal ausgehen könnte. :fruehstueck
    Nur die Toleranzgrenze den schlechten Büchern gegenüber
    ist natürlich durch die Leseerfahrung niedriger geworden.
    Möchte meine Zeit nicht mehr vergeuden, dafür gibt es ja,
    wie gesagt, noch viel zu viel, was ich nicht gelesen habe. ;-)

    Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen,

    der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig. :lesend
    Ernst R. Hauschka

    Liebe Grüße von Estha :blume

  • Also, ich bin auch immer noch begeisterungsfähig! Das ist nicht notwendigerweise dieselbe Art Buch, die mich vor 20 Jahren vom Hocker gerissen hat. Aber es gibt schon immer wieder neue Romane/Autoren, die mich fesseln. Davon will ich dann mehr lesen und mehr lesen und mehr lesen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass sich das irgendwann ändert. (Und will das auch nicht hoffen!) :wave

  • Zitat

    Original von Vandam
    Oh ... da werde ich mal gucken, was es mit Biss ... so auf sich hat.


    "Biss zum Morgengrauen" ist einfach nur die Antwort, die auf nahezu alle Fragen hier im Forum irgendwann garantiert kommt. :lache ;-)


    Zum Beispiel:


    "Was ist Euer Lieblingsbuch?"
    "Was ist das romantischste Buch aller Zeiten?"
    "Was ist das beste Buch aller Zeiten?"
    "Welches Buch verschenkt Ihr zu Ostern/Weihnachten/Geburtstag?"
    "Welches Buch habt Ihr schon mehr als 28 Mal gelesen?"
    "Welches Buch hat das tollste Cover?"


    Obwohl nix gegen das Buch, , ich liebe es ja auch. Im August kommt Band 3 auf Englisch. :-]
    .

  • Zumindest eins habe ich bei mir selbst beobachten können. Ich lese nicht mehr jedes Buch geduldig zuende, das mich nicht begeistert. Auf den ersten 50 - 100 Seiten muss es zünden, sonst hat es keine weitere Chance.

  • Zitat

    Original von Idgie
    Zumindest eins habe ich bei mir selbst beobachten können. Ich lese nicht mehr jedes Buch geduldig zuende, das mich nicht begeistert. Auf den ersten 50 - 100 Seiten muss es zünden, sonst hat es keine weitere Chance.




    :write :write

  • Ich habe schon öfters den Satz von reiferen Damen (also ab 50 :-) )
    zu hören bekommen, dasz sie in ihrem Leben so viel gelesen haben, dasz sie jetzt schlicht weg keine Lust mehr dazu haben. Das konnte ich jedes Mal nicht nachvollziehen..
    Als würde es nicht um die Lektüre, sondern ganz konkret um die Tätigkeit Lesen gehen...
    ?( Ist ja nicht so, als wäre es so anstrengend wie ein Marathon.... :gruebel
    Und die Belastung für die Augen kann man doch auch entsprechend gering halten, gibts ja genügend Möglichkeiten für.


    Kurzum: I don't get it.



    Grusz,
    ich

  • Tja, Vandam, daran merkt man, dass man älter wird. Auch bei den Büchern gibt es mehr Wiederholungen als man denkt.


    Mir geht es ähnlich. Fast 30 Jahre war SF mein Genre schlechthin. Schon länger ödet es mich an immer die ähnliche Story über die tolle Menschheit und die drögen Aliens zu lesen und lasse es weitgehend.
    Ich hatte auch einmal ein paar Jahre, in denen ich pro Monat vielleicht ein Buch gelesen habe ( und das noch ein Shadowrun-Roman), und das obwohl ich teilweise arbeitslos war. Es hat mich einfach nichts richtig interessiert. Erst durchs Internet und einige Foren bin ich wieder auf den Geschmack gekommen und lese jetzt querbeet, am liebsten ausgefallenes, die niemand kennt.


    Aber trotzdem gibt es immer wieder kleine und größere Highlights.
    Gerade für mich entdeckt Stuart Kaminsky und seinen 60jährigen Chicagoer Sergeant Abraham Lieberman. Gibt es zwar nur noch second hand ( und leider sind nur 4 Bücher übersetzt, aber so lange es noch solche Entdeckungen im Regal zu machen gibt, schürfe ich feste weiter in Buchhandlungen, Wühltischen und im Internet.
    Allerdings sind meine Bewertungsmassstäbe schon strenger geworden. Es ist nun mal etwas anderes, ob man ein Buch mit ein paar tausend gelesenen vergleichen kann, oder nur mit einigen 10. Daher halte ich mich dabei auch ziemlich zurück.
    Ein Buch, dass mich nach spätestens 100 Seiten nicht gepackt hat, hat seinen Regalplatz verloren.


    Viel schlimmer ist es für mich, dass ich nach dem männlichen Durchschnittsalter von 77 Jahren nur noch 18 Lesejahre vor mir habe und allein mein SUB die wahrscheinliche Anzahl der noch zu lesenden Bücher übersteigt.


    Aber mache Dir nix daraus (tust Du eh’ nicht, so wie ich Dich kenne), wir Älteren sind nun mal halt mäkeliger und das ist unser gutes Recht. Unsere Spreu sieht halt nun einmal anders aus, als bei Lesern mit weniger Erfahrung. Aber die kommen auch einmal dahin und stellen in einigen Jahren sich die gleiche Frage


    meint Dyke - der trotzdem nicht zum Klassikerleser konvertiert

    "Sie lesen?"
    "Seit der Grundschule, aber nur, wenn's keiner sieht."


    Geoffrey Wigham in "London Calling" von Finn Tomson