John Williams - Stoner

  • Auch ein unspektakuläres Leben ist ein gelebtes Leben. Einfach, weil es dein eigenes Leben ist.


    Meine Vor-Rezensenten haben schon viel zum Inhalt gesagt und viele wunderbare Formulierungen gefunden, dieses ungewöhnliche Buch zu beschreiben. Mir fällt dazu nicht viel besseres ein und deswegen belasse ich es dabei. "Stoner" hat auch mich über weite Strecken deprimiert, trotzdem habe ich es gerne gelesen. Es wirft viele unbequeme Fragen auf, denen man sich stellen kann - oder vielleicht auch lieber nicht. Für mich nicht unbedingt ein Lesehighlicht, dafür war es mir doch zu trübsinnig, aber durchaus bemerkenswert und in seiner Tiefgründigkeit sehr eindringlich.

  • "Stoner" von John Williams war für mich eine sehr positive Entdeckung.
    Schon die Beschreibung der letzten Zeit auf der Farm seiner Eltern am Anfang des Buches hat mich berührt und gefesselt. Mit so wenigen Worten wurde deren Leben beschrieben, jeder Satz zeigte mir wie reduziert und auswegslos dieses Leben in seiner sich ewig wiederholenden Gleichförmigkeit ist. Und obwohl die Eltern sich dessen durchaus bewusst sind, würden sie dieses Leben nie aufgeben. Denn seien wir ehrlich, welche Alternative hätten sie denn?
    Aber natürlich soll es dem Sohn besser gehen, er soll andere Möglichkeiten erhalten, soll lernen - und wird deshalb vom Vater zum Studieren geschickt, aufs Landwirtschaftscollege.
    Hier, am College, entdeckt Stoner durch Zufall seine Liebe zur Literatur - und entscheidet sich, nicht mehr auf die Farm zurück zu kehren.
    Stoner hat also den Absprung gewagt, er folgt seiner Leidenschaft, seinen Idealen. Er hat seine Chance genutzt.
    Was nun folgt ist für mich die Beschreibung eines realistisch aufgezeichneten Lebens.
    Heirat mit der Frau, die er meint, zu lieben. Ein Kind, beruflicher Erfolg - alles läuft nach Plan. Während in seinem privaten Leben sehr bald Ernüchterung eintritt ( was er akzeptiert ) ist er auf beruflicher Ebene über Jahre hinweg sehr erfolgreich. Der Unterricht und die Arbeit mit seinen Studenten bestimmt sein Leben, dazu kommt allenfalls noch das zeitweise sehr präsente Verhältnis zu seiner Tochter.
    Stoner ist in diesem täglichen Trott gefangen und lebt so Jahr für Jahr ( und das nicht unbedingt unglücklich ) bis ihm das Schicksal die für ihn überwältigende Erfahrung einer großen Liebe zukommen lässt.
    Er lebt nochmals auf, traut sich fast, zu träumen und an eine gemeinsame Zukunft zu denken. Wie sehr habe ich Stoner diese wunderbaren Zeit gegönnt. Denn auch mir als Leser war sehr schnell klar, dass dies nicht von Dauer sein würde.
    Die Realität holt ihn ein, gesellschaftliche und berufliche Zwänge setzen dieser Beziehung ein Ende. Denn Stoner und Katherine, seine große Liebe, erkennen in ihrer Klugheit, dass sie keine Chance haben. Die letzten Gespräche und Begegnungen der beiden sind in meinen Augen sehr beeindruckend.
    Stoner lebt weiter, aber irgendwie ist es eher eine Art von Funktionieren. Es gibt kurze Momente des Aufbegehrens, der Erinnerungen, des Erkennens darüber, dass es in seinem Leben keine "Hochzeiten" mehr geben wird.
    Sein Sterben wird überaus nachvollziehbar und realistisch beschrieben. Auch hier macht sich Stoner nichts vor, es ist eher eine Art Staunen darüber, dass dies sein, das Leben gewesen sein soll.


    "Stoner" ist ein Roman, den ich als überaus ehrlich, realistisch und konzentriert empfand. Hier gibt es keine rosa Wölckchen, keine Menschen, die über sich hinauswachsen, und die Welt oder auch nur ihr Leben verändern, keine unrealistischen Hoffnungen - trotzdem habe ich das Buch nicht als depressiv oder niederschmetternd empfunden. In keiner Sekunde, auf keiner Seite.
    "Stoner" ist für mich ein grossartiger Roman, der gewiss das Leben von vielen, vielen Menschen beschreibt. Ohne Schnörkel oder Schönfärberei. Aber dies zu erkennen und zu akzeptieren ist sicherlich nicht leicht.


    Ohne Frage verdient dieses Buch 10 von 10 Punkten.

  • Über den Inhalt und den Stil ist ja schon einges gesagt worden, daher halte ich es jetzt kurz.


    Handwerklich, stilistisch großartig, aber ich muss gestehen, dass es mich derart deprimiert hat, dass ich es abbrechen musste.
    Diese ganze Geschichte wollte mir erzählen, dass die Sonne nie wieder aufgehen wird und wir verzweifelt, allein und ungeliebt sterben werden.


    Das war mir zuviel.



    empfindliche Grüße von Elbereth :wave

    “In my opinion, we don't devote nearly enough scientific research to finding a cure for jerks.”

    ― Bill Watterson

  • Ich habe dieses deprimierende Buch auch gelesen, sogar bis zum Ende ;-) Aber es hat mich ratlos und enttäuscht zurückgelassen. Irgendwie hatte ich immer das Gefühl, einen Schleier wegreißen zu müssen. Stoner tappte durch die Geschichte wie betäubt, ich habe ihn jedenfalls nie richtig zu fassen bekommen.


    Nur ein Beispiel: Seite 20:


    Sein Professor Archer Sloane fragt ihn über Shakespeare und ein Sonett:


    "Was sagt er Ihnen, Stoner? Was bedeutet das Sonett?"
    Stoner hob langsam und zögerlich den Blick. "Es bedeutet", sagte er und streckte mit vager Bewegung die Hände in die Höhe, wobei er spürte, wie sein Blick die Gestalt von Archer Sloane suchte und zugleich glasig wurde. "Es bedeutet...", sagte er noch einmal, konnte aber nicht beenden, was er zu sagen begonnen hatte.


    Tja... Und aus diesem Gestammel entnimmt sein Professor, dass Stoner in diesem Augenblick seine Liebe zur Literatur entdeckt hat und Lehrer werden sollte.


    Seufz... vielleicht bin ich zu ungeduldig, aber noch nicht mal der Schreibstil hat mich angesprochen. Ich tue dem Buch bestimmt unrecht. Aber mich hat es leider, leider weder fasziniert noch begeistert. Vielleicht bin ich schlicht und einfach nicht hinter das Geheimnis dieses so erfolgreichen Buches gekommen. Eine Wertung gebe ich daher ganz bewusst nicht ab.

  • Zitat

    Original von Rita
    Tja... Und aus diesem Gestammel entnimmt sein Professor, dass Stoner in diesem Augenblick seine Liebe zur Literatur entdeckt hat und Lehrer werden sollte.


    Ich hatte es eher so aufgefasst, dass es für Stoner selbst der Schlüsselmoment war, in der er merkt, dass mehr in ihm schlummert, als er sich vorher bewusst war. ?(

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

  • Man liest immer mit seinen eigenen Erfahrungen. Wer ein ähnliches Schlüsselerlebnis hatte, der kann sich gut einfinden.


    Ich hatte ein wenig Schwierigkeiten mit der Passivität des Protagonisten, vor allem, was sein ständiges Umfallen gegenüber seiner Frau anbelangte. Gut, das kann man mit dessen Kindheit erklären. Aber spätestens nach dem "Sieg" gegen seinen Uni-Feind hätte er doch auch etwas selbstbewusster gegenüber seiner Frau auftreten können. Warum hat er diese positive Erfahrung nicht in einem anderen Lebensbereich umgesetzt?


    Auch wenn er diesen Schritt nicht gemacht hat, bleibt er doch authentisch und ich hatte kein schlechtes Bauchgefühl dabei. Und das ist für mich die Messlatte. Wenn Protagonisten ungewöhnlich handeln, muss mir mein Bauch sagen: Seltsam, aber gut möglich!

  • Entweder dieses Buch begeistert einen oder es depremiert einen beim Lesen. Ich zähle auch zu den Lesern, die deprimiert zurück bleiben.


    Eskalina : Du hast genau auf den Punkt gebracht, was das Buch auch in mir ausgelöst hat.

    Zitat

    Original von EskalinaEs ist erschreckend, wie wehrlos Stoner seinem Umfeld entgegentritt. Nur ein einziges Mal lehnt er sich auf, ansonsten erduldet er beinahe alles, was ihm Kollegen, Studenten und seine grässliche Ehefrau bieten. Er zeigt nicht einmal die Kraft, sich gegen Konventionen zu stemmen, als sich ihm die Chance auf ein anderes, glücklicheres und erfülltes Leben bietet. Er scheint sich wohl zu fühlen in der Trostlosigkeit.


    Gerade mit dieser Untätigkeit, dieser Passivität Stoners bin ich absolut nicht klar gekommen.
    Wie kann ein Mensch nur alles einfach hinnehmen und ertragen? Ein sehr deprimierendes Leben das auch genau als das geschildert wird.


    Zitat

    Original von Rosha
    "Was hast du denn erwartet?, dachte er."


    Scheinbar zu viel. :-(


    Von mir gibt es lediglich 6 von 10 Punkte.

  • Zum Inhalt wurde wirklich schon alles gesagt.


    Mir hat das Buch sehr gut gefallen.


    Ich empfand Stoner auch als Umfaller, vor allem seiner Frau gegenüber. Hier hat er doch tatsächlich jedes Mal nachgegeben und Entschuldigungen für sie und ihr Verhalten gesucht. Er war aber auch Umfaller seiner Geliebten gegenüber. Hier hat es ihm schlichtweg an Mut gefehlt, alles für seine Liebe aufzugeben und mit ihr ein neues Leben zu beginnen. Aber wie schon vorher einmal geschrieben - so ist das Leben!


    von mir 8 Eulenpunkte

  • Dieses Buch hat mich sehr gefesselt.


    Schon zu Beginn bei der Beschreibung des trostlosen Lebens von Stoners Eltern stellte sich mir die Frage, wieviele Leben umsonst gelebt werden. Oder hat jedes noch so trostlose Leben doch auch seine kleinen Glanzlichter? Natürlich war ich gespannt darauf, ob Stoner mehr aus seinem Leben machen kann.
    Er hatte bessere Chancen als seine Eltern, da er studieren konnte. Doch auch er stellt sich am Ende diese Frage: "War er gescheitert?"


    Beim Lesen könnte man schon leicht in hoffnungslose Stimmung verfallen über all das, was in Stoners Leben schief läuft. Als Leser glaubt man Lösungen zu wissen. Doch wenn man sich genauer in die Situation hineinzudenken versucht, stellt man fest, dass wir viele Jahrzehnte später leicht reden haben. Die Eheprobleme haben ihren Ursprung in denkbar ungünstigen Voraussetzungen, die wir uns heute kaum vorstellen können. Bei beruflichen Problemen versucht er sich treu zu bleiben. Flucht ist keine Lösung für ihn.


    Doch bei allen Schwierigkeiten hat auch Stoner seine Glanzlichter in seinem Leben. So trostlos es uns Lesern auch über weite Strecken scheinen mag, manchmal ist er auch glücklich. Und am Ende seines Lebens: "... und ein Gefühl der eigenen Identität überkam ihn mit plötzlicher Kraft; er spürte seine Macht. Er war er selbst, und er wusste, was er gewesen war."


    Für mich ist dieses Buch sehr geeignet, um in einer Leserunde gelesen zu werden.


    Vermisst habe ich allerdings ein paar Informationen über andere Personen, deren Handlungsweisen oder Beweggründe mir nicht immer schlüssig waren.

  • Mir hat der Roman auch sehr gut gefallen und die Sprache hat mich sehr beeindruckt und gefesselt. Ich sehe, wie ihr so schön geschrieben habt, Stoner auch als Umfaller, der sich einfach nicht wehren kann gegen die anfängliche Lieblosigkeit seiner Frau Edith. Am Ende scheint es dann allerdings fast so, als hätte sie doch noch etwas für ihn übrig. Diese Lieblosigkeit und das Ertragen von Stoner macht einen nachdenklich und mitfühlend. Zugleich freut man sich aber riesig, als er doch noch wahre Liebe erfährt.


    Insgesamt ein bedrückenes und trauriges Buch, das dennoch alle Themen behandelt und dies in einer eindrucksvollen Weise. Ein schönes Buch, das von mir 9/10 Sternen erhält.

    Von allen Welten, die der Mensch erschaffen hat, ist die der Bücher die Gewaltigste

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  • Ich sehe Stoner nicht als Umfaller. Ich will hier nicht zu viel vom Inhalt verraten.

  • Für Stoner stehen Werte wie "Verlässlichkeit", "Prinzipientreue", "Charakterfestigkeit". Ihnen ist er treu und steht zu seinen Lebensentscheidungen, auch wenn er sie sicher in einem Fall sehr bereut hat; trotzdem steht er zu seiner Ehe.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Ich denke, er hat sich für seine Frau verantwortlich gefühlt. Einfach weglaufen, wenn es schwierig wird, war nicht seine Art. Er hatte ja nie ganz die Hoffnung aufgegeben, dass alles einmal besser wird.


    Außerdem war ihm klar, dass seine Universität seine Heimat war, eine Heimat, wie er sie sonst nie hatte. Woanders glaubte er nicht glücklich werden zu können.

  • Nein, als Umfaller hätte ich ihn eher gesehen, wenn er seiner Linie nicht treu geblieben wäre. Ausharren, nicht nachgeben auch wenn es weh tut, bzw. die Karriere leidet, ein einmal gegebenes Wort nicht brechen.


    Aber einmal hat er sich doch sehr raffiniert gewehrt als dieser Unterricht, ich weiß jetzt nciht mehr ganz genau wie das lief aber er bekam doch seine Klasse, wieder zurück. BZW. die Literatur,

  • Zitat

    Original von Voltaire
    Für Stoner stehen Werte wie "Verlässlichkeit", "Prinzipientreue", "Charakterfestigkeit". Ihnen ist er treu und steht zu seinen Lebensentscheidungen, auch wenn er sie sicher in einem Fall sehr bereut hat; trotzdem steht er zu seiner Ehe.


    :write
    Das sehe ich genauso.
    John Williams hat hier keinem strahlenden Helden, sondern einem Menschen wie du und ich eine Stimme gegeben. Er hat das Leben eines einfachen Mannes, der dennoch besonders war, weil jeder Mensch es ist, beschrieben. Man kann im Leben nicht immer ausbrechen, weggehen, den Umständen aus den Weg gehen, meist muss man sie annehmen und irgendwie versuchen damit zu leben. Das ist eine große Stärke und deshalb ist Stoner für mich so eine starke literarische Persönlichkeit. Er läuft nicht weg, er lebt, er trifft Entscheidungen mit all ihren Konsequenzen. Er hat das Leben angenommen, wie es ist. Und das ist eben nun einmal, um es neudeutsch auszudrücken, kein Ponyhof.
    Das ist ein Buch, so leise und doch mit so viel Kraft, eines meiner allerliebsten.

  • Warum Edith so schnell in die Heirat einwilligte, hat auch mich beschäftigt.