'Als wir unsterblich waren' - Seiten 086 - 157

  • Im zweiten Abschnitt, den ich noch nicht ganz durch habe, geht es ausschließlich um Paula, was mir sehr gut gefiel.


    Hier wird ein besonderer Charakter hervorgehoben, nämlich der Jude Harry, der in Paula verliebt ist, der ihr aber nicht seine Gefühle zeigen darf/ will, weil er sich als Mensch zweiter Klasse sieht, was ungemein schade ist. Harrys Familie unterstützt sowohl die bedürftige Klara Mundt als auch Clemens als dieser mit seinem Vater bricht.


    Paulas Bruder Manfred hingegen ist in Klara Mundt verliebt, eine verheiratete Frau mit Kind, deren Mann für die Sache im Gefängnis sitzt. Und Manfred bekommt durch Clemens einen Job bei der Vorwärts, den er sehr ernst nimmt.


    Total überrascht hat mich, dass Clemens seine Clivia doch nicht heiraten will, so viel Mut gegen die Standesdünkel zu verstoßen hatte ich ihm gar nicht zugetraut. Scheinbar hat er doch mehr für Paula über als er zugibt. Trotzdem blöd, dass er sich Paula nicht offenbart, denn die mag ihn ja wie verrückt. Was hat Clemens nur vor?


    Besonders berührt hat mich als Harrys kleiner Bruder verprügelt wird, weil er Jude ist und Harrys Freunde da erst erkennen, dass es Harry auch jahrelang so ging, sie davon aber nie etwas wussten. Die Szene war wirklich sehr emotional und auch sonst habe ich den Eindruck, dass die Gefühle der damaligen Zeit gut eingefangen sind.

  • Zitat

    Original von logan-lady
    Der Abschnitt hat mir sehr gut gefallen. Bisher habe ich mich eher für den 2. Weltkrieg interessiert und vom 1. Weltkrieg gerade mal ein paar Daten parat. Aber Paulas Geschichte macht die Stimmung in Berlin vor dem Krieg greifbar und ich glaube, ich hätte wie sie die Nachricht auch verschwinden lassen, einfach, damit sie weg ist. Ich glaube aber auch, dass die Gruppe um Paula, Manfred und Co. sehr viel mehr politisches Wissen hat als der Durchschnittsbürger. Oder irre ich da? Ist ein Großteil der Bevölkerung auch zu dem Schluss gekommen, dass der Mord an Prinz Ferdinand Krieg bedeutet?


    Mir geht es wie dir. Bisher ausschließlich Bücher über den zweiten Weltkrieg gelesen, aber nie über den ersten. Ich glaube da gibt es auch gar nicht so viele von.


    Ich finde es gut, dass die Gruppe so viel politisches Wissen hat und als Leser lernt man dazu. Dass alle so viel wussten, ist wie Charlie ja erwähnte ausgeschlossen. Das ist wohl heute wie damals nicht anders.

  • Ich denke, dass sich das in diesem Jahr aendert, nicigirl. Durch den Jahrestag ist der Erste Weltkrieg zum Thema geworden, was mich sehr freut. Ich hoffe, dass auch die deutsche Revolution und die Republik von Weimar durch entsprechende Jahrestage Einzug in die Unterhaltungsliteratur finden.


    Herzlich,
    Charlie

  • Das wäre wirklich wünschenswert. Ich bin zwar schon fast 10 Jahre raus aus der Schule, aber da wurde ewig lang und breit über den 2. Weltkrieg gesprochen, aber weder über den 1. Weltkrieg noch großartig über den Mauerfall. Irgendwann hat es in der Oberstufe einfach nur noch genervt.


    Es wirkt immer so als wäre nie etwas anderes passiert bei uns Deutschen als der 2. Weltkrieg und der dessen Name nicht genannt werden darf... :-(

  • Wieso darf man Hitler nicht benennen? Der ist doch nicht Voldemort und aus einem Roman entsprungen.
    Gerade, wenn es darum geht, muss man die Dinge, Ereignisse und auch die Personen beim Namen nennen, denn sonst verschleiert man die Erinnerung und beschleunigt das Vergessen. Das Resultat davon kann man derzeit auf einschlägigen Wahlplakaten und rechten Demos erkennen.


    Das Problem bei der Behandlung im Geschichtsunterricht war damals bei mir - und ich erlebe das auch heute bei meinen Kindern - (allerdings nicht bei allen Lehrern, es gibt auch hier Ausnahmen), dass oft Thema für Thema abgehandelt wurde, mit bestimmten Schwerpunkten oder Vorlieben des jeweiligen Lehrers, ohne diese wichtigen Verknüpfungen früherer Ereignisse herauszuheben. Man lernt im Geschichtsunterricht leider selten themenübergreifend. Allerdings ist das so wichtig, um zu verstehen, wieso es überhaupt so weit kommen konnte in der Nazizeit. Hier spielt aber eben das Kaiserreich, dessen Ende, der 1. Weltkrieg, Weimar eine große Rolle.

  • Zitat

    Original von Saiya


    Gerade, wenn es darum geht, muss man die Dinge, Ereignisse und auch die Personen beim Namen nennen, denn sonst verschleiert man die Erinnerung und beschleunigt das Vergessen.


    Das moecht ich mit Leuchtmarker unterstreichen duerfen.


    Ich schreib jetzt hier nicht wieder mein Zeugl von Karl Jaspers und George Santayana hin ...

  • So gerade noch die letzten Seiten gelesen und dann muss ich doch nochmal meinen Senf abgeben.


    Hätte ich doch gern Harry und Paula als Paar gesehen, muss ich gestehen, dass das Zusammenfinden von Paula und Clemens zum Ende des Leseabschnittes sehr bewegend und gefühlvoll war. Ich gönne den beiden ihr Glück und ihre Zweisamkeit. Fast wollte ich ein ENDLICH laut herausbrüllen als Clemens und Paula sich küssen.


    Die Hochzeit von Ilse und Heinz läuft nicht so rosig, denn Heinz wird entlassen, weil er ein Sozi ist. Heute kann man sich das gar nicht mehr vorstellen, dass man seinen Job verliert, "nur" weil man einer Partei angehört.


    Tja und wie wir wissen wird der Krieg kommen, mal sehen wer es überleben wird.


    Schade übrigens, dass Paula Harry nur als Freund sieht, aber gut dass er sich getraut hat es ihr zu sagen.


    Das Paula die Nachricht über die Ermordung des Thronfolgers hat verschwinden lassen, kann ich nur zu gut verstehen. Dennoch sehr leichtsinnig...

  • Zitat

    Original von nicigirl85


    Die Hochzeit von Ilse und Heinz läuft nicht so rosig, denn Heinz wird entlassen, weil er ein Sozi ist. Heute kann man sich das gar nicht mehr vorstellen, dass man seinen Job verliert, "nur" weil man einer Partei angehört.


    Dafuer, dass es gewisse Schutzmechanismen heute gibt, haben die Leute ja gekaempft. Dennoch bin ich sicher, dass ein allzu intensives Gewerkschaftsengagement einem auch heute beim Arbeitgeber nicht unbedingt Freunde macht.


    Es freut mich, dass Paula und Clemens fuer dich jetzt doch kein ganz unmoegliches Paar sind!


    Herzliche Gruesse von Charlie

  • S. 98ff, der Angriff auf Joachim. Das ist ... gespenstisch. Mir ist solcher Antisemitismus inzwischen mehrfach in der Zeit „begegnet“. Wie muß das wohl in anderen Ländern damals zugegangen sein, wenn Jürgen Osterhammel in seinem Buch „Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts“ (C. H. Beck, München, 5. durchgesehene Auflage 2010) schreibt: „Man findet keine einfache Erklärung für den gleichzeitigen, aber keineswegs räumlich gleichmäßigen Aufstieg des Antisemitismus in Europa. Wer 1910 eine Voraussage hätte wagen wollen, wo in Europa dreißig Jahre später Massenverbrechen gegen Juden begangen würden, der hätte auf Russland, Rumänien oder gar Frankreich getippt, aber wohl erst an nachgeordneter Stelle auf Deutschland.“ (S. 1232, Hervorhebung durch den Autor).


    S. 111: Schick mir Nachricht, an welchem Tag - einerlei, ob unsere Welt noch steht.
    Da mir bekannt ist, was ein Jahr später - 1914 - passiert ist, ist es mir bei diesen Zeilen eiskalt den Rücken hinuntergelaufen.


    S. 119: Das Symbol einer Welt, die mit Pomp gegen ihren Untergang kämpfte.
    Ich frage mich manchmal, ob man heute mit ganz anderem Pomp nicht ebenfalls gegen den Untergang der eigenen Welt kämpft.


    S. 139 Die enorme Konsequenz, mit der Sozialdemokraten nicht an Omen glauben, hat mich denn doch grinsen lassen. :grin


    S. 141: Lass bloß stecken - wann kann unsereins schon mal glücklich sein? Wir beißen ins Gras und haben kein bisschen Leben geschmeckt.
    Auch hier das Erschrecken ob des Zeitpunkts, in dem diese Äußerung fällt. Fast schon prophetisch!


    S. 153f verstehe ich Clemens so, als ob er Kaiser Wilhelm unterstellt, den Krieg unbedingt zu wollen. Das las sich in „Der erste Weltkrieg“ von C. Beil / J. Büschenfeld / A. Roerkohl u. a. anders. Ich zitiere einfach wieder aus meiner Rezi:
    „Wenn die Autoren dieses Buches recht haben, (...) wurde er (Anm.: Kaiser Wilhelm II.) von den Militärs schlicht und ergreifend übergangen. Die Militärführung wollte offensichtlich den Krieg und war sich nicht sicher, ob der Kaiser das genauso sah. Bzw. war sich sicher, daß der im letzten Moment eben keinen Krieg wollte, weshalb er überrumpelt wurde. So nahm das Unheil denn seinen Lauf.“


    Das Buch liest sich sehr gut und entwickelt einen Sog, obwohl ich ja eher von einer (Gedanken-) Welt lese, die nicht so die meine ist. Auch das Fanatische, welches die Figuren an den Tag legen, ist mir doch recht fremd und bereitet manchmal Mühe, es zu verstehen bzw. nachzuvollziehen. Desgleichen die „Vergötterung“ der Arbeiter. Aber da mag ich durch den weiteren Verlauf der Geschichte („Arbeiter- und Bauernstaat“) beeinflußt sein.


    Gegen Ende des Abschnitts dann leise Andeutungen von, wie man heute vermutlich sagen würde, Sachzwängen, die es eben erforderlich machen, den Kriegskrediten zuzustimmen. Kein Wunder, wenn die Menschen irgendwann der Politik und/oder der Politiker überdrüssig werden.
    .

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von SiCollier
    S. 153f verstehe ich Clemens so, als ob er Kaiser Wilhelm unterstellt, den Krieg unbedingt zu wollen. Das las sich in „Der erste Weltkrieg“ von C. Beil / J. Büschenfeld / A. Roerkohl u. a. anders. Ich zitiere einfach wieder aus meiner Rezi:
    „Wenn die Autoren dieses Buches recht haben, (...) wurde er (Anm.: Kaiser Wilhelm II.) von den Militärs schlicht und ergreifend übergangen. Die Militärführung wollte offensichtlich den Krieg und war sich nicht sicher, ob der Kaiser das genauso sah. Bzw. war sich sicher, daß der im letzten Moment eben keinen Krieg wollte, weshalb er überrumpelt wurde. So nahm das Unheil denn seinen Lauf.“


    Ja, an einigen der anderen von dir erwähnten Stellen ging es mir ähnlich.
    Was den Kaiser angeht: Ich las vor etlichen Jahren das verlinkte Buch und habe es eigentlich auch so in Erinnerung, dass der Kaiser gern in farbenfrohen Phantasieuniformen einherstolzierte und säbelrasselnd kriegerische Reden dozierte oder sie gar in undiplomatischen Depeschen schriftlich niederlegte, dass er aber letzendlich bis unmittelbar vor dem großen Knall mit dem Zaren korrespondierte und beide versuchten, die Militärs zu stoppen.

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

  • Zitat

    Original von SiCollier


    S. 153f verstehe ich Clemens so, als ob er Kaiser Wilhelm unterstellt, den Krieg unbedingt zu wollen. Das las sich in „Der erste Weltkrieg“ von C. Beil / J. Büschenfeld / A. Roerkohl u. a. anders. Ich zitiere einfach wieder aus meiner Rezi:
    „Wenn die Autoren dieses Buches recht haben, (...) wurde er (Anm.: Kaiser Wilhelm II.) von den Militärs schlicht und ergreifend übergangen. Die Militärführung wollte offensichtlich den Krieg und war sich nicht sicher, ob der Kaiser das genauso sah. Bzw. war sich sicher, daß der im letzten Moment eben keinen Krieg wollte, weshalb er überrumpelt wurde. So nahm das Unheil denn seinen Lauf.“


    .


    Das ist ein hochinteressantes Thema, ueber das ich mit einem der begleitenden Historiker auch viel gesprochen habe. Wer wollte den Krieg und warum? Dieses Angst-vor-der-eigenen-Courage-Moment hat es ja zweifellos gegeben. Fuer mich persoenlich (und das ist natuerlich eine Frage von Quellen-Interpretation und letztlich Meinung) ist das zweitrangig und besagt nichts gegen den politischen Willen zum Krieg, der seit langem vorhanden war und sich in Entscheidungen - auch was Machtbefugnisse innerhalb der militaerischen Fuehrung angeht - niederschlug. Um ins Detail zu gehen, ist dies hier nicht die richtige Plattform, aber das ist in jedem Fall eine spannende Frage, die aktuell bleibt: Wie manifestiert sich Kriegswillen und was wird davon fuer welche Teile der Bevoelkerung sichtbar?
    Dass der Kaiser und die militaerische Fuehrung bewusst auf einen Krieg zusteuerten, war fuer grosse Teile der Sozialdemokratie (nicht nur der deutschen - wir haben hier grosse Teile z.B. zur frz. Bewegung geschnitten, da sie zu weit fuehrten) - namentlich den linken Fluegel - Fakt, und Warnungen wurden lange vor den Schuessen von Sarajewo immer wieder ausgesprochen.


    Ich freu mich sehr ueber die Gespraeche, die in den Threads hier aufkommen. Einem wird ja recht oft aus der Branche vermittelt, Leser wuerden sich fuer "solche Themen" nicht interssieren. Das hier ganz anderes zu erleben, ist sehr schoen.


    Herzlich,
    Charlie

  • Zitat

    Original von Charlie
    Einem wird ja recht oft aus der Branche vermittelt, Leser wuerden sich fuer "solche Themen" nicht interssieren. Das hier ganz anderes zu erleben, ist sehr schoen.


    Das sind dann wahrscheinlich dieselben Leute, die darauf bestehen, dass der Klappentext so flach wie möglich gehalten und möglichst auf die Liebesgeschichten reduziert wird :wave

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

  • Meinst du meinen damit?


    Ich finde den gut.
    Er ist mir auch sehr rechtzeitig vorgelegt worden, und mir hat er gefallen. Wenn er dir also nicht gefaellt, trifft mich mindestens die Haelfte der Schuld.


    Mir ist das bei dem Verlag ueberhaupt noch nicht passiert. Ich hatte im Vorfeld gehoert, das Thema sei so gut wie unverkaeuflich, aber Droemer hat es sofort genommen. Und den Nachfolger, bei dem Epoche und Thema noch ein bisschen schwieriger sitzen. Bei meinem anderen Buch (also bei dem von der Carmen) ist die (im Roman sehr prominente) Liebesgeschichte aus dem Klappentext vollkommen raus und stattdessen stehen Worte wie "Hethiter" und "Altorientalist" drinnen - und der krass sperrige Vorname der Protagonistin. Ich finde das enorm couragiert, kann mich also ganz und gar nicht beklagen. Im Gegenteil!


    Alles Liebe von Charlie

  • Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich mir wünschen würde, dass noch mehr Verlage den Mut aufbringen würden, diese Themen zu bringen. Die Deutsche Revolution ist auch so ein Thema, dass mir extrem am Herzen liegt und zu dem ich eine Familiensaga hier rumliegen habe. Unverkäuflich bis jetzt ... Vielleicht ändert sich das mal. Bis vor ein paar Jahren hieß es ja auch, Weimar ginge gar nicht, und gerade schießen die Weimar-Romane aus dem Boden. Ich freue mich jedenfalls sehr für dich und bin auch schon sehr, sehr gespannt auf dein nächstes Baby. Das ist auch eins meiner großen Themen, die ich superspannend finde :-)


    Zu dem Abschnitt - es gefällt mir weiterhin sehr gut :-) Ein buntes Beziehungsgeflecht aus Freundschaft, Loyalität und Liebe tut sich hier auf und ist dabei an allen Stellen glaubhaft. Clemens ist irgendwie mein Liebling, aber ich stehe auch auf solche Kerle ;-)


    Antisemitismus ist übrigens im Kaiserreich weit verbreitet und keineswegs eine Erfindung der Nazis. Hitler hatte u.a. deshalb so einen Erfolg, weil er auf Kräfte zurückgriff, die aus der Kaiserzeit noch in der Weimarer Republik in der Bevölkerung virulent waren. http://de.wikipedia.org/wiki/Antisemitismus_%28bis_1945%29


    Ich finde die jungen Leute in diesem Abschnitt nicht zu vernünftig. Es gab immer wieder Zeiten, zu denen die Jugend stärker politisiert war, und Zeiten, zu denen man froh sein kann, wenn sie wissen, was Demokratie eigentlich bedeutet. Seit den Friedensbewegungen der 80er Jahre haben wir politisch sehr unaufgeregte Zeiten, es geht (den meisten) gut (vor allem im Vergleich zu z.B. den Verhältnissen um 1914) und es besteht kein Bedarf, sich politisch mehr als notwendig zu engagieren. Das war Anfang des 20. Jahrhunderts, aber auch Ende der 60er bis Anfang der 80er Jahre anders. Gleichzeitig gibt es aber auch jetzt sehr engagierte Jugendliche, der erstaunlich viel Ahnung von Politik haben und sich sehr dafür interessieren (mein aktueller Abiturjahrgang z.B.), die ein ähnlich umfassendes Politikverständnis haben wie Paula und ihre Freunde.


    Irgendwo auf der ersten Seite wurde angemerkt, dass die Kriegsbegeisterung schwer nachvollziehbar sei. Man muss bedenken, dass man 1914 noch keine Ahnung davon hatte, wie sich die Kriege im 20. Jahrhundert entwickeln würden. Das 19. Jahrhundert war erfreulich friedlich (auch weil die Fürsten das Gespenst der Revolution fürchteten), und die Kriege, die es gab (Deutscher Bruderkrieg 1866, Deutsch-Französischer Krieg 1870/71), waren überwiegend kurz, mit einer oder zwei Schlachten erledigt und hatten kaum Bedeutung für die (deutsche) Zivilbevölkerung. Krieg war ein Mittel der Politik und ein Kräftemessen, aber in der Erfahrung der Menschen kein Massensterben, wie es dann nach 1914 geschah. Man glaubte tatsächlich, in zwei Monate in Paris zu sein und Weihnachten wieder zu Hause. Anders ist das "Augusterlebnis", wie man ja diese Kriegsbegeisterung auch nennt, kaum zu erklären. Der Erste und vor allem der Zweite Weltkrieg haben den Charakter von Kriegen dann grundlegend verändert.


    :wave
    Heike

    Der Bernsteinbund - Historischer Roman - Juni 2010 im Aufbau-Verlag
    Die Tote im Nebel - Historischer Kriminalroman - März 2013 im Gmeiner-Verlag

    Rabenerbe/ Rabenbund - DSA-Fantasyromane - 2017/2018 bei Ulisses

  • Zitat

    Original von Charlie
    Das ist ein hochinteressantes Thema, ueber das ich mit einem der begleitenden Historiker auch viel gesprochen habe. Wer wollte den Krieg und warum? Dieses Angst-vor-der-eigenen-Courage-Moment hat es ja zweifellos gegeben. Fuer mich persoenlich (und das ist natuerlich eine Frage von Quellen-Interpretation und letztlich Meinung) ist das zweitrangig und besagt nichts gegen den politischen Willen zum Krieg, der seit langem vorhanden war und sich in Entscheidungen - auch was Machtbefugnisse innerhalb der militaerischen Fuehrung angeht - niederschlug.


    Ja, das ist wirklich ein interessantes Thema. Mich hat, als ich das erste Mal darauf stieß - und deshalb blieb es mir hängen - erstaunt, daß offensichtlich Wilhelm II. eben nicht der "Kriegstreiber" war, als den ich ihn bisher oft dargestellt gefunden habe, sondern er möglicherweise eben gerade vor einem Krieg im letzten Moment zurückgeschreckt wäre. Daß da viel "was wäre wenn" mitspielt, ist mir bewußt. Ich habe seither ein ganz anderes "Verhältnis" zu Hindenburg, der den krieg wollte, und kann nachvollziehen, daß vor einiger Zeit in Bad Hersfeld der Hindenburgplatz in "Theodor-Heuss-Platz" umbenannt wurde (obwohl ich selbst, da ich bald direkt daneben wohnen werde, ihn immer noch als "Hindenburgplatz" bezeichne, das ist gewohnt und kürzer - und oftmals verständlicher. Aber das ist ein anderes Thema.)


    Ich habe zwar den nächsten Abschnitt durch, doch Freitag ist derzeit Let's Dance TV-Abend, so daß ich nicht mehr zum Posten komme. Morgen oder übermorgen dann.


    Edit. Grammatikfehler berichtigt.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

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  • Den zweiten Abschnitt habe ich auch schon beendet und mir erschien es folgerichtig, daß Paula und Clemens zueinander finden. Auch wenn Harry für Paulas Herz der Sicherere gewesen wäre.
    Clemens finde ich sehr interessant, je mehr man von ihm erfährt, desto eher lässt sich seine Figur auch nachvollziehen. Ich bin gespannt wie er sich weiterentwickelt. Ob er den Krieg überlebt? Und ob Harry dann Paula tröstet?


    Das Harrys Nachname noch nicht aufgetaucht ist, lässt mich vermuten, daß er evtl. Liebermann lautet?
    Wir werden es sehen.


    Ich freue mich auf jeden Fall schon auf den Rest des Buches. Nachdem mein Mann nächste Woche in China ist, habe ich die abende frei und werde lesen statt fernsehen.


    Ich finde es toll, daß es jetzt historische Belletristik auch zur Zeit vor der Nazizeit gibt. Bis jetzt fanden die ersten 30 Jahren des 20. Jahrhunderts ja bei den historischen Romanen nicht statt. Um so schöner, daß jetzt immer mehr Romane zu dem Thema auf den Markt kommen.

  • Zitat

    Original von streifi
    Das Harrys Nachname noch nicht aufgetaucht ist, lässt mich vermuten, daß er evtl. Liebermann lautet?
    Wir werden es sehen.


    Ist der Nachname wirklich noch nicht aufgetaucht? Ist mir gar nicht aufgefallen. Aber jetzt, wo du es sagst... :chen Interessanter Hinweis!


    Ich lese hier wirklich mit großem Interesse mit, insbesondere, weil die Hintergründe hier noch mal anders beleuchtet werden. Danke dafür.

  • Wir haben übers Wochenende einen Kurzurlaub eingelegt, Familie in Victoria BC besucht. Da hatte ich endlich viel Ruhe zum lesen, aber keine Gelegenheit im Internet zu posten.


    Dabei hat mich dieser Abschnitt nach einem eher enttäuschenden Beginn nun doch endlich mitgezogen. Viele der Gedanken hier kann ich nur bestätigen. Bin ebenfalls erstaunt, dass Paulas Gefühle für Clemens doch wesentlich mehr als eine Jugendschwärmerei sind.


    Antisemitismus existiert natürlich seit Jahrhunderten und das nicht nur in Deutschland. Keine Frage. Ich war nur überrascht, dass er zu dieser Zeit so offensichtlich spürbar gewesen sein sollte. Ich hätte es eher unterschwellig vermutet.


    Zitat

    Original von Juliane
    Paula ist gut, sie meint wirklich wenn sie die Nachricht von der Ermordung des Kronprinzen unterschlägt gibt es keinen Krieg.


    Na ja, das war ja erstmal eine total emotionale Reaktion. Ihr Verstand setzte auch erst kurz danach wieder ein.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich