'Keiko' - Seiten 001 - 069

  • Aus familiären Gründen kann ich im Moment nicht so, wie ich will. Und ich zaungaste ja nur.
    Aber ich habe das Buch noch mal angefangen zu lesen, daher hier ein paar Gedanken:


    Das Buch hat mich sofort wieder gefangen genommen. Ich weiß gar nicht so richtig, wie ich die Stimmung beim lesen beschreiben soll, vielleicht am ehesten als Schwingung in einem leichten Wind. :-)
    Ich habe dieses Gefühl schon oft bei Romanen asiatischer Autoren gehabt. Jamie Ford, habe ich herausbekommen, hat chinesische Vorfahren, also passt das auch.


    Wir pendeln immer hin und her zwischen Henrys Kindheit und der Gegenwart, in der er ein alter Mann ist, ein Witwer, still und traurig oder vielleicht eher melancholisch.
    Gerade dieses Pendeln gefällt mir. es ist interessant, wie man immer mehr zu verstehen beginnt, wie dieser alte Mann wurde, wie er an seinem Lebensabend ist.
    Ich muss aufpassen, was ich hier verrate, aber es geht um Hoffnungen, die sich nicht erfüllten, Träume, die vergingen und trotzdem nicht vergessen wurden.


    Wirklich schlimm finde ich den Alltag, den Henry mit seinen Eltern führte. Sie wollten sicher nur einen guten Start für ihn, aber ein Abbruch der Kommunikation, weil er nur noch englisch sprechen soll, ist schon heftig, zumal sie ja nur ihre Muttersprache beherrschen. Henry hätte problemlos beide Sprachen sprechen können. Kindern fällt so etwas leicht.
    Er war also nicht nur in der Schule, sondern auch zu Hause isoliert.


    Ich lese also jetzt mit Genuss weiter.

  • Die Situation in die Henry von seinen Eltern gezwungen wird ist schon grotesk. Sie verstehen und sprechen kein englisch, er aber darf nur so mit ihnen kommunizieren. Kein Wunder, dass da keine tiefere Bindung entsteht.


    Das spürt man noch beim gegenwärtigen Henry, der zu seinem Sohn Marty auch nur schwer eine Beziehung aufbauen konnte.

  • Ganz fertig bin ich mit dem Abschnitt auch noch nicht.
    Mir geht es wie Clare, es ist eine Geschichte, die mich in ihren Bann zieht. Es ist eine leise, sanfte Traurigkeit, die von Henry ausgeht.


    Für mich ist die Beziehung zwischen Henry und seinem Sohn auch deshalb schwierig, weil Henry sich den Traditionen seiner Herkunftsfamilie noch immer sehr verbunden fühlt und Marty sich - soweit ich es bisher gelesen habe - ganz als Amerikaner fühlt.


    Es gab ja (und gibt sie noch heute) die Meinung, dass kleine Kinder nur eine Sprache lernen sollten, weil sie sonst in keiner richtig heimisch werden. Das ist zwar längst durch Forschungen widerlegt, aber noch nicht überall angekommen.

  • Ich habe gestern Abend den ersten Abschnitt beendet und bin auch sehr angetan von dem Buch.


    Die Geschicht wird auf zwei Zeitebenen erzählt zwischen denen rund 40 Jahre liegen.
    Henry mag ich sowohl als Jungen, als auch als Witwer. Für mich ist er ein gefangener seiner Zeit.


    Keiko mag ich auch, obwohl sie als Jugendliche ein wenig anders ist als Henry, sie ist sich der Tragweite der Geschichte mehr bewusst als Henry (kommt mir zumindest momentan so vor)


    Das Henry mit seinen Eltern nur Englisch sprechen darf, sie aber gar nicht verstehen, was sein Sohn sagt ist schon ziemlich schräg. Ich kann den Hintergrund verstehen, warum die Eltern das wollen, aber ich als Elternteil würde mich dann ebenso verhalten und Englisch sprechen

  • Zitat

    Original von Rumpelstilzchen


    Es gab ja (und gibt sie noch heute) die Meinung, dass kleine Kinder nur eine Sprache lernen sollten, weil sie sonst in keiner richtig heimisch werden. Das ist zwar längst durch Forschungen widerlegt, aber noch nicht überall angekommen.


    Ist das nicht widersprüchlich? Oder hab ich es nur falsch verstanden? Soll/darf man nun oder nicht? Nur, weil meine Tochter ihren Sohn auch 2-sprachig erzieht. Er ist gerade mal 2 Jahre.

  • Zitat

    Original von Eliza08


    Das Henry mit seinen Eltern nur Englisch sprechen darf, sie aber gar nicht verstehen, was sein Sohn sagt ist schon ziemlich schräg. Ich kann den Hintergrund verstehen, warum die Eltern das wollen, aber ich als Elternteil würde mich dann ebenso verhalten und Englisch sprechen


    Und es geht Millionen Einwanderern genauso. Das ist heute nicht anders. Und ich finde das Buch erschreckend aktuell.

  • Es gab Meinungen, dass es Kindern schadet, wenn sie zweisprachig erzogen werden.
    So hat man Eltern auch davon abgehalten, mit ihren Kindern den eigenen Dialekt zu sprechen, weil man befürchtet hat, sie würden dann nie richtig die "Hochsprache" lernen. Da gibt es ganz gruselige Geschichten drüber.


    Das ist aber völlig out und in vielen Ländern der Welt wachsen Kinder immer zweisprachig auf, ohne dass es ihnen irgendwie schadet.
    Soweit ich weiß, ist nur wichtig, dass man in der eigenen Muttersprache mit dem Kind spricht, damit es nichts falsches lernt.

  • Danke Rumpelstilzchen, nun ja immer muttersprachlich geht nicht, sie muss schon mal mit ihrem Mann reden und so. Das Kind geht aber gut damit um, sagt nein, und um es zu betonen, no, no. :grin


    Das wars jetzt aber mit OT

    "Leute die Bücher lesen, sind einfach unberechenbar." Spruch aus "Wilsberg "
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  • Mein erster Start ins Buch war nichts, da kam ich überhaupt nicht rein und habe es nach ein paar Seiten wieder weggelegt. Am nächsten Tag gings besser. Die Abschnitte in der Vergangenheit lese ich gern und ich hoffe dauernd, dass Henry und Keiko nichts passiert und die blöden Mitschüler sie in Ruhe lassen...


    Diese Sprachhürde zu Hause stelle ich mir furchtbar vor. Verrückt auf was für Ideen manche Eltern kommen und das mit den besten Absichten... dass das ein schwieriges Thema ist, wenn man in einem Land lebt, in dem nicht die eigene Muttersprache die Landessprache ist, ist klar. Aber deswegen die Kommunikation mit dem eigenen Kind einzustellen, ist schon sehr extrem.


    Die Abschnitte in der Gegenwart liegen mir nicht. Da kann ich mit Henry nichts anfangen und mit seinem Sohn noch viel weniger. Da bin ich im Moment immer froh, wenn die Seiten vorüber sind und wir wieder in die Vergangenheit springen.
    Trotzdem gab es auch hier ein paar Stellen, die ich berührend fand. Zum Beispiel auf Seite 49, als Henry von der Pflege Ethels erzählt.

  • Ich habe das Buch ja in einem Rutsch durch gelesen, deshalb fällt es mir ein wenig schwer etwas hier zu schreiben ohne zu viel zu verraten.
    Mein Einstieg in das Buch war auf jeden Fall sehr gut. Ich wollte es ja nur kurz anlesen und konnte dann gar nicht mehr aufhören zu lesen weil ich die Stimmung so toll fand in dem Roman. Am Anfang fand ich die Abschnitte in der Gegenwart von Henry sehr melancholisch und traurig. Ich konnte die Einsamkeit und Leere von Henry richtig spüren und mit den Händen greifen. Auch die Schwierigkeiten zwischen Henry und seinem Sohn: sie wollen gerne miteinander reden aber können es nicht.



    Zitat

    Original von Findus
    Die Situation in die Henry von seinen Eltern gezwungen wird ist schon grotesk. Sie verstehen und sprechen kein englisch, er aber darf nur so mit ihnen kommunizieren. Kein Wunder, dass da keine tiefere Bindung entsteht.


    Das spürt man noch beim gegenwärtigen Henry, der zu seinem Sohn Marty auch nur schwer eine Beziehung aufbauen konnte.


    :write
    Mich hat die Situation ein wenig an das letzte Leserundenbuch: "Der Bastard von Istanbul" erinnert, in dem Mutter und Tochter auch nicht gut miteinander reden konnten.


    Das Henry nur noch Englisch reden soll und sich so gar nicht mehr mit seinen Eltern unterhalten kann hat mich auch sehr aufgeregt.
    Und im Gegensatz dazu fand ich es auch echt traurig, dass Keiko gar kein Japanisch sprechen kann, also die Sprache ihrer Eltern gar nicht gelernt hat.
    Ich finde es total schön, wie die zarte Entstehung der Freundschaft zwischen Keiko und Henry geschildert wird.

  • Zitat

    Original von chiclana
    Mein erster Start ins Buch war nichts, da kam ich überhaupt nicht rein und habe es nach ein paar Seiten wieder weggelegt. Am nächsten Tag gings besser.
    .


    Das ging mir auch so. Ich fand Henry furchtbar sperrig. Das hat sich aber gelegt

  • Eigentlich wollte ich die Runde ja als Zaungast begleiten, aber ich stelle leider fest, dass ich mich nicht mehr so detailliert an das Hörbuch erinnern kann. Inzwischen habe ich schon etliche, andere gehört und werde hier eher mitlesen als kommentieren.

  • Sperrig fand ich Henry nicht.
    Er ist kein einfacher Mensch, das kann er bei seiner Geschichte gar nicht sein. Das wird auch gut dargestellt, finde ich. Schließlich haben seine Eltern zwar erwartet, dass er englisch lernt und auf eine "weiße" Schule geht. Daheim möchten sie aber einen Sohn, der die alten Traditionen achtet.
    Ein schwieriger Spagat, der den Jungen zwischen allen Stühlen zurücklässt. Auch später - es gab doch die Bemerkung, dass er die Uni auch verlassen hat, weil er sich da auch immer fremd gefühlt hat.

  • Zitat

    Original von Clare
    Wir pendeln immer hin und her zwischen Henrys Kindheit und der Gegenwart, in der er ein alter Mann ist, ein Witwer, still und traurig oder vielleicht eher melancholisch.
    Gerade dieses Pendeln gefällt mir. es ist interessant, wie man immer mehr zu verstehen beginnt, wie dieser alte Mann wurde, wie er an seinem Lebensabend ist.


    Hast du mal nachgerechnet, wie alt Henry im Gegenwartsstrang ist? :lache Mir kam er auch wie ein müder alter Knacker vor, der durch die Gegend schlurft, in Erinnerungen gefangen ist und auf sein Ende wartet, aber er ist erst 56, gerade mal zwei Jahre älter als ich selbst.


    Über diesen Widerspruch bin ich hart gestolpert. Natürlich hat er eine schwere und anstrengende Zeit hinter sich, die jahrelange Pflege seiner Frau, aber reicht das allein als Erklärung aus? Ich könnte mir gut vorstellen, dass auch die Erfahrungen seiner Kindheit dazu beigetragen haben, seinen demütigen Charakter zu formen und ihn sehr bescheidene Ansprüche an das Leben stellen zu lassen.

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Ich habe den Abschnitt gerade beendet und finde es im Moment einfach so schade, dass ich nicht genug Zeit für das Buch habe. Ich finde es erzeugt eine ganz spezielle Stimmung, die ich noch gar nicht richtig "festmachen kann", die mich aber regelrecht in die Geschichte eintauchen lässt. Es fällt mir schwer, das Buch beiseite zu legen und mich um andere Dinge zu kümmern.
    Clare : Das mit dem leichten Wind, empfinde ich auch so, gepaart mit einer leichten Melancholie und erzählt in einer wunderschönen Sprache. Das gefällt mir sehr.


    Ich finde die Zeitsprünge sehr gelungen. Ich bin ja jemand, der gerne Geschichten von hinten aufrollt. Da kommt mir das hier sehr gelegen. Henry als alter Mann, Vater und Witwer ist mir sofort ans Herz gewachsen. So wie er immer wieder in eine Erinnerungen versinkt, versinke ich in diesem Buch.


    Zwar scheinen Vater und Sohn sich nicht viel zu sagen zu haben, dennoch spürt man, dass sie sich auf ihre Art sehr lieben. Ihr Bindeglied ist nur leider nicht mehr da und das erschwert ihnen die Kommunikation. Ethel fehlt und das macht beide sprachlos. Das ist sehr traurig. Aber ich denke auch, dass Marty früh sehr selbständig war. Henrys Aufgabe, sich um seine todkranke Frau zu kümmern, hat ihn sicher sehr gefordert. Da bleibt für anderes wenig Zeit. Dass er ihm Essen "aufnötigt", damit er an der Uni auch was wirklich Gutes bekommt, ist fast schon rührend.


    Ich glaube auch, dass gerade Henrys traditionelle, strenge chinesische Erziehung, in einem krassen Gegensatz zu dem steht, wie sein Sohn aufwachsen durfte. Beide sind ja in einer völlig anderen Zeit aufgewachsen. Die Möglichkeiten, die sein Sohn heute hat, hatte Henry nie. Ich hoffe ja, dass sie im Laufe des Buches einen Weg zueinander finden.


    Dass Henrys Eltern sich für ihren Sohn ein gutes Leben in Amerika wünschen, kann ich nachvollziehen. So seltsam es auch aus heutiger Sicht scheint, dass sie mit ihm in seiner Muttersprache sprechen, er aber Englisch mit ihnen sprechen muss, um zu beweisen, dass er gut zurecht kommt, finde ich das aus ihrer Sicht verständlich. Man muss sich ja nur vorstellen, was ein Vater für Ängste ausstehen muss, was mit seinem Sohn passieren könnte um ihn mit einem solchen Sticker auf die Straße zu schicken. Die Situation damals muss für die Chinesen genauso bedrohlich gewesen sein, wie für die Japaner. Hinzu kommt der unbedingte Wille sich bloß von dem verhassten Feind abzugrenzen. Und natürlich die Situation, dass Henrys Eltern noch fest mit der Heimat verwurzelt sind. Dass sie dann ihren Sohn ermutigen, sich in Amerika zu integrieren, ist eigentlich nicht selbstverständlich. Ihre Methoden sind fragwürdig, sicher, aber das, was sie damit erreichen wollen, ist es nicht.


    Henry allerdings leidet darunter. Er fühlt sich nirgends mehr zugehörig. Und jetzt kommt da "Keiko", ausgerechnet ein Japanerin. Beide haben so viel gemeinsam. Ich bin gespannt, wie ihre Geschichte weitergeht. Allerdings ist mir der Teil der amerikanisch-japanischen Geschichte zumindest oberflächlich ein Begriff und so ahne ich nichts Gutes.

  • Zitat

    Original von Findus
    Die Situation in die Henry von seinen Eltern gezwungen wird ist schon grotesk. Sie verstehen und sprechen kein englisch, er aber darf nur so mit ihnen kommunizieren. Kein Wunder, dass da keine tiefere Bindung entsteht.


    Das spürt man noch beim gegenwärtigen Henry, der zu seinem Sohn Marty auch nur schwer eine Beziehung aufbauen konnte.


    Das empfinde ich ebenso. Henry trägt die Last seiner Väter - wie soll er mit seinem Sohn offen kommunizieren, wenn er selbst es bei seinen eigenen Eltern niemals gelernt / erlebt hat? Das war in den fünfziger Jahren in Deutschland kein bisschen anders und mag - leider - in manchen Familien noch heute so sein.


    Zitat

    Original von Rumpelstilzchen
    Für mich ist die Beziehung zwischen Henry und seinem Sohn auch deshalb schwierig, weil Henry sich den Traditionen seiner Herkunftsfamilie noch immer sehr verbunden fühlt und Marty sich - soweit ich es bisher gelesen habe - ganz als Amerikaner fühlt.


    Ich denke, dass Henry als verbindende Generation zwischen alter und neuer Heimat gewissermaßen auch zwischen den Stühlen sitzt. Seine Eltern drängten ihn, Amerikaner zu werden, in den Augen des Sohnes repräsentiert er immer noch China. Weiß er selbst überhaupt, wie er sich diesbezüglich einordnen soll?

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann