Das Lied der Störche - Ulrike Renk

  • Die Geschichte spielt in den 1920er Jahren in Ostpreussen. Zum Teil merkt man, das die Auswirkungen des 1. WK noch nicht ganz vorbei sind, und doch irgendwo unterschwellig schon die Gedanken an den 2. WK auftauchen, ob und wie schlimm dieser sein wird, kann zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingeschätzt werden.


    In dieser Zeit wächst Frederike bzw. Freddy, wie sie von allen genannt wird, auf einem Gutshof auf. Dorthin hat es sie und ihre beiden Halbgeschwister mit der Mutter verschlagen, die in 3. Ehe ein Familienmitglied ihres verstorbenen 2. Ehemannes geheiratet hat. Es scheint sich um eine unbeschwerte Zeit zu handeln, die Kinder lernen den Gutsbetrieb mit allen Vor- und Nachteilen kennen.


    Die Halbgeschwister werden anders angesehen als Freddy, da diese später einmal auf keine Mitgift zurückgreifen kann, diese ist irgendwo in den Kriegswirren verloren worden. Es belastet sie ein bisschen, andererseits ist sie der Ansicht, das sie das Bestmögliche aus ihrem Leben machen kann und wird und auch ohne Mitgift einem Gutshof vorstehen wird.


    Das Freddy von der Mutter auf eine Hauswirtschaftsschule geschickt wird, zeigt schon, das auch die Mutter der Ansicht ist, das Freddy irgendwann eine Gutsherrin sein wird und alles notwendige dafür erlernen muss; wofür Freddy sich aber auch nicht zu schade ist.


    Wie es früher anscheinend üblich war, haben die Eltern sich um die Auswahl der ehepartner gekümmert, so auch die Mutter von Freddy. Sie hat ein Auge auf den Nachbar-Gutsbesitzer Ax von Stieglitz geworfen, der unverheiratet ist und anscheinend über ein großes Gut und entsprechende Geldmittel verfügt. Freddy kennt ihn seit ihrer Ankunft auf dem Gutshof und mag ihn, schwärmt zeitweise von ihm, aber ob er der Richtige ist, wo er doch viel älter ist?


    Ich fand es sehr gut dargestellt, wie die Familie und die Angestellten bzw. die „Leute“ wie sie genannt wurden, miteinander bzw. füreinander arbeiteten. So konnte ich mich richtig in die Familie einfühlen, ich hatte sogar zeitweise das Gefühl, ich bin der nicht sichtbare Schatten von Freddy.


    Ich war enttäuscht bzw. entsetzt, das das Buch unmittelbar nach der Hochzeit von Ax und Freddy, genau an dieser Stelle, endete. Ich hätte gerne noch ein Jahr bei den beiden verweilt, dann ein bisschen pausiert und dann mit dem nächsten Teil bzw. den nächsten Teilen die beiden weiter begleitet.


    Ich habe das Buch in der Eulenrunde (zum ersten Mal gemeinsam mit dem Autor) zusammen lesen dürfen, es hat mich ergriffen. Auch ich habe, wie vermutlich viele andere auch, festgestellt, das ich aus der Zeit bzw. dem Leben in Ostpreussen relativ wenig weiß und ich das unbedingt ändern muss.


  • Ach, jetzt hab ich Dir die Nachricht geschrieben, ohne die weiteren Kommentare hier zu lesen :bonk


    Dass die "Aufgeklärtheit" über die Schwindsucht und auch die Krankheit noch nicht so weit ist wie jetzt, ist mir schon bewusst. Sie wird ja aber definitiv ein paar Mal direkt darauf hingewiesen - zuletzt unmittelbar vor der Hochzeit, als sie durch Ax' Garten läuft mit dem Küchen(?)mädchen. Und wieder ignoriert sie es - und da meine ich, die Tatsache, ihn mal drauf anzusprechen. Das ist das für mich nicht so verständliche. Dass sie denkt, es könnte heilbar sein o.ä. finde ich nicht verwerflich, es geht mir mehr darum, dass sie trotz vieler Hinweise von außen nie das direkte Gespräch mit ihm sucht, auch wenn sie viele Gelegenheiten dazu hatte vor der Hochzeit.... (muss ich jetzt hier was spoliern? :gruebel)

  • Die elfjährige Frederike lebt mit ihren jüngeren Geschwistern Fritz und Gerta auf Gut Fennhusen in Ostpreußen. Ihre Mutter ist in dritter Ehe mit dem Gutsbesitzer verheiratet und ist mit den Kindern von Berlin aufs Land gezogen. 1920 sind dort noch die Auswirkungen des Großen Krieges bemerkbar. Anders als das lebenslustige Berlin bietet das Gut kaum Abwechslung. Freddy beschäftigt sich mit den Dingen, die im Haus und Stall anfallen und trifft dabei immer wieder auf den Freund ihres Stiefvaters. Sie ist bald von Ax von Stieglitz fasziniert und empfindet mehr für den deutlich älteren Mann.


    Ulrike Renk beschreibt in diesem Roman auf ruhige Art das Leben in Ostpreußen in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Sie legt dabei viel Wert auf Atmosphäre und vermittelt dabei das damalige Lebensgefühl zwischen den Kriegen. Sie lässt uns an Frederikes Entwicklung teilhaben, wie sie vom Kind zur jungen Frau reift und sich ihre Bedürfnisse ändern. Vermisst sie anfangs ihre Freundinnen aus Berlin, stellt sie während eines Besuchs in späteren Jahren fest, dass sie andere Prioritäten hat. Sie entdeckt Gemeinsamkeiten mit Ax, die ihr immer wichtiger werden. Aus der Schwärmerei wird eine ehrliche Liebe, die auf wahren Begebenheiten beruht.


    Die Autorin erleichtert ihren Lesern dieses intensive Nachfühlen, indem sie die Hausangestellten im ostpreußischen Dialekt sprechen lässt. Die regionalen Eigenheiten werden damit auf den Punkt gebracht. Die Haupt- und Nebenfiguren werden dabei gleichermaßen ausgearbeitet, sodass man stets das Gefühl hat, dabei zu sein, wenn auf dem Gut etwas passiert. Gediegene Spannung entsteht mit den anfangs schwer zu durchschauenden Geheimnissen, mit denen sich Ax umgibt und mit denen sich zweifellos auch Freddy befassen muss. Gleichzeitig wird dadurch aber auch die Gesellschaft porträtiert.


    „Das Lied der Störche“ ist der erste Teil einer Familiensaga, deren Fortsetzung für Herbst 2017 angekündigt ist. Das offene Ende war für mich überraschend. Das Erzähltempo ist im gesamten Roman eher bedächtig als temporeich. Nur auf den letzten Seiten wurde noch eine Wendung eingebaut, die unbedingt nach eben dieser Fortsetzung verlangt. Da mir die Charaktere ans Herz gewachsen sind und ich unbedingt wissen will, wie es zwischen Freddy und Ax weitergeht, werde ich bestimmt auch in den nächsten Roman eintauchen. (7 von 10)


  • Ich habe das Buch ganz genauso empfunden und vergebe auch die volle Punktzahl.


    Dieses Buch ist ein echtes Wohlfühlbuch, das aber nie die schwierige politische Lage zu dieser Zeit vergessen lässt. Diese ist präsent ohne aufdringlich zu sein. Das gibt dem Buch eine ganz eigene Tiefe und trotzdem ist es nicht schwer zu lesen, sondern sehr unterhaltsam mit bodenständigen Figuren, die mir sehr ans Herz gewachsen sind. Es zu lesen war für mich eine echte Auszeit und sehr erholsam. Ich freue mich auf die Fortsetzung.

  • Ich habe das Buch an zwei Tagen gelesen, da ich nicht mehr aufhören konnte :lesend
    Das Buch ist auch aus geschichtlicher Sicht immer sehr gut geschrieben, die Passagen die den Gutsbetrieb beschreiben sind herausragend, man fühlt sich in die Zeit versetzt.
    Ich habe durch das Buch auch verschiedene geschichtliche Dinge nachgeschlagen und mir dazu auch noch ein Buch zur Geschichte dieses Buches bestellt, das im Nachspann genannt wird als Recherche Grundlage der Autorin.
    Ich kann es schon nicht mehr erwarten, bis die Fortsetzungen folgen, denn der Cliffhanger am Ende hat mich total verrückt gemacht. Ich würde mir für die Fortsetzung wünschen, dass die Krankheit von Ax von Stieglitz besser beleuchtet wird und die Umstände dieser Krankheit.
    Ich würde mir auch wünschen, dass Frederike noch eine kurze schöne Zeit mit ihm verbringen darf, denn man spürt im Buch, dass er Frederike sehr liebt und alles für sie geben würde, wenn ihn seine Krankheit nicht daran hindern würde. Ich denke auch, dass zu damaliger Zeit ein wenig Verständnis für die Mutter aufgebracht werden muss, denn es war sicher nicht leicht ein mittelloses Mädchen in dieser Zeit entsprechend zu verheiraten und auch die Mutter war ja durch tragische Umstände selbst zweimal verwitwet. Natürlich denkt man zu heutiger Zeit sie hätte Frederike in die Entscheidung einbinden müssen, aber man erfährt im Buch ja nicht exakt welche Kenntnisse sie von der Krankheit von Ax hatte und man erfährt auch nicht genau, ob die Krankheit tatsächlich einmal überwunden war und wieder neu ausgebrochen ist. Ich finde die Person des Ax von Stieglitz sehr berührend dargestellt und ich habe mit ihm beim Lesen gehofft, dass es ein gutes Ende nimmt und er zumindest einige Zeit mit Frederike sein Glück auf Sobotka genießen darf, da die beiden ja für die damalige Zeit weitreichende gemeinsame Interessen und Anschauungen haben. Mich hat dieses Buch bewegt, weitere Bücher der Autorin zu lesen.
    Ich habe den Erzählstil aus Sicht von Frederike sehr gut gefunden; ich kann das Buch mit seinem geschichtlichen Hintergrund als hervorragend bewerten und freue mich sehr auf die Fortsetzungen.

  • Nun kenne ich diesen Roman auch und ich kann sagen, ich freue mich und bin neugierig auf die Fortsetzung. Er hat mir sehr, sehr gut gefallen und ich habe dadurch erst gelernt, dass man um nach Ostpreussen zu reisen, mit versiegelten Zügen nach dem 1. WK durch polnische Gebiete fuhr. Mich überraschte der Putenbrütautomat der Köchin Schneider, hätte nicht gedacht, dass man vor 100 Jahren der Natur dort auch schon einen Streich spielt.


    Schlimm ist, wie Frederikes Mutter die Hochzeitspolitik betreibt und vor Frederikes und Ax Hochzeitsentscheidung das Wichtige verschweigt, nur an die wirtschaftl. Zukunft denkt, nicht an das zerbrechende Herz ihrer noch nicht volljährigen Tochter. Frederikes Stiefvater ist ein toller und guter Stefvater, er behandelt die Erstgeborene seiner Frau respektvoll und wertschätzend, nicht als Aschenputtel.


    Etwas geärgert haben mich auf den letzten 100 Seiten etliche Rechtschreibfehler. So etwas verärgert mich, weil in einem Buch so viel Arbeit steckt und Verlage da doch gründlicher und aufmerksamer Korrektur lesen sollten. Bei manchen Verlagen habe ich mich damit schon abgefunden. In der heutigen Zeit wird dem Thema fehlerfreies Verlagsprodukt leider weniger Wichtigkeit beigemessen. Ich arbeite ja selbst im Fachverlag und würde mir wünschen, man würde mir vor Drucklegung die PDF´s zeigen. Manches wäre dann zu vermeiden, doch da dies ja auch bei uns nicht mein Job ist, muss ich auch da zusehen und nach ET staunen und kann dann erst auf Fehler hinweisen.


    Das Buch hatte grosses Potential fürs Monatshighlight, dies hat es ganz knapp auf der Zielgeraden verpasst.

    Manche Bücher müssen gekostet werden, manche verschlingt man, und nur einige wenige kaut man und verdaut sie ganz.
    (Tintenherz - Cornelia Funke)

  • Die Australien-Trilogie habe ich bereits mit Begeisterung gelesen, weshalb dann dieses Buch so lange ungelesen auf dem reader war ist mir im Nachhinein unbegreiflich.


    Zum Inhalt wurde ja schon alles mehrfach ausgeführt, deshalb nur kurz mein Eindruck.


    Ich fühlte mich sofort mitgenommen sowohl in die Zeit, in die Gegend als auch in den ganzen Familienverbund. Die teils ostpreußische Sprache der Angestellten trug dazu bei, daß man sich mittendrin fühlte. Die Einschübe zur politschen Situation waren wichtig und paßten sehr gut ins Gefüge. Vor allem die Reisen durch den polnischen Korridor verstärkten das Gefühl, daß nicht alles so 100%ig in Ordnung war und, daß die latente Gefahr eines neuen Krieges lauert.


    Freddy, die Geschwister, der Stiefvater und die Leute waren mir von Anfang an sympathisch. Die Mutter hingegen, naja da sah es anders aus. Sie will ihre erste Tochter unbedingt und unter allen Umständen verheiraten :fetch Der Cliffhanger am Ende war dann wirklich fies, weil der 2. Band erst in einigen Monaten erscheint :lache


    Für mich war es auch ein richtiges Wohlfühlbuch und ich vergebe volle Punktezahl!

  • Vorab hatte ich in einer Rezension bei Amazon gelesen, dass das Buch langweilig wäre, weil nichts passiert. Ich habe mich gefragt, was die Autorin denn dann auf 500 Seiten gemacht hat. Letzte Woche habe ich das Buch beendet und festgestellt, dass derjenige wohl Thriller und Horrorgeschichten gewohnt ist. Denn in "Das Lied der Störche" passiert nicht nichts, aber eben nicht in einer unfassbar schnellen Geschwindigkeit.


    Für mich ist es ein Wohlfühlbuch. Ein Buch mit tollen (manchmal auch unglaublich nervigen) Charakteren und ein Buch, das die wahre Geschichte einer Familie wiederspiegelt. Gemein ist der Cliffhanger am Ende, denn der nächste Teil erscheint erst im Herbst. Ich frage mich, wie ich es bis dahin aushalten soll ;-)

  • Da ich mich für die Leserunde für den Fortsetzungsband angemeldet habe, wollte ich natürlich auch Das Lied der Störche lesen.
    Nun kann ich Ulrike auch die Antwort geben: ja, nun habe ich etwas von dir gelesen :-) Du hast mich gewarnt, da sei "wenig Action" drin - und da muss ich dir aber sehr widersprechen. Es passiert so vieles: Alltägliches, Unerwartetes und Erwartetes. Der Roman hat so viel Leben, und ich habe nur bedauert, dass er so schnell gelesen war.
    Und wenn du jetzt denkst, ich wolle dir schmeicheln: wer mich nur ein bisschen kennt, weiß, dass ich das niemals tue. Ich schreibe nur, was ich mir denke. Das Lied der Störche ist ein sehr schön geschriebenes, inhaltlich dichtes Buch, voller Atmosphäre und Liebe zu den
    Menschen.


    Zitat

    Original von Booklooker
    Gemein ist der Cliffhanger am Ende, denn der nächste Teil erscheint erst im Herbst. Ich frage mich, wie ich es bis dahin aushalten soll ;-)


    Echt? Welcher Cliffhanger denn? Ich mag auch weiterlesen, aber vor allem deshalb, weil ich erfahren will, wie Frederike ihr weiteres Leben meistern wird.


    Was mich aber schon ein wenig gestört hat, waren die schrecklichen Verstümmelungen mancher Namen. War das wirklich üblich, schöne Vornamen wie Gisela und Alexander zu verhunzen und Gilusch und Ax daraus zu machen? So würde ich nicht mal meine Meerschweinchen nennen. Das wären ja arme Tiere. Auch Freddy ist nicht gerade ein schöner Name für einen Menschen. Ist es wirklich so schwierig, ganze Namen auszusprechen?


    Trotzdem liebe ich das Buch :-)

    Kinder lieben zunächst ihre Eltern blind, später fangen sie an, diese zu beurteilen, manchmal verzeihen sie ihnen sogar. Oscar Wilde

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  • Herzlichen Dank.


    Die Namen wurden und werden (in Erzählungen) tatsächlich so von der Familie verwendet. Im nächsten Buch gibt es einen weiteren Charakter, einen Onkel, der von allen immer nur Pessi genant wird. "Onkel Pessi".
    Da diese Familienteile aber nicht ganz so grün miteinander sind, wurde ich gebeten, ihn anders zu nennen. Man will sich ja auch keinen Ärger einheimsen.
    Also heißt er "Skepti". Als ich das den zu Putlitz sagte, haben sie herzlich gelacht ...
    Aber das gehört schon in die nächste Leserunde.


    :wave