'Mittagsstunde' - Seiten 001 - 075

  • Hmm, das Kapitel habe ich eigentlich auch in die Vergangenheits-Schiene eingeordnet, wobei das natürlich auch genausogut nicht stimmen kann. Irgendwann nach der Geburt von Ingwer. Auf S. 14 heißt es: Sie fütterte den Jungen auch, sie wusch und kämmte ihn und rieb ihm jeden Abend seine Brust mit Wick-Erkältungssalbe ein ... Klingt für mich als sei er noch klein, später ist zwar die Rede davon, dass er mit Sönke hinterm Tresen steht, aber auch da kann er ja noch Kind sein. Nun gut, ich bin sicher, wir werden es im Lauf des Buches erfahren, was mit ihr ist.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Ich empfinde es als Zeitenübergreifend. Denn es wird doch von Ingwer als Erwachsenem auch schon erzählt.

    Die erste CD ging jetzt aus mit Marets Verschwinden im Kleiderschrank.

    Warum sie das wohl immer macht? Könnte es sein, dass sie autistisch ist?


    Ob sie von einem der Landvermesser schwanger wird?

    Ich finde, das Buch hat bis jetzt etwas melancholisches, man trauert den Zeiten nach, als die Dörfer noch Dörfer sein durften, das Land noch geheimnisvoll und kostbar war, nicht im Sinne von Geldwert aber es hatte noch Bedeutung. Trotzdem musste ich über manche Dinge auch schmunzeln, wie über die toten Tiere, bei denen der Pastor dann durch den Mund atmete.

    "Leute die Bücher lesen, sind einfach unberechenbar." Spruch aus "Wilsberg "
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  • Mich packt das Buch von den ersten Seiten an. Ich frage mich, ob es daran liegt, dass ich eine ähnliche Welt noch erlebt habe - aber im Süden der Republik.

    Es ist für mich ein Gefühl zwischen: ja, so war es (die stinklangweiligen Ferien, nix los, die Eltern keine Zeit) und: ist das wirklich erst 50 Jahre her.

    Und die Lieder, die summe ich dann immer mit. Meine Tante hatte eine riesige Plattensammlung, Connie Francis, Freddy Quinn usw. da war ich immer hinterher, denn zuhause hatten wir gerade mal ein Radio, das selten an war.

    Aber als stinklangweilig habe ich es nicht empfunden. Zumindest nicht als Kind.

  • Erschreckend fand ich die Unduldsamkeit des Lehrers gegenüber dem Plattdeutschen. Ich kenne das aus meiner Grundschulzeit. Da wurde auch großen Wert darauf gelegt, im Unterricht Hochdeutsch zu sprechen. Auf den Pausenhof wirkte sich das aber nicht aus.


    Es war damals die herrschende Meinung, Kinder könnten nicht beides richtig lernen. Es ist ein Jammer, weil dadurch den Regionen ihre Sprache und die speziellen Ausdrucksmöglichkeiten genommen wurde.

  • Nur mal ganz kurz vorab, immer noch keine Zeit um mich so richtig in die Runde zu vertiefen.


    Ich bin nur schwer reingekommen in die Geschichte. Dörte Hansens Art zu schreiben finde ich zwar auf der einen Seite wirklich beeindruckend, aber auf der anderen ist dieses ungeheuer atmosphärische, schwermütige, extrem metapherlastige so gar nicht meins.

    Aber ich habe den ersten Abschnitt geschafft und so langsam gewöhne ich mich ein.

    Später oder morgen mehr :wave.

  • Ich finde, das Buch hat bis jetzt etwas melancholisches, man trauert den Zeiten nach, als die Dörfer noch Dörfer sein durften, das Land noch geheimnisvoll und kostbar war, nicht im Sinne von Geldwert aber es hatte noch Bedeutung. Trotzdem musste ich über manche Dinge auch schmunzeln, wie über die toten Tiere, bei denen der Pastor dann durch den Mund atmete.

    Ich gebe dir recht, das Buch hat etwas Melancholisches. Allerdings trauere ich der Zeit nicht nur nach, sondern sehe sie durchaus kritisch. Gerade die Beschreibung, wie Ingwer aus dem Namen einer Studentin ableitet, wie alleine gelassen sie durch die Gymnasialzeit gegangen ist, die Beschreibung, auf welches Unverständnis der Besuch des Gymnasiums bei Sönke stößt und auch die Beschreibung des grausamen und herablassenden Umgangs des Lehrers mit den Schülern, die das erdulden, weil es genau wie zuhause keinen Sinn hatte, nach dem Warum zu fragen...

    Ich habe diese Einstellungen ja nur noch in Teilen erlebt (zum Glück ohne die körperliche Bestrafung) und bin verdammt froh, dass meine Kinder diese Hypothek fürs Leben nicht mehr in dem Maß aufgebürdet bekommen.


    Ich fand interessant, dass es für dieses besondere Klima einer dörflichen Enge gar nicht von Bedeutung scheint, ob die Kirche eine große Rolle spielt oder nicht. In anderen Büchern über jene Zeit hatte ich manchmal das Gefühl, dass die Schuld dafür häufig ohne weiteres Hinterfragen der Religion zugeschrieben wird. Vielleicht ist es doch eher die Natur des Menschen.

  • Ich gebe dir recht, das Buch hat etwas Melancholisches. Allerdings trauere ich der Zeit nicht nur nach, sondern sehe sie durchaus kritisch.


    Ich fand interessant, dass es für dieses besondere Klima einer dörflichen Enge gar nicht von Bedeutung scheint, ob die Kirche eine große Rolle spielt oder nicht. In anderen Büchern über jene Zeit hatte ich manchmal das Gefühl, dass die Schuld dafür häufig ohne weiteres Hinterfragen der Religion zugeschrieben wird. Vielleicht ist es doch eher die Natur des Menschen.

    Kritisch sehen kann und muss man jede Zeit. Ich selbst hatte auch noch schlagende Lehrer, in der vierten Klasse, davor nicht. Meine Schwestern hatten sie noch in der Hauptschule. In der Realschule waren die nicht so, eher modern. Aber zuhause war, wie im Buch erwähnt, jede Kritik oder Jammerei nicht werwünscht. Da konnte ich mich gut einfühlen.

    Die Melancholie liegt glaube ich eher darauf, dass den Leuten,aufgrund überregionaler Interessen ihr Land genommen wurde. Die vorherige Idylle, die Beschaulichkeit trotz harter Arbeit, ging verloren.

    Ja und die Kirche, das lag vielleicht am Pastor, da gab es ja auch Unterschiede in den Auslegungen.

  • Ich fand interessant, dass es für dieses besondere Klima einer dörflichen Enge gar nicht von Bedeutung scheint, ob die Kirche eine große Rolle spielt oder nicht. In anderen Büchern über jene Zeit hatte ich manchmal das Gefühl, dass die Schuld dafür häufig ohne weiteres Hinterfragen der Religion zugeschrieben wird. Vielleicht ist es doch eher die Natur des Menschen.

    Ich denke, es ist eher diese unglaubliche Enge. Keiner ist jemals über seinen Kirchturm hinausgekommen, die Landbevölkerung kennt nichts als Arbeit.

    Keine Ahnung, was für eine Ausbildung der Lehrer hatte - ich vermute, er kam für den Kriegsdienst nicht in Frage.

    Ich empfinde ihn eigentlich nicht als herablassend. Grausam, das ja. Körperliche Strafen waren zu der Zeit selbstverständlich und man konnte froh sein, dass der Lehrer nicht mehr mit dem Rohrstock auf die Kinder losgegangen ist.


    Offenbar spielt auch im Leben der Erwachsenen die Kirche keine besonders große Rolle.

    Das kenne ich ganz anders. Im Bayrischen war der Pfarrer die überragende Autorität und scheute genauso wenig vor Kopfnüssen und Maulschellen zurück wie der Lehrer.

  • Nur mal ganz kurz vorab, immer noch keine Zeit um mich so richtig in die Runde zu vertiefen.


    Ich bin nur schwer reingekommen in die Geschichte. Dörte Hansens Art zu schreiben finde ich zwar auf der einen Seite wirklich beeindruckend, aber auf der anderen ist dieses ungeheuer atmosphärische, schwermütige, extrem metapherlastige so gar nicht meins.

    Aber ich habe den ersten Abschnitt geschafft und so langsam gewöhne ich mich ein.

    Später oder morgen mehr :wave.

    Mir geht es ganz ähnlich. Ich meine, die bildreiche Sprache der Autorin mochte ich schon vorher, und sie ist auch wieder sehr dicht und schön, aber ich bin nicht sicher, ob es für mich gerade der optimale Zeitpunkt ist. das hat man ja manchmal. vielleicht hätte ich das Buch zu einem anderen Zeitpunkt mehr genossen, vielleicht.

    Mal schauen, wie es weiter geht.

  • Ich weiß nicht, ob ich das Buch je genossen hätte - dafür löst es zu viele Gedankengänge über mein eigenes Leben aus. Aber ich finde es auf jeden Fall hochinteressant und werde es weiterlesen.


    Uneingeschränkt zustimmen kann ich dir nur, was die bildreiche Sprache der Autorin angeht, die ist einfach nur großartig.

  • Ich weiß nicht, ob ich das Buch je genossen hätte - dafür löst es zu viele Gedankengänge über mein eigenes Leben aus. Aber ich finde es auf jeden Fall hochinteressant und werde es weiterlesen.

    Das Buch macht mich sehr nachdenklich, was ja nichts Schlechtes ist, im Gegenteil.

    Und neugierig bin ich auch, wie es weiter geht.

    Was will man mehr!

  • Uneingeschränkt zustimmen kann ich dir nur, was die bildreiche Sprache der Autorin angeht, die ist einfach nur großartig.

    Das ist sie wirklich, hätte aber, wenn ich selbst lesen könnte und nicht Hannelore Hoger zuhören müsste, mehr Genuss. Zuhören und jedes Wort verfolgen ist ziemlich anstrengend. Und dann ohne Punkt und Komma, da wünsche ich mir mehr Luft zwischendrin. Aber dafür kann das Buch nichts.

  • Für Leserunden finde ich Hörbücher auch eher unpraktisch. Aber ich hoffe, dein Buch kommt auch bald :)


    Ich glaube ich spoilere hier nicht, wenn ich sage, dass mir Dörte Hansen ganz besonders dadurch gefällt, dass sie die schönen Seiten des Dorflebens ganz dicht neben die unschönen oder grausamen stellt.

    Das stimmt, es wird nichts idealisiert aber auch nicht verdammt. Eigentlich empfinde ich ihren ERzählstil was das betrifft, ziemlich neutral.

  • Der Anfang des Buches ist eine Beschreibung des Ortes und seiner etwas schrulligen Bewohner in einer blumigen Sprache. Bisher reißt mich das noch nicht vom Hocker. Der Lehrer ist sehr gut beschrieben. Er war nie ein Kind,sondern wurde schon als Lehrer geboren.

  • Der Lehrer ist sehr gut beschrieben. Er war nie ein Kind,sondern wurde schon als Lehrer geboren.


    So empfinde ich ihn gar nicht. Die Stelle, an der sie das Iglu bauen hat etwas sehr Spielerisches. Er hat es schwer in diesem Dorf. Gehört nicht richtig dazu, wird zwar respektiert aber er muss sehr einsam sein.

    Und eine Horde von Dorfkindern aller Altersklassen, die gar kein Bedürfnis nach lernen haben, zu unterrichten, das ist eine Herausforderung.

  • Ich hatte auch erst Schwierigkeiten in das Buch reinzukommen, die Sprache fand ich zuerst etwas gewöhnungsbedürftig, aber mittlerweile bin ich im Buch angekommen.

    Ziemlich am Anfang ist mir allerdings ein Fehler aufgefallen, wenn die Mähdrescher auf's Feld fahren, sind die Rehkitze so groß, dass sie locker davon laufen, nichts wichtiges, aber es hat mich gestört.


    Ich denke, es ist eher diese unglaubliche Enge. Keiner ist jemals über seinen Kirchturm hinausgekommen, die Landbevölkerung kennt nichts als Arbeit.

    Keine Ahnung, was für eine Ausbildung der Lehrer hatte - ich vermute, er kam für den Kriegsdienst nicht in Frage.

    Diese dörfliche Enge kommt wirklich sehr gut rüber und das ist mit ein Grund, warum es mir zuerst schwer fiel, in das Buch reinzukommen, ich musste mirerst beim Lesen immer wieder klar machen, dass das Buch zumindest zum Teil in einer anderen Zeit spielt, die mit meinem Dorfleben nicht zu vergleichen.


    Die Melancholie liegt glaube ich eher darauf, dass den Leuten,aufgrund überregionaler Interessen ihr Land genommen wurde. Die vorherige Idylle, die Beschaulichkeit trotz harter Arbeit, ging verloren.

    Ja und die Kirche, das lag vielleicht am Pastor, da gab es ja auch Unterschiede in den Auslegungen.

    Das Land wurde ihnen ja nicht direkt genommen, sondern die Flächen so getaucht, dass größere zusammenhängende Parzellen entstehen konnten, was durchaus sinnvoll ist. Ich habe Äcker, da kommen auf drei Hektar fünf verschiedene Eigentümer, das kann schon lästig sein.

    Ich denke, dass die Bauern allerdings ahnten, dass mit der Flurbereinigung eine neue Zeit kommt und es von nun heißt: wachsen oder weichen.

  • Ich hatte auch erst Schwierigkeiten in das Buch reinzukommen, die Sprache fand ich zuerst etwas

    Das Land wurde ihnen ja nicht direkt genommen, sondern die Flächen so getaucht, dass größere zusammenhängende Parzellen entstehen konnten, was durchaus sinnvoll ist. Ich habe Äcker, da kommen auf drei Hektar fünf verschiedene Eigentümer, das kann schon lästig sein.

    Sie konnten tauschen ja, aber nicht jeder Acker ist gleich, nicht alle Böden sind für alles geeignet. Sicher sind kleine Parzellen umständlicher zu bewirtschaften aber im Prinzip kam das ja einer kleinen Enteignung gleich.

  • Sie konnten tauschen ja, aber nicht jeder Acker ist gleich, nicht alle Böden sind für alles geeignet. Sicher sind kleine Parzellen umständlicher zu bewirtschaften aber im Prinzip kam das ja einer kleinen Enteignung gleich.

    Im Grundsatz gab es auch eine Schätzung des Bodenwerts um genau das auszugleichen.Die Regionen waren auch sehr unterschiedlich betroffen, je nachdem, welches Erbrecht es für Höfe gab. Das war ein wahrer Flickenteppich.

    Dort wo Höfe ungeteilt an einen einzigen Erben gingen, der den Hof dann weiterführte, gab es die wenigsten Probleme, weil die Flächen groß genug blieben.

    Schwierig war es, wo das Land immer aufgeteilt wurde. Am Ende blieben Flächen übrig, die zum Überleben gar nicht mehr reichten.

  • Sie konnten tauschen ja, aber nicht jeder Acker ist gleich, nicht alle Böden sind für alles geeignet. Sicher sind kleine Parzellen umständlicher zu bewirtschaften aber im Prinzip kam das ja einer kleinen Enteignung gleich.

    Flurbereinigungsmaßnahmen gibt es auch heute noch. Und sie haben durchaus ihren Sinn, auch wenn es manchmal schwierig ist - ist ja im Buch auch schön beschrieben. Damit keiner zu schlecht wegkommt, wird dann teilweise auch Geld gezahlt. Aber wie ebenfalls im Buch angesprochen: ohne Flurbereinigung hätten die kleinen Landwirtschaften wohl überhaupt keine Überlebenschance gehabt, denn dann wäre eine wirtschaftliche Bewirtschaftung mit größeren Maschinen nahezu unmöglich. Und bessere Infrastruktur in Form von Straßen war auch notwendig, um nicht vollends abgehängt zu werden.


    Dabei ging dann leider einiges drauf, was man aus heutiger Sicht wohl behutsamer machen würde: Hecken und Stauden als Feldabgrenzungen, Tümpel, kleine Bächlein mit Uferbepflanzung, ungenutzte Fleckchen. Da hat man zu wirtschaftlich gedacht, heute denkt man da anders.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021