'Auf Tiefe - See- und Küstengeschichten' - Die Botschaft

  • Sprachlich und stilistisch : wunderbar, einfühlsam, einfach großartig


    Trotz des für mich erschreckenden Endes, merke ich, dass die Geschichte mich zur Zeit noch nicht richtig "loslässt", dass sie noch ziemlich "nachhallt"...


    Aber insgesamt hoffe ich sehr, dass die nächsten Geschichten mal etwas positiver sind...

    All das unterschreibe ich einfach mal - allerdings muss ich sagen, dass mich das Ende nicht so sehr überrascht hat. Mir war klar, dass sich die Situation zuspitzt, dass es auf eine Katastrophe hinausläuft - auch wenn ich nicht damit gerechnet hatte, dass es SO drastisch ausfällt (und so was lese ich dann als Gute-Nacht-Lektüre, kein Wunder, dass ich schlecht geschlafen habe :yikes)


    Die Faszination für den Bernstein kann ich übrigens gut nachvollziehen, auch, dass man regelrecht süchtig werden kann nach dieser Suche nach dem einen besonderen Fund. Die Spinne, die im Bernstein zum Leben erwacht, hatte schon etwas Gruseliges.

    Mir ist dieser Text einfach zu kurz. Da fehlt die Vorgeschichte und die Konsequenz der Gewalttat.

    Mir gefällt gerade gut, dass man sich über die Vorgeschichte und die Konsequenzen seine eigenen Gedanken machen kann und mir nicht alles mundgerecht serviert wird - aber das ist Geschmackssache.

  • Mir gefällt gerade gut, dass man sich über die Vorgeschichte und die Konsequenzen seine eigenen Gedanken machen kann und mir nicht alles mundgerecht serviert wird - aber das ist Geschmackssache.

    Ich bin wahrlich kein Fan von Kurzgeschichten, aber das ist mir jetzt auch bei diesen Geschichten aufgefallen: die Phantasie des Lesers / der Leserin ist stärker gefordert, der Autor / die Autorin schreibt die schnöden Fakten, bei Vor- und Nachgeschichte sind wir selbst gefordert - eigentlich auch nicht schlecht...

  • Mich hätte zumindest interessiert, warum sie ihn "Schlappschwanz" geschimpft hat. Bezog sich das auf seine sexuelle Kompetenz? Hat sie nach 50 Ehejahren noch immer volle Befriedigung im Bett erwartet?

    Oder war sie in anderer Hinsicht frustriert, weil ein um die 80-jähriger nicht mehr der Schnellste in allen Dingen ist - besonders nicht nach einem harten Leben als Fischer.

    Vielleicht hat ihr sein körperlicher Verfall Angst gemacht :gruebel

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Erich Maria Remarque: Schatten im Paradies

  • Tante Li um Gründe, alte Geschichten usw. geht es hier gar nicht.

    Deshalb haben die beiden auch keine Namen. "Er" und "Sie".


    Wichtig ist dieser Fund, die lang erwartete, kaum noch erhoffte Entdeckung dieses eizigartigen Fundstücks. Das löst in dem Mann etwas aus, das sonst nicht zum Vorschein gekommen wäre.


    Diese Verdichtung und Zuspitzung macht für mich das wesentliche dieser Geschichte aus.

  • Ich mag halt kein sinnloses Gemetzel.

    Natürlich ist der Fund das Hauptmotiv des Textes, aber um es eine Geschichte zu nennen, brauche ich etwas mehr Substanz.


    Eine seit Jahrtausenden versteinerte Spinne, die im harten Material zu tanzen anfängt ist entweder eine Halluzination oder ein übernatürlichen Wesen, das teuflische Macht ausstrahlt.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Erich Maria Remarque: Schatten im Paradies

  • ... "Nicht lang schnacken, Kopf abhacken!"

    ...

    :rofl :rofl Jetzt werde ich nie mehr unbelastet den Originalspruch hören können. :chen

    Und diese Erklärungen, die ich dann abgeben muss, wenn ich in mein Glas pruste...



    Bin ich die Einzige, die das Ende der Geschichte für das Ende des Traums hält?

    (Aus seiner Sicht vielleicht kein "Albtraum", da er diese Situation schon tausende Male in verschiedenen Variationen phantasiert hat. "Und morgen bring ich sie um!")

    Ich habe beim Lesen keine Sekunde geglaubt, dass das wirklich geschieht, sondern dass es der Traum ist.

  • Ich habe beim Lesen keine Sekunde geglaubt, dass das wirklich geschieht, sondern dass es der Traum ist.

    Deshalb liebe ich Kurzgeschichten - die bieten so viele Möglichkeiten, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. :grin



    Auch hier zu Beginn wieder mein erster Gedanke, der mir nach dem Lesen der Geschichte kam: "Nicht lang schnacken, Kopf abhacken!".


    Ich muss auf alle Fälle versuchen, diese Neufassung nicht in völlig ungeeigneten Momenten zu zitieren. Am Ende werde ich als Serienmörderin entlarvt. :grin

  • Gut möglich, dass das Ganze ein Wunschtraum ist - so real wie eine Botschaft von einer uralten Spinne ;)

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Erich Maria Remarque: Schatten im Paradies

  • Bin ich die Einzige, die das Ende der Geschichte für das Ende des Traums hält?

    (Aus seiner Sicht vielleicht kein "Albtraum", da er diese Situation schon tausende Male in verschiedenen Variationen phantasiert hat. "Und morgen bring ich sie um!")

    Ich habe beim Lesen keine Sekunde geglaubt, dass das wirklich geschieht, sondern dass es der Traum ist.

    Nein, du bist mit diesem Gedanken nicht alleine! :-]


    Ich zitiere mich selbst:

    Ich spinne den Gedanken, dass es ein Traum war, Mal weiter: Was wäre dann die Botschaft gewesen? Vielleicht dass es manchmal auch besser ist, wenn sich Träume nicht erfüllen? Ohne die Spinne im Bernstein wäre er möglicherweise nie so weit gegangen, sich seiner Frau so zu entledigen.


    Ja, ich glaube, ich wünsche mir, dass es nur ein Traum war... :zwinker

  • Sobald ich von der Spinne im Bernstein las, musste ich an Die schwarze Spinne von Jeremias Gotthelf denken.

    Hattest Du auch diese Verbindung im Blick? Dieter Neumann

    Ah, eine sehr spannende Frage. Und jetzt wo du das ansprichst.... :gruebel Ja, es hat tatsächlich was.

    Sequana war nicht diese schwarze Spinne eine Verkörperung des Teufels, der eigentlich die Seele eines ungetauften Kindes wollte?

    Vor vielen Jahren habe ich das in der Schule lesen müssen. :zwinker Ich erinnere mich hauptsächlich daran, dass mich diese Novelle recht verstörte . Und eben auch, dass die schwarze Spinne das Symbol war für das Böse und Dunkle war, das Unheil bringt und Schuld zu Tage bringt.

    Und um den Bogen zu "Dunkles Wasser" zu spannen: Auch hier spielt die Dialektsprache eine gewisse Rolle. :)

  • Puh, eine Mordsgeschichte im engsten Familienkreis. Auch hier: sehr packend erzählt, sehr atmosphärisch - und inhaltlich verstörend.


    Mir war die Geschichte nicht zu kurz. Das Wichtige wird uns erzählt - alles andere spielt hier in diesem Moment keine Rolle.

    Um Gründe, alte Geschichten usw. geht es hier gar nicht.

    Deshalb haben die beiden auch keine Namen. "Er" und "Sie".

    :writeWir wissen weder, warum diese Ehe so verkorkst war, noch was die beiden in der langen Zeit miteinander erlebt haben. Wir wissen nicht mal, ob wirklich der Mann das unterdrückte "Opfer" war - schließlich sehen wir nur ihn und seine Sicht der Dinge. Aber darum geht es hier auch nicht, wir müssen seine Tat ja nicht be- und verurteilen. Er hat sich eingesperrt gefühlt und mit einem - sehr brutalen - Befreiungsschlag von seiner Frau befreit. Für mich wars kein Traum (auch wenn ich es mir so wünschen würde ;)).

    Aber sich deswegen des anderen so entledigen? Ich meine, sein Leben ist dann ja auch zerstört. Nichts mehr mit Bernsteinsuchen. Auch wenn er jetzt seinen größten Fund gemacht hat.

    Ich glaube nicht, dass er die Folgen der Tat bedacht hat. "Gewonnen" hat er damit ja nichts - im besten Fall kommt er in eine psychiatrische Anstalt (nein, eine "Vertuschung" auf Dauer traue ich ihm nicht zu - dazu war der Mord viel zu unbedacht; das hätte evtl. als "Unglücksfall" funktioniert, wenn er sie ins Meer gestoßen hätte). Ich könnte mir auch gut vorstellen, dass er anschließend seinem Leben selbst ein Ende bereitet - im geliebten Meer.


    Uns fallen genügend andere Optionen für den Mann ein. Ihm (leider) nicht. Doch diese Tat passt zu ihm und seinem Umfeld, selbst in diesen wenigen Worten (und natürlich der Vorstellung, die ich mir davon mache). Auch wenn ich das natürlich auf keinen Fall gutheiße, so wie er und seine Gedanken hier beschrieben sind, ist seine "Befreiungstat" für mich nachvollziehbar. Und gerade deswegen ist es für mich (trotz der Brutalität, die ich eigentlich nicht mag) eine gute Geschichte! :anbet


    Schlüssel ist für mich auch die Frage, warum gerade jetzt? Diese hat für mich Ellemir toll beantwortet:

    Was bringt den alten Mann dazu, zu glauben, hier eine Botschaft zu sehen und zu verstehen? Offenbar sucht er ja schon länger nach dem perfekten Bernstein, steht der Fund hier für ihn für die Erfüllung seines Lebenstraums und damit auch für das Ende? Ist die Beendung seine Ehe das eine, was er noch zu erledigen hat?

    Mit dem Gedankengang kann ich voll mitgehen. :thumbup:Danke dafür!

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Schlüssel ist für mich auch die Frage, warum gerade jetzt? Diese hat für mich Ellemir toll beantwortet:


    Was bringt den alten Mann dazu, zu glauben, hier eine Botschaft zu sehen und zu verstehen? Offenbar sucht er ja schon länger nach dem perfekten Bernstein, steht der Fund hier für ihn für die Erfüllung seines Lebenstraums und damit auch für das Ende? Ist die Beendung seine Ehe das eine, was er noch zu erledigen hat?


    Mit dem Gedankengang kann ich voll mitgehen. :thumbup:Danke dafür!

    Ich übrigens auch. Und wie! :thumbup:

  • Auch in dieser Geschichte lesen wir von ein unglücklichen Mann, der von seiner Frau über Jahrzehnte gemobbt wird. Er hat alles schweigend ertragen, aber dann sieht er den Bernstein mit der Spinne als Botschaft und die Gewalt eskaliert. Warum gerade jetzt? Diese Geschichte kennt man eher mit vertauschten Geschlechterrollen, aber die Tragik bleibt davon unberührt. Ob es auch hellere Geschichten gibt?

    :lesend James Lee Burke - Die Tote im Eisblock

    hörend: Hanna von Feilitzsch - Bittersüße Mandeln

  • Interessant, dass hier so ziemlich jeder den Mann als das Opfer seiner Frau sieht. Ich habe mich ziemlich zu Anfang gefragt, warum sie so zornig ist. Sie haben ja zu Anfang gemeinsam gefischt. Aber sie haben auch Kinder gehabt. Was, wenn er dann alleine bzw. mit einem anderen Mann rausgefahren ist? Wenn sie das Boot irgendwann gehasst hat? Sich gewünscht hat, dass er eine bessere Stelle findet, bei der er mehr verdient und mehr zuhause ist? Wenn er seine Familie vernachlässigt hat und in seiner Freizeit lieber Bernstein gesucht hat, als Zeit mit seiner Familie zu verbringen? Wenn er einfach nie da war, wenn sie ihn gebraucht hätte?


    Er verbringt den ganzen Tag mit der Bernsteinsuche. Macht er das nur, um Ruhe vor seiner Frau zu haben, oder immer schon? Ganz grundlos wird der Zorn seiner Frau ja nicht gewesen sein. Eine Trennung wäre vermutlich für beide die bessere Lösung gewesen, aber nicht nur ist es gesellschaftlich früher verpönt gewesen, sie hätten es sich vermutlich auch gar nicht leisten können. Scheidungsarmut ist auch heute eine Realität.


    Ich habe das Ende so interpretiert, dass der Eigenbrötler verrückt geworden ist und unter Wahnvorstellungen im Affekt seine Frau getötet hat.

    “You can find magic wherever you look. Sit back and relax all you need is a book." ― Dr. Seuss

  • Rumpelstilzchen

    Ayasha hat schon erwähnt, dass die schwarze Spinne für alles Böse steht, d.h. im Privaten wie im Öffentlichen. Zu Urzeiten wie heute ist sie als Symbol von Pandemien da, einst Pest heute Covid, oder für alle Arten von Katastrophen, egal ob Naturgewalten oder menschgemacht (e.g. Atom).

  • Interessant, dass hier so ziemlich jeder den Mann als das Opfer seiner Frau sieht. Ich habe mich ziemlich zu Anfang gefragt, warum sie so zornig ist. Sie haben ja zu Anfang gemeinsam gefischt. Aber sie haben auch Kinder gehabt. Was, wenn er dann alleine bzw. mit einem anderen Mann rausgefahren ist? Wenn sie das Boot irgendwann gehasst hat? Sich gewünscht hat, dass er eine bessere Stelle findet, bei der er mehr verdient und mehr zuhause ist? Wenn er seine Familie vernachlässigt hat und in seiner Freizeit lieber Bernstein gesucht hat, als Zeit mit seiner Familie zu verbringen? Wenn er einfach nie da war, wenn sie ihn gebraucht hätte?


    Er verbringt den ganzen Tag mit der Bernsteinsuche. Macht er das nur, um Ruhe vor seiner Frau zu haben, oder immer schon? Ganz grundlos wird der Zorn seiner Frau ja nicht gewesen sein. Eine Trennung wäre vermutlich für beide die bessere Lösung gewesen, aber nicht nur ist es gesellschaftlich früher verpönt gewesen, sie hätten es sich vermutlich auch gar nicht leisten können. Scheidungsarmut ist auch heute eine Realität.


    Ich habe das Ende so interpretiert, dass der Eigenbrötler verrückt geworden ist und unter Wahnvorstellungen im Affekt seine Frau getötet hat.

    Das finde ich auch eine sehr spannende Interpretation, an dich ich selbst nicht gedacht habe.


    Für mich sind ja beide Opfer in dieser Geschichte, denn sie scheinen beide unglücklich zu sein in ihrer Ehe. Und auch am Ende haben beide endgültig verloren. Trotzdem fühlte ich mich dem Mann "näher", was vermutlich mit der Perspektive zu tun hat. Aber die Fragen nach dem "warum" wie sich die Ehe entwickelt hat, sind absolut berechtigt. :gruebel