Winter in Maine - Gerard Donovan

  • Wow...tolles Buch!


    Leider habe ich vorher schon zu viele Rezensionen gelesen und gehört, dass man mit Julius Winsome mitfühlt, obwohl er andere Menschen umbringt. Da war ich schon ein bisschen beeinflusst und habe länger über sein Verhalten nachgedacht. Man fühlt in jedem Fall mit ihm mit, er hat Hobbes und Claire verloren, seine einzige Liebe. Ja, man kann ihn fast verstehen. Das ist eine tragische Geschichte und als ein Mensch, der im Wald wohnt, ist er eh schon außergewöhnlich - wie er ja selbst zugibt.


    Am Ende bleiben aber auch einige Fragen übrig, vor allem über das Ende. Warum verhält er sich so und nicht anders? So ganz verstanden, habe ich das noch nicht. Aber das macht ja irgendwo auch die Faszination aus. Menschen sind wankelmütig und vielleicht auch ein bisschen widersprüchlich, dabei aber sehr liebenswert.


    Von mir volle 10 Punkte! Ich hab's verschlungen...

  • Zitat

    Original von torte
    Wow...tolles Buch!


    Leider habe ich vorher schon zu viele Rezensionen gelesen und gehört, dass man mit Julius Winsome mitfühlt, obwohl er andere Menschen umbringt. Da war ich schon ein bisschen beeinflusst und habe länger über sein Verhalten nachgedacht.


    Mir ging es ähnlich. Ich habe sogar eine Buchbesprechung gehört, bei der gesagt wurde, dass man fast jeden Mord "begrüße", den Julius begeht, weil man sich so sehr mit ihm identifiziert.
    DAS kann ich nun nicht bestätigen. Verständnis für seine Handlung hatte ich zu keiner Zeit. Aber ich musste mir widerwillig eingestehen, dass ich Julius trotzdem sympathisch fand.


    Nichtsdestotrotz fand ich den Roman ungemein spannend und vergebe auch die volle Punktzahl.

  • Das Buch habe ich heute morgen beendet.
    Es hat mir gut gefallen, sprachlich wie auch inhaltlich. Die Kälte und die Stille werden für den Leser "fühlbar".
    Gerard Donovan ist ein wunderbar ruhiger, atmosphärisch dicht geschriebener Roman gelungen, der mich keinen Moment gelangweilt hat.
    Ebenfalls gut beschrieben sind die zwei unterschiedlichen Welten: Dorf/Leben in der Dorfgemeinschaft und sein Leben in der Einsamkeit/Hütte.

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Ich habe das Buch gestern gelesen und fand es sehr gut. Trotz der brutalen Morde konnte ich mit Julian mitfühlen, war er mir sehr sympathisch.Eine besonders schöne Stelle finde ich die hier:Ich wartete auf nichts. Eine kalte Eisschicht stahl sich in mein Herz. Ich spürte, wie sie sich ausbreitete, die Herzklappen erstarren ließ und den Wind abschwächte, der in meinem Körer wehte, hörte, wie sie sich auf meine Knochen legte und Stille in die spröden Zwischenräume blies, in alles, was zerbrochen war. In diesem Augenblick empfand mein Herz den Frieden der Kälte. Ich ließ meinen Freund los, und die Nachtwache war vorbei, nur sein Geist würde wiederkehren.

  • Meine Meinung:


    Ein Fundstück in der Literatur

    Julius Winsome ist 51 und lebt seit seiner Geburt in einer abgelegenen Hütte in Maine. Seine Mutter starb bei seiner Geburt, sein Vater folgte ihr nach über 30 Jahren. Sehr einsam und zurückgezogen wird das Leben von Julius beschrieben. Sein Vater hinterließ ihm genau 3.282 Bücher, die Julius nach und nach liest. Überwiegend handelt es sich um alte Literatur, vor allem um Bücher von Shakespeare, der eigene Wortkreationen erschuf, die Julius sich schon als Kind aneignete.


    Desweiteren umgeben Waffen den Menschen Julius, die sein Vater ihm hinterließ, die dieser schon bereits von seinem eigenen Vater geerbt hatte. Eines Tages hört Julius einen Schuss und als er seine Hütte verlässt, findet er seinen treuen Hund Hobbes auf, der mit einer Schrotflinte erschossen wurde. Julius kann nicht verstehen, dass ein Mensch diesen lieben Hund einfach so erschießen kann und macht sich auf die Suche nach dem Mörder seines Hundes. Als er eine Suchanzeige im Dorf an eine Wand heftet, ist diese am nächsten Tag mit Beschimpfungen verschmiert.


    Julius bekommt einen Hass auf die Jäger des Waldes, die nach und nach wehrlose Tiere erschießen und beginnt, sich durch Morde an ihnen zu rächen. Auch seine alte Liebe Claire, mit der er einige Zeit verbrachte, trifft er wieder.


    Obwohl der Leser von Anfang an weiß, dass Julius eigentlich mehr Täter als Opfer ist, wirkt er sehr sympathisch. Man versteht seine Beweggründe, die ihn zu seinen Taten treiben, doch bekommt man, vor allem am Ende, auch wahnsinnige Angst.


    Dieses Buch ist kein herkömmlicher Thriller oder Krimi, der sich mit meinem Serienmörder beschäftigt und bei dem am Ende alle Taten aufgeklärt werden, sondern mit der Schreibweise des Autors ist diesem eine ganz besondere Geschichte gelungen. Die Einsamkeitsbeschreibungen erinnerten mich ein wenig an das Buch 'Die Wand', welches ich grandios fand (vorausgesetzt, man kann sich auf diese Einsamkeit beim Lesen einlassen). Vielmehr ist dieses Buch eine wunderbare Geschichte über die Beweggründe, die aus einem harmlosen Menschen eine Bestie machen können, der sich seiner Obsession hingibt. Es geht um verlorene Lieben und verlorene Lebewesen. Ein Buch, welches am Ende nachwirkt, auch wenn man es schon lange geschlossen hat.


    Ich bin gespannt auf weitere Bücher von Gerard Donovan!

  • Das Buch hat mich gleich von der ersten Seite an gefesselt. Die Einsamkeit von Julius kann man quasi spüren und seinen Beweggrund verstehen. Was aber nicht bedeutet, dass seine Taten damit gerechtfertigt sind. Ein schöner Schmöker, bitte mehr davon. :-)


    Zitat

    Original von Andrea Koßmann:


    Obwohl der Leser von Anfang an weiß, dass Julius eigentlich mehr Täter als Opfer ist, wirkt er sehr sympathisch. Man versteht seine Beweggründe, die ihn zu seinen Taten treiben, doch bekommt man, vor allem am Ende, auch wahnsinnige Angst.


    :write

  • Julius Winsome - Ein Eigenbrödler, ein Eremit, ein Einsiedler der seit jeher allein in einer abgeschiedenen Hütte in Maine lebt, mehrere Kilometer entfernt von seinen Nachbarn und der nächsten Stadt. Er lebt dort mit seinen mehr als dreitausend Büchern die er von seinem Vater geerbt hat und den Erinnerungen an die wenigen Menschen die ihm in seinem Leben etwas bedeutet haben. Er ist gerade dabei ein Buch an seinem behaglichen Holzofen zu lesen als er einen Schuss hört der in der Nähe seiner Hütte abgefeuert wurde. Zuerst denkt er sich nicht allzuviel dabei, denn Schüsse hört Julius während der Jagdsaison immer wieder, aber als sein Hund Hobbes längere Zeit nicht bei ihm auftaucht macht er sich auf die Suche nach seinem treuen Gefährten. Draussen vor seiner Hütte macht er schliesslich einen grauenhaften Fund...


    So beginnt eine eindrückliche Geschichte über einen einsamen Menschen der am Rande unserer Gesellschaft lebt. Eine Person die sich mit ihrem Schicksal abgefunden hat und sein karges Leben sogar gerne so lebt wie er es eben lebt. Wie oft bei solchen Menschen ersetzt ein Tier die fehlenden Beziehungen und wird zum Lebensmittelpunkt. Als dieses Tier nun jäh durch Gewalt aus seinem Leben gerissen wird, erleben wir als Leser diese Buches wie dieser Mensch denkt und schlussendlich zur Selbstjustiz greift und wahllos und aufs geratewohl Jäger erschiesst in der Hoffnung denjenigen zu treffen der seinen Hund getötet hat.


    Dies ist natürlich eine Entscheidung, eine Handlung die ich nicht gutheissen kann und natürlich verurteile und verabscheue. Normalerweise. Denn als ich mich auf dieses Buch eingelassen habe und emotional mittendrin steckte konnte ich mit Julius mitfühlen und mein Gerechtigkeitssinn hat mich irgendwo in den verschneiten Wäldern von Maine verlassen. Ich vergass komplett das Julius der eigentliche Bösewicht der Geschichte ist und das er wahllos Menschen tötet. Wenn die Wahrnehmung über Recht und Unrecht so aus den Fugen gerät und die Emotionen und das Gefühl die Oberhand über das eigentlich selbstverständliche Urteilsvermögen gewinnen so lässt sich daraus auch einiges über die den Schreibstil ableiten. Die Sprache passt zur kargen Landschaft in Maine und der Jahreszeit Winter. Einfach und unkompliziert und dich so wunderschön und berührend. Ich hatte während des Lesens stets das Gefühl ein Stück hochwertige Literatur in den Händen zu halten. Empfehlenswert!

  • :anbet Seit Monaten sage ich innerlich dieses sonderbare Mantra auf, "Bitte ein Hörbuch! Bitte ein Hörbuch, bitte, bitte!" Es ist soweit und man muss gar nicht mehr lange warten. Markus Hoffmann ist für die Lesung zuständig.

  • Ein wirklich ungewöhnliches Buch. Ungewöhnlich gut geschrieben, bildgewaltig, mit einem ungewöhnlichen Helden und einer ungewöhnlichen Geschichte.


    Julius Winsome ist geprägt von seinem Vater und seinem Großvater und ihren Erzählungen. Vor allem Kriegsgeschichten hat er gehört, und das, was seinen Großvater als ehemaliger Soldat noch lange nach Kriegsende umtreibt. Sehr eindrucksvoll und mit ungewöhnlichen Metaphern beschreibt der Autor die Spätwirkungen der Erlebnisse auf dem Schlachtfeld. Diese Passagen darüber waren für mich mit am eindrucksvollsten und schrecklichsten.
    Julius wächst in einer Männerwelt auf. Seine Mutter starb bei seiner Geburt. Mit seinem Vater lebt er einsam in einer abgelegenen Hütte im Wald. Und das macht im wahrsten Sinne des Wortes einen Sonderling aus ihm. Sein Vater lies ihn altenglische Wörter aus Shakespears Werken lernen, Wörter, die heute kaum einer kennt, aber sie begleiten ihn noch heute und er benutzt sie auch zur großen Verwirrung seiner Umwelt, wenn er denn mal spricht.


    Vieles bleibt im dunklen, z.b. wieso Claire wirklich in sein Leben kam. Auch das Ende ist irgendwie nicht wirklich ein Ende, denn Julius sagt uns zwar ungefähr, was er vor hat, aber ob er es denn tut, erfahren wir nicht mehr. Ich hatte mit einem anderen Schluß gerechnet.


    Der Roman ist kurz, man kann sich in der Sprache und in den Beschreibungen verlieren und die Zeit verfliegt. Ich persönlich fand Julius nicht so sympathisch, eher krank. Aber fasziniert war ich trotzdem. Es war die Faszination des Grauens, denn das verbreitet er durch seine Morde. Er geht einfach hin und erschiesst den erstbesten Mann im Wald, der ihm vors Gewehr läuft, denn es könnte ja der Mörder seines Hundes sein oder derjenige, der seine Plakate bekritzelt. Das ist krank. Aber als Buch, derart gut geschrieben, funktioniert es phantastisch.
    Dieses Buch ist auf jeden Fall ein Erlebnis, alles andere als Massenware und deswegen verdient es trotz des Grauens, das es bei mir auslöste, volle Punktzahl.

  • Zitat

    Donovan hat seine Figur trotz dieser Vita sehr arm an Emotionen entworfen, und es ist, als ob er beim Schreiben die Zuständigkeiten aufgeteilt habe: Julius ist für das Erleben zuständig und der Leser hat die Aufgabe, das Erlebte zu fühlen.


    Das ist schön gesagt, genau so habe ich es beim Lesen empfunden. Ein berührendes Buch mit einer faszinierenden Sprache.


    Kristin

  • Julius Winsome lebt in einer abgelegenen Hütte in den Wäldern von Maine, nahe der kanadischen Grenze.
    Besonders die schneereichen Wintermonate sind einsam. Nur die über 3000 Bücher, die ihm sein Vater vermacht hat, und sein treuer Pitbullterrier Hobbes leisten Julius in dieser Zeit Gesellschaft.
    Als eines Tages Hobbes aus nächster Nähe, Julius' Meinung nach absichtlich, erschossen wird, kommt es zu einem dramatischen Einbruch in Julius' beschauliches Leben.


    Allein durch die Beschreibung seiner Gedanken und Erinnerungen lässt Gerard Donovan dem Leser Julius' Verluste mitfühlen: die Mutter, die bei seiner Geburt starb, der Vater, der nun auch schon 20 Jahre tot ist, seine einzige Liebe Claire, die nur einen Sommer bei ihm blieb.
    Durch den Tod des Hundes scheint sich bei dem ruhigen und besonnen Julius ein Ventil zu öffnen, denn er will sich rächen und macht sich mit dem Gewehr seines Großvaters auf die Suche nach dem Hundemörder.


    Leise, zurückhaltend und unaufgeregt erzählt Gerard Donovan diese Geschichte. Seine Sprache ist dabei so ausdrucksstark, dass man die Kälte förmlich spürt, die Stille im Wald hört. Auch als sich mit Julius' Sinnen auf Rache die Atmosphäre des Buches dreht, bleibt Donovans Stil beschreibend ruhig, ohne zu werten. Gerade dies erzeugt eine Spannung, die praktisch zum Weiterlesen zwingt.


    Gerard Donovan lässt den Leser tief in die Seele eines Menschen blicken, der zerrissen ist zwischen Liebe und Hass, Sehnsucht nach Nähe und Verlust, Zurückhaltung und Rache.
    „Winter in Maine“ macht nachdenklich, verwirrt, erschüttert und fasziniert gleichermaßen.


    10 Punkte

    Liebe Grüße, Sigrid

    Keiner weiß wo und wo lang

    alles zurück - Anfang

    Wir sind es nur nicht mehr gewohnt

    Dass Zeit sich lohnt

  • Mich hat dieses Buch sehr berührt und ich bin noch immer gefangen
    in dieser Geschichte. Man spürt als Leser die Einsamkeit und die Kälte.
    Julius Winsome war mir sympathisch, trotz alledem konnte ich seine
    Handlungen nicht nachvollziehen. Ein sehr schönes Buch, inhaltlich sowie auch sprachlich.

  • Ich muss gestehen, ich finde das Buch merkwürdig. Julius Winsome ist sicher eine grundsätzlich sympathische Hauptfigur, seine Handlungsweise – nämlich zum Serienkiller zu mutieren – ist für mich jedoch in keinster Weise verständlich. Dass er herausfinden will, wer Hobbes erschossen hat – ja. Aber nicht so wie er es dann umgesetzt hat. Mir ging also jegliche Logik flöten, für mich ist das alles sehr unausgewogen, was soll überhaupt die Botschaft… der Sinn der Geschichte sein? :gruebel Mir war das alles zu willkürlich.


    Klasse fand ich natürlich die Liebe zu Büchern und zum elisabethanischen Englisch, aber ich denke, ich werde Gerard Donovan erstmal links liegen lassen. Das Thema seines nächsten Buches hört sich auch schon wieder so merkwürdig an :zwinker.


    .

  • Kein Meisterwerk, aber großartige Literatur


    Julius Winsome lebt in einer Hütte mitten im Wald irgendwo im nördlichen Maine. In dieser Hütte wohnte er schon mit seinem Vater, und der mit dem seinen. Dieser Großvater war es auch, der über dreitausend Bücher sammelte, teilweise wertvolle Erstausgaben, mit denen das Häuschen praktisch tapeziert ist. Wenn Winsome nicht gerade mit seinem Hund Hobbes, einer Pitbull-Mischung, unterwegs ist, sitzt er in der kleinen Behausung am Kamin und liest. Im Sommer erledigt er alle möglichen Arbeiten, gärtnert für die reicheren, aber weit entfernt wohnenden Nachbarn, um den strengen Winter zu finanzieren. Seit die mysteriöse Claire vor vier Jahren aus dem Wald in sein Leben trat, um sich ein paar Monate später wieder daraus zu verabschieden, will Julius noch weniger mit anderen Menschen zu tun haben als vorher. Eigentlich aber ist er kein Misanthrop, sondern schlicht jemand, der sich selbst genügt.


    Die Zivilisation wird nur spürbar, wenn die Jäger unterwegs sind. Winsome hört dann die Schüsse, häufig weiter weg, manchmal aber auch nahe. Am letzten Tag des Herbstes hört er einen sehr lauten Schuss. Danach kehrt Hobbes nicht von seinen Streunereien zurück. Winsome findet schließlich das schwer verletzte Tier, das offenbar aus großer Nähe mit einer Schrotflinte angeschossen, also ermordet wurde. Der Tierarzt im fernen Fort Kent kann nur noch mit dem Kopf schütteln. Am Abend muss Winsome seinen einzigen Freund begraben.


    Der vereinsamte und in einer merkwürdigen Welt zwischen Eremitage, Literatur, Erinnerung und distanzierter Wahrnehmung der Jetztzeit gefangene Winsome nimmt Rache. Zunächst erschießt er einen Jäger, dann zwei weitere, schließlich folgt ein Mord, den er nur verübt, um die eigenen Spuren zu verwischen. All das geschieht mit einer Waffe aus dem ersten Weltkrieg, einem Präzisionsgewehr, das Winsomes Großvater von einem englischen Soldaten bekam.


    "Winter in Maine" ist eine spröde, aber atmosphärische Erzählung, in der es um Einsamkeit, Moral, Krieg, Literatur und vieles mehr geht - vielleicht um ein bisschen zu viel von allem. Der strikte Fokus auf die Hauptfigur verhindert jedoch glücklicherweise, dass der Roman, der eigentlich eine Novelle ist, zerfasert. Donovans Protagonist reagiert und reflektiert so präzise, wie er die Gewehrkugeln abfeuert, ist eigentlich ein feiner Beobachter, aber dass seine Welt völlig aus den Fugen ist, das nimmt er kaum zur Kenntnis, denn aus seiner Egozentrierung führt kein Weg hinaus. Eine vertrackte Situation für den Leser, hin- und hergerissen zwischen Verständnis und Ablehnung, weil dieser Julius Winsome so enorm nachvollziehbar ist.


    Dennoch hat Donovan die recht kurze Geschichte für meinen Geschmack überladen. In seiner Rätselhaftigkeit und Andeutungsvielfalt wirkt das sprachlich ruhige und viel Weisheit ausstrahlende Buch fast schon aufdringlich. Wenn man aber nur die vordergründige Geschichte über einen einsamen Mann, der seinen Hund verliert, zur Kenntnis nimmt, mag dieser Aspekt zu vernachlässigen sein.

  • Ich muss zugeben, dass mich dieses Buch bis zu einem sehr weiten Teil nicht begeistern konnte. Ich fand nicht rein in die Gedankengänge des Protagonisten, mir kamen sämtliche Handlungen völlig wirr und wenig nachvollziehbar vor. Bis der Protagonist sich, und vermutlich auch ich, mich mehr geöffnet hat. Man bekam interessante Einblicke in die Gedankenwelt eines, nun ich mag es nicht beschönigen, Mörders. Der Autor kreiert einen Menschen, der nicht weiß wohin mit seiner Wut. Jemand tötet seinen liebsten Gefährten, seinen Lebensbegleiter, auf brutale Art und Weise.


    Ich muss sagen, dass dieses Buch mir aufgrund persönlicher Umstände (mein Hund musste vor einem Monat erlöst werden) einige Achterbahnfahrten der Gefühle beschert hat. Ich verachte die Taten des Protagonisten, doch ich bewundere seine Gedanken und schätze seine unendliche Liebe zu Tieren. Ebenso steckt meines Erachtens ein sehr wichtiger Appell an Jäger von Wildtieren, die es als Hobby sehen, wehrlose Geschöpfe zu erschießen und sie ihren schmerzvollen Qualen zu überlassen.


    Zitat


    Rechts im Unterholz lag ein Puma. Vor Angst umklammerte ich einen Baum, bis ich im Sonnenlicht über der Falle Fliegen kreisen sah und den Stumpf eines abgerissenen Vorderbeins bemerkte. Weinend lief ich nach Hause. Mein Vater erklärte mir das Ganze: Das Tier war in eine versteckte Jagdfalle getreten und hatte zuerst das eigene Fleisch und die Sahnen und dann noch die Knochen durchgebissen und sich losgerissen. Die Tiere, die das nicht täten, sagte mein Vater, versuchten ein paar Tage lang, das Bein herauszuziehen, bis der Hunger schlimmer sei als die Schmerzen und dann bekämen sie Krämpfe und sähen vor Hunger seltsame Dinge, bis der nahende Tod sie beruhigte. Aber die Qualen der Katze seien vorbei. Zu der Frage, die ich nicht stellte, sagte er, manche Menschen müssten anderen Geschöpfen Schmerzen zufügen, um selbst weniger Schmerzen zu haben.



    Es ist ein Thriller anderer Art. Der Autor verzichtet auf detaillierte Mordtaten und bringt seine Gedankengänge in den Vordergrund. Man kann nicht anders als Sympathie für diesen Menschen zu verspüren. Nicht für seine Taten, jedoch für sein Einstellung und Achtung Tieren gegenüber. Nicht allzu selten stellt er Vergleiche auf, in denen er das Jagen von Wildtieren mit dem Verhalten im Krieg gegenüberstellt. Er wächst in einer Umgebung auf, in der das Jagen Alltag ist, Tag für Tag hört er die Schüsse und eines Tages kann er die Schüsse nur noch mit dem Tod seines geliebten Hundes verbinden. Er beobachtet sein Leben lang, wie grausam Menschen mit Tieren umgehen.


    Zitat


    Ein Scharfschütze in der Schlacht wartet drei Stunden lang reglos auf den Augenblick, in dem er auf jemanden anlegt, der zurückschießt oder ihm die Artillerie auf den Hals hetzt, wenn er nicht trifft. Diese Leute da draußen, sagte er, und deutete, ohne hinzusehen, mit dem Finger aus dem Fenster, schießen auf etwas, von dem sie genau wissen, wo es hinläuft und dass es nicht zurückschießt: Da muss man sich keine Sorgen machen, wenn man seinen Standort verrät oder das Mündungsfeuer und der vom Lauf aufsteigende Rauch zu sehen sind. Schlimmstenfalls trifft man nicht, oder der Schuss ist nicht tödlich, und das Tier macht sich blutend auf die Suche nach seinen Jungen.




    Dieses Zitat hat mich sehr gerührt:


    Zitat


    Den Sherry auf dem Bauch balancierend, schleifte ich eine Decke aus dem Schlafzimmer hinter mir her und ging nach draußen, warf die Bettdecke neben Hobbes Grab über einen Stein, trank das Glas aus und las ungefähr eine Stunde lang, um ihm das Gefühl zu geben, das er bei mir einmal gehabt hatte.



    So wäre ich selbst gern zum Grab meiner Hündin gegangen. Das zeigt mir wieder einmal, wie sehr die persönlichen Umstände der Person von der Bewertung und das Empfinden eines Buches abhängen. Ich möchte dieses Buch keinem ans Herz legen, der atemberaubende Spannung erwartet, sondern denjenigen, die ihren Hund/ihr Tier über alles lieben und offen für ein nachdenkliches Buch sind. Denn dieses Buch ist kein Thriller im eigentlichen Sinne. Und es ist auch wieder einmal ein Buch, das mich gedanklich nicht so schnell loslässt. Ich könnte unendlich viele Zitate herausschreiben, so schön beschreibt der Autor manche Gedanken.


    Nicht zu unterschätzen ist auch die Atmosphäre, die der Autor den Leser mitgibt. Ich musste mir zwischenzeitlich ebenfalls einen Tee kochen, so eine kalte Umgebung hat der Autor mit seinen Worten geschaffen. Das Cover ist demnach absolut treffend gewählt.


    Für mich bekommt dieses Buch 10 von 10 Punkten, auch wenn ich zugeben muss, dass mir der Anfang etwas schwer fiel. Doch durchhalten lohnt sich in diesem Fall absolut.

  • Ich kann mich den begeisterten Stimmen nicht so anschließen.


    Ich hatte zuvor auch eine Buchbesprechung im Fernsehen gesehen, ich glaube, Christine Westermann war es, die davon geschwärmt hat.


    Zu Beginn war ich auch noch sehr im Geschehen. Dass Julius den Mörder seinens Hundes finden wollte, war für mich nachvollziehbar.


    Doch die Gefühlskälte, die er beim Morden zeigt, hat ihn mir überhaupt nicht sympathisch gemacht, im Gegenteil. Das zeigte mir nur, was für ein Eigenbrötler er ist und wie sehr das abgeschiedene Leben seine Wertvorstellungen verrückt hat.


    Das Ende war für mich auch zu früh, ich hätte gern mehr gewusst, wie es zu all dem kam und wie es für Julius endet. Da hätte ich mir ein klareres Ende gewünscht.


    Von mir nur 5 Punkte dafür.


    @ uert: Du hast den englischen Titel gefunden, weitere Bücher von dem Autor gibt es nocht nicht auf Deutsch. :wave

  • Zitat

    Original von geli73
    @ uert: Du hast den englischen Titel gefunden, weitere Bücher von dem Autor gibt es nocht nicht auf Deutsch. :wave


    Hatte ich auch nicht behauptet :gruebel Aber wer Donovan's Stil mochte und des Englischen mächtig ist, kann sich ja mit seinen bisher erschienenen Werken austoben :zwinker


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  • P.S.


    "Schopenhauer's Telescope" erscheint übrigens im Herbst in deutscher Übersetzung.


    Noch ist der Übersetzer als Autor vermerkt, ich hab das aber schon an Amazon gemeldet :-]


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