Sommerhit- Tom Liehr

  • Hallo, DraperDoyle.


    Zitat

    Was die "historische Wahrheit" zu in Westberlin lebenden DDR-Flüchtlingen angeht


    Diese "historische Wahrheit" entstammt zu 90 Prozent eigenem Erleben. Ich habe als Westberliner in Westberlin jede Menge mit DDR-Flüchtlingen zu tun gehabt, übrigens auch im Rahmen meines politischen Engagements. Und ich hatte wenigstens indirekt ziemlich viel mit Fluchthilfe zu tun. Im Übrigen hatten die Lutters Verwandte in Westberlin, was auch für viele DDR-Flüchtlinge einen der Hauptgründe darstellte, in die ummauerte Stadt zu ziehen.


    Bis auf die diffuse Nachweissituation, was Zwangsprostitution und die Privilegien der mittleren "Führungsebenen" anbetrifft, entspringt alles, was in "Sommerhit" mit der entsprechenden Realsituation zu tun hat, entweder direkt eigenem Erleben oder sehr intensiver Recherche, darunter vielen Gesprächen mit Betroffenen, damals wie heute.


    Ich lasse mir wirklich gerne viel nachsagen, aber dass diese Elemente nicht "stimmen können", das eher ungerne.

  • ja, wenn ich mich recht entsinne, gab es Onkel und Tante. Da die aber kaum mal erwähnt werden, hatte ich den Eindruck, dass es sich nicht um eine sonderlich enge verwandtschaftliche Beziehung handelt. Also kein Grund, sich dafür ausgerechnet in Berlin niederzulassen.


    Wie gesagt, für die DDRler, die ich kannte, war die Blockade Berlins immer noch präsent, das Gefühl, in Berlin jederzeit von der DDR bzw. der Sowjetunion überrannt werden zu können, nicht unbedingt realistisch, aber dennoch vorhanden.


    Egal, bei diesem Buch kommen Sender und Empfänger einfach nicht zusammen, ein Problem, so alt wie die Kommunikationswissenschaften ;-)

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Wenn ein Buch so sehr zur Diskussion anregt, muss es ja gut sein. :grin
    Gleich vorweg: Mir hat das Buch sehr gut gefallen. Zuerst hatte ich es mit 8 Punkten bewertet, diese Bewertung nach dem Lesen der Beiträge aus der damaligen Leserunde (klick) aber noch auf 9 Punkte erhöht, da ich dort auf noch sehr viele von mir unentdeckte oder anders bewertete Details aufmerksam gemacht wurde.


    Mir gefällt und mich interessiert das Thema DDR-Alltag. Ich habe schon oft Bücher gelesen, um das damalige Gefühl und das Aufwachsen in diesem Staat besser nachvollziehen zu können. In Kinder- und Jugendtagen habe ich oft DDR-Fernsehen geguckt, bin also mit vielen Begriffen und Dingen sehr vertraut. Verwandtschaft hatten wir dort leider nicht, so dass ich lediglich dreimal selbst in der DDR war, aber Bekanntschaft in KM-Stadt (Chemnitz), die uns hin und wieder besuchten. Zur Zeit der Wende war ich gerade in der Grundausbildung bei der Bundeswehr. Klassenfahrten und Mobbing? Auch hierzu könnte ich Anekdoten zusteuern und kann also die weiter oben stehenden Aussagen zum Authentizitätsgrad nur bestätigen.


    DraperDoyles Kritikpunkte halte ich für berechtigt und durchaus diskussionswürdig. Nur komme ich halt nach Abwägung der ganzen Argumente zu einer anderen Beurteilung. Und ob ich nun Plastikstühle oder Plastikklobrillen als Beispiel heranziehe bleibt eins Fakt: Ostprodukte waren im Allgemeinen nicht von sehr hoher Qualität. Dies heißt aber nicht, dass die Menschen in ihrem Alltag in der DDR nicht glücklich werden konnten. Nach der Wende habe ich selbst vier Jahre in Erfurt gewohnt und dort noch vieles weitere verstanden. Es war Heimat, Zeit der Jugend und Zeit der ersten Liebe. Und hierfür ist es unerheblich, ob es eine Stasi gab oder eine CIA oder eine NSA oder bspw. schwarze Kassen vom CDU-Kohl. Die Wahrheit und Wahrnehmung ist oft sehr individuell und unabhängig von der großen Weltpolitik. Unfair wäre es allerdings vom vermeintlichen geschichtlichen Sieger oder den Bewohnern der westlichen Bundesländer, mit Häme auf das Leben und die Menschen der ehemaligen DDR zu gucken. Selbst bin ich gerade mal 80 Kilometer entfernt von der Landesgrenze aufgewachsen. Einen großen Anteil daran, dass ich bei meiner Landung Richtung Westen geweht wurde, hatte ich eigentlich nicht. ;-)


    Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung. Aber man muss halt im Hinterkopf behalten, dass es ein Roman und keine Dokumentation ist.


    Hinsichtlich der Vergleiche zu anderen Autoren werden oft die Namen Hornby und Jaudt bemüht. Mir persönlich drängt sich eher ein Vergleich zu Sven Regener auf. Bin ich damit alleine?


    Inhaltlich habe ich noch eine Frage zur Seite 215. Dort steht:

  • Zitat

    Original von xexosHinsichtlich der Vergleiche zu anderen Autoren werden oft die Namen Hornby und Jaudt bemüht. Mir persönlich drängt sich eher ein Vergleich zu Sven Regener auf. Bin ich damit alleine?


    Naja, Regener wird in erster Linie auf seine Lehmann-Trilogie reduziert, die Entwicklungsromane umfasst. Und auch Tom Liehr - denke ich jedenfalls - schreibt gerne Romane dieser Art. Das ist - aus meiner Sicht - aber auch die einzige Gemeinsamkeit. Stilistisch liegen die beiden meilenweit voneinander entfernt. Die Jaudt- bzw. Hornby-Vergleiche finde ich jedoch ebenfalls unpassend. Jaudts Bücher zielen viel zu sehr auf die großen Lacher ab, während ich beim Liehr-Hornby-Vergleich eigentlich nur die gemeinsame Musikaffinität erkenne - und das Alter der Protagonisten. Und selbst das trifft nicht immer zu.


    Mir fällt eigentlich niemand ein, der wie Tom Liehr schreibt. Klar, einige können es besser, andere wiederum nicht. Dennoch: Er hat seine eigene Stimme - was als Kompliment verstanden werden möchte.


    [SIZE=7](Wenngleich mir "Leichtmatrosen nicht ganz so gut gefiel.)[/SIZE]

  • Hallo, xexos.


    Freut mich, dass Dir das Buch überwiegend gefallen hat. :-)


    Zu Deiner Spoilerfrage:



    Die Vergleiche müssen wohl sein, um Kunden anzulocken, um sich über Autoren auszutauschen. Ich mag es, mit Hornby oder Regener verglichen zu werden, obwohl ich mir andere Vergleiche vorstellen kann, die mir noch besser gefielen, auf die aber wahrscheinlich keiner kommt. ;-) Aber ich versuche nicht, wie irgendjemand zu schreiben. Das habe ich noch nie getan. Ich versuche, so zu schreiben, wie es am besten zu mir und den Dingen, die ich erzählen will, passt.

  • Zitat

    Original von xexos
    Wenn ein Buch so sehr zur Diskussion anregt, muss es ja gut sein. :grin


    Naja, Diskussion. Bisher wurde ich, aufgewachsen in der tiefsten schwäbischen Provinz, in erster Linie als unverbesserlicher Ostalgiker bezeichnet. :wow


    Zitat

    Original von xexos Mir gefällt und mich interessiert das Thema DDR-Alltag.


    Mich auch. Allerdings habe ich in diesem Buch kaum was zum DDR-Alltag gefunden. Schullaltag? Pionieraktivitäten? Nö, nur klapprige Möbel, stinkende Autos und einmal der Besuch der Herren in Kunstlederjacken. Aber falls ich da was überlesen habe, lasse ich mich gerne eines Besseren belehren


    Zitat

    Original von xexos.
    Und ob ich nun Plastikstühle oder Plastikklobrillen als Beispiel heranziehe bleibt eins Fakt: Ostprodukte waren im Allgemeinen nicht von sehr hoher Qualität.


    Naja, die gleichen DDR-Campingstühle, auf denen ich bis heute vollkommen unbeschadet sitze (vor Jahren gebraucht gekauft), wurden vor der Wende im Westen bei Quelle vertickt.
    Ich finde es nur bedenklich, das Wesen der DDR an der Produktqualität festzumachen. Die Schrankwand war klapprig = die DDR war klapprig? Nun, DDR-Sperrholzschrankwände waren in Wirklichkeit genau so solide oder unsolide wie BRD-Sperrholzschrankwände. Aber wenn die DDR in Wirklichkeit gar nicht so klapprig war, wie in diesem Buch dargestellt, war sie dann vielleicht auch gar nicht so schlimm? War das Problem wirklich der Monorekorder? Es gab in der DDR von RFT richtig gute Stereoanlagen, die sich natürlich ein 14-Jähriger damals nicht leisten konnte. Aber 1980 hatte ich auch nur einen Monorekorder und es hat noch Jahre gedauert, bis ich tatsächlich mal einen Walkman finanzieren konnte.
    Wenn ich mich so an meine Besuche in der DDR entsinne, auch später mit 15, 16, fand ich nicht die Jeanshosen gruslig, sondern das Gefühl, nicht sagen zu können, was ich denke. Ich habe es trotzdem gesagt und mir bei der Gelegenheit eine Stasiakte eingefangen, was aber de facto weder für mich, noch für meine Freunde in der DDR irgendwelche Auswirkungen hatte. Bis auf den Spitzel, natürlich.


    Zitat

    Original von xexos
    Dies heißt aber nicht, dass die Menschen in ihrem Alltag in der DDR nicht glücklich werden konnten. Nach der Wende habe ich selbst vier Jahre in Erfurt gewohnt und dort noch vieles weitere verstanden. Es war Heimat, Zeit der Jugend und Zeit der ersten Liebe. Und hierfür ist es unerheblich, ob es eine Stasi gab oder eine CIA oder eine NSA oder bspw. schwarze Kassen vom CDU-Kohl. Die Wahrheit und Wahrnehmung ist oft sehr individuell und unabhängig von der großen Weltpolitik. Unfair wäre es allerdings vom vermeintlichen geschichtlichen Sieger oder den Bewohnern der westlichen Bundesländer, mit Häme auf das Leben und die Menschen der ehemaligen DDR zu gucken. Selbst bin ich gerade mal 80 Kilometer entfernt von der Landesgrenze aufgewachsen. Einen großen Anteil daran, dass ich bei meiner Landung Richtung Westen geweht wurde, hatte ich eigentlich nicht. ;-)


    :write
    Ja, auch darauf wird in Sommerhit mit keiner Silbe eingegangen.

    .
    Falk selbst scheint auch keine Jugendfreunde in der DDR zu haben, die einzige, die er vermisst, ist die Schwester. Er vermisst auch keine Dinge, Bücher, die Angel, Amiga-Platten oder sein Moped, irgendwas, an dem ein Jugendlicher hängt.


    Zitat

    Original von xexos
    Inhaltlich habe ich noch eine Frage zur Seite 215. Dort steht:


    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Hallo, DraperDoyle.


    Zitat

    Aber falls ich da was überlesen habe, lasse ich mich gerne eines Besseren belehren


    Das nehme ich Dir inzwischen nicht mehr ab, mit Verlaub. ;-)


    Du unterstellst ein paar Aspekte, die m.E. falsch sind und so im Buch nicht verwendet werden.


    Du nimmst beispielsweise an, dass die Meinung einzelner Figuren in irgendeiner Weise auch die Botschaft des Buchs wäre. Nehmen wir etwa die von Dir mehrfach angesprochenen klapprigen Campingstühle. Die werden ein einziges Mal erwähnt. Falks Familie kommt am Plattensee an, baut die Zelte auf. Ein westdeutsches Ehepaar hilft. Der westdeutsche Mann heißt Manfred. Das hier ist die fragliche Stelle:


    Papa nickte und lächelte dazu, auch wenn Manfred einen Gegenstand in die Hand nahm – eine Zeltstange, einen Topf, einen Klappstuhl -, skeptisch musterte und dazu Kommentare wie „Lebensgefährlich“ oder „Kein Wunder, dass ihr nicht vorankommt“ absonderte.


    Es handelt sich um Manfreds Meinung. Der Wessi ist es also, der an dieser Stelle die materiellen Unterschiede hervorhebt.


    Tatsächlich gab es DDR-Konsumgüter, die exportiert wurden, sogar erfolgreich - in der DDR wurden u.a. Möbel für IKEA gebaut, übrigens in Zwangsarbeit, von Strafgefangenen. In aller Regel war die Variante für den heimischen "Markt" von deutlich geringerer Qualität, wenn sie denn überhaupt verfügbar war.


    Vorher wird u.a. davon erzählt, wie das klapprige Karussell aussieht, das vor dem Campingplatz steht. Davon, wie beschissen der Stellplatz ist, den die Lutters bekommen, während die Westler bevorzugt behandelt werden. Du kannst fragen, wen Du willst - exakt so war es. Die verfügbare Technik war, euphemistisch gesagt, abenteuerlich (was u.a. daran lag, dass es praktisch keine Ersatzteile gab), und im "befreundeten sozialistischen Ausland", vor allem in Ungarn, wurden DDR-Bürger wie Dreck behandelt.


    Er erwähnt kurz, dass er sich ein bisschen für das geflickte Zelt schämt, für den klapprigen Aufbau auf dem Anhänger am 601. Kurz davor begegnet Falk seinem ersten Walkman, sieht sein erstes Wohnmobil. All das ist absolut authentisch. Vor allem für Leute, die aus der Provinz rund um Dresden stammten. Aber nicht nur für die.


    Und eben auch in Bezug auf die Wahrnehmung. Ein Jugendlicher konzentriert sich auf die materiellen, die faktischen Dinge, denn aus ihnen besteht die Welt. Du forderst eine politische Einschätzung ein, eine politische Verantwortung, aber genau darum sollte es nicht gehen. Es gibt Dutzende, Hunderte Romane, die den Republikenvergleich (der genau genommen auch kein Thema in "Sommerhit" ist) auf dieser Ebene betreiben und betrieben haben, die aus jedem Ostler einen heimlichen Widerstandskämpfer und aus jedem Westler einen schwerreichen Unternehmer mit zig Leichen im Keller gemacht haben. "Sommerhit" betreibt keinen Systemvergleich auf dieser Ebene, sondern auf der menschlichen, im Rahmen der Alltagsnormalität. Der politische Alltag spielt übrigens durchaus seine Rolle, aber auch auf dieser Ebene. Falk interessiert sich nicht für Politik, er ist noch nicht so weit. Zudem verhindert der Vater das aktiv. Und es wäre auch nicht repräsentativ, anzunehmen oder gar zu behaupten, jeder Vierzehnjährige aus dieser Zeit und Gegend hätte sich bereits in kirchlichen Gruppen engagiert, heimlich Punk im Keller gehört oder solche Sachen. Diese Gruppe war sehr, sehr klein. Die gelebte Normalität sah anders aus. Sie war unpolitisch.


    Es ist aber vor allem keine Wertung. Das ist sehr wichtig. Falk findet nicht das eine besser und das andere schlechter, er nimmt es lediglich zur Kenntnis, weil es sich um die Aspekte und Dinge handelt, die ihm eben begegnen. Er hört und riecht die Unterschiede zwischen den Autos, Kosmetika, Kleidungsstücken. Er fragt sich, was das zu bedeuten hat, wozu es gut sein soll. Später, auf dem Weg zum Treffen mit seinen Klassenkameraden, macht er sich Gedanken über die Geräusche, die PKW-Türen beim Zuschlagen erzeugen. Er versucht, eine Erklärung dafür zu finden, warum es im einen Land so und im anderen anders klingt, was dahintersteht, was es menschlich bedeutet. Ich habe es für wichtig gehalten, die ganzen welt- oder nationalpolitischen Aspekte auszublenden, und zu zeigen, wie man die systemtischen Unterschiede auch wahrnehmen kann. Viele, viele Menschen haben sich nämlich genau hiermit beschäftigt; es war ihnen wichtiger als irgendwelche unverständlichen Machtgefüge (um die es aber auch geht, aber auch wieder auf anderer Ebene), an denen man sowieso nichts ändern konnte, wenn man sich überhaupt aktiv dafür interessiert hat. Auch in der Bundesrepublik waren nicht alle Jugendlichen in Brokdorf, sie haben nicht allesamt Häuser besetzt oder an Ostermärschen teilgenommen. Diese Gruppe war eine Minderheit.


    Zitat

    Ich finde es nur bedenklich, das Wesen der DDR an der Produktqualität festzumachen. Die Schrankwand war klapprig = die DDR war klapprig?


    Du entnimmst dem Text eine Botschaft, die so nicht enthalten ist. Siehe oben. Davon abgesehen war die DDR klapprig, aber Alltag war dort wie hier Alltag. Und darum geht es. Und um die Menschen. Die keineswegs klapprig waren, sondern dort wie hier mit dem zurechtzukommen versucht haben, was ihnen zur Verfügung stand. Genau dafür bricht das Buch eine Lanze.

  • Zitat

    Original von Darper Doyle
    Bisher wurde ich, aufgewachsen in der tiefsten schwäbischen Provinz, in erster Linie als unverbesserlicher Ostalgiker bezeichnet.


    Tja, Draper, Du könntest in der Tat schon als Zoni durchgehen. Du bist der lebendige Beweis dafür, dass das hier:


    Zitat

    Original von Dieter Neumann
    Schein und Sein des sog. Zusammenwachsens von dem, "was zusammengehört",


    so einfach nicht stimmt. :rofl

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

  • Hallo, Dieter.


    Zitat

    Sie wird es nicht verstehen (wollen), fürchte ich.


    Ich sag's mal mit Regener: Scheißt der Hund drauf. ;-)


    Damit will ich nicht auf DraperDoyles Meinung scheißen, sondern lediglich darauf verweisen, dass es manchmal eben ist, wie es ist. Man kann (und selbst wenn man könnte, dürfte man nicht) niemanden dazu zwingen, etwas zu mögen. Oder so zu verstehen, wie sich das ein Möchtegernschriftsteller im stillen Kämmerlein (aus)gedacht hat. Bücher sind so lebendig, weil sie eben auf jeden anders wirken. Diese Wirkung kann man, vor allem im Nachhinein, höchstens marginal beeinflussen, und es gibt keinen Grund dafür, es überhaupt zu versuchen. Einfacher gesagt: Man kann sich als Autor seine Leser nicht aussuchen. Auch das ist bitteschön nicht (ab)wertend zu verstehen, sondern eine simple und gültige Feststellung.
    Natürlich ist das oll, wenn man so gründlich missverstanden wird, aber es ist trotzdem in Ordnung.

  • Man kann von einem Buch aber auch nicht mehr verlangen als es grundsätzlich will. Das Buch ist keine Aufarbeitung der DDR-Geschichte und erhebt auch nicht den Anspruch, dem Leser die DDR vollumfänglich zu erklären. Gegenstand und Botschaft des Buches sind viel eher die Begriffe Macht und Machtmißbrauch. Gerade bei letzterem drängt sich dem deutschen Leser natürlich reflexartig die DDR auf, jedoch aber auch jede andere Diktatur.

  • Zitat

    Original von Dieter Neumann


    Sie wird es nicht verstehen (wollen), fürchte ich.


    da hast du recht: das Buch kam bei mir einfach nicht an, fertig.


    Noch eine klitzekleine Lanze für DDR-Möbel: ich sitze gerade auf einem wunderschönen, ultrastabilen DDR Z Stuhl. Die haben die Leute hier noch vor zehn Jahren massenweise weggehauen (und wir haben sie wieder eingesammelt), um sich wirklich klapprige Boss-Möbel in die Bude zu stellen. :pille

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Zitat

    ich sitze gerade auf einem wunderschönen, ultrastabilen DDR Z Stuhl.


    ... dessen Design übrigens geklaut war, nämlich dem Panton-Chair des Designers Verner Panton nachempfunden.


    Meine Eltern haben auch noch Stühle im Garten, die in den Sechzigern gefertigt wurden. So what?


    Obwohl es (weder mir, noch im Buch) wirklich nicht darum geht, wirst Du doch wohl nicht ernsthaft behaupten wollen, dass die in der DDR erhältlichen DDR-Konsumprodukte, seien es nun Möbel, Elektrogeräte oder meinetwegen Autos gewesen, in den Achtzigern auch nur auf Nabelhöhe mit ihren Westpendants waren? Selbst energische Nostalgiker würden da vermutlich lachen. Sogar die damals Verantwortlichen würden sich, verschämt schmunzelnd, zur Seite drehen.


    Aber, wie gesagt. Es geht - aus Sicht der erzählenden Hauptfigur - an keiner Stelle um die Qualität der Unterschiede, sondern um die mittelbare Wahrnehmung des Systemwechsels. Es findet aus Falks Sicht keine Bewertung statt.

  • Aus einem Möbelstück, das wenige für wunderschön halten, nun zu schließen, dass die DDR-Produkte per se den Produkten der westlichen Industrieländern überlegen waren, wäre aber auch ziemlich schräg. Klar gab es dort gute Sachen. Einige wenige haben ja auch sogar die Wendezeit überlebt und werden weiterhin (unter dem Namen, aber wohl mit Fortentwicklung) angeboten. Die schlechtere Qualität (nach welchen Maßstäben auch immer gemessen) lag aber sicher nicht daran, dass die DDR-Ingenieure keine Ahnung hatten. Es lag schlicht an der geringen Menge an Rohstoffen in der DDR. Ein Land abzuschotten und aus sich selbst heraus zu bewirtschaften funktioniert eigentlich nur bei hohem Rohstoffvorkommen. Alles was nicht vorhanden ist, muss teuer importiert werden. Und hierfür reichten dann die Devisen nicht.


    Gründe und Erklärungen gibt es hundertfach. Ganz interessante Einblicke in die Mangelwirtschaft und den Verwaltungswahn bietet das Buch von Landolf Scherzer, dass interessanterweise noch in der DDR erschienen ist und auch dort ein Bestseller war. Kurz beschreibt Scherzer den Ort Übelroda in Thüringen, der angeblich so aussehen soll wie er heißt. ;-)

  • Ich muss gestehen, dass ich die Romane von Tom Liehr fälschlicherweise bisher immer zur Lustigbuchfraktion gezählt habe. Umso angenehm überraschter war, dass mir hier keine Lektüre á là "Vollidiot" vorgesetzt wurde, sondern eine interessante Geschichte, die durchaus Hand und Fuß besitzt. Sie war auch gar nicht so locker-flockig und sommerleicht, wie ich anfangs auch aufgrund des Buchtitels vermutet hatte. Im Gegengteil: An mancher Stelle (z.B. beim Stichwort Republikflucht) musste ich hart schlucken.
    Zwar erschloss sich mir die Notwendigkeit zum Beispiel der "großen Racheaktion" am Ende nicht ganz, trotzdem fühlte sich Falks/Martins absehbare Vorgehensweise durchweg richtig an.
    Fazit: "Sommerhit" ist vielleicht nicht nervenaufreibend packend, aber durchweg gut geschrieben und von vorn bis hinten lesenswert. Es wird definitiv nicht mein letztes Tom-Liehr-Buch gewesen sein.

  • Hallo, Sören.


    :anbet


    Über Sinn und Unsinn der Rache kann man tatsächlich diskutieren.


    Dieser Lustigbuchautorenvergleich war bei "Pauschaltourist" möglicherweise ein wenig angebracht, ansonsten nervt er eher. Ich sehe mich irgendwo zwischen Hornby, Regener und Rai, was Themen und Erzählweise anbetrifft. Und auf einem Aufstiegsplatz in deren Liga. Gut, Relegation. ;-)

  • Ich habe das Buch gerade gelesen und kann nicht anders: Das Buch ist cool. :grin


    Ein anderer Liehr als der Leser gewohnt ist. Das Buch stimmt nachdenklich. Wie war das in der eigenen Schulzeit? Gemobbt wird in der Schule schon immer - nur das Wort Mobbing ist neu. Der Schreibstil ist flüssig und der Leser kann auch dieses Buch nicht aus der Hand legen.


    Danke Tom!


    Edit entfernt peinlichen Schreibfehler

    Don't live down to expectations. Go out there and do something remarkable.
    Wendy Wasserstein

    Dieser Beitrag wurde bereits 3 Mal editiert, zuletzt von Lesebiene ()

  • Huhu, Lesebiene.


    Freut mich, dass Dir "Sommerhit" gefallen hat! :-)


    Zitat

    nur das Wort Mopping ist neu


    Das ist es in der Tat. Hat vermutlich irgendwas mit Hausreinigung zu tun. Im Roman geht es um das, was man gemeinhin Mobbing nennt. ;-)