was spricht gegen sogenannte *seichte* Literatur

  • Zitat

    Original von LeSeebär


    Theoretisch ja, aber solange auf dem Klappentext von Twilight "romantische Liebesgeschichte" steht und nicht das oben von mir beschriebene Szenario, lasse ich die Finger davon.


    Eine schöne Mischung aus klassischem Hardboiled und moderner Vampirgeschichte - und kuschelfrei!

  • Zur seichten Literatur:


    Wenn ich beruflich stark eingebunden bin, mich den ganzen Tag sehr konzentrieren muss und abends völlig platt bin, dann kann ich mich auf ein Buch wie "Die Göttliche Komödie" nicht einlassen, wo ich die ganze Zeit den Daumen in den Kommentaren haben muss, weil ich 99.999 % der Hintergründe und Anspielungen nicht verstehe. Oder sowas wie Dorothy Dunnett, wo ich den "Dorothy Dunnett Companion" (= Grisel) brauche, um der komplexen Handlung folgen zu können. Wenn mein Kopf beruflich zermatscht ist, brauche ich etwas Leichtes, das nicht zu komplex ist, nicht zu viele Figuren, gern auch mal bekannte Elemente, aber nicht zu formelhaft.


    Ich kann dann auch kein hochgelobtes Feuilleton-Buch ("Literatur") lesen, weil die zwar möglicherweise literaturwissenschaftlich gesehen wertvoll ist, aber oft - gefühlt für mich - nicht das erzählt wird, was ich als "gute Geschichte" bezeichnen würde. Wenn ich platt bin, will ich keine literaturwissenschaftlich wertvollen Spielereien mit Sprache lesen, sondern eine gute Geschichte, die mich fesselt und gut flutscht. Wenn ich noch platter bin, dann lese ich auch gerne noch mal ein Buch, das ich schon kenne und tauche in eine vertraute Welt ein. Hogwarts funktionert immer.


    Aber ich mache einen Unterschied zwischen "leicht" und "seicht". In zermatschtem Zustand kann ich zum Beispiel gut James Herriot lesen. Aber James Herriot empfinde ich als leicht und nicht seicht. Weil er nämlich eine Gabe hatte, menschliches Verhalten zu beobachten und auf eine warmherzige, wohlwollende Art treffend zu beschreiben.


    Zu seicht ist mir ein Buch, wenn es nur noch formelhaft ist. Wenn ich aufgrund des Covers oder des Titels schon die komplette Handlung erzählen könnte. Auftragszeug, das alle 25 Seiten eine vom Verlag vorgegebene Liebesszene enthält. Es muss bei aller Leichtigkeit immer noch eine gute Geschichte sein. Aber ich definiere jetzt nicht, was eine gute Geschichte ist. :lache

  • Dreamchen ich finde deine Frage gut.
    Sie ist nicht einfach zu beantworten und sie beschäftigt seit Jahrzehnten die Profis, also keineswegs trivial.


    Eine Antwort, die mir gut gefallen hat, ist folgende Überlegung:
    Literarische Sprache ist eine Reihe von Abweichungen vom normalen Sprachgebrauch.
    Der russische Kritiker R. Jakobson meinte "eine organisierte Gewalt , begangen an der einfachen Sprache."
    Allerdings sind wir nicht ohne weiteres in der Lage zu sagen, ob etwas "Poesie" ist oder nicht, wenn wir den Kontext nicht kennen. Der Buchdeckel auf dem "Roman" steht ist sowas.


    Andererseits können wir aus etwas Literatur machen, das eindeutig nicht dafür gedacht ist.
    Ein Beispiel, das ich lustig finde, ist das Hinweisschild: Hunde müssen auf der Rolltreppe getragen werden (Quelle: Terry Eagleton: Was ist Literatur?)
    Man kann das als Hinweis für Hundehalter lesen, oder sich fragen: und wenn ich keinen Köter zur Hand habe, darf ich dann nicht Rolltreppe fahren, oder was? In dem Augenblick, wird es zur Literatur.
    Das Wichtigste ist also der Leser.


    Literatur ist das, was man dafür hält.
    Alles andere, Literarischer Kanon etc. ist eine laufend diskutierte Abmachung, die ständig in Bewegung ist.


    Also: Wo du etwas von dieser "organisierten Gewalt" spürst, dann ist es gut :lesend

    "Reading is food for thought, and anything to do with food must be good." Snoopy


    :lesend : Vladimir Vertlib: Spiegel im fremden Wort
    :lesend : Ingeborg Bachmann: Malina
    :lesend : Michael Stavaric: Königreich der Schatten


  • Und dennoch hat Joyce Carol Oates vor kurzem einen Vampirroman geschrieben (der wahrscheinlich alles andere als seicht ist)

  • :chen
    Bis Seite 130, da bin ich gerade, rechnet sie bereits auf höchst sarkastische Art mit der patriarchalischen US-Ostküsten-Bourgoisie ab und den Interna der Ivy League-Kaderschmieden. Ich wette jetzt mal todesmutig, dass Entspannungs-Leserinnen sich eher selten mit der Frage beschäftigen wollen, warum noch um 1900 Frauen vom Studium ferngehalten werden sollten und welche Folgen das hatte.

  • @ buchdoktor


    ich hab das Buch gestern beim Bummeln entdeckt und mich im dortigen Buchcafé so festgelesen, dass ich es kaufen musste, als ich feststellte, dass ich schon drei Stunden da sass und es mich sowohl sprachlich als auch inhaltlich immer noch ansprach.


    Zu Deiner obenstehenden Aussage: Ich verstehe ja, was Du damit sagen willst, finde den Einsatz des Begriffs Entspannungs-Leserinnen aber nicht treffend. Ich stufe mich z. B. als Entspannungs-Leserin ein, da ich mit einer Arbeitswoche >50 Stunden (Haushalt kommt nochmal extra dazu) + 15-20 Stunden Fahrzeit genau das beim Lesen suche: Entspannung. Das kann wie zuvor schon mal ausgeführt auch leichte Kost sein (@ Delphin: schöne Beispiele), aber keine seichte à la Schema F.

  • Das ist unten mein Lieblings-Vampirroman. Ich halte ihn nicht für "seicht".


    Ich persönlich lese Bücher, die mich
    * hineinziehen, meine Gefühle ansprechen, die ich verschlingen kann, weil sie toll erzählt werden und ich wissen will, wie die Geschichte ausgeht, mich die Figuren berühren.


    * ich etwas lernen möchte, etwas erfahren möchte, das ich vorher nicht wusste (Biografien, Sachbücher, Ratgeber)


    * ich durch einen Wald wunderschön formilierter Worte spazieren möchte, innehalten, mich an der Malerei laben, die ein Autor/eine Autorin so wortgewaltig in den Himmel spannt


    Die Kernaussage, die Prämisse bei erzählenden Büchern lässt sich immer auf wenige Sätze herabbrechen.


    In einer Geschichte, die ich kürzlich wieder gelesen habe. geht es um vier Paare, zwei haben sich schon gefunden, eines wird entzweiht und findet sich wieder, eines muss mit Magie gezwungen werden und eines ist zerstritten, die Frau unterwirft sich am Ende und der Mann bekommt seinen Willen und ist gnädig. Am Ende gibt es drei Hochzeiten, und ein unglückliches, totes, fünftes Paar.
    Das ganze ist Weltliteratur und das dank der Sprache in der es geschrieben wurde.

  • Ach, ab und zu ein Vampirroman ist schon was feines.


    Ich mochte die Romane von Anne Rice sehr gern. Wirklich seicht fand ich die nicht.


    Allerdings bin ich auch in der leichteren, humorvollen Ecke des Genres gelegentlich unterwegs - aus der Sookie Stackhouse Reihe lese ich auch immer mal wieder einen.


    Allerdings sind beide Reihen schon vor Twilight entstanden (im zweiten Fall zumindest die ersten paar Bände).


    Das Buch von Joyce Carol Oates ist gerade auf meiner zu lesen-Liste gelandet. :-)

  • Zitat

    Original von Pelican


    Und dennoch hat Joyce Carol Oates vor kurzem einen Vampirroman geschrieben (der wahrscheinlich alles andere als seicht ist)


    :lache
    Es geht weniger darum, ob Vampir-Romane per se seicht sind, sondern darum, daß man dem Genre nichts mehr Neues abgewinnen kann zur Zeit.
    Auch Oates fügt ihm nichts hinzu außer ihrem Namen.


    Es ist kein Zufall, daß die Vampir-Titel, die hier aufgeführt werden, schon älter sind, selbst der letzte der Joe-Pitt-Reihe, die Bodo verlinkt hat, ist fünf Jahre alt. Und richtig neu ist daran auch nichts, sie sind nur hübsch gemixt.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Kennt eigentlich jemand von euch einen Verlag, der einem Roman, wo Vampire als Figuren vorkommen, eine Chance geben würde, wenn nicht die Twilight-Masche oder Ähnliches bedient wird.

    --------------------------------
    Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt. (Georg Christoph Lichtenberg)

  • Jeder Verlag, würde ich sagen, wenn Exposé und Lesprobe überzeugen?
    Es gibt ja kein Verbot dafür.
    Oder die ganz kleinen?


    Allerdings hängt es bei Fantasy immer noch, fürchte ich.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von Teresa: Kennt eigentlich jemand von euch einen Verlag, der einem Roman, wo Vampire als Figuren vorkommen, eine Chance geben würde, wenn nicht die Twilight-Masche oder Ähnliches bedient wird.


    Zitat

    Original von magali:Jeder Verlag, würde ich sagen, wenn Exposé und Lesprobe überzeugen?


    Nur zu. Ich sehe jetzt schon mit Vergnügen, wie die etablierten Verlage mit Manuskripten geflutet werden. Glücklicherweise landet das Zeug mehrheitlich im elektronischen Postfach und es muss kein Baum dafür herhalten und wenn 's gut läuft, dann pusten die Vampire endlich den Staub von Suhrkamp und Co. ;-).

  • Zitat

    Original von magali


    :lache
    Es geht weniger darum, ob Vampir-Romane per se seicht sind, sondern darum, daß man dem Genre nichts mehr Neues abgewinnen kann zur Zeit.
    Auch Oates fügt ihm nichts hinzu außer ihrem Namen.


    Das ist aber letztlich nur eine Frage mangelnder Kreativität.

  • Zitat

    Original von Delphin
    Zu seicht ist mir ein Buch, wenn es nur noch formelhaft ist. Wenn ich aufgrund des Covers oder des Titels schon die komplette Handlung erzählen könnte. Auftragszeug, das alle 25 Seiten eine vom Verlag vorgegebene Liebesszene enthält. Es muss bei aller Leichtigkeit immer noch eine gute Geschichte sein. Aber ich definiere jetzt nicht, was eine gute Geschichte ist. :lache


    Das hast du super formuliert!

  • Okay, dann werde ich wohl auch bald ein Vampir-Epos schreiben müssen! :lache
    Vielleicht könnte ja der nächste Schreibwettbewerbsgewinner VAMPIR als Motto des darauf folgenden Wettbewerbs ausloben.
    (da könnte ich allerdings mangels technischer Gegebenheiten nicht mitmachen)

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

  • Ich hab noch gar nie nen Vampir-Roman gelesen :wow


    Hab aber schon jahrelang "Interview mit einem Vampir" auf dem SUB :gruebel


    edit: oh, Stimmt gar nicht - "Brennen muss Salem" hab ich gelesen!

  • Ich gehöre zu den Lesern, die im Zweifel auch einmal die Rückseite von Shampoo-Flaschen lesen, wenn gerade kein Buch greifbar ist. :grin


    Gerade direkt nach der Arbeit, wenn ich etwa eine Stunde Zeit benötige, um mich herunterzufahren, lese ich erst die Tageszeitung und greife mir dann, was in der Nähe herumliegt. Da sind durchaus Heftromane dabei, die meine Oma kauft und nach dem Lesen meiner Mutter überlässt. Nach einem anstrengenden Tag - und anstrengende Tage habe ich im letzten Jahr zu oft gehabt - mag ich nicht mehr denken, aber ganz ohne Worte komme ich auch nicht aus.


    Den ehesten Vergleich kann ich vielleicht mit dem Fernsehen ziehen: Es gibt einige anspruchsvolle Filme, die Aufmerksamkeit und Mitdenken vom Zuschauer erfordern. Aber an manchen Tagen mag ich mich einfach einlullen lassen, und dann sehe ich mir zum Beispiel gern "Traumschiff" an - simple und vorhersehbare Geschichte, schöne Bilder und ein Happy End.


    Davon abgesehen stelle ich mir jedoch die Frage: Wer bestimmt eigentlich, was "anspruchsvolle" und "seichte" Literatur ist?


    Daher sehe ich nicht ein, mich in irgendeiner Form für die Texte zu entschuldigen, die ich lese. Wem meine Ansprüche zu platt sind, dem steht es frei, sich andere Gesprächspartner mit mehr Niveau zu suchen. :zwinker