Underground Railroad - Colson Whitehead

  • Colson Whitehead: Underground Railroad
    Carl Hanser Verlag 2017. 352 Seiten
    ISBN-10: 3446256555
    ISBN-13: 978-3446256552. 24€
    Originaltitel: The Underground Railroad
    Übersetzer: Nikolaus Stingl


    Verlagstext
    Cora ist nur eine von unzähligen Schwarzen, die auf den Baumwollplantagen Georgias schlimmer als Tiere behandelt werden. Alle träumen von der Flucht – doch wie und wohin? Da hört Cora von der Underground Railroad, einem geheimen Fluchtnetzwerk für Sklaven. Über eine Falltür gelangt sie in den Untergrund und es beginnt eine atemberaubende Reise, auf der sie Leichendieben, Kopfgeldjägern, obskuren Ärzten, aber auch heldenhaften Bahnhofswärtern begegnet. Jeder Staat, den sie durchquert, hat andere Gesetze, andere Gefahren. Wartet am Ende wirklich die Freiheit? Colson Whiteheads Roman ist eine virtuose Abrechnung damit, was es bedeutete und immer noch bedeutet, schwarz zu sein in Amerika.


    Der Autor
    Colson Whitehead, 1969 in New York geboren, studierte an der Harvard University und arbeitete für die New York Times, Harper's und Granta. Whitehead erhielt den Whiting Writers Award (2000) und den Young Lion’s Fiction Award (2002) und war Stipendiat der MacArthur „Genius“ Fellowship. Für seinen Roman Underground Railroad wurde er mit dem National Book Award 2016 und dem Pulitzer-Preis 2017 ausgezeichnet. Bisher erschienen John Henry Days (2004), Der Koloss von New York (2005), Apex ( 2007), Der letzte Sommer auf Long Island (2011) und Zone One (2014). Der Autor lebt in Brooklyn.


    Interview


    Inhalt
    Als Coras Mutter Mabel aus der Sklaverei der Baumwollplantage in Georgia flieht, muss ihre 11-jährige Tochter aus der gemeinsamen Hütte in die „Hob“ ziehen. Diese Hütte ist eine Notunterkunft auf der Farm, in der diejenigen gepflegt werden, die arbeitsunfähig oder wahnsinnig sind, nachdem sie gefoltert, gebrandmarkt und vergewaltigt wurden. Hinter der Maske von Versehrtheit und Einfältigkeit bietet die Hütte den versehrten Sklaven Schutz wie eine Festung. Cora ist die Enkelin einer Afrikanerin, die in die Sklaverei verkauft und dabei von ihrer Familie getrennt wurde. Cora ist noch ein Kind, aber sie kämpft mit allen Kräften um das Gemüsebeet ihrer Mutter, als eine andere Sklavin es sich unter den Nagel reißen will. Caesar will von der Farm fliehen und Cora mitnehmen, weil sie stark und mutig ist. Sie wird ihm Glück bringen, auch wenn sie sich noch nicht vorstellen kann, wie ihre Flucht klappen sollte. Bis zu diesem Zeitpunkt sind geflüchtete Sklaven stets erkannt und zurückgebracht worden, auch noch viele Jahre nach einer Flucht. Zu Beginn ihrer gemeinsamen Flucht ist Cora circa 17 Jahre alt und war noch nie außerhalb der Farm der Brüder Rendall. Caesar war äußerst vorsichtig von einem Mitglied der Underground Railroad angesprochen worden, einer Bewegung, die Sklaven zur Flucht hilft. Mr. Fletcher hat Caesar als kritischen Geist entlarvt, weil er zu schlecht verborgen hat, dass er lesen kann – und das ist für einen Sklaven sein Todesurteil. Während in der Geschichte der Sklaverei die unterirdische Eisenbahnlinie ein Codewort war, ist Fletchers Eisenbahn eine reale Bahn in einem fantastischen Szenario. Wer sollte in der Realität unter harmlosen Farmen unterirdische Bahnhöfe und Schienenstränge angelegt haben und vor allem, wer sollte die Bauten finanziert haben? Für Cora erweist sich das System als Lotterie, weil sie selbst nicht steuern kann, wo die Eisenbahn sie wieder ausspuckt.


    Während sich in Georgia der Kopfgeldjäger Ridgeway auf Coras Spuren setzt, gelangt sie von ihrer Station in South Carolina mitten in eine gigantische Flüchtlingsindustrie. Geflohene Sklaven leben in riesigen Wohnheimen, werden in einem eigenen Krankenhaus für Schwarze behandelt und arbeiten in Fabriken und Privathaushalten. Die Geflüchteten kennen nur die Sklaverei als Lebensform und hinterfragen die Motive nicht, die das Handeln ihrer „Protektoren“ bestimmt, die sie betreuen. Als Cora eine Arbeit im Naturkundemuseum antritt, fällt ihr sofort auf, dass sie in den ausgestellten Szenarien eine schwarze Marionette in einer weiß dominierten Geschichtsschreibung darstellen soll. Doch wer von einer Plantage stammt, hinterfragt im eigenen Interesse besser nichts. Während Cora wieder in den Zug steigt, um an einer anderen Stelle ausgespuckt zu werden, die sie nicht selbst gewählt hat, entfaltet Colson Whitehead in mehreren Nebenhandlungs-Strängen die Schicksale des Ehepaars Wells, das schon in zweiter Generation die Sklaverei bekämpft, von Caesar, Ridgeway und Royal.


    Der Klappentext preist den erfolgreichen und preisgekrönten Roman an als Buch über das Schwarzsein früher und heute. Colin Whitehead betont, er hätte keinen historischen Roman über die Sklaverei verfasst. Vermutlich zeigt sich ein außergewöhnlicher Roman darin, dass er für jeden Leser eine persönliche Botschaft bereithält. Das phantastische/symbolische Element des unterirdischen Zugs wird vermutlich nicht alle Leser ansprechen. Zu seinen Figuren hält Whitehead sachliche Distanz, so dass ich für meinen Geschmack über Coras Anpassung an die Welt draußen viel zu wenig erfahren habe. Beeindruckend fand ich das Kapitel, in dem Coras Überlebensstrategien von der Plantage auf eine Helferindustrie mit rassistischen und faschistischen Zügen stoßen. Was nach einer Flucht kommt und was Helfer mit ihrem Handeln bezwecken, hat mich hier sehr nachdenklich gemacht. Stilistisch und aufgrund der differenzierten Charakterisierung der weiteren Figuren empfehle ich das Buch mit gutem Gewissen weiter. Die fantastischen Elemente und die Distanz des Autors zu seinen Figuren sehe ich allerdings auch als gute Gründe, den Roman nicht zu lesen.


    8 von 10 Punkten

  • Meine Meinung: „Ein episches Abenteuer, bevölkert von unvergesslichen Figuren“, dieses Zitat findet sich auf der Rückseite des Buchumschlags und zusätzlich macht der Hinweis auf den Pulitzer-Preis neugierig. Colin Whitehead erzählt von der Flucht der Sklavin Cora, die zeitlich gegen Ende der Sklavenhaltung angesiedelt ist. Etabliert, geduldet, abgelehnt, bekämpft – jede Staatsgrenze bedeutet für Cora, die von der Baumwollplantage ihres brutalen Besitzers geflohen ist, eine neue Herausforderung, denn die einzelnen Staaten in Amerika gehen unterschiedlich mit dem Thema Sklaverei um.


    Cora will so weit wie möglich weg von dem Ort, an dem ihr Leben genauso viel wert ist, wie das eines Hundes. Bei ihrer Flucht hilft ihr die „Underground Railroad“ – eine Organisation, die tatsächlich existiert hat und die es sich zur Aufgabe machte, Sklaven bei der Flucht in sichere Staaten zu helfen. Die Fluchthelfer und ihre Funktion innerhalb der Organisation wurden nach den Berufsbezeichnungen der Eisenbahn gewählt und der Autor hat sich die Freiheit genommen und Eisenbahnstrecken erfunden, mit Untergrund-Bahnhöfen, geheimen Streckennetzen, Bahnhofsvorstehern und Zügen, die nachts in Tunneln die Geflohenen transportieren.


    Auf diese Art und Weise gelangt Cora zuerst in einen „sicheren“ Staat, bleibt aber trotzdem Freiwild für Kopfgeldjäger und ein besonders ehrgeiziger hat es auf sie abgesehen, denn die einzige entflohene Sklavin, die er in seiner Laufbahn niemals gefunden hat, war Coras Mutter.


    Durch Coras Flucht in unterschiedlichste Staaten, zeigt Colin Whitehead auf, wie verschieden die Gesetze zur Sklaverei waren und macht bewusst, was die Sklaverei mit den Menschen machte, denen man aufgrund ihrer Hautfarbe sofort ihre Herkunft ansah. Die Flucht von der Plantage, das Leben der Sklaven und ehemaligen Sklaven ist gut erzählt und zeichnet ein realistisches Bild der damaligen Zeit, doch rückblickend überlege ich, welche unvergesslichen Figuren sich in dieser Geschichte befunden haben. Für mich blieben, bis auf Cora und den Kopfgeldjäger, alle Personen ein wenig blass und wirkten teilweise unecht.


    Das Hauptaugenmerk liegt eher auf der Organisation der Untergrund-Eisenbahn und den Lebensbedingungen der Sklaven. Jede Generation Amerikas hat sich mit der Sklaverei auseinandersetzen müssen und mit Colin Whitehead spricht nun eine aktuelle Stimme. Das erklärt für mich auch, warum das Buch den Pulitzerpreis bekommen hat, denn eigentlich ist es „nur“ eine solide gemachte und gut erzählte Geschichte, die ich persönlich aber nicht als überragend bezeichnen würde.
    8 Eulenpünktchen von mir dafür.

  • Momentan sind wirklich erstaunlich viele gute historische Romane auf dem Markt!
    Dies ist eines davon. Es war mein erstes Buch von Colin Whitehead. Cover und Titel passen, die Übersetzung von Nikolaus Stingl lässt sich angenehm lesen, Inhalt hält, was Inhaltsangabe versprach. :-]
    Erzählt wird die Geschichte der jungen Protagonistin Cora, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts als farbige Sklavin in den Südstaaten heran wuchs.
    Es ist jedoch ebenfalls die Geschichte der historisch nachgewiesenen titelgebenden "Underground Railroad", einer Organisation, deren Name sich daher ableitet, dass die Mitglieder bzw. Funktionen sich bezeichnungsmäßig an der Beschäftigtenhierarchie der Eisenbahngesellschaften orientierten, und die sich zum Ziel gesetzt hatte, Flüchtlinge auf dem Versuch, die Staaten des freien Nordens zu erreichen, zu unterstützen.
    Die Problematik war mir natürlich, wenn auch nicht in Zusammenhang mit besagter Organisation, bekannt, aber die Schilderung anhand eines Einzelschicksals ist natürlich meist viel einprägsamer, weil eine Person es dem Leser leichter macht, sich in eine Lage hinein zu versetzen, als es nüchterne Daten und Fakten aus Geschichtsbüchern vermögen.
    Die Lektüre dieses Buches hat mich tief beeindruckt und ich kann seine Lektüre geschichtsinteressierten Lesern guten Gewissens ans Herz legen.
    10 Punkte!
    :wave

  • In der September-Ausgabe des Literaturclubs wurde dieser wichtige und gelungene Roman von 4 Kritikern diskutiert. Diese interessante Diskussion zwischen Nicola Steiner, Martin Ebel, Rüdiger Safranski und Stina Werenfels habe ich heute morgen auf 3Sat gesehen.
    Wer den Roman schon gelesen hat, dem empfehle ich einen Blick in die Mediathek.


    https://www.srf.ch/sendungen/l…teraturclub-im-september#


    Wer das Buch noch nicht gelesen hat sei gewarnt, dass so einige Details verraten werden.

  • Bemerkenswert
    Colson Whitehead hat mit Underground Railroad einen spannenden Roman geschrieben. Es geht um schwarze Sklaven in den Südstaaten.
    Ich habe das Hörbuch gehört. Es wird von Helene Grass gelesen, die Stimme hört sich gut an. Die Sprecherin liest nicht zu dramatisch, sonst wäre es zu viel gewesen.
    Die Situation der Sklaven ist dramatisch und sehr realistisch. Manchmal musste ich Pausen einlegen, da mir die Grausamkeit zu viel wurde und wenn man daran denkt, dass die Marter der Sklaven wirklich so war. Man bekommt ja immer noch mit, was es heute noch heißt schwarz zu sein.


    Die Protagonistin, die Sklavin Cora wird schon in die Sklaverei hineingeboren. Sie arbeitet auf den Baumwollfeldern. Ihre Großmutter und Mutter wurden aus Afrika entführt und auch gleich auseinander gerissen.
    Sie erfährt von dem Underground Railroad, einer Organisation, die Sklaven bei der Flucht in den Norden hilft. Die Flucht verläuft wieder tragisch mit vielen Opfern.
    Schon ihre Mutter war geflohen als Cora noch ein Kind war.


    Für diesen Roman wurde der Autor Colson Whitehead 2016 mit dem National Book Award und 2017 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet. Ich meine, er hat die Preise verdient.
    Er hat schon ein paar sehr lesenswerte Romane heraus gebracht.
    Dieser Roman ist lese- und hörenswert. Allerdings keine leichte Kost.
    Er ist ein bemerkenswertes Stück Zeitgeschichte.

  • Die düstere Vergangenheit der Sklaverei Amerikas


    "Die Menschen tragen Ketten und sind Sklaven; aber sie sind nicht geboren, es zu sein, und haben die Hoffnung nicht verloren, wieder frei zu sein." (Matthias Claudius)
    Cora arbeitet ebenso wie ihre Großmutter auf der Randall Farm, für sie gab es nie etwas anderes, als Sklavin sich auf Plantagen zu schinden. Eines Nachts flüchtet dann Coras Mutter von der Farm und lässt ihre Tochter alleine bei ihrer Mutter zurück. Cora kann nicht nachvollziehen, warum sie, sie ganz alleine gelassen und nicht mitgenommen hat. Nach dem Tod des alten Plantagenbesitzer Randall wird die Farm an seine Söhne vermacht, die diese genauso herzlos weiterführen. Unter unerträglichen Bedingungen müssen die Sklaven der Randalls Bauwolle säen und ernten. Doch eines Tages tritt Caesar an Cora heran und offenbart ihr das er flöhe und sie mitnehmen möchte. Erst verneint Cora diesen Vorschlag, den selten ist einem Sklaven so eine Flucht gelungen und wenn man sie gefasst hätte, wäre dies ihr Todesurteil gewesen. Ein paar Tage später wusste Cora das, wenn sie jetzt nicht flieht, dies ihr Leben lang bereuen würde. Zusammen wollen sie mit der Underground Railroad in ein neues Leben fliehen. Dabei wird Ridgehead einer der berüchtigten Sklaveneintreiber, die beiden unerbittlich verfolgen, um sie an Randall auszuliefern, den dieser hat ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt. Es beginnt eine abenteuerliche Reise bei denen sie heldenhafte Bahnhofswärter, Kopfgeldjäger und Leichendieben begegnen und überall lauern Gefahren. Werden sie ihre Freiheit wirklich finden?


    Meine Meinung:
    Mit Colson Whitehead ist hier ein fiktiver Roman erschienen, der die qualvolle Wirklichkeit der Sklaven in den USA widerspiegelt. Zur Vorlage nahm sich der Autor mehrere Slave narrative Vorlagen und gestalte damit einen fiktiven Roman, den es so nicht gab. Aber wenn man dieses Buch gelesen hat, kann man sich gut vorstellen, das es so gewesen sein könnte. Das Netzwerk der Underground Railroad gab es in Wirklichkeit, mit dieser wurden tatsächlich in der Mitte des 19. Jahrhunderts Sklaven zur Flucht verholfen. Der Schreibstil ist sehr gut, schade nur das dem Buch ein wenig die Emotionen fehlen, trotzdem hat es mich zu tiefst bewegt. Entsetzt hat mich auch, das ab dem Jahr 1776, 460 000 Sklaven in die USA verschleppt und als billige Arbeitskräfte gehalten wurden. Ich denke dabei immer an eine damalige Fernsehserie Roots bei denen dies auch drastisch geschildert wurde. Selbst heute noch muss die schwarze Bevölkerung mit vielen Benachteiligungen in der ganzen Welt, vor allem aber in den USA leben. Deshalb auch stellvertretend dieses Buch, für alle jene Sklaven, die bisher ihr Leben lassen mussten. Ausgezeichnet wurde es mit dem National Book Award 2016 und dem Pulitzer Preis 2017. Ein Buch, das man gelesen haben sollte und von mir 10 Eulen bekommt.

    "Lebe jeden Tag so, als ob du dein ganzes Leben lang nur für diesen einen Tag gelebt hättest."

  • Zwar spielt die Story um 1850, aber im Grunde hat der Autor die Anfänge der Sklaverei bis zur heutigen Diskriminierung der Farbigen in die Geschichte verwebt. Anfangs überraschten mich historische Ungenauigkeiten, denn Erfindungen wie U-Bahn, Fahrstuhl, medizinische Bluttests … wurden erst später realisiert. Zudem tragen die Bundestaaten, welche die Protagonistin Cora auf ihrer Flucht durchquert, Realnamen, allerdings sind die dortigen Zustände fiktiv.


    Was mich anfangs irritierte, macht allerdings Sinn, denn diese kreativen Tricks statten den Roman mit einem Ambiente und einer Atmosphäre aus, die den Leser fesseln und mit Wucht in die Geschichte hineinziehen. Man möchte aufschreien über die Ungerechtigkeit in den USA Mitte des 19. Jahrhunderts und doch sind Sklaverei, Völkermord, Vertreibung und Unterdrückung immer noch nicht überwunden in dieser unseren Welt.


    So ist die Geschichte der Sklaverei, die Whitehead ergreifend erzählt, ein Sammelsurium historischer Grausamkeiten, in dem sogar Euthanasieprogramme sowie Völkermord gespiegelt werden.


    Ein Buch, das Spuren hinterlässt, das man nicht schnell vergisst und das zu den besten Büchern des Jahres zählt.

  • Darum geht’s:

    Cora lebt als Sklavin der dritten Generation auf der Plantage der Randalls. Seit ihre Mutter geflüchtet ist, muss sich das junge Mädchen alleine durchschlagen und obwohl Cora eine starke Persönlichkeit ist, bleibt auch sie von Gewalt und Willkür nicht verschont. Als der Sklave Caesar sie bittet, mit ihm zusammen zu fliehen, zögert sie erst. Doch dann macht sie sich doch mit ihm auf den Weg durch die Underground Railroad auf der Suche nach Freiheit.


    So fand ich’s:

    Das Leben, das Cora und die anderen Sklaven auf der Plantage der Randalls führen, ist hart und brutal. Nicht nur die weißen Herren leben ihren Sadismus willkürlich an den Sklaven aus, sondern auch unter ihnen herrscht eine gewisse Hierarchie, und Gewalt kommt auch unter Sklaven vor. Man versteht, wieso immer wieder Sklaven ihr Leben riskieren und lieber einen grausamen Foltertod in Kauf nehmen, wenn ihre Flucht misslingt, als auszuharrren und das Leben auf der Plantage zu ertragen. Doch auch als Cora sich zur Flucht entschlossen hat, ist sie immer wieder abhängig von anderen und muss auf Großherzigkeit hoffen – wohl wissend, dass die Hilfsbereitschaft auch den Helfern das Leben kosten könnte.


    Weitestgehend beschreibt das Buch die Erlebnisse Coras in nüchternem Erzählstil. Manchmal fast schon lakonisch wird das schreckliche Leben auf der Plantage geschildert, genauso wie die Grausamkeiten, die Cora auf ihrer Flucht begegnen. Wahrscheinlich ist so eine undramatische Erzählweise genau richtig, denn wenn man sich zu emotional in die Geschichte fallen lässt, könnte man verzweifeln bei dem Gedanken, was Menschen anderen Menschen antun, nur weil sie eine andere Hautfarbe haben. Sie werden ja nicht einmal als Menschen gesehen, sondern erscheinen in den Augen ihrer Besitzer oft genug als so etwas wie Halbaffen ohne Gefühle und Verstand.


    Hauptsächlich erzählt uns Cora ihre Geschichte selbst, aber es werden auch immer wieder kurze Kapitel eingeschoben, die die Hintergründe der Menschen beleuchten, mit denen Cora zu tun hat. Das macht auch scheinbar gleichgültige oder bösartige Leute menschlich und rundet das Bild über das hinaus ab, was Cora selbst weiß.


    Im Vorspann zu diesem Roman wird erläutert, dass die „Underground Railroad“ nicht tatsächlich als unterirdische Bahnlinien existiert hat, sondern ein Synonym für ein Netzwerk von Helfern und Unterschlupfen war und auch als Codierung in Unterhaltungen diente. Leider scheint dieses wichtige Vorwort nur in den Leseexemplaren (von denen ich eines hatte) vorhanden zu sein und in der Ausgabe für den Buchhandel zu fehlen, wie ich der Rezension von Jemima auf dem Blog Hochhorst entnehmen kann. Das finde ich sehr schade.


    Wieso sich der Autor entschlossen hat, diese unterirdische Eisenbahn im Buch als Tatsache darzustellen, weiß ich nicht. Ich fand es zwar schon glaubhaft erzählt, aber da man weiß, dass es nicht wirklich so war, bietet genau dieser Kniff ein Schlupfloch für alle Zweifler, die einwenden könnten, dass auch andere glaubhaft geschilderte Passagen historisch nicht korrekt sind. Und ich habe mich auch wirklich gefragt, was nun historisch verbürgte Tatsachen sind und was der Fantasie des Autors entsprungen ist. Gab es den Plan, Schwarze durch Tricks oder Lügen zu einer Sterilisation zu bringen, um zu verhindern, dass die schwarze Bevölkerung überhand nahm? Bestand diese Möglichkeit einer überwiegend schwarzen Bevölkerung tatsächlich in manchen Staaten? Waren die genannten Bevölkerungszahlen echt oder nur eine ausgedachte Ergänzung wie die Underground Railroad selbst? Existierten diese Ausstellungen, in denen lebende Personen Szenen aus Afrika oder der Reise in die USA nachstellten, wirklich? Durch die Möglichkeit, dass Teile seiner Erzählung nur erfunden waren wie die Railroad, hat Whitehead seiner Erzählung ein bisschen den Schrecken genommen, was ich schade fand. Die Tatsachen sprechen für sich und eine fiktive Lebensgeschichte in historisch korrekter Umgebung hätte mir besser gefallen und mich wahrscheinlich noch viel mehr ergriffen.


    Während des Lesens drängten sich mir gewisse Parallelen auf zur Zeit des dritten Reiches, als Juden unter ähnlichen Umständen wie Cora versteckt wurden. Oder man ihnen unter Einsatz des eigenen Lebens zur Flucht verholfen hat. Aber auch zur Problematik der vielen Zuwanderer, die sich auch äußerlich vom Durchschnittsdeutschen unterscheiden und die nicht wenigen Leuten Angst davor machen, dass sie das Erscheinungsbild zu sehr prägen und das Althergebrachte verdrängen – genau wie die Vielzahl der geflüchteten Sklaven manche Städte und Landstriche prägten.


    Denn leider ist das geschilderte menschliche Verhalten zeitlos und nicht nur auf den Zusammenhang der Rassenproblematik und Versklavung der schwarzen Bevölkerung beschränkt. Quer durch alle Zeiten und Nationen wird immer wieder die Gelegenheit genutzt, auf dem Rücken der Schwachen und ihrer Helfer die eigenen Interessen durchzusetzen, bereitwillig bösartige Gerüchte weiterzuerzählen und unliebsame Nachbarn und Konkurrenten loszuwerden. Man stellt das eigene Wohlergehen an oberste Stelle und überall werden die Schwächen der menschlichen Natur deutlich. Es gibt aber damals wie heute Menschen, die selbstlos ihr Leben riskieren, um zu helfen und das Unrecht wieder ein bisschen auszugleichen.


    Insofern ist „Underground Railroad“ nicht nur ein bedrückend realistisches Zeugnis und eine Erinnerung an die Sklaverei in den US-Amerikanischen Südstaaten, sondern das Thema hat durchaus darüber hinaus Bedeutung. Deshalb wird mich das Buch so schnell nicht loslassen.

  • Im 19. Jahrhundert lebt die junge Cora Randall als Sklavin auf einer Baumwollplantage in Georgia. Als sich ihr und ihrem Leidensgenossen Caeasar eine Chance zur Flucht bietet, nehmen sie diese nur zu gerne wahr. Zusammen versuchen sie sich so weit wie möglich von ihrem grausamen Herrn zu entfernen, aber dies ist in den amerikanischen Südstaaten, wo praktisch jeder Jagd auf sie macht, alles andere als einfach. Ihre einzige Hoffnung besteht in der Underground Railroad, einem geheimen Fluchtnetzwerk für Sklaven. Sie finden tatsächlich eine der geheimen Bahnstationen, doch auch nach dieser Zugreise ist ihr Martyrium längst nicht vorüber. Auch im angeblich sehr viel liberaleren South Carolina geht es nicht halb so friedlich zu, wie man es ihnen weißzumachen versucht.

    Laut der Presse handelt es sich bei Colson Whiteheads Roman um eine „virtuose Abrechnung damit, was es bedeutete und immer noch bedeutet, schwarz zu sein in Amerika.“ Das mag stimmen und das, was Cora und Caesar unterwegs erleben, ist in der Tat ziemlich erschütternd, dennoch konnte mich Whiteheads meist recht auktoriale Erzählweise nur selten mitreißen. Dafür wirkten viele der Schilderungen zu oberflächlich und allgemein gehalten. Die Ereignisse in South Carolina erinnerte mich stellenweise an den „Report der Magd“ von Margaret Atwood. Daher würde ich „Underground Railroad“ auch nicht als das angepriesene Meisterwerk bezeichnen. Das Thema ist zweifellos wichtig, die Umsetzung jedoch lässt durchaus noch Luft nach oben. Da haben mich andere afroamerikanische Dramen wie „Wer die Nachtigall stört“ von Harper Lee mehr mitgerissen.