'Der Untertan' - Seiten 161 - 246

  • Die Gerichtsverhandlung ist ja eine Farce. Schlau eingefädelt von Jadassohn. Irgendwie erinnert mich das an die Naziprozesse, bei denen von vornherein feststand, dass der Angeklagte schuldig ist und alles nur zum Schein verhandelt und jedes Wort im Munde herumgedreht wird.

    Ich hatte beim Lesen spontan an die Gerichtsverhandlung aus "Wer die Nachtigall stört" gedacht.

    Nazi-Prozesse trifft es aber auch.

    Ja, definitiv ein Prozess, bei dem es vorrangig um Gesinnung und wenig um Schuld geht.

    Nur dass Diederich am Ende wieder Oberwasser hat, hat mich in der Form doch überrascht.

  • Ob Magda einfach raus will und sich deshalb dem Vertreter sozusagen an den Hals wirft? Die Schwester scheint das nicht gutzuheißen.

    Ich sehe das auch so, dass Magda einfach nur raus will. Sie hatte ja gar keine Zeit um den Verterter wirklich näher kenne zu lernen. Aber es ist im Moment ihre einzige Chance aus dem Elternhaus und von ihrem Bruder weg zu kommen. Und ich kann sie sogar verstehen. Diederich benimmt sich seinen Schwestern gegenüber ja nicht gerade nett und freundlich. Auch die Beschreibung des Weihnachtsfestes war einfach nur traurig . Sie sieht wohl in dem Vertreter ihre letzte Chance . Ich weiß nicht ob irgendwo erwähnt wird, wie alt die Schwestern sind? Aber sie scheinen für eine Heirat schon relativ alt zu sein, oder? Es wird mal gesagt, sie könnten als alte Jungfern enden.

    Ich finde dieses Gerede um die Mitgift auch ganz schrecklich. Wie das Verkaufen von Ware. Da wird die Frau nicht als ein Mensch gesehen. Aber es war wohl damals so üblich und ist auch heutzutage noch in manchen Regionen so. Einfach nur traurig und abstoßend.

  • Ich weiß nicht ob irgendwo erwähnt wird, wie alt die Schwestern sind? Aber sie scheinen für eine Heirat schon relativ alt zu sein, oder? Es wird mal gesagt, sie könnten als alte Jungfern enden.

    Ich finde dieses Gerede um die Mitgift auch ganz schrecklich. Wie das Verkaufen von Ware. Da wird die Frau nicht als ein Mensch gesehen. Aber es war wohl damals so üblich und ist auch heutzutage noch in manchen Regionen so. Einfach nur traurig und abstoßend.

    Das wirklich abstoßende ist für mich , dass es auch heute noch in manchen Ländern Sitte ist, Frauen zu verkaufen. Wie alte die Schwestern sind wird glaube ich nicht erwähnt. Aber damals war man ja mit 25 und unverheiratet schon eine alte Jungfer. Mit 16 wurde man doch in die Gesellschaft eingeführt und hatte sich umzusehen oder anzupreisen, wenn nicht schon von vornherein feststand, wer in Frage kommt.

  • Die Gerichtsverhandlung ist ja eine Farce. Schlau eingefädelt von Jadassohn. Irgendwie erinnert mich das an die Naziprozesse, bei denen von vornherein feststand, dass der Angeklagte schuldig ist und alles nur zum Schein verhandelt und jedes Wort im Munde herumgedreht wird.

    Da gebe ich dir recht. Ich fand den Gerichtsprozess zwar sehr ausführlich beschrieben, aber auch sehr interessant. Dieses Hin und Her, diese Manipulationsversuche und Empörung, die Zwischenrufe und das Benehmen aller Beteiligten hatte schon etwas von Marktschreierei.
    Und dann das Plädoyer des jungen Buck. Das fand ich wirklich großartig, inhaltlich stimmig und entlarvend. "Die Gesinnung trägt Kostüm" ist ebenso treffend, wie "Dem politischen Schwindel folgt der bürgerliche". Hier hat Heinrich Mann seinen Mitmenschen, den damaligen Kriegstreibern und Nationalisten sehr schön den Spiegel vorgehalten. Ich finde sehr authentisch, dass er dann dem jungen Buck am Ende, als er schon fast alle auf seiner Seite hatte, dessen Hang zum großen Auftritt oder zur Bühne zum Verhängnis werden lässt. Vom Gefühl ist er die durchdachteste und ehrlichste Figur, im Gegensatz zu Diederich, den er natürlich überspitzt und übertrieben darstellt.

    Mit seiner Rede an den Untertan, den er als Anwalt der Verteidigung auch und vor allem an Diederich und dessen Denunziantentum richtet, hat er gewaltig ausgeteilt. Blöderweise haben ihn die angesprochenen entweder nicht verstanden oder zu gut. Mal sehen, was davon auf ihn und seine Familie noch zurückfällt. Auf jeden Fall ist dieses Plädoyer eine meiner liebsten Stellen im Buch.

  • Ich hatte beim Lesen spontan an die Gerichtsverhandlung aus "Wer die Nachtigall stört" gedacht.

    Nazi-Prozesse trifft es aber auch.

    Ja, definitiv ein Prozess, bei dem es vorrangig um Gesinnung und wenig um Schuld geht.

    Ich hatte wirklich Freisler vor Augen, als dieser Jadasohn seine Zeugen und den Angeklagten fertig machte.

    Und dann das Plädoyer des jungen Buck. Das fand ich wirklich großartig, inhaltlich stimmig und entlarvend. "Die Gesinnung trägt Kostüm" ist ebenso treffend, wie "Dem politischen Schwindel folgt der bürgerliche". Hier hat Heinrich Mann seinen Mitmenschen, den damaligen Kriegstreibern und Nationalisten sehr schön den Spiegel vorgehalten. Ich finde sehr authentisch, dass er dann dem jungen Buck am Ende, als er schon fast alle auf seiner Seite hatte, dessen Hang zum großen Auftritt oder zur Bühne zum Verhängnis werden lässt. Vom Gefühl ist er die durchdachteste und ehrlichste Figur, im Gegensatz zu Diederich, den er natürlich überspitzt und übertrieben darstellt.

    Die Figur des junge Buck gefällt mir richtig gut, hätte er bei seinem Plädoyer nicht übertrieben, wäre ihm vielleicht das Kunststück gelungen. Das war wirklich tragisch aber natürlich dramaturgisch ein Glücksgriff.

  • Das Plädoyer von Buck hat mir auch sehr gut gefallen, auch sein Scheitern am Ende, sei es durch Geltungsdrang oder weil er die Stimmung und Situation falsch eingeschätzt hat, fand ich sehr passend. Ist doch oft so, dass ein schon fast sicherer Erfolg durch kleine Fehler am Schluss doch noch zu nichte gemacht wird.

  • Ich hatte wirklich Freisler vor Augen, als dieser Jadasohn seine Zeugen und den Angeklagten fertig machte.

    Welchen Freisler meinst Du?

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Siegfried Lenz: Der Verlust

  • Der ganze Abschnitt war ein einziges, unmoralisches Geschacher. Jeder ist nur auf seinen Vorteil und die Durchsetzung seiner Interessen bedacht. Der Major ist auch keinen Deut besser als Diederich.


    Vor der Gerichtsverhandlung hatten sie alle ja noch eine Show gemacht und kaum ehrlich miteinander geredet. Das dann, auch im Plädoyer von Buck, plötzlich so offen und direkt gesprochen wurde, hatte mich schon überrascht.


    Lustig fand ich auch die Tour durch die Innenstadt, bei der Magda ihren Verlobten Kienast vorführte. Aber auch die Anbahnung gleich am ersten Abend, als voller Begierde der Stuhl umgeworfen wurde und Diederich dies als Zeichen der Ernsthaftigkeit interpretierte, war schon skurril.

  • Auf jeden Fall ist dieses Plädoyer eine meiner liebsten Stellen im Buch.

    Dieses Plädoyer ist einfach großartig !

    Und ich mag diesen Buck als Figur sehr, den finde ich echt super gelungen. Sehr witzig fand ich in diesem Abschnitt auch seine Beschreibung seiner Verlobten Guste und wie er sich mit Diederich über sie unterhält: "Möchten Sie sich da nicht des guten Mädchens ein wenig annehmen?... Sozusagen den Kochtopf hier und da ein bißchen umrühren, worin ich Wurst und Kohl am Feuer zu stehen habe - indes ich selbst noch draußen beschäftig bin" Einfach herrlich:lache:lache

  • Lustig fand ich auch die Tour durch die Innenstadt, bei der Magda ihren Verlobten Kienast vorführte. Aber auch die Anbahnung gleich am ersten Abend, als voller Begierde der Stuhl umgeworfen wurde und Diederich dies als Zeichen der Ernsthaftigkeit interpretierte, war schon skurril.

    Überhaupt die ganzen übertriebenen Beschreibungen, sehr feine Satire ist das.

  • Nach all den Jahren, die seit meiner ersten Lektüre dieses Buches vergangen sind, kam es mir bei der Gerichtsverhandlung so vor, als wäre es erst gestern gewesen. Ein seltenes literarisches Juwel, die ganze lange Passage, in der es Heinrich Mann gelingt, diese Farce geradezu schamlos zu entlarven. Was hier gnadenlos offen gelegt wird, ist das Kernstück des Romans: Die völlige Gewissenlosigkeit der sogenannten Honoratioren in dieser Stadt steht aber nur beispielhaft für die gesamte Gesellschaft der Kaiserzeit, für ihre bigotte Moral, ihren rassistischen deutschen Dünkel, ihre erbärmliche Verlogenheit, vor allem aber für die dumme nationalistische Verblendung der "staatstragenden" Figuren. All das waren übrigens - abseits der weltpolitischen Lage - die tieferen sozialen und moralischen Ursachen für den Ersten Weltkrieg, der ja hier schon am Horizont aufdämmert. Diederich Heßling ist ein besonders schäbiger, charakterlich unsauberer und völlig unsicherer Mensch, ein Kriecher und Treter, ja, aber er ist auch nicht weniger als das kulminierte Ergebnis seiner Zeit.

  • Die völlige Gewissenlosigkeit der sogenannten Honoratioren in dieser Stadt steht aber nur beispielhaft für die gesamte Gesellschaft der Kaiserzeit, für ihre bigotte Moral, ihren rassistischen deutschen Dünkel, ihre erbärmliche Verlogenheit, vor allem aber für die dumme nationalistische Verblendung der "staatstragenden" Figuren. All das waren übrigens - abseits der weltpolitischen Lage - die tieferen sozialen und moralischen Ursachen für den Ersten Weltkrieg, der ja hier schon am Horizont aufdämmert.

    Der Bezug zum Ersten Weltkrieg ist für mich einer der roten Fäden dieses Buches, neben der Entlarvung dieser bigotten, nationalistischen Gesellschaftsform am Beispiel von Diederich.


    Wenn ich richtig informiert bin, hat Heinrich Mann das Buch das erste Mal nach Ende des Krieges veröffentlicht, es aber schon zu Beginn des Krieges beendet. Mich wundert es nicht, dass er da Schwierigkeiten hatte. Ich finde es bewundernswert, wie pointiert und direkt er mit den Fingern auf diese "staatstragenden Figuren" zeigt und sich auch nicht scheut, über sie zu urteilen. Das trifft auf das ganze Buch, aber insbesondere auf diese Passage zu.