J. D. Salinger - Der Fänger im Roggen

  • Unglaublich, 3 Monate habe ich an diesem Buch gelesen, obwohl es eigentlich in 6 Stunden erledigt wäre. Irgendwie war ich aber nie in der richtigen Stimmung, um diesen Klassiker zu lesen.


    Der pubertierende, mit seinem Leben nichts wirklich anzufangen wissende Jugendliche Holden Caulfield fliegt wieder einmal von der Schule. Weil er noch nicht zu seiner Familie zurück will, irrt er ziellos durch New York umher. Dabei trifft er auf alle möglichen Leute und macht sich alle möglichen Gedanken.


    Ich fand das Buch gut. Es fängt wunderbar die Verwirrtheit junger Leute ein, die sich mit dem erwachsen werden auseinandersetzen müssen. Die rohe Jugendsprache passt wirklich gut dazu.


    8 von 10 Punkten.

  • Das Buch habe ich vor fast 40 Jahren zum ersten Mal gelesen. Vor kurzem las ich „Lieber Mr. Salinger“ von Joanna Rakoff und da dachte ich mir, ich könnte Salingers Meisterwerk noch mal lesen.


    Beim ersten Mal hatte ich mich wiedererkannt in Holden Caulfield, der die Verlogenheit der Leistungsgesellschaft und ihrer vor sich hin wuselnden Jünger so ungeschminkt demaskiert hat.


    Dieses Mal sind mir doch einige Dinge aufgefallen, die mir ziemlich auf den Wecker gegangen sind. Warum wirkt der Erzähler fast immer destruktiv? Das nervt. Auch wenn die Sprache des Jungen authentisch ist, so gingen mir die vielen Füllwörter auf die Nerven: In jedem zweiten Satz liest man: „Herrgott, oder so, und so, verflucht …“


    Klar, im Alter fehlt das Gefühl für den jugendlichen Aufruhr und man liebt die Ruhe und die Ordnung. Dennoch habe ich immer noch ein Gespür für die Revolte der Jugend. Und das ist gut so!

  • Ich frage mich jedes Mal aufs neue, woher die Überzeugung rührt, daß Holden ein Rebell ist.
    Er rebelliert doch gar nicht. Es ist eine Geschichte der Selbstaufgabe angesichts der Übermacht der grauenhaften Erwachsenenwelt. Deswegen flucht er sich durch die Seiten, er ist stinkwütend, kommt aber nicht dagegen an. All die Träume, all das Gutsein wollen, es besser machen, anders sein, zerschellen.
    Es ist ein letztes Aufbäumen, bis die letzte Träne vergossen ist. Und wieder begibt sich ein Schäfchen brav in den Pferch, wo es geschoren wird, bis am Ende der Schlachter kommt.
    Sehr, sehr trauriges Buch.
    Aber umwerfend, keine Frage.
    :grin



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Na ja, werte Kollegin, die Frage ist doch, wie wir in diesem Fall Rebellion definieren. Natürlich weniger als offene Auflehnung oder Aufstand, sondern eher als Aufbegehren oder Sichwidersetzen. Und ich denke schon, dass wir einen Jugendlichen, der mehrmals von der Schule fliegt und gegen die "grauenhafte Erwachsenenwelt" aufbegehrt, durchaus als Rebell bezeichnet werden kann.

  • Der Einwand ist nicht ohne Berechtigung.
    Bloß: was ist Rebell, genau, meine ich?


    'Rebell' ist eine Bezeichnung für jede/n, die/der sich eine Waffe irgendeinerer Art greift, loszieht und sich etwas holen will, von dem sie/er überzeugt ist, dass es ihr/ihm vorenthalten wird.


    Wenn wir Holden als 'Rebell' bezeichnen, legen wir den Fokus auf seine Abwehrabreaktionen. Einer, der um sich schlägt. Das hat durchaus seinen Reiz.
    Was dabei unter den Tisch fällt, ist das 'Warum'.
    Holden leidet. Nicht nur an seiner Situation, sondern an der Art, wie die Gesellschaft organisiert ist, in der er gezwungen ist zu leben. Er leidet richtig, ganz schlimm, ganz arg. Das Leiden macht ihn krank.
    Als Held ist er eher in einer Tradition einzuordnen, in der z.B., ein Tonio Kröger steht, veilleicht ein bißchen Werther, vielleicht sogar Kleistsche Helden?
    Ganz sicher kein Robin Hood und ähnliche 'Helden'.


    Rebell' reicht nicht als Begriff, um Holden einzuschätzen. Er verengt den Blick, verstellt die Sicht auf das dahinterliegende Problem und führt zum Romantisieren der Figur.



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Gut, so gesehen kann ich mich deinem Standpunkt anschließen, liebe magali. Und dabei fällt mir ein, dass ich den Tonio Kröger und den Michael Kohlhaas mal wieder lesen könnte.

  • Rezension zur älteren Übersetzung:


    Holden Caulfield, 16 Jahre alt, wird zum wiederholten Male einer Schule verwiesen, in fast allen Fächern ist er durchgefallen. Drei Tage, bis zu den Weihnachtsferien, kann er noch an der Schule bleiben, doch dann verlässt er sie unerlaubt, fährt nach New York und treibt durch die Stadt.


    Holden erzählt seine Geschichte dieser wenigen Tage selbst in Ich-Form, zunächst erleben wir mit ihm seinen letzten Tag an der Schule, dann die Tage in New York, insgesamt sind es drei Tage. Erzählt wird rückblickend, einige Monate später.


    In meiner Jugend war der Roman Kult, endlich habe ich ihn nun noch einmal gelesen. Der Roman stammt aus dem Jahr 1951, Holdens Geschichte sollte daher (auch) im Kontext der Zeit gesehen werden. Auf Deutsch gibt es zwei Übersetzungen, die ältere, neu durchgesehen und bearbeitet von Heinrich Böll, und eine neuere, modernere von Eike Schönfeld. Ich besitze die ältere, die auf einer entschärften englischen Auflage basiert, entschärft ist hier vor allem Holdens (Jugend)Sprache, die recht vulgär und voller Schimpfwörter ist. Ganz entschärft wurde allerdings nicht, es gibt immer noch viele „verdammt“.


    Ich fühle mich immer noch wohl in dem Roman, ich kann mit Holden lachen und weinen und mich über ihn wundern. Für mich liest sich der Roman sehr flüssig, Langeweile verspüre ich auf keiner Seite.


    Wie interpretiert man Holdens Erzählung? Ich kann mich noch gut an meine Jugendjahre erinnern, auch wenn mittlerweile ein paar Jahrzehnte vergangen sind, und so kann ich mich auch (immer noch) gut mit Holden identifizieren. Ich stelle keine großartigen psychologischen Überlegungen an, nehme Holden, wie er ist, höre mir seine Geschichte an und habe den Eindruck, ihn verstehen zu können. Holden wirkt ein bisschen verrückt, oft etwas ungestüm, über seine Familie erfährt man wenig. Seine Schulprobleme haben nichts mit fehlender Intelligenz zu tun, vielmehr mit seiner Verweigerungshaltung, die (sozialen) Regeln widern ihn an, ebenso die vorherrschende Heuchelei. Holden hat seinen Platz in der Gesellschaft noch nicht gefunden, aber, wer hat das schon in diesem Alter.


    Insgesamt ein immer noch lesenswerter Klassiker, den jeder einmal gelesen haben sollte.


  • Ich möchte einfach die Worte magalis unterstreichen.


    Auch wenn Holden durch seine wohlhabenden Eltern vielleicht privilegierter ist als andere, allerdings nur in finanzieller Hinsicht, ist er doch eine zutiefst unglückliche und suchende Person, die nie finden wird wonach er sich sehnt.


    Auch wenn meine Ausgabe ja nun nicht dem ursprünglichen Manuskript gleicht, spürt man dennoch wie verzweifelt Holden ist.


    Zwar bin ich froh, das Buch ausgelesen zu haben dennoch hinterlässt es einen nachdenklichen Leser.

  • Zitat

    Original von beisswenger
    Das Buch habe ich vor fast 40 Jahren zum ersten Mal gelesen. Vor kurzem las ich „Lieber Mr. Salinger“ von Joanna Rakoff und da dachte ich mir, ich könnte Salingers Meisterwerk noch mal lesen.


    Hm, das ist witzig. Ich habe "Lieber Mr. Salinger" meiner Frau geschenkt, damit ich das danach auch mal lesen kann! :lesend


    Und vielleicht bekomme ich dann mal Lust den Fänger zu lesen....vielleicht...ging ja an mir als alter Ostler vorbei, das Buch.


    Bo

  • Bezüglich der Warnung über diesem Eingabefeld "Die letzte Antwort auf dieses Thema liegt mehr als 365 Tage zurück. Das Thema ist womöglich bereits veraltet. ..." kann ich nur sagen, dass das Thema dieses Buches wahrscheinlich niemals veralten wird. Es geht fundamental um die Verwirrung der Pubertät, der wohl alle Menschen mehr oder weniger ausgesetzt sind, waren und auch in Zukunft ausgesetzt sein werden (sofern nicht irgendwann einmal ein Medikament erfunden wird, das Kinder schmerzfrei in die Erwachsenenwelt katapultiert).


    Erschütternd ist zu lesen, was passieren kann, wenn Eltern und Lehrer die Jugendlichen auf ihrem schwierigen Weg allein lassen und nicht geschafft haben, so viel Vertrauen aufzubauen, dass der junge Mensch sich in seiner Gehirnumbauphase an sie wendet, wenn er nicht mehr weiter weiß.

    Der Junge Holden stolpert haltlos in New York umher und findet letztlich nur in der kleinen Schwester einen notdürftigen Halt.


    Anfangs fand ich den Protagonisten auch ziemlich nervig mit seinen Flüchen und hahnebüchenen Übertreibungen - aber die Wirkung ist wohl vom Autor so gewollt und zeigt geschickt, wie Pubertierende auf Erwachsene wirken. Bewundernswert wie gut er sich mit 30 Jahren noch an sein Lebensgefühl als Teenager erinnern konnte. Eigentlich mag ich Romane, die in Ich-Form geschrieben werden nicht so gern, aber in diesem Fall hätte ich diese Form sogar bevorzugt. Vielleicht musste Salinger selber ein wenig Distanz zwischen sich und seinem Holden schaffen, um nicht "verrückt" zu werden.


    Weil hier viel über das "Rebellentum" diskutiert wurde, will ich nur bemerken, dass ich in Holden nur so weit einen Rebellen sehe, wie er sich gegen die "Heuchelei" der Anderen auflehnt. Dabei hat er selber Spaß am Lügen und schwindelt ohne Hemmungen, wenn es um ihn selber geht.


    Wir haben Den Fänger im Roggen nicht in der Schule gelesen und ich habe lange Jahre geglaubt, dass mit dem Fänger der Catcher beim Baseball gemeint ist. Jetzt würde es mich interessieren, wie dieses Buch auf mich in meiner Pubertät gewirkt hätte - aber der Zug ist doch schon lange abgefahren. :gruebel

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Siegfried Lenz: Der Verlust

  • Wir haben Den Fänger im Roggen nicht in der Schule gelesen und ich habe lange Jahre geglaubt, dass mit dem Fänger der Catcher beim Baseball gemeint ist. Jetzt würde es mich interessieren, wie dieses Buch auf mich in meiner Pubertät gewirkt hätte - aber der Zug ist doch schon lange abgefahren.

    In meiner Schulzeit (DDR) stand es auch nicht im Lehrplan. Wie du Frage ich mich, welche Wirkung es auf mich gehabt hätte. Zu Ende gelesen hatte ich es auch damals auf jeden Fall, im Gegensatz zu meinen Mitschülern, von denen kaum jemand die Pflichtlektüre, viel mehr als heute, zu Ende las.

  • Ich hätte es lieber im Original gelesen - die deutsche Übersetzung scheint mir stellenweise nicht so gut gelungen.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Siegfried Lenz: Der Verlust

  • In dieser Leserunde haben wir auch festgestellt, dass es zwei sehr unterschiedliche Übersetzungen gibt.

    Ja, das habe ich gelesen. Ich habe die von 1966 (Heinrich Böll) - aber bei einer moderneren Übersetzung würde ich wahrscheinlich auch enttäuscht sein, weil ich schon die Ausdrucksweise der 50er Jahre passend finde.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Siegfried Lenz: Der Verlust

  • Wir haben es in der 12. Klasse in Englisch gelesen und fanden sowohl

    Holden als auch seine Sprache nervig. Identifizierung mit oder Verständnis für Holden gab es nicht.


    Allerdings (rückblickend) schien es auch unser Lehrer rein als Pflichtlektüre zu sehen, die abgearbeitet werden muss. In dem Halbjahr haben wir vier oder fünf ähnliche Bücher gelesen und oft noch die Filme dazu geschaut. War vielleicht etwas viel.


    PS Viele von Holden als Provokation verwendete Worte/Ausdrücke waren Ende der 80er nichts Besonderes mehr. Die Thematik sprach uns auch nicht an. Wir konnten nicht nachvollziehen, warum dieses Buch Schullektüre war.

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")

  • Wir haben quasi alternativ dazu in der 10. Klasse "Rolltreppe abwärts" von Hans-Georg Noack gelesen. Leider war das Verhältnis mit unserem Deutschlehrer so schlecht, dass kaum eine gute Diskussion darüber stattfinden konnte.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Siegfried Lenz: Der Verlust

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