Der Tag X - Titus Müller

  • Kurzbeschreibung (gem. Amazon)
    Der große Roman über den Aufstand am 17. Juni 1953, als 24 Stunden alles möglich schien


    Seit ihr Vater als Wissenschaftler zu einem Leben im fernen Russland gezwungen wurde, passt Nelly sich ihrer Ostberliner Umgebung immer weniger an. Sie engagiert sich in einer kirchlichen Jugendorganisation und wird im Frühjahr 1953 kurz vor dem Abitur von der Schule geworfen. Trost könnte sie bei dem jungen Uhrmacher Wolf Uhlitz finden, der sich in sie verliebt hat. Er will ihr helfen, legt sich dafür sogar mit seinem Vater an, entwendet staatliche Dokumente und landet im Gefängnis. Was Wolf nur vage ahnt: Die junge Nelly steht in einer geheimnisvollen Verbindung mit einem russischen Spion namens Ilja, der sie mit Nachrichten über ihren verschleppten Vater versorgt und den Austausch von Briefen mit ihm vermittelt. Wie Wolf träumt auch Ilja von einem Leben mit Nelly – aber als sich in Berlin und Halle die Unzufriedenheit mit dem Regime in Massendemonstrationen entlädt, hängt ihrer aller Leben an seidenen Fäden.


    Titus Müller erzählt eindringlich und packend vom Leben der Aufbegehrenden und entfaltet authentisch und detailgenau das Panorama eines Aufstandes, der beispielhaft wurde.


    über den Autor (gem. Amazon)
    Titus Müller, geboren 1977, lebte lange in Berlin, studierte Literatur, Mittelalterliche Geschichte, Publizistik und Kommunikationswissenschaften. Mit 21 Jahren gründete er die Literaturzeitschrift "Federwelt". Seine zeithistorischen Romane wie "Tanz unter Sternen" (2011), "Nachtauge" (2013) und "Berlin, Feuerland" (2015) begeisterten viele Leser. Titus Müller lebt heute mit seiner Familie bei München, ist Mitglied des PEN-Clubs und wurde u.a. mit dem C.S. Lewis-Preis und dem Sir Walter Scott-Preis ausgezeichnet. Im Herbst 2016 erhielt er den Homer-Preis. "Titus Müller ist der Meister der spannenden Verbindung geschichtsträchtiger Themen mit fiktiven Schicksalen", urteilte der Wiesbadener Kurier, und der NDR 4 bezeichnete 2015 Titus Müllers vorletzten Roman als "eine historische Momentaufnahme voller Leuchtkraft".


    meine Meinung
    Frühling 1953 in der noch jungen DDR: der Uhrmacher Wolf verguckt sich in die angehende Abiturientin Nelly. Diese hat jedoch kein Interesse an dem Sohn eines Parteifunktionärs, ist sie doch rebellisch und gegen die Gleichmacherei des Regimes eingestellt. Dennoch lässt der junge Mann nichts unversucht, um Nelly zu begeistern. In Halle hingegen versucht eine alleinerziehende Mutter, sich und ihre 3 Söhne irgendwie durchzubringen. Ihr Mann hat sich in den Westen abgesetzt. Keiner ahnt, dass das Schicksal sie bald alle zusammenführen wird im Juni 1953.


    "Der Tag X" ist ein Roman um den Arbeiteraufstand 1953 und hat mich komplett überzeugt. Titus Müller beweist einmal mehr, dass Geschichte nicht langweilig sein muss, sondern fühlbar und mitreißend sein kann. Der Autor befasst sich mit einer Thematik, die in meinen Augen noch viel zu kurz in der Aufarbeitung und Behandlung kommt: die junge DDR und die Folgen der sowjetischen Besatzung.


    Die Geschichte wird von einem auktorialen Erzähler berichtet. Dabei erlebt man als Leser viele Perspektiven. Mal ist man aufmüpfig-rebellisch mit der jungen Nelly unterwegs, mal weiß man gemeinsam mit Lotte König nicht, wie man die 3 Jungen und sich ernähren soll und dann sitzt man in Moskau bei Beratschlagungen von Politikern und erlebt hautnah mit, wie Geschichte geschrieben wird. Diese Mischung erfordert vom Leser nicht nur Aufmerksamkeit und Konzentration, sondern auch Mitdenken, was mir sehr gut gefallen hat. Titus Müller offenbart die Zusammenhänge nicht schnöde auf einem Silbertablett, sondern zieht feine Linien zwischen Moskau, Berlin, Halle und Bonn, die der Leser verfolgen kann. So hatte ich beim Lesen mehrere AHA-Erlebnisse. Toll!


    Die Figuren, die Titus Müller in seinem Roman agieren lässt, sind sowohl fiktional als auch auf realen Persönlichkeiten beruhend. Mir persönlich hat es der Soldat Heimran Kunze sehr angetan. Gefangen in einer Welt von Gehorsam und Linientreue beweist er beeindruckend, dass man dennoch sein eigenes Denken nie einstellen darf. Doch auch die die anderen Charaktere, die alle sehr ausgewogen vorgestellt werden und zu Wort kommen, überzeugten mich durch ihre Ecken und Kanten, ihre Überzeugungen und ihre Schicksale. Der Autor vermeidet es sehr gut, bei seinen Beschreibungen in Klischees über Ost und West zu verfallen. Das hat mir sehr gut gefallen.


    Die Story hat mich von Seite 1 an mitgenommen und mit jedem Kapitel bin ich tiefer in den aufziehenden Aufstand eingetaucht. Titus Müller versteht es meisterhaft, das Gefühl des Aufbruchs, den Wunsch nach Veränderung und die "Wir packen das" - Einstellung der Arbeiter im Sommer 1953 zu transportieren. Ich fühlte mich zeitweise mitten in dieser Revolte gegen das Regime, wollte ebenso gegen die Ungerechtigkeit kämpfen und erschrak über die aufflammende Gewalt. Sehr zu Herzen gingen mir auch die Beschreibungen der Folter in den Stasi-Gefängnissen, auch wenn der Autor sie nicht bis ins kleinste Detail beschreibt, sondern vieles der Fantasie überlässt.


    Das Ende hat mich dann zu Tränen gerührt. In wenigen Sätzen wurde mir warm ums Herz und ich spürte Hoffnung für die Charaktere, die sich gegen das gestellt haben, was sich selbst als freiheitlich demokratisch bezeichnet hat. Großartig!


    Der Stil von Titus Müller ist sehr gut und flüssig zu lesen. Seine Erzählweise ist detailgetreu, mitreißend, ohne reißerisch zu sein und passend ruhig, wo die Herzen vor Aufregung eh schon schnell schlagen.


    Fazit: die DDR schnupperte einen Sommer lang an der Freiheit. Ich kann den Roman nur empfehlen.

  • Titus Müller schafft es uns in "Der Tag X" mitzunehmen in eine Zeit, über die im Westen dieses Landes vermutlich wenig bekannt ist, den Arbeiteraufstand des 17. Juni 1953.


    Wir begleiten u.a. Nelly, deren Vater kurz nach dem Krieg von den Russen zwangsweise nach Russland gebracht wurde, um dort als Wissenschaftler zu arbeiten. Nelly ist dem Staat und dessen Anforderungen an die Menschen sehr kritisch gegen übereingestellt und lässt sich auch durch Repressalien nicht von ihren Überzeugungen abbringen.


    Wolf verguckt sich in Nelly und gerät auch durch seine Neugier auf ihren Hintergrund in die Fänge der Stasi. Gemeinsam mit ihm erleben wir die Situation in Berlin am 17. Juni.


    Paralell dazu lernen wir Lotte, Katerina und Marc in Halle kennen. Auch für sie ändert der 17. Juni alles in ihrem Leben.


    Etwas übergreifender zu diesen persönlichen Geschichten, begleiten wir auch noch Ilja, der als russischer Spion in Westdeutschland arbeitet. Durch diesen Erzählstrang wird der Rahmen für die internationale Politik geschaffen. Hier erleben wir Unterredungen in der obersten sowjetischen Führung und bekommen einen Einblick in die bundesdeutsche Politik dieser Zeit.


    Mir hat das Buch sehr gut gefallen, schafft es doch das Gefühl der Unzufriedenheit der Arbeiter in diesen Jahren in der DDR zu transportieren. Ich glaube den wenigsten ist klar, wie schlecht die Versorgungslage zu dieser Zeit in der DDR immer noch war. Im Westen ging es damals ja schon steil bergauf.
    Das alltägliche Leben, die Angst vor der Bespitzelung und vor irgendwelchen Repressalien wird deutlich spürbar. Aber eben auch die Zweifel der einzelnen Figuren an dem was der Staat so vorgibt und verlangt und ob das alles in die richtige Richtung läuft werden immer wieder angesprochen. Alle Figuren, vom einfachen Arbeiter bis zum Sowjetpolitiker, eint eigentlich, daß sie einerseits einerseits auf das Gute hoffen und dann doch zweifeln, ob es gerade so zu erreichen ist.


    Ich hoffe dass sich in der nächsten Zeit vielleicht noch mehr Bücher mit dieser Zeit beschäftigen, einen ersten, sehr guten Einstieg bietet dieses Buch auf jeden Fall!


    Von mir 9 von 10 Punkte

  • Ganz egal, ob eine Priestertochter in der magischen Welt des 9. Jahrhunderts oder eine britische Brillenmacherin im 14., ob 400 Jahre später in Lissabon, an Bord der TITANIC oder eine Generation später an der Möhnetalsperre - die Bücher von Titus Müller sind immer etwas ganz Besonderes.
    Das liegt einerseits an seiner guten Beobachtungsgabe auch für winzige Details wie das Knarzen der Räder von Planwagen oder das Ticken einer Standuhr, andererseits an seinem auf gründlicher Recherche basierenden Hintergrundwissen und nicht zuletzt an seiner Fähigkeit, für die Leser historisches Geschehen mit den Schicksalen fiktiver Protagonisten hautnah erlebbar zu machen.
    Diesmal hat er sich für die Zeit der 1953er Arbeiteraufstände in der damaligen DDR entschieden, die in den Ereignissen am 17. Juni, dem "Tag X" gipfelten.
    Reale Personen "spielten mit" wie beispielsweise Adenauer, Chruschtschow und Churchill, Honecker und Ulbricht, aber es war wieder das Schicksal der "kleinen Leute", der "Menschen wie du und ich", die in unterschiedlicher Intensität an den Ereignissen beteiligt oder mehr oder weniger am Rande von ihnen betroffen wurden, die mir ans Herz gingen.
    Es waren in erster Linie drei Frauen.
    Da gab es Nelly, die einige Jahre zuvor in einer Nacht- und Nebelaktion ihren Vater verlor, der als deutscher Wissenschaftler von den Russen deportiert wurde. Dann Lotte, vom republikflüchtigen Ehemann verlassene und somit alleinerziehende und berufstätige Mutter dreier Jungen, kaum wissend, wie sie ihre Kinder über die Runden bringen sollte, denn es fehlte an Geld, an Zeit und an verfügbaren Lebensmitteln. Und Katharina, verheiratet, aber sich nicht genug geliebt fühlend.
    Auch, wenn man natürlich weiß, wie die Angelegenheit mit den Aufständen vom 17. Juni endete, dies hier war eine spannende Geschichte, die zu Herzen ging, ohne jemals kitschig zu sein.
    Interessante Hintergrundinformationen am Ende des Buches rundeten das Erzählte gut ab.
    Titel und Cover passten gut, lediglich der Klappentext wird dem tatsächlichen Inhalt meiner Meinung nach nicht wirklich gerecht.
    10 Punkte
    2 Edits, bin immer noch nicht wieder "ganz auf dem Damm", sorry! :anbet

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

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  • Meine Meinung zum Autor:
    Titus Müller hat mit seinem Roman „ Der Tag X“ , ein Bravouröses Werk der Erzählkunst geschaffen, ein Stück deutscher Geschichte, sehr gut veranschaulicht. Bis ins kleinste Detail hat er vom Aufstand des 17. Juni 1953 erzählt. Da war ich gerade mal 10 Monate alt, ich habe das ganze beim Lesen aufgesogen wie ein Schwamm. Schade das in meinem Geschichtsunterricht nicht darüber gesprochen wurde. Die Beschreibung und die internationale Politischen Hintergründe hat er sehr präzise und Authentisch beschrieben. Er erzählt sehr spannend was hinter den Mauern des Kremls passierte, da bekam man schon manches mal Gänsehaut. Die Machenschaften der Politiker dort, der Druck der UdSSR auf die Politiker in Ostdeutschland, das wurde einem beim Lesen erst so richtig bewusst. Die Politiker in der DDR, die ein sehr hartes Regiment führten, die Menschen unterdrückten und bespitzelten, auch hier schauderte man, wie Machtbesessen diese Bonzen waren.
    Das Aufbegehren dort den Menschen im Osten, mehr Arbeit, weniger Lohn, Enteignung , diese Unterdrückung und Entmündigung, ein Volk das unter der Knute steht. Kein Wunder das, das Fass überlief und man auf die Straße ging, ein Aufstand der aus dem Ruder lief, und in Blut und Tränen endete. Das alles hat er sehr gut herüber gebracht. Seine Protagonisten, sind teilweise Echt, man konnte sich gut in sie hineinversetzen, er hat sie sehr gut und lebendig beschrieben. Sein Schreibstil empfand ich als Klar, Kraftvoll, fließend, informativ und mitreißend.


    Meine Zusammenfassung zum Inhalt:
    Sehr gut hat er die vier betroffenen Familien beschrieben. All diese Menschen verbindet das gleiche Schicksal, sie sehnen sich nach Freiheit, nach einem Staat der ihnen Luft zum Atmen lässt und wo man nicht ständig überwacht und bespitzelt wird. Wo man wieder sagen kann was man denkt und nicht Angst hat, das sie einem gleich holen und ins Gefängnis stecken. Was keiner Ahnt sie werden mit in den Aufstand des 17. Juni 1953 mit herein gezogen, der in Blut, Leid und Tränen endet, was erst so Euphorisch begonnen hatte. Es war schon dramatisch das ganze Ausmaß mit zu erleben, man sah das ganze vor seinem inneren Auge wie ein Film ablaufen. Es ging einem ganz schön unter die Haut.
    Es fängt mit Nelly und ihrer Familie an, die des Nachts in ihrer Ostberliner Wohnung, von den Russischen Armee aus dem Schlaf gerissen wird, der Vater ein Wissenschaftler wird nach Russland entführt, er ist wertvoll für die Russen, die deutschen besaßen das Wissen das sie dringend brauchten. Die Ängste die und ihre Mutter Ausstand waren so greifbar, mir tat die Familie so Leid.
    Wolf der Uhrmacher , tickt auch ganz anders, er zweifelt an dem Regime, obendrein hat er sich in Nelly verliebt. Sein Vater ist ein hohes Tier in der Partei. Aber Wolf in seiner Verliebtheit möchte Nelly helfen, ihre Vater zu finden und riskiert dabei Kopf und Kragen
    Lotti, deren Mann Erwin sich in den Wesen abgesetzt hat, sie muss arbeitet Tag und Nacht um sich und ihre 3 Jungen durchzubringen. Diese stille Lotte, riskiert bei der Demo einiges und landet im Gefängnis, was sie dort mitmachte war unmenschlich und trieb einem beim Lesen, die Tränen in die Augen. Auch Katharina und ihr Mann Marc geraten unschuldig ins Fadenkreuz der Politik und müssen viel Leid und Schmerz erdulden. Nicht vergessen möchte ich den Russischen Spion Iljas der auch ein Auge auf Nelly geworfen hat, was er von ihr will und was sie verbindet erscheint Geheimnisvoll, da ist noch sein Chef und Auftraggeber Lawenri Beria, ein hohes Tier im Kreml, auch sie geraten nach und nach ins Visier der Mächtigen und müssen um ihr Leben bangen. Eine sehr aufregende und bewegende, sowie Lehrreiche Geschichte mit einem sehr überraschenden Ausgang.



    Der Roman erhält von mir 5 Sterne - 10 Eulenpunkte

    „Lesen heißt durch fremde Hand träumen.“ (Fernando Pessoa)

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  • Inhalt: Frühsommer 1953. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung der DDR wächst. Es mangelt an vielen lebensnotwendigen Dingen wie Nahrung und Wohnraum. Die politische Lage ist instabil.
    Über einen Zeitraum von wenigen Wochen um den "Tag X", den 17. Juni 1953, beschreibt der Roman das Schicksal ganz unterschiedlicher Menschen.
    Da ist z.B. Lotte, eine berufstätige alleinerziehende Mutter dreier Söhne, die dem täglichen Kampf ums Überleben zu entfliehen sucht und Halt bei dem Offizier Heimeran findet.
    Die Schülerin Nelly, die wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer christlichen Gemeinschaft vom Abitur ausgeschlossen wird.
    Wolf, der Nelly liebt, und wegen einer von ihm begangenen Dummheit von der Stasi erpresst wird.
    Der russischer Spion Ilja, der ebenfalls in Nelly verliebt ist.
    Katharina und Marc, ein junges Ehepaar, das mit seinen eigenen Problemen beschäftigt ist.
    Sie alle werden in den Strudel der Ereignisse um den 17. Juni 1953, den Arbeiteraufstand, hineingezogen. Aber nicht nur das Schicksal dieser typischen Bürger der DDR ist Thema das Romans, vor allem die politischen Machenschaften und Intrigen in Berlin und Moskau spielen eine große Rolle.


    Meine Meinung: Titus Müller hat mit diesem Roman über ein wichtiges Ereignis der jüngeren deutschen Geschichte bei mir eine große Wissenslücke geschlossen.
    Ich bin einerseits zu jung um den Arbeiteraufstand in der DDR selbst erlebt zu haben, andererseits zu alt, als dass das Thema DDR während meiner Schulzeit im Geschichts-bzw. Politik-Unterricht behandelt wurde.
    Somit war für mich vieles neu und unbekannt. Die Fülle an Informationen über die politischen Hintergründe wurde von Titus Müller aber so interessant und mitreißend aufbereitet, dass der Roman an keiner Stelle langweilig wurde. Im Gegenteil. Als Leser wird man regelrecht mit in das politische Chaos hineingezogen und erlebt den "Tag X" hautnah mit.
    Da es in diesem Roman eine große Anzahl an Charakteren gibt, fehlte mir phasenweise ein wenig die besonders hervorstechende Identifikationsfigur, aber das hat meinem Lesespaß nur minimal geschmälert.


    Fazit: Ein hervorragender recherchierter Roman über den 17. Juni 1953, dem ich noch viele begeisterte Leser wünsche.


    9 Eulenpunkte!

  • Meine Meinung:
    Schon seit längerem bin ich ein Fan von Titus Müller, er schreibt für mich historisch fundierte Romane die unter die Haut gehen und von seinen Lesern bzw. Leserinnen verlangen, dass sie sich eine eigene Meinung zu einem Thema bilden und dies gefällt mir ganz außerordentlich.
    Als ich in der Vorschau der Verlagsgruppe Random House sah, dass „Der Tag X“ das neue Buch von Titus Müller bald erscheinen würde, setzte ich es mir direkt auf meinen Merkzettel. Auch das Cover sprach mich direkt an, es ist relativ ruhig gehalten, ein wenig beklemmend und strahlt eine gewisse Nachdenklichkeit aus. Der Klappentext bzw. die Beschreibung des Buches gibt nur einen Teil der Geschichte wieder und kratzt somit nur an der Oberfläche dessen, was Titus Müller uns erzählen wird.
    Die Geschichte wird stringent chronologisch erzählt, als Leserinnen und Leser erleben wird die Zeit des Umbruchs aus verschiedenen Perspektiven und finden uns auf einmal mitten im Geschehen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland wieder. Es ist nahezu unmöglich eine Distanz zum Geschehen zu wahren, so sehr wird man in den Strudel aus Intrigen, politische Spiele und familiäre Beziehungen hineingezogen. Nur die Mischung und Verstrickung der verschiedenen Handlungsstränge ergibt ein Gesamtbild zur Lage in der Gesellschaft, die so komplex und unübersichtlich ist.
    Nelly, Wolf sowie Ilja sind die Hauptcharaktere dieses Romans, doch spielen sie nicht alleine, sondern müssen sich den Regeln ihrer Regierung, ihren Machthabern, ihrer Familie und Vorgesetzten beugen. Sie erfahren leidvoll, dass sie nicht wirklich frei sind, sondern in einem System gefangen sind, welches man nicht so einfach durchbrechen kann. Die Zeichnung der Charaktere und Nebenfiguren ist Titus Müller wieder einmal sehr gut gelungen. Jede handelnde Figur hat ein unverwechselbares Profil. Was mir sehr gut gefallen hat, ist die Facettierung der Figuren, keine Figur ist nur „schwarz“ oder nur „weiß“. Es gibt nicht die klassisch „Guten“ oder die klassisch „Bösen“ in diesem Roman.
    Um dem Autor in vollem Umfang folgen zu können, braucht man eine gehörige Portion an geschichtlichem Wissen bzw. die Bereitschaft sich diese(s) während des Lesens anzueignen. Ein recht anspruchsvoller Roman, der genau wegen dieser Tiefe so viel Spaß und Freude bereitet.
    Auch die Sprache die Titus Müller wählt ist diesem Roman angemessen. Der Schreibstil fordert vom Leser Konzentration und Aufnahmefähigkeit, denn man hat nicht nur das Gefühl, dass jedes Wort wichtig ist, nein jedes Wort ist wichtig und wohl gewählt und trägt zu dem überzeugenden Gesamteindruck bei.
    Komplettiert wird der sehr gute Eindruck von diesem Buch durch die Karte im vorderen Klappeninnendeckel, sowie einem Abkürzungsverzeichnis und einem umfangreichen Anhang, der viele zusätzliche historische Infos gibt.
    Titus Müller hat wieder einen sehr guten historischen Roman geschrieben, der volle Beachtung verdient. Für dieses Buch muss man sich Zeit nehmen, um es in seiner ganzen Tiefe und Breite erfassen zu können. Wer hier eine reine Liebesgeschichte vor historischer Kulisse erwartet wird eventuell enttäuscht oder völlig überrascht werden.
    Von mir gibt es eine ganz klar Lese- und Kaufempfehlung für alle Leserinnen und Leser, die sich auch schon mal gerne etwas tiefer mit einem historischen Thema beschäftigen und dabei nicht auf die Nähe von menschlichen Protagonisten verzichten möchten.
    Ich bedanke mich bei der Verlagsgruppe Random House und dem Karl Blessing Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.


    10/10 P.

  • Das neue Buch von Titus Müller "Der Tag X" handelt von dem Arbeiteraufstand des 17. Juni 1953 in der DDR.


    Ich muss gestehen, dass ich vor der Lektüre dieses Buches nicht viel darüber gewusst habe. Im Geschichtsunterricht in meiner Schule wurde nicht näher auf das Thema DRR eingegangen und somit hatte ich für diesen Roman so gut wie kein Hintergrundwissen.
    Das war aber zum Glück nicht weiter schlimm, weil es der Autor hervorragend versteht historische Ereignisse mit dem Schicksal fiktiver Personen zu verknüpfen und so einen sowohl wahnsinnig spannenden als auch lehrreichen Roman geschrieben hat.


    Die Ereignisse wie es zu dem Aufstand gekommen ist, werden anhand von verschiedenen Personen in Berlin und Halle erzählt. Am Anfang waren mir als Leser dabei die Zusammenhänge nicht ganz klar. Was verbindet die Gymnasiastin Nelly in Berlin, den sowjetische Spion Ilja in Westdeutschland und die Familie um Lotte in Halle miteinander ?
    Schnell wird aber klar, dass die einzelnen Erzählstränge alle zusammen zu dem "Tag X" führen.


    Mir hat das Buch wahnsinnig gut gefallen. Es ist eine so aufwühlende, emotionale und bewegende Geschichte. Ich habe beim Lesen mit den betroffenen Personen sehr intensiv mitfühlen können, habe mit ihnen gelitten und mich mit ihnen gefreut und gleichzeitig noch viel über ein Stück Geschichte aus meinem Land gelernt. Das Buch hat mich sehr stark beeindruckt. Der Teil um den sowjetischen Spion liest sich spannend wie ein Agententhriller. Gleichzeitig schafft es der Autor eine schöne Liebesgeschichte mit einzubauen. Ich bin einfach nur begeistert von diesem tollen Leseerlebnis. Es ist ein faszinierender Roman mit authentischen Personen, der sehr gut vom Autor recherchiert wurde.


    Erwähnen möchte ich auch noch die tolle Gestaltung des Buches. Schon das Cover finde ich sehr ansprechend und passend zu der Geschichte. Am Anfang findet der Leser einen Stadtplan von Berlin und im Anhang sehr ausführliche Hintergrundinformationen zu dem Aufstand und ein Abkürzungsverzeichnis.


    Ich möchte mich auch noch mal bei dem Verlag für das Leseexemplar bedanken und ganz besonders beim Autor für die interessante Begleitung der Leserunde.


    Für mich ist dieses Buch bisher mein absolutes Lesehighlight in diesem Jahr und ich vergebe sehr gerne dafür die volle Punktzahl.
    Ich wünsche dem Buch noch ganz viele begeisterte Leser, es hat es mehr als verdient.

  • Inhalt


    DDR 1953: Der Autor nimmt den Leser mit auf eine Reise in das Jahr 1953 in der jungen DDR. Das Leben der Menschen ist geprägt von Mangelversorgung und Zwangskollektivierungen, die den Aufbau des sozialistischen Staates begleiten. Nellys Vater, wurde nach dem Krieg in die Sowjetunion verschleppt, da er über Fachwissen zu Raketenbau verfügt. Nelly hat sich einer kirchlichen Gruppe angeschlossen und ist dadurch den Repressionen des Staates ausgesetzt. Sie muß die Schule verlassen und wird nicht zu Abitur zugelassen. Sie lernt Wolf kennen, den Sohn eines wichtigen Funktionärs der DDR kennen und auch Ilja, ein sowjetischer Agent wird noch eine wichtige Rolle in der Handlung spielen.
    In unterschiedlichen Handlungssträngen, die uns bis in die höchste Politk der UdSSR führen, erleben wir die Ereignisse im Sommer 1953 die zu dem Aufstand am 17. Juni führen.


    Meine Meinung


    Ein sehr spannendes Buch, das mich von der ersten bis zur letzten Seite gefangen genommen hat. Anhand der Personen, die uns durch die Handlung führen, erleben wir das Leben in der DDR in den 50er Jahren. Nelly die aufgrund ihres kirchlichen Engagements Probleme mit dem Staat bekommen, Lotte, deren Mann in den Westen geflohen ist und die jetzt ihre Kinder alleine aufzieht und dabei mit den Alltagsproblemen konfrontiert wird, und Wolf, der aus einem Funktionärsfamilie stammt, aber auch mit Problemen zu kämpfen hat. Sehr schön bekommen wir so ein Bild des Lebens zu dieser Zeit.
    Die Hintergründe der Ereignisse werden und durch einen Wechsel der Handlung zu den Ereignissen in Moskau rund um den Tod von Stalin und den folgenden Macht- und Richtungskämpfen, bei denen Baria eine wichtige Rolle gespielt hat. Sehr schön wird so die Machtlosigkeit der DDR-Politiker, die von den Richtungswechseln in Moskau kalt erwischt werden.
    Der Autor schafft rund um diese Ereignisse einen spannenden Roman zu schreiben, der es schafft geschichtliche Fakten mit einer guten Geschichte zu verbinden.
    Einen runden Abschluss bekommt das Buch durch den Anhang, in dem die geschichtlichen Fakten noch einmal dargestellt und erklärt werden.


    Ein rundum gelungenes Buch, das eine Zeit beleuchtet, die wenig im Focus steht, aber doch für die deutsche Politik von nicht geringer Bedeutung war

  • Nelly musste die Deportation ihres Vaters miterleben. Er wurde 1946 als deutscher Wissenschaftler in die Sowjetunion gebracht. Seitdem ist das Mädchen unangepasster als es dem DDR-Regime wünschenswert scheint. Sie engagiert sich in der kirchlichen Jugendorganisation und lernt dort Wolf kennen. Sie hat aber auch Kontakt zu dem Spion Ilja. Beide Männer setzen viel aufs Spiel, damit Nelly Informationen über ihren Vater bekommt.


    Mit Tag X ist der Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 gemeint, dessen Geschichte Titus Müller in seinem aktuellen Roman beschreibt. Er platziert seine Figuren glaubhaft in die historisch belegte Geschichte und lässt sogar einige reale Persönlichkeiten zu Wort kommen. Die Mischung gelingt ihm wie schon in den anderen Romanen hervorragend. Es wird deutlich, dass im Ostsektor die Menschen noch litten, während im Westen bereits der Wirtschaftsaufschwung begann. Politik, Wirtschaftslage und der Idealismus der Parteifunktionäre werden ebenso nachvollziehbar geschildert. Es werden Beweggründe und Ziele in einem Licht dargestellt, sodass sie wertfrei die Handlung der fiktiven Figuren beeinflussen.


    Zum einen begleitet der Leser Nelly auf ihrem Lebensweg und zum anderen lernt man Lotte in Halle kennen. In Halle werden durch sie die Zustände im Gefängnis offenbart, mit denen die Aufständischen agieren mussten. Der Aufstand wurde zurecht zum Gedenktag erklärt. Alle Fäden laufen an jenem Tag zusammen und aus der bunten Mischung an Charakteren ergibt sich ein Bild, das mich fassungslos zurückließ. Anfangs wird lediglich die aufkeimende Wut angesprochen, die durch die ständige Überwachung der Bevölkerung und der anschließenden Repressalien ihre Wurzeln hatte. Langsam steigert sich diese Unzufriedenheit und eskaliert in Demonstrationen und Protesten in der gesamten DDR.


    Der Roman hält sich exakt an den historischen Verlauf, was natürlich keine überraschenden Wendungen zulässt. Spannung kommt dennoch auf, da hier viel verarbeitet wird, was der Bevölkerung im Westen, also dem Klassenfeind der DDR, nicht so deutlich bekannt war. Der Roman wird vermutlich jeden interessieren, der mehr über die Deutsche Geschichte zwischen Ost und West wissen möchte. Er regt an zu hinterfragen, auch wenn die Ereignisse längst der Vergangenheit angehören und auch die Mauer nur 28 Jahre bestand. Zudem ist er berührend und weckt Empathie für die Figuren. Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung.

  • Titus Müllers große Stärke ist die gründliche Recherchearbeit, die er jedem seiner Romans zugrunde legt. Außerdem gelingt es ihm, die Begegnungen in Briefen, Akten u.ä. während seiner NAchforschungen in lebendige Figuren umzuwandeln. So auch in „Der Tag X“.
    In diesem Roman lässt Titus die unterschiedlichsten Personen zu Wort kommen, die alle irgendwie mit dem Aufstand am 17. Juni 1953 in Berührung kommen.
    Sehr glaubwürdig werden ganz verschiedene Menschen geschildert, die wie ein Rädchen im Uhrwerk der deutschen Geschichte eine Rolle spielen. Ob es die mutige Reinemachefrau Lotte ist, die es wagt, sich gegen die Regierung zu stellen oder ob es Stalins Gefolgsleute sind – alle Personen schildert Titus Müller gleichwertig und äußerst glaubwürdig.
    Außerdem unterfüttert er seinen Roman mit geschichtlichem Hintergrundwissen ohne zu belehren oder zu dozieren.
    Titus Müller gelingt es, Szenen zu schreiben, die mir auch noch nach der Lektüre im Gedächtnis geblieben sind und nachklingen. Eine starke Szene ist zum Beispiel die erste Begegnung von Nelly mit Wolf. Oder die Szene am Sterbebett Stalins.
    Berührt hat mich außerdem, dass Titus Müller mit diesem Buch fast vergessenen Menschen ein Denkmal setzt, die den Unterdrückern die Stirn geboten haben, die gefoltert wurden und unter dem DDR-Regime gelitten haben. Ihnen hat Titus Müller ein Gesicht und eine Stimme gegeben und somit ein Stück gegen das Vergessen geschrieben.
    Ich kann das Buch empfehlen.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Titus Müller hat mit "Der Tag X" einen sehr informativen und dennoch interessanten und gut lesbaren Roman geschaffen. Wie kam es zu diesem besagten Tag? Was erlebten die Leute zu dieser Zeit? Was war "erlaubt" und was nicht. Ich habe viel Neues dazu gelernt bzw. meine Kenntnisse hier und da vertiefen können.


    Auch emotional wurde der Leser mitgerissen, v.a. weil auch viele Fakten genannt wurden.


    Insgesamt war ich begeistert, manchmal hätte ich mir weniger Sprünge gewünscht und mancher Schicksalsverlauf hätte mich noch weiter interessiert.


    9 Eulenpunkte für ein wunderbares, informatives Leseerlebnis.

  • Der Aussage aus dem Klappentext "Titus Müller erzählt eindringlich und packend vom Leben der Aufbegehrenden und entfaltet authentisch und detailgenau das Panorama eines Aufstandes, der beispielhaft wurde." kann ich mich nur vollumfänglich anschließen. Ich finde das Buch richtig klasse und habe noch einmal richtig viel über die Ereignisse rund um den Juni 1953 gelernt. Sehr anschaulich und empathisch werden die Personen eingeführt und vorgestellt und bei einzelnen Situationen wie zum Beispiel dem Protestmarsch durch Halle hatte ich wirklich das Gefühl, beim Geschehen vor Ort zu sein. Einzelne Passagen erscheinen wie ein Spionage- und Politthriller. Neben der Situation vor Ort werden auch die Hintergründe und Ränkespiele im Politbüro der ehemaligen Sowjetunion sowie die politischen Verstrickungen und Abhängigkeiten zwischen der UdSSR und der DDR beleuchtet und dargestellt.


    Ein hervorragendes Buch, das ein mittlerweile fast in Vergessenheit geratendes Ereignis aus dem kalten Krieg aufgreift und sehr gut darstellt. Von mir gibt es dafür 10 Punkte.

  • Bei historischen Büchern ist es ja immer eine Gradwanderung zwischen Fiktion und Realität. Hier schlägt das Pendel deutlich mehr in Richtung Realität aus. Titus Müller schafft es, die Geschehnisse rund um den Aufstand in der DDR am 17. Juni 1953 sehr wirklichkeitsnah aus unterschiedlichsten Blickwinkeln zu erzählen.


    Über die Ereignisse an diesem doch so entscheidenden Datum habe ich vorher viel zu wenig gewusst, so dass ich durch diesen wirklichkeitsnahen Roman sehr viel Neues erfahren habe. Mit Hilfe verschiedener Handlungsstränge und Protagonisten erfährt der Leser so einiges über die Hintergründe und den Ablauf des „Tag X“. Leider bleibt es bei so vielen Personen und geschichtlichen Informationen nicht aus, dass für die Emotionen und Beweggründe der einzelnen Personen zu wenig Zeit bleibt. Hier hätte ich gern mehr über die Hintergründe und das Innenleben unserer Charaktere erfahren.


    Ein großes Plus ist der ausführliche Anhang. Hier werden nicht nur wichtige Abkürzungen erklärt und eine ausführliche Quellangabe gemacht, sondern vor allem auch die Schlagwörter der im Buch angesprochenen Thematiken genauer erklärt. Das half mir, viele Zusammenhänge besser einordnen zu können und viele Fragen wurden hier beantwortet. Sehr erstaunt war ich, dass es zu viele der fiktiven Protagonisten reelle Vorbilder hatten.

    In sehr

    guter Erinnerung wird mir auch die lebhafte Leserunde zu diesem Buch, das tolle Treffen zur Leipziger Buchmesse und die in diesem Rahmen stattfinde Lesung dazu bleiben. Danke nochmals dafür :).


    Fazit: Ein historischer Roman, der diesen Namen wirklich verdient hat, hält er sich doch sehr eng an die tatsächlichen Ereignisse. Für mich hätten die Protagonisten noch mehr „Gesicht“ bekommen dürfen, deshalb gute 8 von 10 Eulenpunkten.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021