'Zeit aus Glas' - Seiten 001 - 094

  • Was ist etwas Gutes an dieser Familiengeschichte? Als Glück bezeichne ich, dass Ulrike Renk die Tagebücher einer jungen Jüdin für ihr Buch als Faden nehmen kann, die überlebt hat und ein noch größeres Glück ein hohes Alter erreicht hat. Keiner konnte ihr die düsteren Kapitel ihres Lebens nehmen, die Angst vor dem nächsten Tag. Hoffnung haben, wenn etwas hoffnungslos scheint, doch folgten in der neuen Heimat noch sehr viele gute und glückliche Jahre. Wenn man das Buch mit diesem Gefühl liest, tröstet es mich ein wenig.


    Bevor ich „Zeit aus Glas“ anfing zu lesen, habe ich in „Jahre aus Seide“ noch einmal die beiden letzten Kapitel gelesen. Das wäre nicht erforderlich gewesen, denn die Autorin holt einen gut in den zweiten Band hinein. Sie hat mich emotional gleich wieder mit Ruths Familiengeschichte gepackt. Die Augen wurden im ersten Abschnitt gut befeuchtet.


    Grausame Bilder zeigen sich im Zuhause, eine Zerstörungswut die nicht viel übersehen hat, glücklicherweise aber das Versteck vor dem Dachboden, Ilses Kleiderschrank und vielleicht auch noch anderes, was wir im Laufe der nächsten Kapitel gemeinsam mit der Familie wiederentdecken werden. Überraschend für mich, wie die Schuhmusterkoffer nicht entdeckt und zerstört worden sind. Schuhe stehen für Schritte – Schritte in eine Zukunft zu setzen auf neuen Schuhsohlen – von daher ein schönes Sinnbild.


    Entsetzlich wie man die Gemälde der Ahnen zerstört hat, ihnen in Augen, Mund und Herz gestochen hat. „Wir wollen Euch nicht sehen, wir wollen Euch nicht hören, Eure Gefühle interessieren uns nicht. Wir nehmen Euch alle Würde, zerstören jeden einzelnen, nehmen ihm die Sicht, verbieten ihm das Wort und stechen Euch ins Herz, töten Euch.“


    Und dann das eilig beschlossene Gesetz! Juden haben finanziell den Schaden allein zu tragen, innerhalb von zwei Wochen haben Hauseigentümer für den Urzustand der Fassade/ Außenansicht zu sorgen. Wo sollen die Glasscheiben und Fenster so schnell herkommen? Nicht jeder Handwerker wird auch an Juden liefern wollen! Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen!


    Meyers Glück ist Familie Aretz und das Ehepaar Gompetz. Ich hoffe, die Gompetz dürfen tatsächlich in drei Wochen immigrieren. Wenn da man nichts noch schief geht. Sie wohnen zur Miete und ich finde erschreckend, dass ihr Vermieter noch für weitere acht Monate Miete verlangt. Wenn Gompetz weg sind, wollte er bestimmt deren Wohnung auch gleich wieder weitervermieten, doppelte Miete kassieren. Ob der Vermieter einverstanden ist, dass Meyers dort einziehen, eine jüdische Familie mit zwei Töchtern?


    Hans und Josefine Aretz – gleichberechtigte Ehepartner und Seelen. Ich male mir aus, dass diese hoffentlich ihr Leben lang noch Kontakt zu Meyers hatten und so erfahren haben, wie sie in der neuen Heimat wieder richtig lachen und die Freiheit erleben konnten. Jetzt im Moment sind sie das Beste, was Meyers widerfahren kann. Wenn ein Zugriff erfolgt, sind die Töchter und Eltern nachts getrennt. Aretz sind starke Persönlichkeiten, sie geben Ilse und Ruth Halt und Stärke und in ihrem Zuhause, was die Schwestern von Besuchen gut kennen, ein Quartier zum Wohnen, was diese aus den Zeiten vor der Kristallnacht aus Friedenszeiten lange schon kennen.


    Ich freu mich aufs Weiterlesen dieser mich bewegenen Fortsetzung.



    S.47, sollte er nicht besser heißen im vorletzten Absatz statt „er hat immer seine in den Pension vergessen“, in der Pension/ in den Pensionen.

    Manche Bücher müssen gekostet werden, manche verschlingt man, und nur einige wenige kaut man und verdaut sie ganz.
    (Tintenherz - Cornelia Funke)

  • Ich muss Gucci zustimmen, zu wissen, dass Ruth überlebt hat, macht es etwas einfacher ihre Geschichte zu lesen.

    ICh finde es schlimm, wie damals gehaust wurde. Woher kamm dieser Hass? Der je teilweise richtig persönlich war? Das Zerstören von Bildern mit Messern hat ja doch etwas sehr persönliches. Die Meyers haben ja nun wirklich niemandenm etwas getan und sogar dem Nazi-Nachbarn noch Geld geliehen. Und trotzdem wird ihr Haus so zerstört. Gut dass niemand mehr dort anzutreffen war.


    Ruth ist wirklich bewundernswert. Mit ihren 17 Jahren reisst sie sich am Riemen und schaut nach vorne, obwohl ihr wohl klar ist, dass es nur noch schlimmer kommen wird. Ihre Eltern wirken dagegen richtig hilflos. Gut dass da auch so eine große Gruppe ist, die sie alle auffängt und die sich gegenseitig unterstützen. Und dass auch die Aretz sich kümmern, obwohl sie sich damit ja selber in Gefahr bringen.

    Das Gespräch zwischen Josefine und Hans fand ich bemerkenswert. Es ist ihnen klar, dass sie nichts tun können, weil sie mit jeder politischen Aktion sich und ihre Kinder gefährden würden. Aber weiterhin zu helfen wo es geht, ist trotzdem selbstverständlich.


    Das Gesetz, dass die Juden alle Schäden selbst zu tragen hätten zeugt ja auch davon, dass nichts in dieser Reichskristallnacht ungeplant war. Sowas fällt ja nicht einfach so aus der Schublade.


    Ich hoffe mal sehr, dass es Tante Sofie und ihrem Mann gelingt noch auszureisen und sie dabei nicht alles verlieren. Bei den Meyers sehe ich da allerdings schwarz, die werden wohl eher nur mit dem, was sie am Leibe tragen das Land verlassen können.

  • Ich hatte schon Angst, dass jemand von der Familie den Braunen in die Finger fällt, aber zum Glück waren alle in Sicherheit. Doch das Heim, welches mit so viel Liebe errichtet und eingerichtet wurde, ist nur noch ein Trümmerfeld. So viel Hass, der sich das ausgetobt hat und besonders schlimm finde ich es, dass der Nachbar Theißen, dem von Karl geholfen wurde, da die treibende Kraft war. Zum Glück wurde Ruths Versteck nicht entdeckt.


    Als wäre das nicht alles schlimm genug, sollen sie nun auch noch alles in kürzester Zeit in Ordnung bringen und selbst die Kosten tragen. Außerdem müssen sie auch noch zwanzig Prozent ihres Vermögens zahlen. Doch welcher Handwerker ist bereit, die Reparaturen vorzunehmen und woher kommen die Materialien?


    Aber es gibt auch die anderen Menschen, welche Mitgefühl haben und etwas tun, wie die Aretz. Aber Vorsicht ist angebracht, sie dürfen niemanden auf sich aufmerksam machen. Hoffentlich gibt es in deren Haus niemanden, der sie anschwärzt, denn trotz aller Vorsicht muss es ja auffallen, dass Ruth und ihre Schwester dort ein- und ausgehen.


    Der Zusammenhalt zwischen den jüdischen Familien ist groß. Aber viele wurden schon nach Dachau gebracht und andere sind bereits im Ausland. Karl hat zu lange gezögert. Nun sind sie zwar registriert, aber es wird noch Jahre dauern, bis sie ausreisen dürfen. Nur wird sie die Lage bis dahin dramatisch verschlimmert haben.


    Ruth ist eine starke junge Frau. Auch wenn es sie fast zerreißt, sie macht sich an die Arbeit und kümmert sich auch noch um Ilse. Es ist schlimm, dass Martha zusammenbricht, statt für ihre Familie da zu sein. Auch Karl ist nicht gerade der Stärkste, obwohl er tut, was er kann.


    Die Gompetz haben nur noch wenige Wochen bis zu Ausreise. Damit können die Meyers die Wohnung eine Weile nutzen. Hoffentlich kommt da nicht noch etwas dazwischen. Denn sicher ist in den Zeiten gar nichts.

  • Heute Morgen in der Bahn habe ich die ersten Seiten gelesen.

    Und diese lesen sich weg wie nix.

    Trotz dem wirklich schlimmen Thema.

    Wie schrecklich muss es sein, sein Haus so vorzufinden.

    Ruth ist wieder sehr stark und versucht, für ihre Familie da zu sein.

    Was für eine beeindruckende junge Frau.

  • Ich bin auch sofort wieder bei Ruth und ihrer Familie eingezogen, gut, dass die Bücher kurz hintereinander erscheinen, so vergisst man nichts.


    Ich stimme streifi zu, dass es sich leichter ertragen lässt, da man weiß, dass zumindest Ruth überlebt hat. Was für ein starkes Mädchen, notgedrungen. Sie berührt mich wirklich sehr, dass sie nach außen hin Stärke und auch Härte zeigt, aber trotzdem Gefühle zulässt und darüber reden kann.


    Ganz besonders mag ich Familie Aretz, ohne sie würden die Meyers es nicht schaffen. Auch die Gemeinschaft der Juden zeigt sich als Netz, dass die einzelnen Mitglieder auffängt. Berührend.


    Ich frage mich wirklich, wie es so weit kommen konnte. Dass das Ausland nach der Kristallnacht nichts getan hat und es den Juden noch schwerer gemacht wurde, sich in Sicherheit zu bringen, ist einfach unverständlich.

  • Ich habe gestern auch bereits den ersten Abschnitt beenden können. Die vielen Personen waren mir recht schnell wieder präsent. Von den Ereignissen war ich nicht ganz so geschockt, es ist ja alles bekannt, was damals leider passierte. Und noch ist es ja nur Gewalt gegen Sachen, was allerdings auch intensiv auf die Psyche wirkt.

  • Das Buch knüpft ja wirklich nahtlos an den Vorgängerband an. Ich war auch sofort wieder drin in der Geschichte und ein wenig hin- und hergerissen: Einerseits schön, die vertraut gewordenen Personen "wiederzusehen", aber gleichzeitig umso grausamer, lesen zu müssen, was ihnen geschehen ist. Und dabei zu wissen, dass diese Ereignisse real waren, keine Fantasiegeschichten. Leider. Es macht mich fassungslos zu lesen, zu welchen Grausamkeiten Menschen fähig waren. Und leider weiß man ja, dass sich das noch gesteigert hat.

    Der Gedanke, dass Ruth das alles überlebt hat, ist dabei tröstlich.


    Ruth finde ich überhaupt eine sehr starke Person, es ist bewundernswert, wie sie alles anpackt, und versucht, möglichst viel vom Hab und Gut ihrer Familie zu retten.


    Sehr berührt hat mich auch die Familie Aretz, die die beiden Mädchen so selbstverständilich aufgenommen hat. Auch der Zusammenhalt mit anderen jüdischen Familien war ein kleiner Lichtblick in dieser furchbaren Zeit.

    Die neu erlassenen Gesetze sind darauf ausgerichtet, den jüdischen Bürgern systematisch die Lebensgrundlage zu entziehen, indem sie für die Schäden, die die Nazis angerichtet haben, selbst aufkommen müssen und dabei auch noch eine Frist gesetzt bekommen, in der sie die Schäden zu beseitigen haben.


    Ich kann gut nachvollziehen, dass Martha angesichts all dessen in Depressionen verfällt, die Situation erscheint wirklich sehr ausweglos. Ich wünsche der Familie sehr, dass sie bald eine Möglichkeit findet, Deutschland zu verlassen.

  • Der Einstieg ist mir leicht gefallen, obwohl die geschilderten Fakten schon sehr bedrückend sind. Auch wenn man weiß, was in der Kristallnacht geschehen ist, ist es etwas anderes, sie quasi aus erster Hand geschildert zu bekommen. Schlimm finde ich, dass man den betroffenen Menschen vor allem das Gefühl der Sicherheit im eigenen Heim genommen hat. Extrem stellt sich der Gegensatz zwischen bösen Nachbarn und hilfsbereiten Exangestellten dar.

    Richtig perfide wirkt die Schuldzuweisung an die Juden für diese Ausschreitungen. Dazu passend die Darstellung der Berichterstattung in den Medien. Die Nationalsozialisten haben schon sehr früh die Bedeutung der Medien erkannt und diese dann auch genutzt.

    :lesend James Lee Burke - Die Tote im Eisblock

    hörend: Hanna von Feilitzsch - Bittersüße Mandeln

  • Ich habe gestern auch bereits den ersten Abschnitt beenden können. Die vielen Personen waren mir recht schnell wieder präsent. Von den Ereignissen war ich nicht ganz so geschockt, es ist ja alles bekannt, was damals leider passierte. Und noch ist es ja nur Gewalt gegen Sachen, was allerdings auch intensiv auf die Psyche wirkt.

    Mich stört immer, dass Gewalt gegen Sachen als weit weniger schlimm eingestuft wird. Natürlich ist Gewalt gegen Personen eine andere Dimension, aber das Gewaltmonopol gehört dem Staat und sonst niemandem. Da ist die angebliche Legitimation völlig egal.

    :lesend James Lee Burke - Die Tote im Eisblock

    hörend: Hanna von Feilitzsch - Bittersüße Mandeln

  • Welche angebliche Legitimation meinst Du?

    Da gibt es viele Varianten. Rechte und linke Demonstranten protestieren gegen irgendetwas, Fussballrowdies wollen einfach Spaß haben, vorwiegend bei Arbeitskämpfen gibt es Blockaden (Habe mal über eine Stunde blockiert auf einer Brücke gestanden, seitdem halte ich Blockaden nicht mehr für gewaltfrei, da sollte ein Stahlwerk dichtgemacht werden).

    :lesend James Lee Burke - Die Tote im Eisblock

    hörend: Hanna von Feilitzsch - Bittersüße Mandeln

  • Der zweite Band knüpft nahtlos an die Geschichte der Familie im ersten Band an. Ulrike Renk hat sehr gut recherchiert und gibt die Gemütslage der einzelnen Familienmitglieder eindrücklich in schlichter Form wieder.


    Woher dieser ganze Hass auf die Juden gekommen ist bleibt ein Rätsel. Sicher war die jahrelange Propaganda der Nationalsozialisten eine treibende Kraft und die Zusammenrottung von Gewaltbereiten mit dem Segen der Staatsmacht eine verheerende Zuspitzung der Stimmungslage im Deutschen Reich.

    Die Reichskristallnacht war eindeutig vorher genau geplant. Trotzdem erschüttert es, dass so viele anscheinend mit so persönlichen Aversionen gegen ihre direkten Nachbarn vorgegangen sind. Man kannte sich doch eigentlich recht gut :/


    Bisher zerfällt die Geschichte in Fassungslosigkeit über die sinnlose Gewalt und die schöne Hilfsbereitschaft der wenigen Anständigen. Es gibt keine Stimme der Unbeteiligten oder der Mitläufer, die sich mit dem damaligen System (mehr oder weniger zwangsweise) arrangiert haben.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Siegfried Lenz: Der Verlust

  • Bisher zerfällt die Geschichte in Fassungslosigkeit über die sinnlose Gewalt und die schöne Hilfsbereitschaft der wenigen Anständigen. Es gibt keine Stimme der Unbeteiligten oder der Mitläufer, die sich mit dem damaligen System (mehr oder weniger zwangsweise) arrangiert haben.

    Nein, natürlich gibt es die nicht. Das Buch ist ja aus der Perspektive der Familie geschrieben.

  • Auch ich bin sehr gut in das Buch reingekommen, es war ein wenig wie ein Wiedersehen mit alten Bekannten. So schlimm und schrecklich die Ereignisse sind, trotzdem begleite ich Ruth sehr geren. Sie ist ein großartiges Mädchen und in vielem erkenne ich mich wieder (nach dem frühen Tod meines Vaters musste ich auch oft stark sein und habe mich mit tun abgelenkt).

    Ihre kleine Schwester hingegen ist noch ganz das Kind ängstlich und schutzbedürftig, aber das darf sie auch sein, dafür ist die Kindheit ja schließlich da.

    Ohne die Familie Aretz sehe vieles viel schlimmer aus, es ist großartig welches Risiko sie eingehen um zu helfen. Ich hoffe sehr, dass viele ihrem Beispiel folgen, denn was in unserer Gesellschaft passiert, geht uns alle etwas an!

  • Überraschend für mich, wie dieSchuhmusterkoffer nicht entdeckt und zerstört worden sind. Schuhe stehen fürSchritte – Schritte in eine Zukunft zu setzen auf neuen Schuhsohlen – von daherein schönes Sinnbild.

    Vielleicht wussten sie, dass Karl sie nicht mehr nutzen kann, weil er nicht mehr arbeiten darf. Das war nicht so etwas Persönliches, an dem das Herz hängt.

    Und dann das eilig beschlossene Gesetz! Juden habenfinanziell den Schaden allein zu tragen, innerhalb von zwei Wochen habenHauseigentümer für den Urzustand der Fassade/ Außenansicht zu sorgen.

    Ich glaube nicht, dass es so eilig beschlossen wurde. Da war bestimmt Bestandteil eines Planes.

  • ICh finde es schlimm, wie damals gehaust wurde. Woher kamm dieser Hass? Der je teilweise richtig persönlich war? Das Zerstören von Bildern mit Messern hat ja doch etwas sehr persönliches. Die Meyers haben ja nun wirklich niemandenm etwas getan und sogar dem Nazi-Nachbarn noch Geld geliehen. Und trotzdem wird ihr Haus so zerstört.

    Hass auf die Juden war immer da und er wurde auch schlimmer. Doch dann kam jemand, der mit seiner Politik und seinen Reden erst das Streichholz an die Lunte hielt. Aber bei den Meyers kommt noch etwas Persönliches dazu. Es ist wohl Theisen, der sich selbst nicht eingestehen kann, dass er Geld genommen hat und nun will er das ausbügeln.