Das Buch scheint ja sehr zu polarisieren. Nach den Rezis hier bin ich etwas zurückhaltend rangegangen, es hat mir aber wider Erwarten recht gut gefallen.
Angesiedelt ist die Geschichte in der Märchenwelt. Jedoch zeigt diese mittlerweile deutlich den Einfluss von modernen Menschen: Die Technisierung hat Einzug gehalten, es gibt beispielsweise Eisenbahn, die Zwerge rasieren sich und etliches mehr.
Auch enden Märchen nicht immer mit „und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende“, sondern sind durchaus düster und ohne Happy End. Bestes Beispiel hierfür ist Dornröschen – das niemals geweckt wurde. Kleine Hinweise auf bekannte Märchen sind immer wieder zu finden und machten für mich einen Teil des Reizes von diesem Buch aus, es hat mich immer gefreut wieder etwas aus einem bekannten Märchen zu lesen, sei es Tischlein deck dich, Der Knüppel aus dem Sack, Hänsel und Gretel, Der Froschkönig, Schneewittchen, etc. Vor allem die kleinen Abweichungen oder Erweiterungen sind sehr interessant oder spaßig. Wusstet ihr beispielsweise, dass Schneewittchen zwar den Prinzen geheiratet hat, ihm aber schnell nach der Hochzeit abgehauen ist – mit einem Zwerg?
Aber zurück zur Geschichte selbst. Erzählt wird in kurzen prägnanten Sätzen, was aber gut zum Tempo der Geschichte passt. Denn die eilt weiter, schnell wie die verrinnende Zeit, die gegen die Protagonisten läuft. Denn mit jeder Stunde, die verstreicht verwandelt sich Will immer mehr in einen Goyl, zwar menschenähnlich, aber mit einer Haut aus Stein und ohne die geringsten Bindungen zu den Menschen, die ihm bisher lieb und teuer waren. So entwickelt er sich von einem Gutmenschen langsam zum gefühlskalten Wesen, der seiner Freundin kalt und herzlos gegenüber steht und schließlich sogar fähig ist, Bruder und Geliebte zu verletzen, nicht nur emotional, sondern auch körperlich. Die Veränderung seines Bruders geht Jacob sehr nahe, auch wenn er versucht, sich dies nicht anmerken zu lassen und nicht zu stark darüber nachzudenken, ob dieser Hass nicht vielleicht schon immer in seinem Bruder geschwelt hat. Hat er ihn doch in der Kindheit oft allein gelassen, sich in die Märchenwelt geflüchtet und sich geweigert seines Bruders Hüter zu sein.
Probleme hatte ich etwas mit Clara, die durch großen Zufall ebenfalls in diese Märchenwelt stolpert, auf der Suche nach Will. Im Gegensatz zu den beiden Männern ist ihr diese nicht seit Kindheit bekannt, dennoch nimmt sie sie mehr oder weniger gelassen und ohne Fragen hin, was ich mir so nicht vorstellen kann.
Jede der Personen hat ihre Selbstzweifel mit denen sie zu kämpfen haben, sei es Fuchs, die Jacob liebt, es aber nicht wirklich ausdrücken kann und in die Gestalt als Füchsin flüchtet, in der Hoffnung so weniger leicht verletzt zu werden, Clara, die irgendwann nicht mehr weiß, welchen der beiden Brüder sie nun wirklich liebt oder eben Jacob, hin und her gerissen ist vom Wunsch, seinem Bruder zu helfen, und dem Bedürfnis alles zu vergessen und dem Schicksal seinen Lauf zu lassen, sich immer wieder anspornen muss durchzuhalten und das Richtige zu tun.
Die Geschichte ist in sich abgeschlossen, für die geplanten Fortsetzungen sehe ich trotzdem durchaus das nötige Potential. Dabei denke ich an den verschwundenen Vater und das Verhältnis zwischen Fuchs und Jacob. Auch die Geschichte des Krieges zwischen Goyl und Menschen ist wohl noch nicht zu Ende.
Trotz des Märchensettings ist Reckless durchaus für Erwachsene zu lesen. Im Vergleich zur Tintenwelt ist alles ein wenig düsterer, die Charaktere sind erwachsener und mehr zwiegespalten. Einige hätten etwas mehr Tiefe vertragen, besonders in Will hätte ich gerne mehr hineingeblickt, wie hat er die Umwandlung empfunden? Kleine Makel sind also durchaus zu finden und auch eine Steigerung noch möglich, weshalb ich nur 8 Eulenpunkte vergebe, eine Leseempfehlung spreche ich dennoch gerne aus.